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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1302: Bedingungsloses Grundeinkommen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 - Juli/August 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Bedingungsloses Grundeinkommen
Eine notwendige Utopie

Von Jan Ole Arps


Kann das bedingungslose Grundeinkommen eine Antwort auf die Krise sein? Ist es nicht besser, jedem ein Existenzgeld zu geben, statt Arbeitsplätzen hinterherzujagen, die doch nicht zu halten sind? Die Mai-Ausgabe der SoZ hat mit Beiträgen von Wolfgang Ratzel einen Aufschlag gemacht, der als Gewerkschafter der Forderung ablehnend gegenübersteht. In dieser Ausgabe erteilen wir prekär lebenden Akademikern das Wort, unter denen die Forderung populär ist. Jan Ole Arps ist Politologe und Mitglied der Gruppe FelS (Für eine linke Strömung) in Berlin.


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In meiner Vorstellung von einer sozialistischen Gesellschaft steht die gesicherte Existenz jedes Menschen vor der Pflicht zu arbeiten. Die Produktion für einen gesellschaftlichen Bedarf (statt für einen anonymen Markt) schließt die Auseinandersetzung darüber ein, was gebraucht wird und sinnvoll ist - und wie man "die Arbeit" daran so organisieren kann, dass sie Spaß macht. Schädliche oder unbestreitbar überflüssige Dinge würden nicht mehr hergestellt, gesundheitsschädliche oder verdummende Arbeitsprozesse abgeschafft - hoffe ich wenigstens.

Diesen Gedanken enthält auch das Existenzgeld (oder bedingungslose Grundeinkommen): Es würde allen Menschen ermöglichen, ihre Fähigkeiten nach eigenem Ermessen einzusetzen, anstatt sich dem Zwang unterzuordnen, ein marktfähiges Produkt zu schaffen.

Ein Existenzgeld würde deshalb hervorragend zu meiner aktuellen Situation als Freiberufler passen. Als Politologe ohne feste Berufsperspektive bin ich Teil des "akademischen Prekariats". Während meines Studiums hat politischer Aktivismus einen großen Teil meiner Zeit ausgefüllt. Das kann ich mir jetzt immer weniger erlauben. Nicht nur weil ich gern mehr Zeit hätte, bin ich ein Anhänger des Existenzgelds. Wenn ich als Politologe arbeiten möchte, ohne Verbrechen zu begehen oder mich an Projekte zu verkaufen, die ich als Linker ablehne, sind meine Möglichkeiten doch sehr begrenzt. Ein Existenzgeld würde mir die Entscheidung gegen manche Jobs erleichtern.

An dieser Stelle ist vielleicht eine kurze Verständigung darüber notwendig, was ich unter Existenzgeld oder einem bedingungslosen Grundeinkommen verstehe. Ich habe kein exaktes Modell in der Tasche, aber ich meine mit Existenzgeld eine Zahlung, die jeder Mensch erhält, ohne Prüfung des Bedarfs, und zwar in einer Höhe, die nicht nur das Überleben, sondern die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben sichert. Die Summe von 1500 Euro, die in verschiedenen Modellen genannt wird, scheint mir da ganz passend. Zugleich gehört für mich zum Existenzgeld auch eine radikale Verkürzung der Normalarbeitszeit (auf bspw. 30 Stunden pro Woche) sowie - damit das Grundeinkommen nicht zur Subvention eines Niedriglohnsektors wird - die Einführung eines Mindeststundenlohns von sagen wir zehn Euro netto, zusätzlich zum Existenzgeld.

Dass das illusorisch ist, braucht mir keiner zu erzählen. Wenn sich im Sozialstaat ein Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit ausdrückt (nämlich die Frage, ob eine bestimmte Regulierung nötig ist, um die Arbeitskraft politisch ruhig zu stellen und in die Produktion zu integrieren), dann können wir wohl davon ausgehen, dass das Existenzgeld in nächster Zeit nicht auf der Tagesordnung steht. Insofern hat es derzeit keinen Charakter einer realen politischen Forderung - eher einer Utopie, die dabei hilft zu denken, was alles sein könnte.


Eine Richtungsforderung

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich halte das Existenzgeld nicht schon für den Sozialismus. Denn dazu würde gehören, dass nicht nur für die materielle Versorgung gesorgt, sondern auch die Produktion gesellschaftlich organisiert ist. Umgekehrt ist das Existenzgeld mit keinem Kapitalismus vereinbar. Es ist ein Blick darauf, was (technisch) möglich wäre, politisch aber nicht ist. Gerade, weil es diesen Widerspruch enthält, gefällt mir die Forderung.

Ich begreife das Existenzgeld also als eine Richtungsforderung. Sie zielt darauf, das Leben dem Zwang zur Verwertung zu entziehen bzw. den Zugriff des Kapitals auf das Leben und die Arbeitskraft einzuschränken. In diesem Sinne markiert die Existenzgeldforderung für mich die Richtung, in die die Reise gehen muss. Das hat seinen Sinn auch in 99,9% der Kämpfe, in denen die Forderung gar keine Rolle spielt. Ich unterstütze alles, was in diese Richtung geht, etwa die Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes auf 500 Euro, um ein Beispiel zu nennen.

Dass die Forderung nach einem Existenzgeld derzeit in keine (oder nur sehr marginale) gesellschaftliche Kämpfe und Bewegungen eingebettet ist, ist nicht zu übersehen. Eine Forderung kann solche Bewegungen auch nicht erzeugen. Mir ist sie dennoch wichtig, denn ich bin von der Notwendigkeit überzeugt, dass Linke nicht nur aus einer politischen Analyse, sondern auch von ihrer eigenen sozialen Position aus für Verbesserungen kämpfen müssen. Die Forderung nach einem bedingungslosen Existenzgeld ermöglicht es mir, mich als prekärer Akademiker mit inhaltlichem Anspruch an seine Arbeit (und nicht nur als Träger einer politischen Meinung) auf andere Kämpfe zu beziehen.


Kritik

Auf eine beliebte linke Kritik am Existenzgeld möchte ich noch eingehen. Der Grundeinkommensforderung wird immer wieder vorgeworfen, den Klassenwiderspruch zu verschleiern - und dazu noch aus dem durch kapitalistische Ausbeutung erwirtschafteten Reichtum bezahlt zu werden. Der an den Staat gerichteten Forderung wird dann gern der Kampf am Arbeitsplatz entgegengestellt, in dem die Arbeitskraftverkäufer sich als direkte Kontrahenten des Kapitals erlebten und "Klassenbewusstsein" entwickelten. Diese Kritik übersieht meines Erachtens, dass Verteilungskämpfe immer auch Klassenkonflikte sind, egal wo sie stattfinden. Es spielt keine Rolle, ob man einem Unternehmen einen Teil des kapitalistisch angeeigneten Mehrwerts durch höhere Lohnzahlungen oder durch höhere Sozialabgaben wegnimmt.

Zum anderen entgeht diesen Kritikern, dass ein großer Teil der Arbeitsplätze (mein eigener eingeschlossen) heute so vereinzelt ist, dass Lohnkämpfe dort kaum möglich sind. Sonst würde es sie ja vermutlich geben. In dieser Situation scheint mir die Grundeinkommensforderung sinnvoll, da sie es verschiedenen Gruppen von Lohn-, Gehalts- und Honorarabhängigen ermöglicht, sich gemeinsam als solche zu begreifen. Wie daraus ein politischer Kampf werden kann, das steht auf einem anderen Blatt.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 24.Jg., Juli/Aug. 2009, Seite 22
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
(VsP, www.vsp-vernetzt.de)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2009