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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1328: Hilft die "Mitarbeiterbeteiligung" in der Krise?


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10 - Oktober 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Hilft die "Mitarbeiterbeteiligung" in der Krise?
Ein Vorschlag der IG Metall zur Erneuerung der Sozialpartnerschaft

Von Jochen Gester


Der IGM-Vorsitzende, Berthold Huber, hat vorgeschlagen, Beschäftigte eines Unternehmens am Kapital zu beteiligen. Er hat damit eine heftige Debatte ausgelöst, bei der Pro und Contra sowohl von Gewerkschaften wie Unternehmern kommen.


Sehr wenig spricht dafür, dass die aktuelle Wirtschaftskrise ihren Zenit bereits überschritten hat und eine Trendwende zu erneutem Wirtschaftswachstum bevorsteht. Noch weniger dafür, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt in den kommenden Monaten entspannt. Wir stehen vor Massenentlassungen und schweren Angriffen auf den Lebensstandard und die materielle Existenz der Lohnabhängigen. Nicht nur die Partei des Herrn Westerwelle demonstriert mit ihren aberwitzigen Steuersenkungsforderungen und Vorschlägen zur Verschärfung von Hartz IV, wen die Vermögensbesitzer dazu auserkoren haben, die jährlichen 100 Milliarden, die im Staatshaushalt fehlen werden, durch mehr und schlechter bezahlte Arbeit und durch Verzicht aufzubringen; auch der Finanzminister sagt "harte Verteilungskämpfe" voraus. Angesichts dieser Aussichten fragt man sich, wie dies mit der Debatte um die Mitarbeiterbeteiligung zu vereinbaren ist, die vor allem auf den Wirtschaftsseiten der besseren Zeitungen geführt wird.

Das Thema selbst ist nicht neu. Seit den 50er Jahren kommt es wellenförmig immer wieder auf, mit wechselnden Etiketten. Ein frühes Beispiel für die Propagierung dieser Art "Volkskapitalismus" war der "Investivlohn", den auch der antikommunistische Vorsitzende der IG Bergbau und Energie, Georg Leber, befürwortete und dabei auf heftigen Widerspruch des damaligen IGM-Vorsitzenden Otto Brenner stieß, der die Mitbestimmung noch zum Hebel für die Überwindung des Kapitalismus ausbauen wollte. Später wurde das sog. "624-Mark-Gesetz" als "Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand" eingeführt. Doch auch diese Reform konnte die grundsätzliche Abhängigkeit der Lohnarbeiter nicht mindern. Das zusätzliche "Zwangssparen" wurde gerne mitgenommen und diente in der Regel größeren Anschaffungen.

Unabhängig von dieser gesetzlichen Regelung, auf die alle Beschäftigten einen Anspruch hatten, gab und gibt es diverse Formen von Mitarbeiterbeteiligung auf betrieblicher Ebene, die jedoch in weniger als 10% der Betriebe gewährt wird. Verhaltensrelevante Summen werden nur in einigen der großen DAX-Firmen gezahlt. Die Beschäftigten können eine bestimmte Anzahl von Aktien zum Vorzugspreis kaufen, erhalten darauf Dividenden und profitieren gegebenenfalls von der Kurssteigerung. Um das Interesse am Erfolg des Unternehmens, das sie beschäftigt, für Beschäftigte kleinerer Betriebe zu fördern und die Liquidität des Unternehmens zu verbessern, hat die derzeitige Große Koalition nun ein Gesetz gemacht, das den Betrag, den der Mitarbeiter steuerfrei in der Firma investieren kann, von 72 auf 400 Euro erhöht und dafür die Einkommensgrenzen heraufgesetzt. Klar ist: Hier wird kein großes Rad gedreht.

Bringt die gegenwärtige Debatte dazu etwas Neues? Neu scheinen die Positionen zu sein, die vom IG-Metall-Vorstand in die Diskussion gebracht und teilweise bereits realisiert werden. Die IG Metall befürwortet Mitarbeiterbeteiligung nicht als individuellen Einstieg des Arbeitnehmers in die betriebliche Vermögensbildung, sondern als kollektive Beteiligung der Belegschaft am Betriebseigentum. Im Rahmen der Adam Opel AG wurde eine Mitarbeiterbeteiligungs-AG gegründet, in die Lohnbestandteile und Forderungen der Belegschaft im Wert von 1,5 Mrd. Euro eingebracht werden. Der Euro-BR-Vorsitzende Klaus Franz kann sich eine 10%ige Beteiligung am Firmenkapital vorstellen. Auch bei Daimler arbeiten Geschäftsleitung und Betriebsrat an einem Modell, das erlaubt, Lohnbestandteile einzubehalten. So wird über die Nichtauszahlung der Erfolgsprämie 2008 ein Betrag von 1900 Euro je Mitarbeiter zu einer Kapitalbeteiligung. Bei Schaeffler haben BR und IGM einen Deal eingefädelt, der Lohnsteigerungen von 250 Mio. Euro pro Jahr in Unternehmensbeteiligungen verwandelt, was einem Anteil von etwa 4% am Firmenkapital entspricht. Auch bei VW ist eine Mitarbeiterbeteiligung in dieser Form vorgesehen, die die Belegschaft zum Shareholder bis zu 5% machen kann. Bertold Huber hatte sogar gehofft, für die Zustimmung zum neuen Vertrag zwischen VW und Porsche eine 10%ige Beteiligung zu bekommen.


Gewerkschaften garantieren Marktwirtschaft

Unter dem Druck der Krise zeichnet sich hier eine Positionsänderung zwischen dem neuen und dem alten IGM-Vorsitzenden ab. Jürgen Peters hatte diese Konzepte noch mit dem Argument abgelehnt, die Arbeitnehmer könnten nicht noch zu ihren Risiken als abhängig Beschäftige das Kapitalrisiko übernehmen. Warum er diese Risiken heute anders bewertet, erklärte der jetzige IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber in einem Interview mit der FAZ am 23. August. Huber berichtete, viele Unternehmen würden sich mit der Bitte an die Gewerkschaft wenden, ihnen über die krisenbedingten Liquiditätsengpässe zu helfen. Für den Fall des Gelingens böten die Firmeninhaber Beteiligungen an. Huber sieht darin die Chance zu einer Revitalisierung der Sozialpartnerschaft, die die Gewerkschaft als Verhandlungspartner stärken und eine Stabilisierung der Ökonomie durch Abwendung vom Shareholder-Value-Regime möglich machen soll.

Dabei versuchte er wiederholt, die Ängste der Herren auf der Kapitalseite zu zerstreuen, er wolle die bewährten Machtstrukturen zugunsten der Lohnarbeiter verschieben. Es gehe ihm nicht abstrakt um Macht, schon gar nicht der Gewerkschaft, sondern um die Stabilisierung der Arbeitsplätze. Keineswegs verfolge er ein neues jugoslawisches Modell von Mitarbeiterkapitalisten oder einen neuen dritten Weg. Diese Wege seien alle gescheitert. Er stehe zur klaren Rollenverteilung von Arbeitgeber, Betriebsrat und Gewerkschaft. Die Gewerkschaft wolle auch nicht Unternehmer werden. "Sie brauchen keine Angst haben vor dem Untergang der Marktwirtschaft, da kann ich Sie beruhigen." Und, als wolle er die Anschlussfähigkeit der Gewerkschaften für chauvinistische Krisenpakte demonstrieren: "Wir brauchen ein Gegengewicht gegen den Angriff der angelsächsischen Investoren auf deutsche Unternehmen." Bertold Huber will die "durch den Turbokapitalismus zerstörte Balance" der Sozialpartner wiederherstellen. Wodurch? "Wir wollen, dass die Belegschaft zum Ankeraktionär wird... Unser Ziel als Ankerinvestor ist ein Wechsel in ökologische Themen, die Verteidigung der technologischen Spitzenposition in Deutschland. Und wir wollen, dass die Leute fair beteiligt werden." Kurzum, so heißt es am Schluss des Interviews: "Wir schaffen Miteigentümer."

Diese Miteigentümer haben mit ihren kleinen Schachteln natürlich kein Mitspracherecht in der Geschäftspolitik, sondern bleiben dies eher im Geiste, was erklärt, dass hier auch viel Nebel produziert werden muss, um dem Phantom eine höhere Weihe zu verleiten. In einem Artikel der IG Metall ist von einem "richtigen Schritt in eine verantwortungsbewusste Unternehmenskultur" die Rede. Der IG-BCE-Vorsitzende Schmoldt hofft auf die Einrichtung einer "neuen Vertrauensebene", und auch der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für Partnerschaft in der Wirtschaft hofft, dass dieses Instrument dem Gedanken einer partnerschaftlichen Unternehmenskultur Impulse geben kann.


Eine andere Auslegung der Mitbestimmung

Angesichts dieser Sehnsuchtsbezeugungen nach emotionaler Verbundenheit der Sozialpartner liest sich der Abschnitt "Mitbestimmung in Betrieben und Unternehmen" aus dem 7-Punkte-Programm der IG Metall gegen die Krise geradezu nüchtern. Gefordert wird hier eine Veränderung des Mitbestimmungsgesetzes analog zum VW-Gesetz, das eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Aufsichtsrats bei Betriebsverlagerungen verlangt; der Begriff des Unternehmensinteresses soll dahingehend verändern werden, dass auch das Allgemeinwohl berücksichtigt wird. Bei Betrieben, die staatliche Unterstützung erhalten, sollen Betriebsänderungen an die Zustimmung des Betriebsrats geknüpft werden. Diese Änderungen könnten - wenn auch vorsichtig - einen Beitrag dazu leisten, "dass die Verfügungsgewalt des Kapitals zurückgedrängt und die Entscheidungskompetenzen der abhängig Beschäftigten und der Gesellschaft ausgeweitet" werden, wie IGM-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban in seinem Artikel Die Mosaik-Linke (Blätter für deutsche und internationale Politik) ausgedrückt hat.

Die Durchsetzung solcher Ziele steht und fällt mit der Fähigkeit der abhängig Beschäftigten, gemeinsam betriebs- und grenzüberschreitend zu agieren. Dies erfordert die Loslösung von der Unternehmenslogik der Arbeitgeber, nicht die verstärkte Bindung an sie durch Beteiligungen, die an den Regeln des Spiels "Überleben oder Untergehen" nichts ändern. Nur in Abkehr davon sind Auswege aus der Krise denkbar, die aus der Losung "Wir zahlen nicht für eure Krise" mehr werden lassen als einen frommen Wunsch.

Es ist die Vermeidung von gewerkschaftlichen Anstrengungen in dieser Richtung, die den Widerstand gegen die Abwälzung der Krisenlasten und eine Offensive für erweiterte Rechte der Arbeiterklasse so perspektivlos machen - und darüberhinaus so anfällig für reaktionäre Krisenlösungen. Die Politik der europäischen Metallgewerkschaften gegenüber den Schließungsabsichten des GM-Konzerns in Europa ist dafür ein gutes Beispiel. Der Schulterschluss der IG Metall mit den Ministerpräsidenten der betroffenen Bundesländer und mit der Bundesregierung funktionierte medienwirksam. Doch die Herstellung einer belastungsfähigen Einheit der europäischen Gewerkschaften ist gescheitert. Die IG Metall setzt auf den Magna-Konzern und die Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen. Unvermeidbar wird es damit Werksschließungen in Antwerpen und Zaragoza geben. Auch die Strategie des "Share the Pain" (Teile die Last) ist zusammengebrochen. Völlig unbeachtet bleibt, dass die einbezogene EU-Kommission überhaupt nicht daran denkt, den Erhalt von Standorten und die Anzahl der zu erhaltenden Arbeitsplätze vertraglich festschreiben zu lassen. Am Schluss bleiben geplatzte Illusionen und gegenseitiges Misstrauen. Das Drehbuch dafür haben andere geschrieben.


Die Klassenlinien nicht verwischen!

Martin Kannegiesser, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, äußerte sich in der Süddeutschen Zeitung vom 16.9.2009 wie folgt zum Vorschlag der IG Metall:

"Die Vorstellungen der Gewerkschaft haben offenbar ihren Ursprung im Zwang, auf Tarifbestandteile zu verzichten... Natürlich ist nicht nur vorstellbar, sondern auch wünschenswert, dass Kapitän und Mannschaft Hand in Hand arbeiten. Das setzt aber voraus, dass sie beide das gleich Ziel haben und es auch auf dem gleichen Kurs erreichen möchten. Das dafür nötige kooperative Miteinander müssen wir erst noch lernen, dieser Lernprozess ist noch nicht abgeschlossen... Deshalb müssen wir unsere bewährte Aufgabenteilung so lange beibehalten, bis auch die Arbeitnehmerseite volle Verantwortung für dass langfristige Wohlergehen des Betriebs übernimmt."


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10, 24.Jg., Oktober 2009, Seite 11
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2009