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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1520: Tunesien - Außenpolitische Verwicklungen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Tunesien
Außenpolitische Verwicklungen

Von Bernhard Schmid


"Ich hatt' einen Kameraden", mag die zackige französische Außenministerin Michèle Alliot-Marie bei sich gedacht haben. Und schon war er wieder verloren. Ihr tunesischer Amtskollege Ahmed Abderraouf Ounaïes quittierte am 13. Februar notgedrungen seinen Dienst, den er erst gut vierzehn Tage zuvor angetreten hatte.

Das Motiv für seinen Rücktritt: übertriebene Anbiederei bei der französischen Ministerin, was in Tunesien äußerst schlecht ankommt. Besonders, wenn es sich um Alliot-Marie handelt. Die Dame hat sich in Tunesien extrem unbeliebt gemacht. Erst bot sie am 11. Januar - drei Tage vor der fluchtartigen Ausreise des früheren Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali - in einer Rede vor der französischen Nationalversammlung Polizeihilfe an. Dann stellte sich heraus, dass sie am 12. Juni eine Ausfuhrgenehmigung für die Lieferung von mehreren Tonnen Tränengas und "Sicherheitsmaterial" an Tunesien erteilt hatte. Außerdem hatte sie sich zwischen Weihnachten und Jahresende 2010 in Tunesien aufgehalten. Da war im Landesinneren die Revolte schon am Brodeln.

Alliot-Marie und ihre Eltern waren nicht nur als Touristen im Land, sondern tätigten auch Immobiliengeschäfte - die Eltern der Ministerin erwarben ein Luxusgrundstück in Ghammart, einem Nobelvorort von Tunis. Um dort bauen zu können, musste man im Tunesien Ben Alis schon enge Kontakte zum Regime haben. Die Außenministerin wiederum nutzte ihren Aufenthalt zu einem Telefonat mit Noch-Präsident Ben Ali. Bislang noch dementiert wird, sie habe auch Ben Alis Innenminister und berüchtigten Chef der Präsidentengarde, den inzwischen inhaftierten Ali Sheriati getroffen.


Mittelmeerunion adé?

Solche kleinen Gefallen sind nur Nebeneffekte einer politischen Kumpanei, die gerade die französische Regierung sehr weit trieb. Haben doch Tunesien und Ägypten Schlüsselpositionen in der "Mittelmeerunion" (UPM) inne, die Nicolas Sarkozy im Juli 2008 in Paris gegründet hat.

Deren Sekretariat sollte ursprünglich in Tunis angesiedelt werden, ging dann allerdings nach Barcelona, um an den 1995 hier lancierten "Euromed"-Prozess für eine "Partnerschaft im Mittelmeerraum" anzuknüpfen. Im Unterschied zum "Barcelona-Prozess", bei dem NGOs und die Zivilgesellschaft jedenfalls theoretisch einbezogen werden sollten, basierte die UPM vollständig auf einer Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und den monarchischen oder diktatorischen Regimes Nordafrikas. Eine der Hauptaufgaben der Union sollte Sarkozy zufolge die Bekämpfung unerwünschter Migration im Mittelmeerraum sein.

Nun hat die UPM ein handfestes Problem, brachen doch in den letzten Wochen zwei ihrer wichtigsten politischen Stützpfeiler in sich zusammen. Die nähere Zukunft der "Mittelmeerunion", die - u.a. aufgrund der latenten Konflikte zwischen dem Mitgliedstaat Israel und seinen Nachbarn - in den letzten Monaten schon eher schlecht als recht funktionierte, ist nun höchst gefährdet.


Die Kontrolle der EU

Zumindest im Augenblick funktioniert unterdessen die Demokratie am Südufer des Mittelmeers offenkundig besser als auf dessen Nordseite. Denn während Alliot-Marie zwar an Sympathien einbüßte, ihren Job aber derzeit nicht ernsthaft zu verlieren droht, wurde in Tunis ihr Ministerkollege geschasst.

Am 4. Februar hatte Ounaïes sich in Paris aufgehalten und sich geradezu kriecherisch gegenüber seiner französischen Amtskollegin verhalten. Er hatte es als den "Traum" seines Lebens bezeichnet, mit ihr in Paris zusammenzutreffen. Drei Tage später protestierten deswegen Angestellte und Beamte seines Ministeriums in Tunis und pfiffen ihn aus. Der Außenminister wusste sich nicht anders zu helfen, als seine Sachen zu packen und zu gehen.

Ein positiver Ausgang, von dem nur zu befürchten ist, dass er auf Dauer folgenlos bleibt. Im März 2011 möchte die EU in Tunis einen "Kongress über politische und ökonomische Reformen" abhalten - den Congrès de Carthage, benannt nach dem Vorort von Tunis, wo der Präsidentenpalast liegt. Die Länder des Nordens möchten definitiv ihre Kontrolle über den Übergangsprozess nicht aufgeben. Ein weiteres Einfallstor für künftige Diktate ist der Wille der EU, "unerwünschte Migration" zu verhindern, nachdem Mitte Februar insgesamt rund 5000 Tunesier auf der Insel Lampedusa landeten. Viele EU-Politiker malen nun das Gespenst einer angeblich drohenden Katastrophe an die Wand, Berlusconi möchte gar eigene Polizisten nach Tunesien entsenden.


Prekäre Stabilisierung

Innenpolitisch konnte sich die am 27. Januar gebildete provisorische Regierung in Tunesien zunächst stabilisieren - trotz der Massendemonstrationen vom 20. Februar für die Entfernung der früheren Kader des Ben-Ali-Regimes aus der Übergangsregierung. Zu ihnen zählt nicht zuletzt der aktuelle Premierminister, Mohamed Ghannouchi, der diese Funktion bereits seit November 1999 bekleidet. Von den versprochenen Reformen, die zumindest eine demokratische Revolution vollenden würden, befinden sich die meisten noch im Projektstadium - wie die versprochene Überarbeitung der Verfassung - bzw. stellen bloße Versprechen dar. Unterzeichnet wurde dagegen am 20. 2. die versprochene Generalamnestie für bisherige politische Häftlinge.

Dabei dürfte es noch einen Streit um deren Reichweite geben, da von staatlicher Seite versucht wird, Gewerkschafter zu "terroristischen Gefangenen" zu erklären. Nach offiziellen Zahlen wurden seit dem Umbruch im Januar insgesamt 72 Häftlinge von Gefängniswärtern ermordet; die Dunkelziffer liegt höher.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 26.Jg., März 2011, S. 16
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2011