Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1761: Ver.di kämpft gegen die Prekarisierung im Postdienstsektor


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10 - Oktober 2013
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Sub, Sub-Sub und Scheinselbständig
Ver.di kämpft gegen die Prekarisierung im Postdienstsektor

Von Jochen Gester



Die Landesbezirke von Ver.di verhandeln derzeit über Flächentarifverträge zu Entgelt und Arbeitsbedingungen für große Teile der Branche des Fachbereichs "Postdienste, Speditionen, Logistik". Solche Verhandlungen stehen in folgenden Bundesländern an: Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen, Berlin, Brandenburg, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Hessen und betreffen folgende Bereiche: Deutsche Post AG, DHL Express Germany GmbH, DHL Hub Leipzig GmbH, DHL Home Delivery GmbH, DHL European Air Transport Leipzig (EAT) GmbH, Deutsche Post InHaus Services GmbH, Deutsche Post Geschäftsprozesse GmbH sowie die Postbank Filialvertrieb AG.
Jochen Gester sprach darüber mit Mario Klepp, dem Bundesleiter der Ver.di-Fachgruppe Speditionen, Logistik und Kurier-Express-Paketdienste (KEP).


SOZ: Für welche Forderungen geht Ver.di ins Rennen und wie sieht derzeit der Stand der Verhandlungen aus? Wo gibt es bereits Abschlüsse? In welchen Bereichen kam es zu Ausständen?

Mario Klepp: Ver.di setzt sich im Bereich Postdienste, Spedition und Logistik für eine faire Entlohnung der Beschäftigten sowie für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten ein. Die Logistikbranche hat ein überproportionales Wachstum zu verzeichnen. Die Forderung von Ver.di ist, die Beschäftigten an dieser Entwicklung zu beteiligen und eine Abkopplung der Löhne von der wirtschaftlichen Entwicklung der Branche zu verhindern. Zur Durchsetzung dieser Forderungen gab es u. a. bei der Post AG, der DHL Home Delivery, sowie in einigen Bereichen Hessens, Niedersachsens, Bremens usw. Arbeitskampfmaßnahmen. Die Verhandlungen waren oft schwierig und haben unterschiedliche Ergebnisse gebracht: In NRW etwa gibt es 2 x 2,8% mehr Lohn, in Bayern 2,8%, aber mindestens 60,00 Euro, Berlin 2,8%, in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt mit 3,1% - um nur einige zu nennen.


SOZ: Insbesondere im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP) ist die Bandbreite der Beschäftigungsverhältnisse groß und sind die Arbeitsbedingungen prekär. In einem Ver.di-Papier heißt es: "Schlechte Bezahlung, verschwimmende Grenzen zwischen Subunternehmen und Scheinselbständigen prägen das Bild." Kannst du das etwas konkretisieren? Und was hat das für Konsequenzen für die gewerkschaftliche Arbeit?

Mario Klepp: Im KEP-Bereich werden vor allem Kleintransporter eingesetzt. Da für diese Fahrzeuge außer dem normalen Pkw-Führerschein keine weitere Qualifizierung notwendig ist, stehen besonders in Regionen mit noch immer hoher Arbeitslosigkeit ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung, die bereit sind, zum Teil zu katastrophalen Bedingungen Kurier- oder Paketaufträge zu übernehmen. Diese Möglichkeit verleitet KEP-Dienstleister dazu, Zustellbereiche an Subunternehmer abzugeben, die ihrerseits Aufträge an Sub-Sub-Unternehmer weitergeben. Dabei kommt es nicht selten zu Abhängigkeiten, die den Tatbestand der Scheinselbständigkeit erfüllen.

Für die gewerkschaftliche Arbeit hat diese Entwicklung massive Auswirkungen. Unter den Sub-, Sub-Sub- und scheinselbständigen Unternehmern kommt es zu einem Preiskampf, der zum großen Teil auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen wird. Da die Fixkosten Fahrzeugwartung, Kraftstoff usw. kaum beeinflussbar sind, wird am Lohn gespart. Es hat eine Lohnspirale nach unten eingesetzt, die für Ver.di nicht hinnehmbar ist. Unter diesen Bedingungen ist es schwierig, über die Wahl von Betriebsräten die gewerkschaftliche Organisierung voranzubringen und tarifliche Standards durchzusetzen.


SOZ: Ver.di hat eine Kampagne im KEP-Bereich begonnen, die die großen Paketdienstleistungsunternehmen der Branche dazu bewegen soll, zukünftig die Zustellarbeit wieder mit eigenen Beschäftigten durchzuführen. Wie soll der dafür erforderliche Druck erzeugt werden?

Mario Klepp: Die Auslagerung von Zustellbezirken an Fremdunternehmen erschwert die gewerkschaftliche Organisierung der Beschäftigten. Ein scheinselbständiger KEP-Unternehmer hat wenig Interesse an einer Gewerkschaftsmitgliedschaft. Ver.di macht deshalb über Presse- und Lobbyarbeit auf die Marktführer der Branche Druck. Diese Aktivitäten und das negative Image der KEP-Branche und ihrer Unternehmensstrategien in der Presse haben inzwischen zu ersten Erfolgen geführt.

So erklärte der Vorstandschef von Hermes Europe, Hanjo Schneider, aufgrund der Vorwürfe im vergangenen Jahr: "Wir können garantieren, dass jeder Hermes-Paketbote in Deutschland mindestens einen Stundenlohn von 7,50 Euro bekommt." In vielen Fällen liege der Lohn sogar höher und reiche bis 10,50 Euro.

Auch die Deutsche Post DHL reagierte auf den Vorwurf des Lohndumpings im eigenen Unternehmen durch Fremdvergabe von Zustellbezirken an Sub- und Sub-Sub-Unternehmer, indem sie einen Teil der fremdvergebenen Zustellbezirke in den eigenen Konzern zurückholte und jetzt durch die DHL Home Delivery GmbH zustellen lässt. Im kommenden Jahr wird Ver.di einen Schwerpunkt auf Unternehmen der KEP Branche legen.


SOZ: Eine wichtige Rolle in den laufenden Arbeitsniederlegungen spielen die privaten Postdienste, z.B. die PIN AG, die nach dem Ausstieg von Springer jetzt von Holzbrinck und der TNT-Gruppe gehalten wird. Gerade hier sollte ja die Verordnung zur Einführung eines Mindestlohns greifen. Doch dieser Schritt wurde 2010 wegen eines Formfehlers vom Bundesverwaltungsgericht gekippt. Wie sieht es in diesem Bereich heute aus? Ist der juristische Weg am Ende und welche Möglichkeiten siehst du aktuell, die besonders prekäre Situation der Beschäftigten zu verbessern?

Mario Klepp: Ver.di verfolgt daher auch weiterhin das Ziel der Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns von mindestens 8,50 Euro. Unabhängig davon ist es natürlich vordringliche Aufgabe aller Gewerkschaften, sich dafür stark zu machen, dass insbesondere bei öffentlichen Aufträgen die Tarifgebundenheit eines Bewerbers Grundvoraussetzung für Vergabe ist.

Der Berliner Senat hat diese Forderung aufgegriffen und somit steht besonders die PIN AG unter dem Druck, Tarifverhandlungen zu führen, wenn sie auch weiterhin die Zustellung der Senatspost übernehmen möchte. Um diesen Druck zu erhöhen hat ver.di seine Mitgliederstrukturen bei der PIN AG ausgebaut und Tarifverhandlungen aufgenommen. Wir könnten im laufenden Tarifkonflikt der PIN AG auch in weitere Arbeitskämpfe kommen. Erste hat es ja gerade erst gegeben.

*

Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10, 28. Jg., Oktober 2013, S. 11
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96
E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.sozonline.de
 
Die Soz erscheint monatlich und kostet 3 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
Normalabo: 55 Euro
Sozialabo: 26 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2013