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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1833: Die Rechtsextremen bieten vor der Europawahl ein zersplittertes Bild


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2014
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

EU-Kritik von rechts
Die Rechtsextremen bieten vor der Europawahl ein zersplittertes Bild

Von Bernard Schmid



Aller Voraussicht nach werden die "nationalen Kameraden" im nächsten Europaparlament nicht alle symbolträchtigen Gesten vorführen können, die sie "zu Hause" in ihren Ländern eingeübt haben. Auch dann nicht, wenn ihre Präsenz im EU-Parlament in der nächsten Legislaturperiode nach den kommenden Wahlen stärker ausfallen wird als bisher, wie kundige Beobachter erwarten.


Am 13. Februar 2O14 hängten zwei rechtsextreme Abgeordnete im ungarischen Parlament, Tamás Gaudi-Nagy von der Partei Jobbik und Balázs Lenhardt - parteilos und ehemaliges Jobbik-Mitglied -, gemeinsam die beiden dort befindlichen EU-Fahnen ab und warfen sie zum Fenster hinaus. Im buchstäblichen Sinne. Gaudy-Nagy erklärte dazu, die Sternenflagge sei ein Symbol der "Kolonisierung Ungarns".

Wegkommen sollen auch die beiden EU-Fahnen, die bislang auf dem Balkon der südfranzösischen Stadt Fréjus und im Amtszimmer des dortigen Bürgermeisters hängen. Bevor der 26jährige Spitzenkandidat des Front National (FN), David Rachline, nach den französischen Kommunalwahlen von Ende März zum Bürgermeister gewählt wurde, hatte er erklärt, die EU-Symbole hätten von dort zu verschwinden: "Sie haben dort nichts verloren." Nach seiner Wahl an die Spitze des Rathauses verlautbarte Rachline gegenüber der Tageszeitung Le Parisien vom 12. April jedoch, dies sei "nicht die dringendste Angelegenheit", die er zu erledigen habe. Inhaltlich relativierte er sein Anliegen mitnichten, aber seitdem die französische extreme Rechte nun in fünfzehn Rathäusern regiert, möchte sie zumindest am Anfang nicht allzu sehr polarisieren - die Kommunen sind in ihren Augen lediglich Sprungbretter für höhere Aufgaben auf nationaler Ebene. Deswegen wollen sie zunächst kein gar zu heftiges Aufsehen erregen. Dem Front National werden bei den Wahlen zum Europaparlament am 25. Mai 20-24% der Stimmen vorausgesagt.

An ihrer Kritik an der Europäischen Union in ihrer heutigen Form rüttelt das nicht. Auch andere vergleichbare Parteien und "Bewegungen" teilen die Kritik an einem supranationalen Zusammenschluss, dem vor allem immer wieder vorgeworfen wird, dass ihn weder Blutsbande noch "kulturelle Ideale", sondern allein der Markt respektive "technokratische Regeln" zusammenhielten.

Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) etwa bewirbt ihre Liste zur Europawahl mit dem Slogan: "Österreich denkt um: Zu viel EU ist dumm!" Die weniger bekannte, rechtsnationale ADR (Alternativ-demokratische Reformpartei) in Luxemburg zieht mit der Parole: "Weniger Europa, mehr Luxemburg!" in den Wahlkampf. Und die Partei der Freiheit (PVV) des Niederländers Geert Wilders wirbt mit einem ähnlichen Wahlkampfspruch: "Minder EU", also "Weniger EU". Vor dem Beginn der heißen Phase des Europawahlkampfs hatte die vor allem für ihre Feindseligkeit gegen muslimische Einwanderer bekannte Partei bei der britischen Wirtschaftsberateragentur Capital Economics eine Studie bestellt, die angeblich belegt, dass die Niederlande von einem Austritt aus dem Euro und aus der Europäischen Union profitieren würden. Anlässlich der Vorstellung des Berichts bei einer Pressekonferenz am 6. Februar, stellte Wilders Plakate und Torten vor, auf denen jeweils die niederländische Nationalflagge mit einem aufwärts zeigenden Pfeil zu sehen war - als Symbol für den angeblichen Aufschwung, den das Land nach einem angestrebten EU-Austritt nehmen würde.


Regierungsbeteiligungen

Solche Parolen tauchen nicht ausschließlich bei rechtsextremen Parteien auf. Auch manche bürgerlichen Parteien bemühen Parolen im EU-Wahlkampf, die ihnen ähneln, und sei es aus rein wahlkampftaktischen Gründen. Die Partei Forza Italia etwa, die politische Hinterlassenschaft Silvio Berlusconis, tritt unter anderem mit dem Slogan an: "Mehr Italien in Europa - weniger Europa in Italien!" Die 1994 entstandene Berlusconi-Partei ist sicherlich keine faschistische, sondern eine ursprünglich wie ein Privatunternehmen konzipierte bürgerliche Formation. Allerdings hat sie nachweislich auch keine Berührungsängste gegenüber Rechtsextremen, einschließlich Neo- oder auch Altfaschisten. Silvio Berlusconi regierte mehrfach mit der inzwischen gewendeten Alleanza Nazionale zusammen, aber auch mit der rassistischen Regionalpartei Lega Nord: jeweils von April bis Dezember 1994, von 2001 bis 2006 sowie von 2008 bis zum vergangenen Jahr.

Mehrere rechtsextreme Parteien haben bereits die Erfahrung gemacht, an Regierungen oder zumindest an parlamentarischen Mehrheiten beteiligt zu sein. In Dänemark unterstützte die Dänische Volkspartei (DF) von 2001 bis zur Wahl im September 2011 eine konservativ-liberale Minderheitsregierung. Diese verlor dann die Wahl zugunsten der Sozialdemokraten, während die DF vor drei Jahren leicht zurückging, von zuvor rund 14 auf etwa 12%. In der Opposition konnte die Partei sich allerdings regenerieren: Von Februar bis April dieses Jahres lag die DF bei Umfragen in der Wählergunst zwischen 19,4 und 25,3%. In den Niederlanden ging die PVV von Geert Wilders nach der Parlamentswahl vom Juni 2010 eine Koalition mit Christdemokraten und Liberalen ein, ließ diese jedoch im Frühjahr 2012 platzen. Derzeit nimmt in Norwegen, das in Europa liegt, aber nicht der EU angehört, die dortige Fortschrittspartei (FrP) von Siv Jensen seit Oktober mit sieben Ministern an der Regierung teil.

In allen genannten Fällen machen sich die Auswirkungen der Mitwirkung der Rechtsextremen am Regierungsgeschäft vor allem bei der Einwanderungspolitik bemerkbar. Die Zahl der dazu durchgeführten Abschiebungen schnellte in der Jahresbilanz 2013 um 30% nach oben, von 3958 im Vorjahr auf nunmehr 5198.


Thema Ausländerhetze

Im Europäischen Parlament ist nicht zu erwarten, dass die rechtsextremen Parteien an der Bildung einer Exekutive, also der künftigen EU-Kommission, teilnehmen werden. Dort werden sie sich eher darauf konzentrieren, sich in Opposition gegen die EU-Institutionen zu profilieren. Neben der Agitation gegen die Einheitswährung Euro und unterschiedliche Aspekte der Krisenpolitik - nordeuropäische und, falls sie erwartungsgemäß ins Europaparlament einziehen, deutsche Rechtsparteien dürften eifrig gegen die "Griechenlandhilfe" wettern - wird die Hetze gegen Einwanderung im Mittelpunkt stehen.

Dieses Thema ist für alle rechten Wahlparteien identitätsstiftend, auch wenn es dabei manchmal zu peinlichen Pannen kommt. Am 10. April wollte die italienische Lega Nord etwa beweisen, wie unverantwortlich es angeblich sei, dass ein Gesetz der Rechtsregierung aus dem Jahr 2006 abgeschafft werden soll, das "illegale Einwanderung" zum Straftatbestand erhob und mit mehrjährigen Haftstrafen bedrohte. Der italienische Senat hatte im Januar beschlossen, die Gefängnisdrohung solle aufgehoben werden, außer für "Rückfalltäter". Jüngst nun wollten sieben Mitglieder der Lega Nord beweisen, wie einfach es nunmehr sei, mit dem Schlauchboot über das Mittelmeer zu fahren und ganz risikolos in Italien einzuwandern, der EU drohe deswegen die "Überschwemmung". Die Sieben fuhren auf dem Wasserweg in Richtung Tunesien los. Auf der Höhe von Malta gerieten sie allerdings in Seenot und zündeten ein pyrotechnisches Alarmsignal. Da sie es so geschickt anstellten, dass der Leuchtstern dabei auf ihr Boot fiel, kenterte dieses. Alle Beteiligten drohten zu ertrinken, konnten jedoch gerettet werden.


Bündnisse und Ausschlüsse

Einige Rechtsparteien dürften sich im nächsten Europaparlament zusammenschließen. Am 15. November 2013 hatten bereits sechs Parteien in Wien ein Wahlbündnis geschlossen: die FPÖ, der Front National, die Lega Nord sowie der Vlaams Belang aus Belgien, die Schwedendemokraten (SD) und die Slowakische Nationalpartei (SNS). Zwei Tage zuvor hatte der Front national anlässlich eines Besuchs der Chefin dieser Partei in Den Haag mit Wilders' PVV einen Pakt geschlossen. Bei diesem Anlass rief Wilders auch andere nordeuropäische Parteien dazu auf, sich ihrer Allianz anzuschließen. Darauf antwortete allerdings die dänische DF, die eine rassistische und überwiegend antimuslimische Politik verfolgt, aber nicht als faschistisch gelten möchte, sie sei an einem solchen Bündnis nicht interessiert. Ihr Parteisprecher, Søren Søndergaard, erklärte, der Front National sei "noch immer keine sympathische Partei". Als konkreten Grund nannte er die noch immer starke Präsenz von Parteigründer Jean-Marie Le Pen, mit dessen Name sich Antisemitismus verbinde, auch wenn seine Tochter Marine für eine andere Politik stehe.

Am 15. Februar erklärte Marine Le Pens Berater, Ludovic de Danne, dann seinerseits, mit welchen Parteien die französischen Rechtsextremen im künftigen Europaparlament nicht zusammenarbeiten möchten. Zuallererst mit der ungarischen Partei Jobbik. Die ist ihnen, ähnlich wie die griechische Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) - die hauptsächlich mit der deutschen NPD verbündet ist - zu offen pronazistisch und zu ungeschminkt antisemitisch. Jobbik tritt außenpolitisch auch durch eine gewisse Vorliebe für asiatische Nationalismen hervor. Ein alter Hut, seitdem ungarische Radikalnationalisten sich über den Vertrag von Trianon von 1919 empörten, den Westeuropäern deswegen "Verrat" und "Mitschuld an der Zerstückelung Ungarns" vorwarfen und daraufhin den türkischen Kemalismus und den japanischen Militarismus verherrlichten. Heute schwärmen Jobbik-Politiker von der türkischen AKP oder mitunter vom iranischen Regime. Beim Front national kommt dies ebenso schlecht an wie bei vielen "abendländisch" orientierten Rechtsparteien in Westeuropa.

Marine Le Pen will aber auch von der rassistischen und geschichtsrevisionstischen British National Party (BNP) nichts mehr wissen. Grund dafür ist nicht nur der Verbalradikalismus von BNP-Chef Nick Griffin, sondern auch die Ambitionen Le Pens, mit einem attraktiveren Bündnispartner von den britischen Inseln ins Geschäft zu kommen. Der Front National umwirbt derzeit, ebenso wie dies Teile der Alternative für Deutschland (AfD) tun, die britisch-nationalistische United Kingdom Independence Party (UKIP) von Nigel Farage. Ihr sagen Umfrageinstitute hohe Wahlergebnisse voraus: In der Wählergunst liegt sie konstant bei mindestens 20%, das Institut ComRes prognostizierte Anfang April sogar genau 30%. Die Partei profilierte sich im vergangenen Jahrzehnt vor allem mit EU-Kritik, hat ihr Repertoire aber in jüngerer Zeit deutlich um die Agitation gegen Einwanderer erweitert.

Bislang will die UKIP allerdings offiziell von Parteien wie dem Front National nichts wissen: Ihr offizieller Bündnispartner in Frankreich ist der bürgerliche Nationalist und "Spätgaullist" Nicolas Dupont-Aignan. Dass dessen Liste unter der Bezeichnung Debout la République! (DLR, etwa: "Aufrechte Republik") ins Europaparlament einzieht, ist jedoch ausgesprochen unwahrscheinlich.

Wenn die Zusammensetzung des Parlaments in Straßburg auf der politischen Rechten Ende Mai feststeht, könnten die Karten neu gemischt werden. Dann könnte es auch interessant werden, auf wessen Seite sich die möglichen AfD-Abgeordneten schlagen.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 29. Jg., Mai 2014, S. 15
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2014