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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1837: Das Lebenswerk des Kirchenkritikers Karlheinz Deschner


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 - Juni 2014
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Pfaffenfresserei auf höchstem Niveau
Das Lebenswerk des Kirchenkritikers Karlheinz Deschner

Von Manuel Kellner



Es war Karlheinz Deschner nicht vergönnt, seine monumentale "Kriminalgeschichte des Christentums" zu Ende zu bringen. In hohem Alter, bevor er am 8. April dieses Jahres mit 89 Jahren gestorben ist, vollendete er den zehnten Band zum "18. Jahrhundert mit Ausblick auf die Folgezeit".


Doch die Tatsache, dass seinem Hauptwerk die Bände zur neuesten Zeit fehlen, lässt sich verschmerzen. Denn die Machenschaften insbesondere der katholischen Kirche, ihrer Päpste und hohen Würdenträger im 19. und 20. Jahrhundert, waren bereits Thema einiger seiner früheren Werke. So erschien 1965 von ihm ein Buch mit dem sprechenden Titel: Mit Gott und den Faschisten. Der Vatikan im Bunde mit Mussolini, Franco, Hitler und Pavelic.

Deschner war katholisch erzogen worden. Die Schulen, die er als Kind besucht hatte, wurden von Franziskanern, Karmelitern und Englischen Fräulein geleitet. Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte er an der Philosophisch-theologischen Hochschule in Bamberg und promovierte 1951 über "Lenaus metaphysische Verzweiflung und ihr lyrischer Ausdruck". Bevor er sich an der Kirche zu reiben begann, rieb sich die Kirche an ihm. Wegen der Ehe mit der geschiedenen Elfi Tuch wurde er aus der katholischen Kirche exkommuniziert. Das war wohl keine besonders gute Idee. Bis dahin hatte er sich noch nicht mit kirchen- oder religionskritischen Themen befasst.

Erst 1957 gab er mit dem Buch Was halten Sie vom Christentum? einen Sammelband mit kirchenkritischen Beiträgen heraus. 1962 erschien von ihm Abermals krähte der Hahn. Eine kritische Kirchengeschichte, womit er seinen Ruf als streitbarer Kirchenkritiker begründete. Viele weitere Veröffentlichungen folgten und erzielten hohe Auflagen: Kirche des Un-Heils. Argumente, um Konsequenzen zu ziehen (1974), Opus Diaboli. Fünfzehn unversöhnliche Essays über die Arbeit im Weinberg des Herrn (1987), Oben ohne. Für einen götterlosen Himmel und eine priesterfreie Welt (1997), um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Schon in Abermals krähte der Hahn spannt Deschner seinen Bogen weit. Er zeigt die vielfältigen vorchristlichen Quellen der verschiedenen neutestamentlichen Vorstellungen auf und betont die Naherwartung des Endes in der urchristlichen Gemeinde. Nichts habe ihr ferner gelegen als die Begründung einer Kirche für Jahrhunderte und Jahrtausende. Die angeblich von Gott inspirierte "Heilige Schrift" in der heute bekannten Gestalt wurde aus völlig disparaten und unsicheren Quellen zusammengetragen und erst in späteren Jahrhunderten kanonisiert.


Im Bund mit den Herrschenden

Alle wichtigen christlichen Dogmen sind im Laufe vieler Jahrhunderte von irgendwelchen Konzilien verkündet worden. Schon die göttliche Natur Jesu, der jüdisch-christlichen Urgemeinde fremd, wurde erst von Paulus eingeführt. Die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Jesu, die Lehre von der unbefleckten Empfängnis und der jungfräulichen Geburt Mariens, die Trinitätslehre, die sieben Sakramente, die Heiligenverehrung, die Vorstellung vom Papst als dem Stellvertreter Gottes auf Erden und seiner Unfehlbarkeit - alles das und sehr viel mehr kam später und sehr viel später.

Wie wenig berechtigt es ist, "heilige Schriften" wie die Bibel als höchste Autorität anzuführen, lässt sich auch daran erkennen, dass gerade das Neue Testament lange Zeit nicht für christliche Laien bestimmt war und nach Auffassung der Kirche ausdrücklich nicht von ihnen gelesen werden sollte. Zu sehr fürchteten die kirchlichen Würdenträger, dass die Widersprüche zwischen der "Heiligen Schrift" und den Dogmen wie auch der Praxis der Kirche sichtbar werden könnten.

Deschner zeigt auf, dass die antike Kirche für die Sklaverei war (schon für Paulus waren die Sklaven nur frei im Glauben, sollten aber Sklaven bleiben), erzählt, wie sie ihre Hierarchie ausbildete und sich in brutalen Machtkämpfen gegen Andersdenkende durchsetzte. Vollends als "siegende Kirche" im Bund mit dem Staat stellte sie sich auf die Seite der Herrschenden.

Er beschreibt den Antijudaismus des Christentums von der Antike übers Mittelalter bis hin zur Naziherrschaft in Deutschland, prangert die Vernichtungsfeldzüge gegen "Heiden" und "Ketzer", die Folterpraxis der Inquisition, die Hexenverbrennungen und die Frauenfeindlichkeit der Kirche an und zeigt den Abgrund zwischen dem Jesus zugeschriebenen Gebot der Feindesliebe und den christlichen Priestern und Pastoren, die die Kanonen segnen und ihre Gläubigen in den Krieg schicken, um sich gegenseitig abzuschlachten.

In den beiden letzten Kapiteln geht es um das Verhältnis zu Faschismus und Nationalsozialismus: "Die Zusammenarbeit von Kirche und Staat beruht auf dem Prinzip des Do ut des, der gegenseitigen Unterstützung. Katholizismus und Protestantismus verbünden sich auf dieser Basis mit jedem Regime, selbst mit dem verbrecherischsten, wie ihr Verhältnis zu Mussolini, Franco und Hitler beweist."


Einseitig

Bei der Entlarvung der heuchlerischen Gottesmänner und der kirchlichen Institutionen und ihres Bündnisses mit den irdischen Machthabern war Deschner erbarmungslos und stützte sich dabei stets auf eine Fülle von Fakten, Belegen und Zitaten. Seine Arbeit steht in der Tradition der Aufklärung, insbesondere der Vorstellung vom Priestertrug, bei dem geistliche Würdenträger und Ideologen andere Menschen belügen und täuschen, um Vorteile daraus zu ziehen. Obwohl diese Argumentationsfigur ihre Berechtigung hat, unterschätzt sie doch die Bedeutung der religiösen Befangenheit, die sich nicht restlos mit Lug und Trug erklären lässt.

Somit war Deschner kein Religionskritiker im engeren Sinne des Wortes. Er kannte seinen Feuerbach und zitierte gelegentlich aus dessen Wesen des Christentums. Die religiösen Dogmen aus menschlichen Projektionen und Wünschen abzuleiten, wie dies Feuerbach tat, war jedoch seine Sache nicht. Er selbst nannte sich in bezug auf die Gottesfrage einen Agnostiker, war seiner Gesinnung nach ein radikaler Tierschützer und fühlte sich fernöstlichen Religionen ohne Gottesvorstellung wie bestimmten Spielarten des Buddhismus zugeneigt. Das Bewusstsein, mit dem Tod in der Erde und im Weltganzen aufzugehen, war ihm wichtig.


Die Doppelzüngigkeit der Theologen

Deschner ist nun in diesem Weltganzen aufgegangen, wie es uns allen bevorsteht. Trost verschafft das nicht. Wir werden den großen Kirchenkritiker vermissen und sein Werk in Ehren halten. Es ist ein hilfreiches Instrument im demokratischen Kampf für die Trennung von Kirche und Staat und gegen die Selbstüberhebung der Prediger und Priester, der berufsmäßigen Funktionäre des Glaubens und deren Anmaßung, in den Schulen mit konfessionellem Unterricht angeblich ewige Wahrheiten zu verkünden.

Die Apologeten der Kirche haben Deschners Kritik nicht überzeugend abwehren können. Die Behauptung, seine eingestandene Feindschaft gegenüber der Kirche habe ihn blind eifern lassen oder sein Umgang mit den Quellen sei fragwürdig, erweist sich als ungerechtfertigt angesichts der Masse des von Deschner zusammengetragenen Materials. Er stützte sich in erheblichem Maße auf die Schriften und Urteile der Theologen. Oft ist er auf eine für Theologen typische Haltung gestoßen: Sie gestehen ihm zu, sehr weitgehend im Recht zu sein, halten es aber für falsch, solche Einsichten einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Das sei nur etwas für theologische Fachveröffentlichungen. Ja, findet mir einen Theologen, der im Fachgespräch bekennt, dass er an den Teufel glaubt und daran, dass die Sünder in der Hölle gebraten werden! Die Zweiteilung der Menschheit in Eingeweihte und Düpierte ist nicht für den Glauben, aber doch für die Theologie wesentlich.

Die katholische Theologin Uta Ranke-Heinemann aber würdigt Karlheinz Deschner in einem Nachruf im Stern unter anderem mit dem Bekenntnis: "Jedesmal, wenn mich ein neuer Band [der Kriminalgeschichte des Christentums] erreichte, war ich fasziniert von deinem Detailwissen und deiner Kritik an einer selbstherrlichen Kirche. Du hast erkannt, dass das Christentum keine frohe Botschaft ist. Du hast mir geholfen. Ich danke dir."

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 29. Jg., Juni 2014, Seite 24
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2014