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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1871: "Militärisch wird sich der IS nicht besiegen lassen"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 - November 2014
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Militärisch wird sich der IS nicht besiegen lassen

Jan van Aken begründet, warum er Waffenlieferungen ins kurdische und irakische Kriegsgebiet weiterhin für falsch hält



In SoZ 9/2014 führten wir mit dem außenpolitischen Sprecher der Fraktion Die LINKE im Bundestag, Jan van Aken, ein Gespräch über Waffenlieferungen an die - damals noch irakischen - Kurden. Van Aken lehnte sie damals mit der Begründung ab, die syrischen Kurden von der YPG würden diese Forderung nicht stellen. Nun hat sich die Lage unter dem Ansturm der Terrormilizen des IS geändert und die YPG fordert u.a. panzerbrechende Waffen. Wir haben van Aken gefragt, ob er unter diesen Umständen weiter bei seiner Ablehnung von Waffenlieferungen bleibt. Im folgenden seine Antwort.


Ich war Ende September im Nordirak unterwegs, um dort die Übergabe der deutschen Waffen an die Peshmerga kritisch zu begleiten. Bei der Gelegenheit konnte ich viele Gespräche sowohl mit nordirakischen Peshmerga als auch mit PKK-Kämpfern führen. Fast alle haben nach Waffen verlangt, nach panzerbrechender Munition, nach schwerer Artillerie, um die Terrormiliz des sog. "Islamischen Staates" (IS) zu bekämpfen. Ein Wunsch, der aus Sicht der Menschen an der Front, 15 Kilometer vor Mossul oder im Herzen von Kobanê, völlig verständlich ist. Trotzdem halte ich die Lieferung deutscher Waffen in dieses Kriegsgebiet für falsch - eine Position, die natürlich bei den Kämpfenden dort auf völliges Unverständnis gestoßen ist.

Eines vorweg: Ich bin kein Radikalpazifist. Ich kann es verstehen und finde es richtig, dass die Menschen von Sengal oder Kobanê sich dort mit der Waffe in der Hand gegen die Gräueltaten des IS verteidigen. Aber die Bundesregierung, oder "der Westen", könnte sehr viel mehr sehr viel schneller und sehr viel effektiver tun als nun ausgerechnet Waffen nach Erbil im Nordirak zu schaffen.


Zwei Argumente

Waffenlieferungen finde ich aus zwei zentralen Gründen falsch. Zum einen ist die Lieferung von Waffen mitten hinein in einen heißen Krieg nichts anderes, als Öl in ein loderndes Feuer zu gießen. Natürlich, so das Gegenargument, werden die Waffen doch nur an die Guten geliefert, um sich gegen die Terrormiliz zu wehren. Aber niemand soll sich täuschen: In einem solchen Krieg kann es teilweise nur Tage dauern, bis solche Waffen den Besitzer wechseln, weil sie erobert oder anderweitig weitergegeben werden. Warum ist der Ruf nach modernen Waffen für die Kurden jetzt so laut? Es fing damit an, dass die USA ihre Verbündeten, die damals "Guten", die irakische Armee mit Panzerfahrzeugen und schweren Waffen ausrüstete. Dann kam der IS, schlug die irakische Armee in die Flucht und eroberte die modernen US-Waffen. Jetzt sind die amerikanischen Panzerfahrzeuge und schweren Waffen das Argument, die Kurden mit noch moderneren Waffen zu beliefern. Und morgen? Sollen wir dann noch modernere Waffen liefern, weil IS sich bei seinem Beutezug im Nordirak noch weiter hochrüsten konnte? Diese Spirale gilt es zu durchbrechen, nicht zu befeuern.

Das zweite Argument liegt in der Langlebigkeit der Waffen, die auch noch in 50 Jahren tödlich sein werden - und natürlich in 50 Jahren auch irgendwo auf der Welt eingesetzt werden, so wie der IS heute auch mit Waffen kämpft, die zum Teil in den 70er Jahren von Europa in den Nahen Osten geliefert wurden.


Es gibt andere Möglichkeiten

Ich verstehe jeden und jede, die sagt, diese Argumente mögen richtig sein, aber jetzt im Moment geht es darum, einen Genozid an den Kurden zu verhindern, den Fall von Kobanê zu stoppen, da muss man so ein Risiko auch mal eingehen. Aber dabei wird eines übersehen: Es gibt - auch im Moment, auch kurzfristig, auch mit einer Sofortwirkung - andere Möglichkeiten, die Kurden in ihrem Kampf zu unterstützen. Eine PKK-Aktivistin im Nordirak brachte es auf den Punkt: Wir brauchen keine Waffen, wir brauchen Druck auf die Türkei. Und zwar als Sofortmaßnahme, um so schnell wie möglich Unterstützung für die Menschen in Kobanê (oder künftig Afrin oder Qamishlu) heranbringen zu können.

Die Türkei ist aktuell Teil des Problems, nicht Teil der Lösung, denn sie macht eine ganz schmutzige Politik gegen die Kurden in Nordsyrien. Immer noch sickern Jihadisten aus der Türkei nach Syrien ein, um sich dort dem IS anzuschließen. Die Türkei hatte in Syrien immer zwei Ziele, das hat sie auch öffentlich erklärt: den Sturz von Assad und die Verhinderung einer kurdischen Selbstverwaltung in Rojava (Nordsyrien). Deshalb hat Ankara lange die Islamisten in Syrien unterstützt, gegen Assad, aber eben genauso gegen die Kurden dort; deshalb gibt es bis heute eine strikte Grenzblockade der Türkei gegenüber den syrisch-kurdischen Gebieten, aber nicht gegenüber den vom IS kontrollierten Gebieten.

Es geht also nicht um langfristige, diplomatische Lösungswege, sondern um eine ganz direkte, aktuelle Unterstützung des kurdischen Widerstands gegen den IS, wenn wir Druck auf die Türkei fordern, endlich die Grenzen nach Rojava zu öffnen (und die zu den IS-Gebieten zu schließen). Aber genau diesen politischen Druck verweigert die Bundesregierung. Im Gegenteil, sie unterstützt den menschenverachtenden Kurs Ankaras noch durch das starke politische Signal, Bundeswehr und Patriot-Raketen dort zu stationieren.

Auch mittelfristig wird sich der IS nicht militärisch besiegen lassen. Die Parallelen zu den Taliban in Afghanistan werden immer größer, der IS kontrolliert bereits ein Quasistaatsgebilde, er bekommt zunehmend Zulauf aus der örtlichen sunnitischen Bevölkerung. Genau so, wie die Taliban nicht militärisch zu besiegen waren, wird dies beim IS der Fall sein. Wenn wir irgendetwas aus Afghanistan gelernt haben, dann doch wohl, dass die Entsendung von Bodentruppen, dass ein massives militärisches Eingreifen von außen das Leid der Menschen vor Ort auf Dauer nur verstärkt.


Drei Dinge sofort

Es sind vor allem drei Dinge ganz dringend notwendig, um den IS zu stoppen:

- Die - direkte wie indirekte - Unterstützung des IS muss beendet werden, dafür müssen die Golfstaaten die Geldströme an den IS stoppen, und die Türkei muss die Grenzen für den IS dichtmachen - nicht nur, wie oben beschrieben, für Kämpfer und Waffen, sondern auch für das Öl, das der IS über die Türkei zu verkaufen scheint.

- Zweitens muss die Türkei das Embargo gegen Rojava beenden und die Angriffe auf die PKK in der Türkei stoppen. Insbesondere Deutschland als enger politischer, wirtschaftlicher und militärischer Partner der Türkei muss hier massiv Druck ausüben, damit Ankara aufhört, die syrischen Kurden mit der Grenzblockade zu strangulieren.

- Und drittens muss eine Einheitsregierung in Bagdad etabliert werden, die die Ausgrenzung der Sunniten tatsächlich überwindet und alle Bevölkerungsgruppen repräsentiert. Dann würde die Unterstützung des IS in der sunnitisch-irakischen Bevölkerung schnell sinken.

Der IS ist ein Kind der furchtbaren Kriege im Irak und in Syrien. Nur in diesem gesellschaftlichen Klima konnte er das werden, was er heute ist. Und genau hier liegt auch die einzige Möglichkeit, den IS dauerhaft zu "besiegen": In Syrien und im Irak müssen friedliche Lösungen der vielfältigen Konflikte gefunden werden. Dazu müssen auch die international längst intervenierenden Mächte vom Golf über Washington bis Teheran aufhören, die Konflikte in ihrem Sinne anzuheizen und auszunutzen.

Wie scheinheilig in Berlin die Debatte um die Waffenlieferungen geführt wird, zeigt doch vor allem eines: Die Bundesregierung beteiligt sich weiter am Embargo gegen Rojava, gegen das selbstverwaltete basisdemokratische Experiment im Norden Syriens. Seit einem Dreivierteljahr versuchen wir, wenigstens humanitäre Lieferungen aus Deutschland nach Rojava zu bekommen, aber vergebens. Es ist völlig absurd: Die syrischen Kurden bekommen nicht einmal Medikamente aus Berlin, die irakischen werden jetzt sogar mit Waffen beliefert. Da soll noch mal irgendwer behaupten, es gehe um die Menschen in der Region.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 29. Jg., November 2014, Seite 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2014