SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9 September 2016
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!
Einstimmen auf den Krieg
Von Manfred Dietenberger
Deutschlands Interessen werden längst nicht mehr nur an seinen Landesgrenzen verteidigt, sondern auch am Hindukusch. Es blieb der rot-grünen Bundesregierung vorbehalten sich aus der Völker mordenden deutschen Vergangenheit als Kriegsnation mit "humanistischem" Elan zu emanzipieren.
Zur Erinnerung: Es begann mit "Nie wieder Auschwitz" (Joschka
Fischer, Grüne), danach fielen Bomben auf Belgrad. Denen folgte die
"uneingeschränkte Solidarität" (Gerhard Schröder, SPD) mit den USA,
inkl. Afghanistankrieg. Darauf folgten inzwischen 15 Jahre "Krieg
gegen den Terror". Alles in allem sei Deutschland damit selbstbewusst
"erwachsen" geworden, heißt es. Die "Kultur des Zögerns" wurde
aufgegeben und durch die "Kultur der Verantwortung" ersetzt. Der
Einsatz von Tornado-Aufklärungsflugzeugen in Syrien vor zwei Jahren
war wohl der letzten Schritt, bevor Deutsche wieder mit Bomben
intervenieren.
Nachzuholen bleibt jetzt im Eiltempo die Militarisierung der
Gesellschaft. Denn beides gehört im Kapitalismus schon immer engstens
zusammen. Im 19. Jahrhundert war der Einsatz von Militär das
bevorzugte innenpolitische Hilfsmittel der Herrschenden.
"Militair- und Civilbediente sind vorzüglich bestimmt, die Sicherheit,
die gute Ordnung, und den Wohlstand des Staats unterhalten und fördern
zu helfen", so lautete Paragraph 1 des Allgemeinen Preußischen
Landrechts von 1794. Die Bismarcksche Reichsverfassung sah das Militär
zum Zwecke des "Staatsschutzes" auch für den inneren Einsatz vor. Nach
Artikel 68 konnte der Kaiser, "wenn die öffentliche Sicherheit in dem
Bundesgebiete bedroht ist, einen jeden Teil desselben in
Kriegszustand" versetzen. Darüber hinaus konnten einzelne Länder den
sogenannten "kleinen Belagerungszustand" verhängen, der einzelne
Grundrechte lokal und zeitlich begrenzt suspendierte, etwa im Fall von
Krieg oder Aufruhr. Bei Militäreinsätzen gegen Streiks und
Arbeiterproteste lautete die offizielle Begründung, das Militär wolle
sich keinesfalin Arbeitskämpfe einmischen, sondern lediglich
Produktionsanlagen und Streikbrecher vor Gewalttätern "schützen".
Heute kommt die überwunden geglaubte Militarisierung der
Gesellschaft auf einem Trojanischen Pferd namens Terrorismus/Innere
Sicherheit dahergeritten. Schon Monate vor ihrem Amtsantritt hatte
Frau Merkel auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2005 klar
gesagt, wo es künftig lang geht: "Die Grenzen von innerer und äußerer
Sicherheit verschwimmen zunehmend. Internationale Einsätze unter
Beteiligung Deutschlands und Heimatschutz sowie Einsatz der Bundeswehr
im Innern sind deshalb zwei Seiten ein und derselben Medaille." Die
schwarz-gelbe Bundesregierung schrieb dann den Einsatz der Bundeswehr
im Inneren in ihre Koalitionsvereinbarung.
Reale Schritte der inneren Militarisierung stehen bevor. So hält
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die
Beteiligung der Bundeswehr an der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber
grundsätzlich für denkbar. "Selbstverständlich ist eine Nutzung der
Transall nicht ausgeschlossen", sagt sie und präzisiert: "für den
Fall, dass alle zivilen Transportkapazitäten ausgeschöpft sind und die
prioritären Einsätze der Bundeswehr nicht leiden." Die jüngsten
Gewaltereignisse in Würzburg, München und Ansbach kommen den
Regierenden da wie gerufen. Der Vorsitzende der
Innenministerkonferenz, Klaus Bouillon, erklärte gerade: "Ich erwarte,
dass Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und
Bundesinnenminister Thomas de Maizière am 31. August grünes Licht für
die Übungen geben. Dann können bereits im November Stabsübungen zum
Einsatz der Bundeswehr im Innern stattfinden." Damit rückt näher, was
im neuen Weißbuch der Bundeswehr schon angedeutet wurde: Die
Bundeswehr soll auch bei schweren Terroranschlägen im Landesinnern zum
Einsatz kommen.
Derzeit wird in Sachsen-Anhalt eine 6 km2 große Übungsstadt der
Bundeswehr gebaut, sie soll der Übung des militärischen Straßen- und
Häuserkampfs im "urbanen Ballungsraum" dienen. Nach der Fertigstellung
der "Stadt" mit dem harmlosen Namen "Schnöggersburg" werden dort
Bundeswehr-, EU- sowie NATO-Kampfverbände gemeinsam den
"asymmetrischen" Krieg und Häuserkampf in Großstädten proben - für
bewaffnete Konflikte der Zukunft, für Auslandseinsätze, aber auch für
künftige Bürgerkriegs- und Militäreinsätze in europäischen Städten und
im Landesinneren.
Bundesinnenminister de Maizière (CDU) macht sich für eine "Technikoffensive" stark, mit der er dem Terrorismus Paroli bieten will. In den Videokameras an Bahnhöfen und Flughäfen will er eine Gesichtserkennungssoftware einsetzen, um mehr Fahndungserfolge im Zusammenhang mit Terrorverdächtigen zu erzielen. "Die Behörden müssen technisch können, was ihnen rechtlich erlaubt ist." Auch ist derzeit eine "Bundespolizeidirektion Spezialkräfte" im Aufbau. Die Sondereinheiten des Bundes, wie zum Beispiel die GSG9 oder die Hubschrauberstaffel, sollen unter einem Dach zusammengefasst werden, um die Reaktionsgeschwindigkeit der Spezialeinheiten zu erhöhen.
Der Bundesinnenminister träumt auch davon, zur Erhöhung der Sicherheit in Deutschland die ärztliche Schweigepflicht aufzuweichen. Ärzten soll es in Zukunft möglich gemacht werden, die Behörden über geplante Straftaten ihrer Patienten rechtzeitig zu informieren. De Maizière will außerdem, dass ausländische "Gefährder und straffällige ausreisepflichtige Ausländer" schneller abgeschoben werden können. Über Abschiebungen und Asylanträge könnten künftig also auch Schnellverfahren entscheiden. Dazu will de Maizière ein Paket vorlegen, das noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll und der Zustimmung des Bundesrats nicht bedarf.
Während dieser Artikel geschrieben wird, beschließt das
schwarz/rote Kabinett eine "Konzeption zivile Verteidigung". In der
Vorlage heißt es: "Die Bevölkerung wird angehalten, einen
individuellen Vorrat an Lebensmitteln von zehn Tagen vorzuhalten."
"Die Bevölkerung soll durch geeignete Maßnahmen angehalten werden, zur
Eigen-/Erstversorgung bis zur Installation staatlicher Einzelmaßnahmen
für einen Zeitraum von fünf Tagen je zwei Liter Wasser pro Person und
Tag in nicht gesundheitsschädlicher Qualität vorzuhalten."
Zu Hamsterkäufen rief die Bonner Regierung schon 1961 auf. "Denke dran, schaff Vorrat an!", lautete die Parole der damaligen "Aktion Eichhörnchen". Die sollte die Versorgung der Bevölkerung bei Krisen und Katastrophen, vor allem aber im Fall eines Krieges zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt, der sich auf deutschem Boden abgespielt hätte, sicherstellen. Trotz bombastischem Werbeaufwand verfügten 1964 allerdings nur 2-3% der Haushalte über Vorräte, die den Vorgaben entsprachen.
Die Regierung schweigt sich heute über die Ursachen und Gründe für ihre "Empfehlung" aus. Mit Blick auf die Erinnerungen, die sie bei älteren Bürgern auslöst, auf die mediale Berichterstattung über die aktuellen Entwicklungen im Syrienkrieg und die provozierenden Militärübungen im Baltikum und in der Ukraine ist nur schwer vorstellbar, die Regierung wüsste nicht, dass sie mit solchen Aktionen ein Klima der Kriegsangst erzeugt. Die käme ihr gelegen, auch als weitere Begründung für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren.
Das Innenministerium erwägt mit seinem Konzept zur zivilen "Unterstützung der Streitkräfte" für den Fall, dass Deutschland im Rahmen von NATO-Einsätzen das Bündnisgebiet an dessen Außengrenzen verteidigen muss, das Wiederaufleben der vor fünf Jahren ausgesetzten Wehrpflicht. Bei einer Wiedereinführung der Wehrpflicht sollen Unterkünfte für Soldaten gegebenenfalls als ziviler "Unterstützungsbedarf der Bundeswehr" requiriert werden. Zivile Firmen sollen an Musterung und Bau oder Instandsetzung von Kasernen beteiligt werden. Auch eine Lebensmittelrationierung ist angefacht. Im "Krisenfall" könne die Regierung "Verfügungsbeschränkungen und Abgabepflichten hinsichtlich des Anbaus, der Verarbeitung, Verteilung und des Verkaufs von Lebensmitteln" erlassen.
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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9, 31. Jg., September 2016, S. 2
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2016
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