Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2149: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien (XI)


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 · Mai 2017
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, Teil XI[*]
Bürgerkrieg im Bürgerkrieg: Die Mai-Tage 1937 in Barcelona

von Reiner Tosstorff


Vor 80 Jahren, vom 3. bis zum 7. Mai 1937, kam es in Barcelona zu bewaffneten Auseinandersetzungen innerhalb des republikanischen Lagers: zwischen den Anarchisten und der antistalinistischen POUM (Arbeiterpartei der marxistischen Einigung) einerseits und der PCE (Kommunistische Partei Spaniens) und der katalanischen Regierung andererseits. Dieser «Bürgerkrieg im Bürgerkrieg» ist vor allem durch den Erlebnisbericht bekannt geworden, den der englische Schriftsteller George Orwell in seinem Buch Mein Katalonien davon gegeben hat. Viele weitere Schilderungen sollten folgen. Auch in Ken Loachs Film Land and Freedom von 1995 liefern die Mai-Kämpfe einen wesentlichen Hintergrund für die Handlung.

Zu diesem Film erschien 1996 ein Buch, Ken Loachs «Geschichte aus der Spanischen Revolution»(1). Daraus entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung des Verlags eine Darstellung des Ablaufs der Mai-Tage, ihrer Hintergründe und Folgen von Reiner Tosstorff.


Zwei Seiten im Lager der Republik

Das, was sich nach Ausbruch des Bürgerkriegs in der republikanischen Zone formierte, bestand im Grunde aus zwei Lagern. Auf der einen Seite standen die Kräfte, für die die Niederschlagung des Militärputsches eng mit einer sozialen Revolution verbunden war - mit der Übernahme der Fabriken durch die Arbeiter und des Grund und Bodens durch die Bauern.

Träger dieser Richtung, die in den ersten Monaten nach dem 19. Juli die republikanische Zone prägte - man denke nur an die Berichte von Orwell, Borkenau, Kaminski... -, waren zuallererst die Anarchisten mit ihrer Gewerkschaft CNT (Confederación Nacional del Trabajo), der wiederum eine Reihe weiterer Organisationen wie die FAI (Federación Anarquista Ibérica), eine Frauen- und eine Jugendorganisation verbunden waren. Aber auch die POUM (Partido Obrero de Unificación Marxista) - eine Partei oppositioneller Kommunisten, die die sowjetische Politik unter Stalin bekämpften, deswegen als «Trotzkisten» galten und vor allem in Katalonien über Einfluss verfügten - sowie Teile des linken Flügels der Sozialisten beteiligten sich daran.

Auf der anderen Seite stand ein Zweckbündnis ganz unterschiedlicher Partner, die aber darin übereinstimmten, dass sie keine Revolution wollten. Der antifaschistische Kampf sollte sich auf die bloße Verteidigung der Republik beschränken, deren soziale Ordnung nicht umgestürzt werden. Dieses Ziel vereinte die bürgerlichen republikanischen Parteien mit dem rechten Flügel der Sozialisten. Hauptkraft dieser großen Koalition aber war die Kommunistische Partei. Vor dem 19. Juli noch verhältnismäßig unbedeutend, stützte sie sich auf das Prestige der Sowjetunion, vor allem als diese ab Herbst 1936 zum Hauptwaffenlieferanten der Republik wurde. Die Sowjetunion wiederum sah durch eine Revolution in Spanien ihre außenpolitischen Bündnisbemühungen gefährdet.

Weil sie die «Ordnung» verteidigte, gewann die KP in dem von der Revolution verunsicherten Kleinbürgertum schnell eine Massenbasis.

In den ersten Monaten nach dem 19. Juli waren die Revolutionäre in der Offensive. Als sich jedoch das militärische Kräfteverhältnis dank der deutschen und italienischen Hilfe umkehrte und Franco im Herbst 1936 zum Sturm auf die Hauptstadt Madrid ansetzte, hieß es, man müsse die Revolution auf die Zeit nach dem Krieg vertagen, um den militärischen Kampf effizienter führen zu können. Es kam zur Bildung einer Volksfrontregierung unter dem Sozialisten Largo Caballero. In Wirklichkeit ging es dabei nicht um eine Vertagung, sondern darum, die gesamte, nach dem 19. Juli entstandene Situation rückgängig zu machen.


In Katalonien

Das Gebiet, wo die beiden politischen Lager innerhalb der Republik am heftigsten aufeinanderprallten, war Katalonien. Schon immer durch die Existenz einer von «Spanien» unterschiedenen, eigenen Nation geprägt, war Katalonien als industrialisierteste Region zugleich Zentrum einer revolutionären Arbeiterbewegung, die anarchistisch dominiert war, wozu dann noch die 1935 gegründete POUM hinzustieß.

Seit dem 19. Juli 1936 hatte allerdings auch hier die KP, die sich in Katalonien PSUC (Partit Socialista Unificat de Catalunya) nannte, einen spektakulären Aufschwung genommen. Gegen die Arbeitergewerkschaften organisierte sie eine «Kleinhändlergewerkschaft», gewann jedoch auch Arbeiter, die mit CNT und POUM unzufrieden waren. Die Anarchisten, die zunächst die Lage beherrschten, hatten sich nach kurzem Schwanken bereits im Juli für die «antifaschistische Zusammenarbeit» mit allen politischen Kräften entschieden. Sie beließen die katalanische Regionalregierung, die Generalitat, in den Händen der bürgerlichen Nationalisten der ERC (Esquerra Republicana de Catalunya) - ein folgenschwerer Entschluss.

Über Monate machten die Anarchisten Zugeständnisse, z.B. traten sie im September 1936 in die Generalitat ein, was zur Auflösung des von der CNT geschaffenen Zentralkomitees der Arbeitermilizen führte. Die POUM war ein Gutteil des Wegs mit den Anarchisten gegangen - so trat auch sie im September der Regionalregierung bei -, da sie sich als ?inderheitspartei nicht von der CNT isolieren wollte. Gegen sie richtete sich dann als erstes der Angriff der KP.

Im Dezember wurde die POUM aus der katalanischen Regierung ausgeschlossen. Zwar hütete sich die KP angesichts des Kräfteverhältnisses, gleiches auch für die CNT zu fordern. Sie verlangte nun jedoch die Auflösung der Kontrollpatrouillen, der revolutionären Arbeitermiliz in der Stadt Barcelona, sowie die Eingliederung der Kämpfenden an der Aragón-Front in die reguläre Armee. Damit war die Machtbasis der revolutionären Umwälzungen nach dem 19. Juli bedroht. Denn als nächstes hätte der Angriff auf die von den Arbeitern kollektivierten Betriebe angestanden.


Die Kämpfe in Barcelona

Im Frühjahr 1937 war der Ausbruch eines offenen Kampfes nur noch eine Frage der Zeit. Die blutigen Zusammenstöße häuften sich. Auch verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation durch Inflation und Lebensmittelknappheit. Schon am 1. Mai verzichteten alle Organisationen auf Kundgebungen in der Stadt Barcelona. Zum entscheidenden Zusammenstoß kam es dann am 3. Mai. Der kommunistische Polizeichef Barcelonas ließ die Telefonzentrale der Stadt besetzen, die seit dem 19. Juli 1936 von einem Arbeiterkomitee verwaltet wurde, in dem die Anarchisten gemäß ihrer Stärke den Ton angaben. Es kam zu Kämpfen, die für die ganze Stadt wie ein Signal wirkten.

Was folgte, ist vor allem von George Orwell meisterhaft beschrieben worden: Überall entstanden Barrikaden, auf denen sich Anarchisten und POUM - sonst eher in einem kritischen Verhältnis zueinander - gleichsam in einer spontanen revolutionären Einheitsfront zusammenschlossen und gegen die Ordnungskräfte der Regierung, die katalanischen Nationalisten und vor allem gegen die KP kämpften. Zug um Zug gelang es CNT und POUM, ihre Gegner auf die Regierungsgebäude in der Stadtmitte zurückzudrängen. Zweifellos stand das militärische Kräfteverhältnis zugunsten der Revolutionäre.

War nun für die Anarchisten die Situation gekommen, ihre dominierende Position zu festigen und damit über den 19. Juli hinauszugehen? Dahin drängte die POUM, die das Zurückweichen der CNT-Führung in den vorherigen Monaten ständig kritisiert hatte. Sie schickte Abgesandte zu den anarchistischen Gremien, die aus der spontanen Einheitsfront der Barrikaden ein politisches Bündnis mit klaren Zielen machen sollten. Doch man antwortete nur ausweichend.

Inzwischen war die (im November 1936 von Madrid nach Valencia umgezogene) Zentralregierung aktiv geworden. Am 4. Mai entsandte Regierungschef Largo Caballero eine Delegation der anarchistischen und sozialistischen Gewerkschaftsführungen. Während Teile der Regierung ein hartes Durchgreifen forderten, hoffte er zunächst noch auf eine Verhandlungslösung. Darauf setzten auch die anarchistischen Minister García Oliver und Federica Montseny, die ebenfalls aus Valencia herbeieilten. Nach ihrer Ankunft in Barcelona riefen sie über Radio zum Niederlegen der Waffen und zum Abbruch der Barrikaden auf. Ihr Ziel beschränkte sich auf die Umbildung der katalanischen Regierung.

Doch diesmal folgte die anarchistische Basis nicht. Nachdem sie wochen- und monatelang alle Kompromisse hingenommen hatte, schien das Maß des Ertragbaren erreicht. Die Kämpfe setzten sich in der ganzen Stadt fort. Es war abzusehen, dass Anarchisten und POUM den militärischen Sieg davontragen würden. Es schien möglich, das, was am 19. Juli unterblieben war, nachzuholen: die Generalitat zu stürzen und an ihre Stelle ein revolutionäres Komitee der beiden Organisationen zu setzen.

Doch es waren nur Minderheiten am Rande von CNT und POUM, die dies propagierten: neben der kleinen trotzkistischen Gruppe vor allem Los Amigos de Durruti, eine anarchistische Gruppierung, die aus Opposition gegen die Folgen der Regierungszusammenarbeit und die Anpassung an den bürgerlich-republikanischen Staat entstanden war und nun die revolutionäre «Machteroberung» forderte. Doch ihre Flugblätter - zum Teil nach Diskussionen mit den Trotzkisten verfasst - riefen sofort die scharfe Distanzierung der anarchistischen Führung hervor. Diese schien im Verlauf des 5. Mai auch einen Kompromiss in Gestalt einer neuen Regierung für Katalonien vorweisen zu können, die mit der KP und der ERC ausgehandelt worden war.

Doch entscheidend wurde nun das Eingreifen der Zentralregierung. Sie hob die katalanischen Autonomierechte bezüglich der «inneren Sicherheit» auf und setzte aus Valencia 5000 Mann der militarisierten Bereitschaftspolizei (Guardia de asalto) in Marsch.

Zwar gingen die Kämpfe noch am 6. Mai weiter. Doch zugleich verstärkte sich der Appell der CNT-Führung zur Aufgabe. Teilweise kam es nun zu erregten Szenen. Arbeiter zerrissen aus Protest ihre CNT-Mitgliedsbücher und verließen die Barrikaden. Sie hatten mehr als nur die Wiederherstellung des Status quo auf Regierungsebene erwartet. Angesichts dieser Situation riet auch die POUM zum Abbruch der Kämpfe, forderte aber zugleich die Arbeiter zur Sicherstellung der Waffen auf und verlangte Garantien, um eine Repressionswelle zu verhindern.

Am Nachmittag des 7. Mai rückten die Polizeitruppen in Barcelona gleichsam wie in eine zu besetzende Stadt ein, die sie sogleich unter ihre Kontrolle brachten. Das Schicksal Barcelonas bestimmte auch die Entwicklung der katalanischen Provinz, wo oftmals CNT und POUM die Macht übernommen hatten, was nun natürlich nicht mehr aufrechtzuerhalten war. Beide Organisationen hätten zwar Truppen von der Front abziehen und damit sicher die Kämpfe zu ihren Gunsten entscheiden können. Damit wäre aber zugleich die Front geöffnet worden. Entgegen allen, von der KP sofort ausgestreuten Gerüchten verhinderten sowohl die POUM wie die CNT dies im wesentlichen in ihren Frontabschnitten.


Die Folgen der Kämpfe

Die Kämpfe in Barcelona hatten mehrere hundert Tote gefordert - weit mehr als die Niederschlagung des Militärputsches am 19. Juli 1936 gekostet hatte. Den revolutionären Kräften war ein entscheidender Schlag versetzt worden. Katalonien hatte seine Sonderstellung verloren.

Die Kommunistische Partei nutzte die Gunst der Stunde, um eine umfassende Kampagne gegen die POUM zu führen: sie habe die Kämpfe angezettelt und müsse deswegen verboten werden. Als sich Ministerpräsident Largo Caballero widersetzte, wurde er gestürzt und durch den rechten Sozialisten Negrín ersetzt. Am 16.Juni zerschlug die von der KP kontrollierte Polizei die POUM, wobei im Hintergrund der sowjetische Geheimdienst wirkte.(2)

Unter Negrín verlor der Bürgerkrieg endgültig seinen revolutionären Impuls. Sein «Antifaschismus» hatte mehr mit internationalen Rücksichtnahmen auf die Sowjetunion und die demokratischen Westmächte zu tun, von denen er ein energisches Eintreten gegen Hitler und Mussolini erwartete. Die sozialen Veränderungen, die nach dem 19. Juli 1936 eingetreten waren, wurden nun Zug um Zug beseitigt. Spanien sollte wieder ein «verlässlicher» kapitalistischer Staat sein.

Die Behauptung der KP, die POUM - gelegentlich wurden auch in einem Atemzug die Anarchisten hinzugefügt - hätte zu putschen versucht, war nur ein schwacher und deshalb umso lauter vorgetragener Versuch, von der eigenen Rolle bei der Auslösung der Kämpfe, also der Besetzung der Telefonzentrale, abzulenken. Dieser «Putsch» wurde zu einem stalinistischen Mythos, der noch in DDR-Büchern der 80er Jahre über den Spanischen Bürgerkrieg nachzulesen ist. Auch der langjährige Vorsitzende der KP Spaniens und Begründer des «Eurokommunismus», Santiago Carrillo, wiederholte ihn in seinem 1977 erschienenen Buch «Eurokommunismus» und Staat.

Dass es zu den Kämpfen in Barcelona kam, dürfte wohl letztlich auf eine Fehlkalkulation zurückgehen. Die KP hatte sicher damit gerechnet, dass die CNT wieder einmal nachgeben würde. Doch das Personal der Telefonzentrale wehrte sich. Die Besetzung war die Provokation, die die Kämpfe auslöste. Die Mai-Tage waren nichts anderes als der letzte Versuch der Arbeiter Barcelonas, den Verlust des revolutionären Elans vom 19. Juli 1936 aufzuhalten.


Reiner Tosstorff ist Historiker an der Universität Mainz und war u.a. Mitherausgeber der Trotzki-Schriften. Er ist auch Autor des im ISP-Verlag erschienenen Buches Die POUM in der spanischen Revolution (2. Aufl. 2016), einer Geschichte der Partei.

Dies ist der erste Teil des Beitrags von Reiner Tosstorff aus dem Buch «Land and Freedom. Ken Loachs Geschichte aus der Spanischen Revolution.» Hrsg. Walter Frey. Berlin: Edition Tranvía, 1996. Der zweite Teil erscheint in SoZ 6/2017.

Der Schattenblick veröffentlicht den Artikel mit der freundlichen Genehmigung des Autors und des Verlags.


Anmerkungen:

(1) Walter Frey (Hrsg.): Ken Loachs «Geschichte aus der Spanischen Revolution». Film, Diskussion, Geschichte, Regisseur. Berlin: Edition Tranvía, 1996.

(2) Siehe dazu den zweiten Teil des Beitrags von Reiner Tosstorff in der Juni-Ausgabe der SoZ.


[*] Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Sie finden Teil I bis X dieser Serie im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Medien -> Alternativ-Presse
SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2004: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien (I)
SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2016: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien (II)
SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2062: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien (III)
SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2070: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien (IV)
SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2078: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien (V)
SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2089: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien (VI)
SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2100: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien (VII)
SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2109: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien (VIII)
SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2120: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien (IX)
SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2133: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien (X)

*

Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 32. Jg., Mai 2017, S. 21
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96
E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.sozonline.de
 
Die Soz erscheint monatlich und kostet 3,50 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
Normalabo: 58 Euro
Sozialabo: 28 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang