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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2420: Kampf um Tripolis


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9 · September 2019
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Kampf um Tripolis
Ostlibyscher Militärchef lässt Krankenhäuser und Haftzentren für Flüchtlinge bombardieren

von Bernard Schmid


Mitte August 2019 war der einzige funktionierende Flughafen der libyschen Hauptstadt Tripolis einmal mehr infolge von Kampfhandlungen gesperrt. In der Nacht vom 13. zum 14. August war ein Wachposten auf dem Flughafen von Mitiga, südlich von Tripolis, von Grad-Raketen getötet worden, mehrere andere wurden verletzt.

Verantwortlich für den Artilleriebeschuss rund um die Hauptstadt ist der starke Mann in Ostlibyen, der "Marschall" Khalifa Haftar. Seine Streitkräfte starteten am 4. April 2019 eine Großoffensive, um die in Westlibyen amtierende Regierung GNA (Government of National Agreement) zu stürzen.

Haftars Streitkräfte sind auch für den Beschuss eines Krankenhauses am 27. Juli im südlichen Umland von Tripolis verantwortlich, bei dem fünf Ärzte getötet und acht weitere Personen verletzt wurden. Haftars Sprecher Ahmad el-Mesmari erklärte in einer offiziellen Stellungnahme am Abend des 29. Juli: Ja, man habe den Angriff auf das Krankenhaus durchgeführt, doch dieses werde "von Terroristen als Tarnung benutzt". Auch seien die Getöteten bloß "Medizinstudenten, von denen einige in den 90er Jahren wegen Terrorismus einsaßen und andere der Strömung der Muslimbrüder angehören".


Eine peinliche Entdeckung

Khalif Haftar, dessen Bewaffnete zunächst im ostlibyschen Tobruk angesiedelt waren und nunmehr nach Benghazi verlagert wurden, möchte die Macht in ganz Libyen übernehmen. Doch nach ersten Erfolgen hatte er nach wenigen Wochen immer mehr Rückschläge. Seine Offensive scheint vor Tripolis festzustecken.

Ende Juni machten die loyal zur westlibyschen Regierung in Tripolis stehenden Truppen einen Fund in Gharian - im westlichen Landesteil - auf einer von den Haftar-Streitkräften verlassenen Basis: Dort lagen Panzerabwehrgeschosse, die in den USA gekauft und unter der Waffenbezeichnung Javelin von der französischen Armee genutzt worden waren. Zunächst hatte man die Vereinigten Arabischen Emirate verdächtigt, die Waffen in den USA erworben und in Dienst genommen zu haben, diese dementierten jedoch.

Dann kam heraus, dass Frankreich für ihren Transfer verantwortlich war. Die westlibysche Regierung (GNA) in Tripolis verlangte daraufhin am 11. Juli "Erklärungen" von Paris. Am Tag danach erklärte man dort offiziell, die Waffen hätten sich in den Händen französischer Spezialeinheiten befunden, die in Libyen den sog. Islamischen Staat (IS) bekämpft hätten.

Der IS hatte sich zur Mitte des Jahrzehnts tatsächlich vorübergehend in Syrte an der Mittelmeerküste festgesetzt, er wurde jedoch 2016 von dort vertrieben - für Kampfeinsätze der französischen Armee gegen diese Gruppe gibt es heutzutage keinen Bedarf.

Nach der Entdeckung der Geschosse war das französische Verteidigungsministerium in Verlegenheit. "Es kam nie in Betracht, an wen auch immer in Syrien Waffen und Munition zu verkaufen, abzugeben, zu verleihen oder weiterzuleiten", erklärte das Pariser Ministerium am 10. Juli. In der Tat, Libyen ist nicht Syrien.


Wer unterstützt Haftar?

Neben Frankreich unterstützten in den letzten Monaten vor allem Saudi-Arabien, die übrigen Golfstaaten mit Ausnahme von Qatar sowie Ägypten den libyschen Marschall Haftar. Umgekehrt war es lange Zeit eine Achse bestehend aus der Türkei und Qatar, die die "Einheitsregierung" GNA in Tripolis unterstützte. Und bis heute setzt die italienische Regierung auf diesen "Partner" für die Rücknahme unerwünschter Migranten.

Die erste pluralistische Parlamentswahl nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes im Jahr 2011 war am 7.7.2012 abgehalten und von bürgerlich-nationalistischen Kräften gewonnen, von einer den Muslimbrüdern nahestehenden Liste hingegen klar verloren worden.

Die zweite Wahl am 25. Juni 2014 schien eher zugunsten der Muslimbrüder auszufallen. Die Wahl wurde gerichtlich annulliert. Daraufhin spaltete sich das Land in die Einflusssphären zweier rivalisierender Regierungen und Parlamente - je mit Sitz in Tripolis respektive im östlichen Tobruk.

In Westlibyen herrschte eine Koalition aus Muslimbrüdern, sonstigen Islamisten und ihnen nahe stehenden Milizen; ein Teil ihrer Protagonisten zählte zu den Wahlsiegern vom Juni 2014, die jedoch die gerichtliche Annullierung des Wahlgangs nicht akzeptierten. In Tobruk siedelten sich die bürgerlichen Nationalisten an, die durch das Gerichtsurteil begünstigt wurden. Die Regierung in Tobruk heuerte den ab 2013/14 bereits erstarkten Haftar als Militärchef an.

Ende März 2016 setzte die UNO in Tripolis die GNA unter Fayez el-Saarraj ein. Dabei sollten die Milizen ihr Eigenleben beenden und in eine einheitliche Armee eingegliedert werden. Dazu kam es jedoch nicht, die Tripolis verteidigende FPT (Force de protection de Tripoli) etwa besteht aus vier miteinander verbündeten, jedoch autonomen Milizen. Allerdings ist die zuvor bei manchen dieser Verbände stark präsente islamistische Ideologisierung seit 2016 zum Großteil gewichen, viele lokale bewaffnete Gruppen handeln vor allem für den eigenen materiellen Vorteil und den ihrer Chefs.

Der aktuelle Krieg hat einmal mehr - zumindest kurzfristig - eine gewisse internationale Aufmerksamkeit auf das Schicksal der rund 600.000 in Libyen festsitzenden Flüchtlinge gelenkt. Die Haftar-Truppen bombardierten am Abend des 2. Juli ein Haftzentrum für Flüchtlinge in Tajoura, rund dreißig Kilometer südlich von Tripolis, wobei mindestens 66 getötet wurden. Bereits im Mai 2019 war das Haftzentrum bombardiert worden, wobei anscheinend der Stützpunkt einer die GNA unterstützenden Miliz die Zielscheibe war.

Die Verantwortung für die Internierung der Flüchtlinge und ihre Haftbedingungen trägt die GNA. Die ostlibysche Zeitung Al-Onwan berichtete, die GNA-Milizen hätten inhaftierte Migranten unter anderem zum Reinigen ihrer Waffen gezwungen. Mittlerweile wurden zumindest die in Tajoura Internierten wegen der Bombardierung und dem folgenden internationalen Skandal freigelassen.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9, 34. Jg., September 2019, S. 20
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2019

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