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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2440: Berlin bekommt einen Mietendeckel


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 · November 2019
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Berlin bekommt einen Mietendeckel
"Wir hoffen, dass unser Beispiel Schule macht"

Gespräch der SoZ mit Michael Prütz, Sprecher der Initiative "Deutsche Wohnen enteignen"



SoZ: Als wir vor der Sommerpause mit Rouzbeh Taheri über eure Initiative Deutsche Wohnen enteignen sprachen (SoZ 7-8/2019), hatte die Berliner Senatorin für Stadtentwicklung, Kathrin Lompscher (Die LINKE), gerade mit dem Vorschlag eines "Mietendeckels" reagiert. Nun hat sich die Koalition auf einen Vorschlag dazu geeinigt. Wie sieht der aus?

Michael Prütz: Der Mietendeckel wurde am 18. Oktober in einer Sitzung des Koalitionsausschusses aller drei Berliner Regierungsparteien beschlossen. Das Ergebnis ist ein historischer Erfolg der Mieterbewegung. Es sieht nicht nur einen Mietenstopp vor, sondern auch Mietabsenkungen in einem bestimmten Rahmen. Damit ist die Umverteilung von unten nach oben in diesem Bereich gestoppt und sogar umgekehrt.


SoZ: Wie genau sind die Mieten gedeckelt worden, wie entsteht der von dir genannte Effekt?

Michael Prütz: Erstens werden die Mieten für fünf Jahre eingefroren. Zweitens gibt es Kategorien von Preisen für die einzelnen Wohnungen, insgesamt sind es 18. Die höchste Kategorie ist 9,80 Euro, die niedrigste Kategorie 3,21 Euro. Wenn jemand jetzt aus einer sehr teuren Wohnung auszieht, sagen wir mal er zahlt jetzt 15 Euro pro Quadratmeter, muss die Wohnung neu vermietet werden zum Preis des Deckels, also maximal für 9,80 Euro. Das ist das eine.


SoZ: Der Mietendeckel gilt also für Neuvermietungen?

Michael Prütz: Er gilt auch für die Bestandsmieten, aber eben auch für Neuvermietungen. Denn es kommt drittens hinzu, dass Bestandsmieten, die höher liegen als 20 Prozent über den einzelnen Deckelstufen, als Wuchermiete gelten und auf den vorgeschriebenen Deckel abgesenkt werden können.


SoZ: Und der Deckel ist unterschiedlich je nach Kategorien?

Michael Prütz: Je nach Kategorie reicht er von 3,21 Euro bis 9,80 Euro.


SoZ: Das ist ein gutes Ergebnis.

Michael Prütz: Es ist hervorragend. Man muss sagen, dass die Regierungskoalition im intensiven Kontakt mit der Mieterbewegung auf alle ihre wesentlichen Forderungen eingegangen ist und sie umgesetzt hat. Damit war überhaupt nicht mehr zu rechnen, weil die Sozialdemokraten sich quergelegt hatten. Doch letztlich haben sie dann eingelenkt.


SoZ: Woher kommt der Gesinnungswandel?

Michael Prütz: Wenn die Koalition geplatzt wäre, hätte es Neuwahlen gegeben, bei denen die SPD Gefahr lief, als dritte hinter Grünen und Linkspartei zu landen. Das hat sie wohl zur Besinnung gebracht. Sie hatten mehr zu verlieren als alle anderen.


SoZ: Wie war die Stimmung der letzten Wochen? Auf der Straße waren ja nicht so viele, an der Demonstration im September hatten sich nur etwa 5000 Leute beteiligt, nicht gerade berauschend. Wie ist die Stimmung in der Stadt?

Michael Prütz: Die Stimmung in der Stadt, und das wird sich jetzt noch weiter verstärken, ist extrem aufgeheizt. Auf der einen Seite sammeln Vermieterverbände und Lobbyisten massiv Geld für eine Kampagne, die den Mietendeckel als eine Enteignungskampagne ins negative Licht rücken soll. Auf der anderen Seite gibt es täglich überall in der Stadt Mieterversammlungen, Demonstrationen, kleinere Besetzungen, alles mögliche, und die Leute sind sehr aktiv, viele Mieter engagieren sich weiterhin. Eine so extreme Polarisierung habe ich in meinem ganzen politischen Leben noch nicht erlebt.


SoZ: Die Wohnungsbaugenossenschaften haben sich ebenfalls gegen den Mietendeckel gestellt. Wie erklärst du dir das?

Michael Prütz: Das kann ich dir nicht erklären. Alle Wohnungsbaugenossenschaften in Berlin schreiben schwarze Zahlen, die hätten überhaupt kein Problem damit. Es gibt jetzt Mitglieder dieser Genossenschaften, die machen von unten Druck gegen diese Entscheidung. Es sind wohl nur die Bonzen, die dagegen sind, nicht die Mitglieder.


SoZ: Wie positionieren sich die Medien?

Michael Prütz: Naja, unterschiedlich. Die konservativen Zeitungen treten eindeutig als Lobbyisten der Eigentümer und der Unternehmerverbände auf. In liberaleren Blättern, wie dem Tagesspiegel und der Berliner Zeitung, wird recht ausgewogen berichtet. Da kommen natürlich die Unternehmerverbände zu Wort, aber eben auch wir. Jeden Tag ist in all diesen Zeitungen etwas zu dem Thema zu lesen.


SoZ: Was machen die Mieterverbände jetzt? Und was treibt die Mieter jetzt um? Du sagst ja, da ist unglaublich viel in Bewegung geraten.

Michael Prütz: Jetzt treibt die Leute um, ob es diesen Mietendeckel wirklich geben wird, der muss ja noch in ein Gesetz gegossen werden. Die Lobbyverbände versuchen da noch einzugreifen, das ist es, was alle im Moment hochemotional beschäftigt.

Aber es sieht gut aus. Der Gesetzentwurf wird nächste Woche in der Berliner Regierungskoalition endgültig beschlossen. Das ist die eine Seite. Und die andere Seite ist - was viele Mieterinnen und Mieter ebenfalls umtreibt: Wie geht es mit dem Volksbegehren Deutsche Wohnen Enteignen weiter? Denn das ist ja nun die nächste Frage. Wir haben die gültigen Unterschriften in einem sehr kurzen Zeitraum beigebracht. Jetzt warten wir darauf, dass Innensenator Geisel (SPD) die zweite Stufe des Volksbegehrens freigibt. Das hat er bislang nicht getan, er versucht, das zu verschleppen.


SoZ: Geisel ist vom rechten Flügel der SPD?

Michael Prütz: Ja.


SoZ: Welche Möglichkeiten hat er da, anfangs sah es ja so aus, als würde der Mietendeckel dagegen ausgespielt.

Michael Prütz: Das ist jetzt nicht so. Es ist hochinteressant - ich hatte selber Gelegenheit auf vielen SPD-Versammlungen zu reden -, dass in der SPD eine große Auseinandersetzung tobt über die Frage der Enteignung. Am nächsten Sonnabend, am 26. Oktober, wird die SPD auf ihrem Berliner Parteitag darüber entscheiden. Wir haben inzwischen Kontakte zu verschiedenen Kreisverbänden der SPD aufgebaut, da steht es 50:50. 50 Prozent sind für uns, also für die Enteignung, 50 Prozent dagegen. Halbe halbe - da weiß man überhaupt noch nicht, wie das ausgeht.


SoZ: Wie sieht das bei den Grünen aus?

Michael Prütz: Die Grünen haben sich auf ihrem Parteitag für die Enteignung ausgesprochen, aber in der Praxis tun sie nichts dafür. Sicher, einzelne Kreisverbände haben Unterschriften gesammelt, doch richtig aktiv sind sie nicht.


SoZ: Aber sie sind auch keine Bremser.

Michael Prütz: Nein, überhaupt nicht. Sie versuchen auch Kontakt zu uns zu halten und Rücksprache zu nehmen, aber wir haben uns im Moment - weil die Position der Grünen ja klar ist - mehr auf die SPD konzentriert. Da waren wir eingeladen zu verschiedenen Kreisdelegiertenversammlungen, auf denen wir unsere Positionen darstellen konnten, das war außerordentlich interessant.


SoZ: Wer sind deiner Meinung nach die 50 Prozent in der SPD, die die Initiative ablehnen? Sind das die Älteren?

Michael Prütz: Nicht unbedingt die Älteren, es geht auch mitten durch die einzelnen Bezirke durch. Die Neinsager lehnen die Enteignung auch nicht grundsätzlich ab, die sagen nur, es sei der falsche Zeitpunkt, man müsse erst andere Sachen machen, sie versuchen also, das ein bisschen zu verzögern. Es ist vor allen Dingen die Bürokratie, die Regierungsbürokratie und die Bürokratie auf den einzelnen Stadtteilebenen, die wirklich dagegen ist, die Bürgermeister und was weiß ich. An der Basis ist die Zustimmung sehr groß.


SoZ: Wieviele Mitglieder hat die SPD noch in Berlin?

Michael Prütz: 17.000.


SoZ: Das ist nicht sehr viel.

Michael Prütz: Nein, das ist nicht viel. Ich hab oft auf SPD-Versammlungen geredet, da sitzt das gleiche Milieu wie bei den Grünen, die gleiche Art von Leuten, da ist von der Arbeiterklasse nichts mehr zu sehen.


SoZ: Ist das bei der LINKEN anders?

Michael Prütz: Ja.


SoZ: Wenn der Parteitag jetzt positiv entscheidet, könnt Ihr davon ausgehen, dass das Volksbegehren glatt durchgeht?

Michael Prütz: Naja, es ist eine große Herausforderung. Wir haben ja drei Stufen, jetzt kommt erst die zweite, da müssen wir in vier Monaten 170.000 gültige Unterschriften sammeln, also von wahlberechtigten Berlinern. Dann kommt erst die richtige Volksabstimmung per Wahl, wo also alle zur Wahlurne gerufen werden.


SoZ: Die müssen dann auf die Bezirksämter?

Michael Prütz: Jetzt in der zweiten Stufe können sie auf die Bezirksämter, aber wir dürfen auch auf der Straße sammeln, beides.


SoZ: Und in der dritten Stufe müssen sie auf die Bezirksämter?

Michael Prütz:Da müssen sie in die Wahllokale, wie bei Wahlen.


SoZ: Wenn die SPD am nächsten Wochenende entscheidet, dass ihr die Enteignung doch ein zu heißes Eisen ist, wie siehst du dann die Perspektive?

Michael Prütz: Das wäre schlimm. Ich gehe aber davon aus, dass knapp 50 Prozent für uns sind. Das wäre keine Niederlage, denn auch dann würde in der Presse natürlich kolportiert werden, die SPD ist für Enteignung. Das wäre schon ein Superergebnis, und ich glaube auch, dass es so kommt.


SoZ: In jedem Fall rechnet ihr also damit, dass das Volksbegehren stattfindet. Kannst du dir auch vorstellen, dass es im Falle der Abstimmung eine Mehrheit in der Bevölkerung gibt?

Michael Prütz: Ja. Auch in der Bevölkerung ist die Stimmung zu 50 Prozent für uns, zu 50 Prozent gegen uns. Es wird sich dann zeigen, wer besser mobilsieren kann. Das ist nicht ohne. Die Unternehmerverbände haben eine Kampagne gestartet, die bezahlen jetzt gerade die Wohnungsbauunternehmer, 1,6 Millionen Euro haben sie sich zum Ziel gesetzt. Damit wollen sie die Berliner Bevölkerung gezielt beeinflussen gegen Enteignung und Mietendeckel. Da ist richtig was los.


SoZ: Das wird mit Sicherheit ein Präzedenzfall für Großstädte, wo die Mieten ebenfalls so hoch sind.

Michael Prütz: Ja, absolut. Wir hoffen sehr, dass unser Beispiel Schule macht.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 34. Jg., November 2019, S. 14
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2019

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