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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2513: Die USA - Eine destruktive Führungsmacht


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1 · Januar 2023
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Die USA
Eine destruktive Führungsmacht

von Ingo Schmidt


America is great again. Und wir dürfen dabei sein, wenn unter amerikanischer Führung dem russischen Bären die Zähne gezogen und dem chinesischen Drachen das Feuer ausgepustet wird. An der Wall Street klingeln die Kassen. Im Rest des Landes werden Stars and Stripes geschwenkt - und bei allem Patriotismus die Frage gestellt, ob der neue Krieg nicht aus heimischen Kassen bezahlt wird, statt dass die Führungsmacht von Verbündeten und Gegnern Tribute einspielt. Die Fähigkeit zu führen hinkt hinter den verkündeten Ansprüchen weit hinterher. Immer mehr erweisen sich die USA als ein Hindernis auf dem Weg zu einer freien Welt, sie sind eine destruktive Führungsmacht.

Sozialstaat und Antikolonialismus

Massenkonsum und Vollbeschäftigung waren die entscheidenden Mittel, mit denen die USA im ersten Kalten Krieg ihre Überlegenheit gegenüber dem Sowjetkommunismus beweisen und dabei die Umsätze der heimischen Industrien wie auch die Loyalität breiter Bevölkerungsschichten sichern wollten. Es dauerte nicht lange, bis diese Kombination aus ökonomischer Prosperität, inländischer Loyalität und internationalem Vorbild brüchig wurde. Im Inland waren Frauen ebenso wie die schwarze Bevölkerung und Migranten weitgehend vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen oder in schwere, schmutzige und schlecht bezahlte Jobs abgedrängt, ohne Sozialversicherung und Aufstiegschancen. In den schwarzen Ghettos fehlte es zudem an öffentlicher Infrastruktur.

Die Frauen- und Bürgerrechtsbewegungen, die sich gegen diese Diskriminierung wehrten, wurden als profitgefährdender Kostenfaktor und fünfte Kolonne Moskaus angegriffen. In Teilen dieser Bewegungen führte das genau zu der Linksorientierung, die unterstellt worden war. Der Versuch, moderate Teile durch Sozialreformen einzubinden, führte hingegen, zusammen mit der Eskalation des Vietnamkriegs, zu steigenden Staatsausgaben. Private Unternehmen nutzten die sich damit öffnende Chance, höhere Preise am Markt durchzusetzen, worauf die Gewerkschaften mit entsprechenden Lohnforderungen reagierten.

Auf internationaler Ebene radikalisierten sich viele antikoloniale Bewegungen, die zunächst nur Projekte nachholender Industrialisierung verfolgten, mit dem Ziel, schließlich das Vorbild des amerikanischen Massenkonsums einzuholen. Teil dieser Radikalisierung war der Kampf um höhere Exporterlöse, der in Form zweier Ölpreisschocks zu einer Beschleunigung der Ende der 1960er Jahre angelaufenen Preis-Lohn-Spirale führte - ausgerechnet in einer Situation, in der sich industrielle Überkapazitäten bemerkbar machten.

Die Produktionskapazitäten waren während der Nachkriegsprosperität dem Wachstum des Massenkonsums immer weiter vorausgeeilt. Sie hätten nur ausgelastet werden können, wenn alle Forderungen nach höheren Löhnen und öffentlicher Infrastruktur erfüllt worden wären. Aber dann wäre auch die oft beschworene Profitklemme Wirklichkeit geworden. Die Ansprüche sozialer Bewegungen in den USA und in anderen westlichen Ländern, aber auch im Süden, mussten gestutzt werden.

Neue internationale Arbeitsteilung

Die Mischung aus Inflation, Überkapazitäten, Protest- und Streikbewegungen trübte die Investitionsneigung der Unternehmen. Mit dem Ende der Nachkriegsprosperität geriet auch der Führungsanspruch der USA, der zentral an das Versprechen des Massenkonsums für die gesamte nichtkommunistische Welt geknüpft war, in eine Krise. Die Aufkündigung des Goldstandards durch die US-Regierung und der anschließende Dollar-Verfall sowie der Rückzug aus Vietnam waren weitere Schwächezeichen.

Durch ihre Rolle beim Zurückdrängen sozialer Bewegungen konnten die USA ihre Stellung als führende kapitalistische Macht jedoch wiederherstellen und einer langen Welle der Akkumulation den Weg bereiten, auch wenn sie im Vergleich zur Nachkriegsprosperität schwächer war. Die Anhebung des Leitzinses durch die US-Zentralbank gab den Anstoß dafür, ihr unmittelbarer Effekt war jedoch eine weltweite Rezession.

Steigende Arbeitslosenzahlen brachen die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften, die Verlagerung vormals gut organisierter Produktionsabschnitte in Niedriglohngebiete mit wenig Gewerkschaftsrechten, sei es im amerikanischen oder im globalen Süden, verstetigte diese Schwächung dauerhaft. Die steigenden Zinsen verwandelten Kreditnehmer, die zuvor im Zuge des Petro-Dollar-Recycling billig an Geld gekommen waren, in Schuldknechte.

Um ihren Schuldendienst zu leisten, kürzten Regierungen ihre Ausgaben, verscherbelten öffentliche Betriebe und boten potenziellen Investoren Steuernachlässe. Die Wall Street wurde zum Nervenzentrum einer neuen internationalen Arbeitsteilung. Main-Street-Bewohner konnten nach der Rezession der 1980/81 wieder Jobs bekommen. Aber sie waren zumeist schlecht bezahlt oder sie erforderten teure Universitätsabschlüsse. Selbst wer diese erwarb, konnte nicht sicher sein, den erhofften Mittelklassenjob zu ergattern.

Der Süden im Aufwind

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion währte die damit verbundene Euphorie über den Sieg der sog. freien über die "kommunistische" Welt nicht lang. Arrogant aber zutreffend hatte die US-Außenministerin Madelaine Albright die USA als unverzichtbare Nation bezeichnet, doch der Moment verflog alsbald.

Trotz Schuldenkrise und Integration in US-kontrollierte Wertschöpfungsketten konnten größere Länder des Südens ein gewisses Maß an Unabhängigkeit bewahren: bspw. Brasilien, Indien, Indonesien. Russland aufgrund seiner Nuklearwaffen. Und natürlich China, dessen Führung aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion den Schluss gezogen hatte, dass es galt, die politische Macht zu erhalten und zugleich eine Integration in den Weltmarkt zu suchen. Der US-geführte Westen suchte billige, aber qualifizierte Arbeitskräfte und eine verlässliche Infrastruktur - China bot sie an und machte westliche Konzerne von sich abhängig. Damit ermöglichte es zugleich den Aufstieg einer chinesischen Kapitalistenklasse, deren Loyalität zwischen Vaterlandsliebe und kapitalistischem Weltmarkt gespalten ist. Diesen Zwiespalt suchen US-Regierungen auszunutzen, um sich aus ihrer Abhängigkeit von China zu befreien - auch wenn sie damit den Zerfall der globalen neoliberalen Ordnung riskieren, mit der ihre globale Führungsrolle nach dem Ende des Sozialstaatskapitalismus und Sowjetkommunismus verbunden war.

Die Grenzen der Globalisierung

Die antichinesische Wende deutete sich nach der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 an. Globalisierungskritiker und auch viele Regierungen rund um den Globus erblickten die Ursachen der Krise in den Immobilien- und Finanzblasen in den USA. Ben Bernanke, damals Präsident der amerikanischen Zentralbank, machte China für die Krise verantwortlich. Mit ihren Ersparnissen hätten die Chinesen den amerikanischen Markt überschwemmt, die Zinsen nach unten gedrückt und die Amerikaner zu leichtfertiger Kreditaufnahme verleitet.

Wenig später erklärte Obama China zur größten Herausforderung der USA. Weniger diplomatisch rückte sein Nachfolger Trump die Überschwemmung amerikanischer Märkte mit chinesischer Billigware in den Mittelpunkt seiner Propaganda. Russland wurde nach der Annexion der Krim der Achse des Bösen zugeschlagen. Nicht mehr periphere Schurkenstaaten von Nordkorea über den Mittleren Osten, Nordafrika bis Kuba und Venezuela, sondern Atom- und Wirtschaftsmächte gelten nun als Feinde, gegen die sich der Westen zu verteidigen habe.

Aber die Mittel, den Westen zusammenzuhalten, sind begrenzt. Wenn ein liberaler Transatlantiker wie Christian Lindner und die EU-Kommission die Industriepolitik Bidens wegen wettbewerbsverzerrender Subventionen kritisieren und vor einem Handelskrieg warnen, kann es mit dem westlichen Bündnis nicht weit her sein. Länder außerhalb des harten Kerns westlicher Staaten können nicht sicher sein, ob sie nicht demnächst selbst als Feinde betrachtet und mit Sanktionen überzogen werden. Verbündete lassen sich so nicht gewinnen.

Die von Finanzministerin Janet Yellen ausgegebene Marschrichtung des "Friend Shoring" als Alternative zum globalen Outsourcing kaschiert das Scheitern der neoliberalen Globalisierung unter amerikanischer Führung ideologisch. Mit dem Projekt, sich internationale Vorherrschaft zu sichern, indem privaten Unternehmen Profite ermöglicht und der politischen Klasse im Inland Massenloyalität verschafft wird, hat dies jedoch nichts mehr zu tun. Der Green New Deal war der Versuch ein solches Projekt zu schaffen, aber die Demokraten konnten oder wollten den Deal nicht gegen Kulturkämpfer von rechts und gegen die Interessen des fossilen Kapitals durchsetzen. Um das Scheitern an der Heimatfront auszugleichen, hat Biden den Ton in der Außenpolitik verschärft. Der russische Angriff auf die Ukraine kam da gerade recht. Auch wenn der Hauptfeind in China steht.


Ingo Schmidt ist Ökonom und leitet das Labour Studies Program der Athabasca University in Kanada.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1, 38. Jg., Januar 2023, S. 3
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 3. Februar 2023

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