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INTERNATIONAL/079: Chile - Aus für Tageszeitung "La Nación" - Gefahr der Medienkonzentration (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Oktober 2012

Chile: Aus für Tageszeitung 'La Nación' - Staat soll Medienpluralismus gewährleisten

von Marianela Jarroud



Santiago, 5. Oktober (IPS) - In Chile hat die Ankündigung, dass die jahrhundertalte Tageszeitung 'La Nación' geschlossen wird, eine heftige Debatte über die Gefahren der Medienkonzentration losgetreten. Nach dem Aus für das Blatt, das zu 69 Prozent dem Staat gehört, wird sich die Presse des südamerikanischen Landes ausschließlich in den Händen von zwei großen privaten Verlagshäusern befinden.

"Die Politik muss öffentliche Kommunikationskanäle in den Bereichen Presse, Rundfunk und Fernsehen schaffen", forderte der Präsident der Journalistenkammer Chiles, Marcelo Castillo. Der chilenische Staat verfügt nur über ein einziges elektronisches Medium. Das Nationale Chilenische Fernsehen ist eine autonome Gesellschaft, deren sieben Vorstandsmitglieder vom Staatspräsidenten vorgeschlagen und vom Senat eingesetzt werden.

Wie Castillo gegenüber IPS erklärte, ist es an der Zeit, zivilgesellschaftliche Medien zu schaffen. Außerdem gelte es dem Beispiel Argentiniens zu folgen, wo eigens eine Agentur etabliert worden sei, die für eine faire Verteilung der Werbeaufträge unter einer Vielzahl von Medien sorge.

Ende des letzten Jahres war die Druckausgabe von La Nación eingestellt, am 24. September dann auch das Ende der Internetausgabe beschlossen worden. Die Entscheidung geht mit dem Verlust von 600 Arbeitsplätzen einher.


"Staatlich subventionierter Journalismus nutzlos"

"20 Jahre lang, seit der Rückkehr zur Demokratie, gab es La Nación, die den unterschiedlichen Regierungen unterstand. Wir sind der Meinung, dass Regierungen keine eigenen Kommunikationsmedien brauchen", meinte der Regierungssprecher Andrés Chadwick. Der Chef der mitregierenden Partei der Nationalen Erneuerung, Carlos Larraín, bezeichnete die Schließung "als sehr gute Nachricht" und erklärte, "ein staatlich subventionierter Journalismus ist nutzlos".

Doch nach Ansicht von Castillo sollte der Staat das Recht der Bürger auf Information garantieren und für eine Pluralität der Medien sorgen. Bisher dominieren die beiden Firmen 'El Mercurio' und 'Consorcio Periodístico de Chile' mit ihren Tageszeitungen 'Tercera' und 'La Cuarta' sowie 'Qué Pasa' den Print- und Online-Blätterwald. Sie befinden sich im Besitz der reichsten und einflussreichsten Familien des Landes.

Staatschef Sebastián Piñera mag zwar die Schließung von La Nación veranlasst haben, so Castillo. Doch sei sie bereits vom ehemaligen Mittelinks-Regierungsbündnis 'Concertación por la Democracia' durch das Fehlen einer entsprechenden Politik der Medienöffentlichkeit eingeleitet worden. "In den letzten drei Jahren der Diktatur von Augusto Pinochet (1973-1990) gab es eine größere Informationsvielfalt als heute", betonte der Journalist. "Es gibt in Chile derzeit keine einzige Oppositionszeitung. Eine öffentliche Kommunikationspolitik ist nicht erst seit dem Amtsantritt von Piñera, sondern seit der Rückkehr der Demokratie überfällig."

Die Zeitungslandschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend gelichtet. So war der progressiven, zwischen 1987 und 1998 erschienenen Tageszeitung 'La Época' nur ein kurzes Dasein beschieden. 1991 ging 'Fortín Mapocho' ein, das Sprachrohr gegen die Diktatur. Auch Zeitschriften wie 'Análisis' und 'Apsi', einst vehemente Kritiker des Pinochet-Regimes, konnten in der Demokratie nicht überleben. Sie mussten 1994 beziehungsweise 1995 dichtmachen.

Für den Soziologen Manuel Antonio Garretón, Träger des Nationalen Menschheits- und Sozialwissenschaftspreises von 2007, gibt der chilenische Staat mit der Schließung von La Nación einen öffentlichen Raum auf, den er eigentlich garantieren müsste. Es sei Aufgabe des Staates, für eine möglichst große Medienvielfalt zu sorgen, sagte er.

Der sozialistische Senator Juan Pablo Letelier, Sohn von Orlando Letelier, dem 1976 in Washington ermordeten ehemaligen Außenminister der Regierung von Salvador Allende, erklärte gegenüber IPS, dass das Problem in Chile im Gegensatz zu Brasilien darin bestünde, dass die Wirtschaftsgruppen viel zu stark mit der politischen Rechten verbandelt seien. Dies erklärte auch die große Medienkonzentration in den Händen weniger. "Doch in einer Demokratie geht es nicht nur um Wahlen, sondern auch um wirtschaftliche Demokratie und Meinungsvielfalt." (Ende/IPS/kb/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/10/media-pluralism-at-risk-of-extinction-in-chile/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2012