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UMWELT/249: CleanMed Europe 2021 - Entwürfe für die Gesundheitsversorgung von morgen (umg)


umwelt • medizin • gesellschaft - Ausgabe 1/2022
Humanökologie - soziale Verantwortung - globales Überleben

CleanMed Europe 2021 - Designing tomorrow's healthcare

Ein Tagungsbericht von Erik Petersen



Logo der Online-Tagung CleanMed Europe 2021 -Quelle: https://cleanmedeurope.org

CleanMed Europe ist Europas führende Tagung zum Thema nachhaltige Gesundheitsversorgung. Hier können Führungskräfte des Gesundheitswesens aus ganz Europa und darüber hinaus zusammenkommen, um Ideen, Innovationen, Herausforderungen und Lösungen für Nachhaltigkeit im europäischen Gesundheitswesen auszutauschen.
Quelle: https://cleanmedeurope.org

Aufgrund des großen Erfolges der letzten CleanMed Europe 2020 und der Aktualität der Fragestellungen entschloss sich Health Care Without Harm (HCWH) als Veranstalter schon frühzeitig bereits nach einem Jahr die CleanMed Europe 2021 (29.11. - 03.12.2021) folgen zu lassen, dieses Mal gleich als reine Online-Veranstaltung. Der Beteiligung insgesamt tat das sicherlich keinen Abbruch, zumal der weitaus größte Teil der Zugeschalteten offenbar mit Unterstützung der jeweiligen Arbeitgeber aus der Medizinbranche kam. Insgesamt nahmen nach Angaben von HCWH rund 400 Personen aus ganz Europa teil.


Der Klimawandel ist das beherrschende Thema

Zwei Live-Plenen rahmten die fünftägige Veranstaltung ein, dazwischen liefen insgesamt 18 Live-Sessions und weitere 7 Sessions waren vorproduziert und jeder Zeit abrufbar. Die Themen setzten im Vergleich zum letzten Jahr nochmals deutlichere Schwerpunkte. Health Professionals Sustainability Action [Maßnahmen zur Nachhaltigkeit durch Angehörige der Gesundheitsberufe](*), Climate-smart Healthcare [Klimagerechtes Gesundheitswesen](*) und Circular Healthcare [Kreislaufwirtschaft im Gesundheitswesen](*) waren die zentralen Themen, wozu sich dann noch Safer Pharma [Sicherere Pharmazie](*) und Sustainable Food [Nachhaltige Ernährung](*) gesellten: alle angesiedelt im Bereich Klimakrise und Gesundheitswesen gemäß dem Tagungsmotto Designing tomorrow's healthcare [Gestaltung des Gesundheitswesens von morgen](*).

Der erste Sprecher Lucien Engelen (Transform.Health) im Start-Plenum skizzierte in seiner Keynote Healtcare 5.0 - Eine Revolution für einen gesunden Planeten? den großen Rahmen, in dem sich alle einzuordnen hätten. Das Gesundheitswesen trägt ja nicht nur zu einem nicht unerheblichen Teil zum Klimawandel bei, es bietet auch genau wie andere Sektoren enorme Möglichkeiten der CO2-Einsparung. Engelen zeigte, dass durch die Corona-Pandemie vieles angestoßen wurde, was nicht wieder zurückgefahren werden sollte, sondern im Gegenteil weiter ausgebaut werden muss, um die notwendigen Nachhaltigkeitsziele erreichen zu können. Er nannte als ein positives Beispiel die Zunahme der Telemedizin, die im Idealfall ohne nennenswerte Nachteile für die Patienten eine deutliche Reduzierung des Patientenverkehrsaufkommens bewirken könne. Analysen hätten gezeigt, dass ein Krankenhaus die Vorhaltung von 200 PKW-Parkplätzen einsparen könnte bei einem lediglich 5%igen Anteil an Videokonsultationen. Das Potenzial der digitalen Technologien zur Umgestaltung des Gesundheitswesens sei längst noch nicht ausgeschöpft, aus seiner Sicht aber unabdingbar, um zu einer deutlichen Reduzierung des CO2-Fußabdrucks zu gelangen und einem Kollaps durch Burnout der Beschäftigten vorzubeugen. Digital first physical second wäre der richtige Ansatz. In der anschließenden Frage-Antwort-Runde wurde allerdings auch gewarnt, dass mögliche negative Auswirkungen der Telemedizin berücksichtigt werden müssten. So könnten insbesondere technikferne Patienten ausgegrenzt werden bzw. sich abgehängt fühlen, was zu verspäteten Diagnosen und Therapien führen könnte.

Im Anschluss referierte Roy Jacobs (Philips), wie seine Firma, eine der größten Europas im Medizinbereich und Hauptsponsor des Kongresses, nicht mehr nur neue Diagnostikgeräte entwickelt, sondern digitale servicebasierte Geschäftsmodelle und Innovationen für ein nachhaltigeres Gesundheitssystem anbietet.

Nachhaltige klimafreundliche Gesundheitsversorgung

Das staatliche National Health System (NHS) Großbritanniens hat sich seit einiger Zeit eine Vorreiterrolle erkämpft mit einer Vielzahl von innovativen Ansätzen für eine nachhaltige Gesundheitsversorgung. So wird im Newcastle Hospital konkret an einer Low Carbon Care [einer kohlendioxidarmen Pflege](*) gearbeitet. Erstes Etappenziel ist ein stickoxidfreies Krankenhaus über den Ersatz herkömmlicher Narkosegase. Eine andere Klinik verlangt von ihren Zulieferern zuerst einmal eine Analyse und dann eine Reduzierung der CO2-Fußabdrücke der zu liefernden Produkte. Dass das keine Kleinigkeit ist, zeigt alleine schon die bloße Anzahl der involvierten rund 500 Firmen.

Viele innovative Ideen kommen aus Dänemark. Hier hat sich unter anderem das Center for Sustainable Hospitals Network etabliert. Entstanden durch Eigeninitiative aufgrund von Frustration über die vielen Einwegprodukte im Klinikalltag, will das Netzwerk helfen, wiederverwendbare Produkte einzuführen bzw. nicht zu vermeidende Abfälle einem echten Recycling zuzuführen. Hier sollen auch Patienten mit ins Boot genommen werden, in dem diese zum Beispiel für Kurzvisiten eigene Handtücher mitbringen und so Einwegtücher eingespart werden. Auch im Vereinigten Königreich hat sich ein vergleichbares Center of Sustainable Healthcare gegründet, das zurzeit als Modellprojekt Green Surgery an fünf Beispielkliniken ausprobiert.

Krankenschwestern sind die bei weitem größte Gruppe von Gesundheitsfachkräften. Zur Umgestaltung des Gesundheitssektors zu mehr Nachhaltigkeit ist eine Einbeziehung der Pflegekräfte unerlässlich. Drei Nurse Climate Champions aus so unterschiedlichen Bereichen wie Anästhesie (Irland), Säuglingsstationen und Hepatologie (beide Großbritannien) stellten ihre Projekte vor, um die Gesundheit zu verbessern, die Umwelt zu schützen und die Klimaauswirkungen der Gesundheitsversorgung zu reduzieren - und die zur Nachahmung anregen sollten.

Dekarbonisierung der Gesundheitssysteme

Mit einem Anteil von 4,4 % an den weltweiten Nettoemissionen ist der Beitrag des Gesundheitswesens zur Klimakrise nicht zu vernachlässigen. Die notwendige Dekarbonisierung der Gesundheitssysteme erfordert Maßnahmen auf allen Ebenen von der Regierung bis hin zu den einzelnen Menschen, die in den Gesundheitseinrichtungen arbeiten und/oder diese nutzen. Aber um die Emissionen reduzieren zu können, müssen diese zuerst erfasst werden. Die Berechnung des Klimafußabdrucks für ein nationales Gesundheitssystem erfordert qualitativ hochwertige Daten von unterschiedlichen Akteuren.

Hier berichteten Expert*innen aus Frankreich und den Niederlanden von ihren Erfahrungen und Ergebnissen. Für Frankreich wird ein Betrag des Gesundheitssektors von 4,6 % der CO2-Emissionen angenommen. Das Ziel einer vollständigen Dekarbonisierung soll bis 2050 durch eine jährliche Reduktion um 5 % erreicht werden. Die Datenbasis ist allerdings weiterhin deutlich zu dünn, um verlässliche Prognosen abgeben zu können. Auch wenn alle jetzt möglichen Maßnahmen eingerechnet werden, muss mit einer Lücke von ca. 30 % gerechnet werden, die innerhalb des jetzigen Systems nicht eingespart werden kann. Hier würde nur ein Systemwechsel zu weniger Pflege und mehr Prävention helfen.

In den Niederlanden liegt der Anteil des Gesundheitssektors sogar bei rund 8 %. HCWH Europe wird im Rahmen ihres Flaggschiff-Klimaprojekt Operation Zero eine Methodik entwickeln, die von jeder nationalen Regierung oder Gesundheitsbehörde verwendet werden kann, um eine robuste Klimabilanz und eine Netto-Null-Dekarbonisierungsstrategie für ihren Gesundheitssektor zu entwickeln. Denn ohne verlässliche Datengrundlage kann kein fundierter Ausstieg aus der Kohlenstoffnutzung erfolgen.

Neben Kohlendioxid sind auch die anderen Treibhausgase zu berücksichtigen. Emissionen der besonders langlebigen Narkosegase können bis zu 5 % der CO2-Bilanz eines Gesundheitssystems ausmachen. In Großbritannien sind diverse Pilotprojekte gestartet, die Emissionen von Narkosegasen reduzieren und langfristig auf Null bringen wollen.

Die Gesundheitsgebäude machen fast 25 % des gesamten CO2-Fußabdrucks des Gesundheitswesens aus. Wie könnten Krankenhäuser von morgen aussehen? Welche Spezifikationen könnten sie benötigen? Welchen Zweck könnten sie erfüllen? Das sind die Fragen, die sich Architekten und Ingenieure von heute stellen. Die Gesundheitsgebäude von morgen müssen nicht nur klimaneutral sein, sondern auch einen Raum bieten, der entspannt ist, Heilung und schnelle Genesung unterstützt und eine nachhaltige Gesundheit fördert. Die Einbeziehung klarer Nachhaltigkeitsziele in die Gebäudeplanung kann gesündere Gebäude fördern und die Integration von biophilem Design kann zu besseren Gesundheitsergebnissen sowie zu einer geringeren Umwelt- und Klimabelastung beitragen. Eine stärkere Einbeziehung der Natur in die Gesundheitsversorgung kann nicht nur eine bessere Gesundheit und Genesung fördern, sondern auch dazu beitragen, Treibhausgasemissionen und die Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren.

Natur, Umwelt, Gesundheit

Nachdem ein Vertreter des UN Environment Programme (UNEP) einige Fakten über die Zusammenhänge und Vorteile zwischen Gesundheit, Klimawandel und Biodiversität für mehr Gesundheit und Wohlbefinden referiert hatte, folgten konkrete Beispielprojekte aus Spanien und Großbritannien.

Das Forests for Health-Projekt einer spanischen Kinderklinik trägt zu besseren Gesundheitsergebnissen bei, mindert Treibhausgasemissionen und heilt das Naturdefizit der Kinder. Sogar Arztgespräche und Besprechungen finden bei entsprechender Witterung draußen statt. Das Projekt ist für die Familien durchaus langfristig angelegt, erhält doch jedes Kind während des Klinikaufenthalts einen sogenannten Geschwisterbaum, der auch nach der Genesung weiterhin besucht werden kann und soll.

Eine psychiatrische Klinik, ebenfalls in Spanien, initiierte das Healthy Roof-Projekt, das vorher ungenutzten Raum auf dem Flachdach der Klinik in eine grüne Oase verwandelte, die unter anderem durch therapeutisches Gärtnern und selbst gezogene Nahrungsmittel gesunde Gewohnheiten nicht nur bei den Patient*innen fördert. Nachdem eine erste Idee auf dem Tisch lag, kamen dann sofort die Bedenken, dass die notwendigen Schutzmaßnahmen viel zu teuer wären und labile Patienten womöglich vom Dach springen könnten. Es wurde jedoch berichtet, dass das Dach weiterhin nicht gesichert sei und es bis dato keine Zwischenfälle jedweder Art gegeben habe.

Der letzte Projektbericht kam wieder einmal aus Großbritannien. Die NGO Green Space for Health entwickelt Pläne zur Integration von Grünflächen in klinische Umgebungen. In drei Pilotkrankenhäusern des NHS arbeiten sogenannte Recovery Ranger, die die Umgebung der Kliniken mit Anpflanzungen und Pflege von Bäumen, Sträuchern, Blumen, Gemüse und Kräutern in eine heilsame Umgebung verwandeln, zum Teil auch mit tatkräftiger Unterstützung von Patient*innen.

Giftfreie und nachhaltige Gesundheitsversorgung

Medizinprodukte spielen eine entscheidende Rolle in der medizinischen Versorgung. Sie können jedoch gefährliche Substanzen enthalten, die während der Verwendung in den Patienten gelangen und die Patientensicherheit gefährden können. Genannt wurde zum Beispiel die Problematik von Phthalaten und Bisphenol-A in der Neugeborenenversorgung (besonders auch Frühgeborene) oder Dialyse in den PVC-Schläuchen. Wie ein Beispiel aus Norwegen zeigte, sind diese heute immer noch nicht verschwunden, da sie offensichtlich aus Kostengründen immer noch bestellt werden. Bei einer Befragung waren aber immerhin 84 % der angebotenen Produkte frei von Phthalaten. Jedoch enthalten immerhin 10 - 30 % der Medizinprodukte eine Vielzahl von nicht deklarierten und unbekannten toxischen Stoffen. Zertifizierungen wie der Nordische Schwan oder der Blaue Engel könnten hier bei der Beschaffung hilfreich sein und die unerwünschten Kontaminierungen proaktiv verhindern.

Mithilfe des Konzepts der Abfallhierarchie können Maßnahmen identifiziert werden, die für den Übergang zu einer nachhaltigeren Nutzung der Ressourcen priorisiert werden sollten, um sicherzustellen, dass Materialien so lange wie möglich verwendet werden, bevor sie entsorgt werden. Wie verschiedene Projekte zeigten, können Angehörige der Gesundheitsberufe in der Praxis mithilfe des Konzepts leichter die Arbeitsabläufe und -praktiken analysieren und Möglichkeiten identifizieren, den Einsatz von Einwegprodukten durch Mehrweglösungen zu reduzieren und durch ihren Einkauf Innovationen auf dem Markt zu fördern. In konkreten Beispielen ging es um die Möglichkeiten zur Wiederaufbereitung von Einweg-Medizinprodukten (z.B. Katheter und Herzschrittmacher) und neue Geschäftsmodelle wie die sogenannte Servitization (Kombination von Sachgütern und Dienstleitungen, z.B. Leasing-Modelle). Bevorzugt werden sollten Produkte, die durch Wiederverwendung und Reparatur lange in Gebrauch gehalten werden können.

Etwa 75 % der Emissionen des Gesundheitswesens stammen aus Lieferketten (Produktion, Transport, Verwendung und Entsorgung von Waren und Dienstleistungen). Die Umweltauswirkungen dieser Lieferketten lassen sich erheblich reduzieren, indem Lieferanten mit ins Boot genommen werden und Nachhaltigkeit und Klimaneutralität bei der Beschaffung eine höhere Bedeutung als den reinen Geldpreis bekommen.

Arzneimittel und Umwelt

Zwischen 30 - 90 % der oral verabreichten Arzneimittel werden als Wirkstoffe im Stuhl und Urin von Patienten ins Abwasser ausgeschieden. Da sie in erster Linie darauf ausgelegt sind, biologisch abbaubare Substanzen zu beseitigen, haben Kläranlagen nur eine geringe Effizienz gegenüber Arzneimitteln und deren Stoffwechselprodukten, sodass diese in die aquatische Umwelt und letztlich in den Wasserkreislauf gelangen können.(1) Insbesondere Antibiotika, Zytostatika, synthetische Hormone, entzündungshemmende Medikamente und Beruhigungsmittel können schädliche Wirkungen auf sensible aquatische Lebewesen haben. Dabei sind nicht nur verhaltensbezogene, physiologische und histologische Probleme bei den kontaminierten Lebewesen von Bedeutung, eine größere Gefahr für die öffentliche Gesundheit geht von der Entwicklung von Antibiotikaresistenzen aus. End of pipe-Lösungen sind also schwierig, aufwendig, teuer und niemals zu 100 % effektiv. Insbesondere niedergelassene Ärzte spielen eine Schlüsselrolle bei der Reduzierung der unnötigen Verwendung von Arzneimitteln. So wurde aus Großbritannien berichtet, dass 21 % der verschriebenen Arzneimittel gar nicht genutzt werden. Patientenaufklärung ist die eine Seite, Änderungen in den ärztlichen Beschaffungs- und Verschreibungspraktiken die andere Seite. Hier gibt es noch viel zu tun, obwohl es bereits viele gute Beispiele unter anderem aus Schweden gibt. Dort wird an einer Liste gearbeitet, die die Umweltbelastung von Arzneimittel mit einbezieht, wohingegen bei der Verschreibung meist nur der Preis zählt. Zwar hat auch die Europäische Arzneimittelagentur bereits 2006 einen Umweltaspekt bei der Zulassung von Arzneimitteln eingeführt, diesen aber nur als freiwillig gekennzeichnet, sodass nur bei einem geringen Teil der Arzneimittel ökologische Auswirkungen von den Antragstellern angeführt werden. Aus Schottland wird berichtet, wie dem Dilemma begegnet werden kann, dass Patient*innen einerseits eine Verschreibung erwarten oder sogar verlangen, während die Ärzt*innen eigentlich nichts verschreiben möchten. Hier kommen Begriffe wie grünes Rezept oder soziale Verschreibung ins Spiel. Gemeint ist die tatsächlich formale Verschreibung von Spaziergängen im Wald oder ähnliches, also nicht nur als Tipp für eine gesündere Lebensweise.

Auch die Pharmaindustrie selbst ist aufgrund ihrer Abhängigkeit von fossilen Grundstoffen an der Umweltverschmutzung mit Treibhausgasemissionen beteiligt. Arzneimittel tragen auch erheblich zum CO2-Fußabdruck des Gesundheitswesens bei. Im Jahr 2019 stellte NHS England fest, dass Pharmazeutika und Chemikalien 32 % der Emissionen in der Lieferkette ausmachten. Unter anderem werden jedes Jahr Unmengen unbenutzter Medikamente weggeworfen, allein für die Niederlande bedeutet das einen jährlichen Verlust von ca. 100 Mio Euro. Arzneimittelabfälle verursachen ja aber nicht nur unnötige Emissionen, sondern belasten bei unsachgemäßer Entsorgung die Umwelt oder können auf den Schwarzmarkt gelangen. Es bedeutet natürlich auch einen Verlust wertvoller Ressourcen und treibt die Gesundheitskosten nach oben. Zwei Beispiele aus den Niederlanden zeigten Möglichkeiten zur Abfallverringerung auf, indem eine konkret auf die zu behandelnde Person zugeschnittene Medikation propagiert wurde, wobei dann keine Reste mehr entstehen. Oder die Abgabe von ungenutzten und/oder kurz vor dem Ablaufdatum stehenden Medikamenten an andere Nutzer.

Arzneimitteleinsatz in der Lebensmittelproduktion

Gesundheitseinrichtungen in ganz Europa bieten Patienten, Personal und Besuchern täglich eine beträchtliche Anzahl von Mahlzeiten an. Sie verfügen daher über eine beträchtliche Kaufkraft, die sie nutzen können, um die Nachhaltigkeit in der Lebensmittelversorgungskette voranzutreiben und Umwelt- und Gesundheitsprobleme im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Arzneimitteln in der Lebensmittelproduktion anzugehen. Arzneimittel gelangen zu einem großen Teil auch durch tierische Ausscheidungen über Abflüsse aus landwirtschaftlichen Flächen und Ableitungen aus der Aquakultur in die Umwelt. 75 - 90 % der an Tiere verfütterten Antibiotika gelangen sogar unverstoffwechselt in die Kanalisation und in Gewässer, wodurch die Entwicklung von antimikrobiellen Resistenzen (AMR) gefördert wird. Eigentlich sollte der Gesundheitssektor auch bei der Ernährung mit gutem Beispiel vorangehen. Zum Beispiel könnte mehr pflanzliche Ernährung eingeführt und der Fleischanteil zurückgenommen werden. Dieser sollte zudem überwiegend aus der Bio-Landwirtschaft stammen, die strengere Vorschriften für die Verwendung von Arzneimitteln in der Lebensmittelproduktion erlassen hat.

Arzneimittelrückstände im Krankenhausabwasser

Der Gesundheitssektor hat einen Auftrag zur Heilung und dennoch sind Krankenhäuser bedeutende Hot Spots für spezielle pharmazeutische Rückstände, die in die Umwelt gelangen, Ökosysteme bedrohen sowie die Entwicklung von antimikrobiellen Resistenzen (AMR) vorantreiben können und damit eine ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen.(3) Da Arzneimittel so konzipiert sind, dass sie in niedrigen Dosen mit lebenden Systemen interagieren, sind selbst geringe Konzentrationen in der Umwelt ein Problem. Während gängige Arzneimittel häufig zu Hause konsumiert werden, ist der Gebrauch bestimmter spezialisierter pharmazeutischer Produkte wie Zytostatika, hochwirksame Antibiotika und Röntgenkontrastmittel hauptsächlich auf Krankenhäuser oder spezielle Arztpraxen beschränkt. Mittlerweile gibt es verschiedene Systeme, die die Abwässer derartiger Hot Spots mit speziellen Filtern reinigen können, bevor diese in die Vorfluter entlassen werden. Eine andere Methode wird aus den Niederlanden berichtet, dort wird das Abwasser mit Plasma desinfiziert. Aus Deutschland wurde von einem erfolgreichen Pilotprojekt im Rahmen des Runden Tisches Röntgenkontrastmittel (RKM) berichtet, wo die Patient*innen nach dem Röntgen einen Urinbeutel mitbekamen, der den ersten kontaminierten Urin auffängt. Dieser wird dann zu Hause in den Restmüll entsorgt und gelangt dann nicht mehr ins Abwasser. Theoretisch könnten auf diese Art bei einer bundesweiten Anwendung bis zu 6 t Kontrastmittel aus dem Abwasser ferngehalten werden und das bei moderaten Kosten.(2)(3)

Zukunft einer nachhaltigen Gesundheitsversorgung

Der Gründer und Präsident von HCWH, Gary Cohen, führte ein in die abschließende Plenarsitzung, die eine Reihe von Schlüsselthemen unter dem übergeordneten Thema Building Tomorrow's Healthcare nochmals aufgriff. Die beiden Impulsreferate beschäftigten sich mit Krankenhäusern. Fiona Daly (NHS) stellte den neuen NHS Net Zero Carbon Building Standard vor, der auf 40 neu zu bauende Krankenhäuser angewendet werden soll, um die Zielvorgabe für den CO2-neutralen Gesundheitsdienst in 2040 zu ermöglichen. Allerdings seien noch viele Probleme zu bewältigen, unter anderem müssten neben der CO2-Neutralität auch Aspekte wie Qualität, Nachhaltigkeit oder auch mögliche gesundheitliche Auswirkungen berücksichtigt werden. Da die Gesundheitsgebäude eine lange Lebensdauer über mehrere Jahrzehnte hätten, bildeten diese in der Tat die Basis für einen Net Zero NHS.

In eine ähnliche Richtung deutete der Ansatz von Daniel Eriksson (Nordic Centre for Sustainable Healthcare - NCSH, Schweden). Er stellte mit Grønnköpingkiδ das umweltfreundlichste Krankenhaus der Welt vor, das allerdings nur virtuell existiert. Dort werden alle bekannten Best-Practice-Lösungen präsentiert, die bereits in verschiedenen nordischen Krankenhäusern implementiert sind und so allen Interessierten zur Kenntnis gebracht werden.

Das wären wiederum lediglich zwei kleine Schritte, meinte Gary Cohen und erinnerte an den großen Fortschritt, der seit Gründung von HCWH im Jahre 1996 geschafft wurde. Das Beispiel des grünen Krankenhauses ließe sich auch auf andere Bereiche wie Medizinprodukte oder auch Arzneimittel übertragen. Cohen beklagte die auch während der Corona-Pandemie weiter fortdauernde globale Ungerechtigkeit bezüglich des Zugangs zum Gesundheitswesen. Er erinnerte an den Gründungsslogan von HCWH "first do no harm" und skizzierte ein gerechtes und nachhaltiges Gesundheitswesen als Modell für weitere Lebensbereiche, auch für diejenigen Bürger*innen, die vernachlässigt werden und deren Stimmen nicht zu hören sind.

Fazit

Eine faszinierende Veranstaltung! Beeindruckend, wie viele engagierte Mitarbeiter*innen jeglicher Hierarchieebenen hier ihre Projekte vorstellten - und das alles zu Coronazeiten! Unübersehbar die Leuchtturmprojekte aus Großbritannien und Skandinavien. Vom ehemaligen Klimaweltmeister Deutschland war im Übrigen fast nichts zu sehen, abgesehen vom Umweltbundesamt, das sich weltweit mit der Thematik Arzneimittel in der Umwelt beschäftigt und dafür ebenso globales Lob erhält. Wie ist es eigentlich möglich, dass der doch angeblich so heruntergewirtschaftete britische National Health Service (NHS) sich bis 2040 Klimaneutralität verschreiben kann? Und sich dann auch noch mit vielen konkreten innovativen Projekten auf den Weg zu diesem Ziel macht? Wann und wo wird in Deutschland ein klimaneutrales Krankenhaus gebaut? Hoffentlich gibt es im Anschluss an die nächste CleanMed Europe auch einmal Positives aus Deutschland zu berichten!


(*) Übersetzung der englischen Begriffe: Redaktion Schattenblick


Anmerkungen

(1) Ausführliche Informationen zur Problematik Arzneimittel und Umwelt auf nationaler und globaler Ebene finden sich auf der Webseite des Umweltbundesamtes unter
https://www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/arzneimittel

(2) Siehe auch Bericht von HCWH Europe (2021): Pharmaceutical residues in hospital wastewater, report, Brussels unter
https://noharm-europe.org/articles/news/europe/pharmaceutical-residues-hospital-wastewater

(3) Siehe auch Ergebnisbericht des Runden Tischs RKM (2021) unter
www.dialog-spurenstoffstrategie.de/spurenstoffe/aktuelles/meldungen/21-10-04-Runder-Tisch_RKM.php

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Quelle:
umwelt • medizin • gesellschaft, 35. Jahrgang, Heft 1/2022, S. 40-43
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 9. April 2022

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