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BILDUNG/1189: Interview zur neuen ärztlichen Weiterbildungsordnung für Schleswig-Holstein (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 1/2020

Weiterbildung
Auszeichnung statt Abfallprodukt

Gespräch von Dirk Schnack mit Dr. Henrik Herrmann und PD Dr. Doreen Richardt


Elektronisches Logbuch, Train-the-Trainer-Kurse, Inhalte vor Zeiten: Maßnahmen zur Stärkung der ärztlichen Weiterbildung sind umgesetzt.


Zur Jahresmitte tritt in Schleswig-Holstein eine neue Weiterbildungsordnung in Kraft. Hinter den neuen Regelungen steckt weit mehr als nur eine Anpassung - der Vorstand der Ärztekammer erhofft sich eine neue Weiterbildungskultur, die den Ärzten in der Weiterbildung zahlreiche Fortschritte bringt, die die Verantwortung der Weiterbildungsbefugten erhöht und die schlussendlich auch der Gesundheitsversorgung in Schleswig-Holstein dienen wird. Wie das gelingen kann, verrieten Kammerpräsident Dr. Henrik Herrmann und PD Dr. Doreen Richardt, Vorsitzende des Weiterbildungsausschusses der Ärztekammer, im Gespräch mit Dirk Schnack.


Die Kammerversammlung hat die neue Weiterbildungsordnung für Schleswig-Holstein verabschiedet, Mitte 2020 tritt sie in Kraft. Warum war die neue WBO erforderlich?

Dr. Henrik Herrmann: Die Weiterbildungsordnung soll den aktuellen Stand der Wissenschaft abbilden. Unsere jetzige WBO stammt aus dem Jahr 2003. Seitdem hat sich in der Medizin vieles verändert. Einiges davon konnte in Anpassungen berücksichtigt werden, aber nicht alles. Deshalb sind wir froh, dass die Bundesärztekammer eine neue Muster-Weiterbildungsordnung vorgelegt hat, die wir mit regionalen Anpassungen jetzt in eine Weiterbildungsordnung für Schleswig-Holstein umsetzen können, die echte Neuerungen wie die Kompetenzbasierung enthält.

PD Dr. Doreen Richardt: Das kann man am besten am Beispiel der Richtzahlen verdeutlichen: Bislang haben wir diese Zahlen in der Weiterbildungsordnung. Sie sind zu erfüllen, egal, ob jemand die Methode beherrscht oder nicht. Jeder Mensch lernt aber anders. Wer nur wenig Übung braucht, um etwas zu beherrschen, kommt mit einer geringen Zahl aus. Langfristig soll es gar keine Richtzahlen mehr geben. Notwendig war die neue WBO auch wegen des rasanten technischen Fortschritts. In die neue WBO fließen zum Beispiel neue OP-Methoden ein. Im Gegenzug müssen nicht mehr praktizierte Untersuchungen und Operationen nicht mehr nachgewiesen werden.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Änderungen?

Herrmann: Weil die Inhalte der Gebiete heute deutlich umfangreicher als früher sind, haben wir unerlässliche Kernkompetenzen für die einzelnen Gebiete definiert. Diese werden zunächst in der Theorie, dann unter Anleitung und schließlich in selbstständiger Praxis erlernt und müssen zwingend beherrscht werden.

Richardt: Dieses Basiswissen aus der Weiterbildung sollte künftig sofort nach der Prüfung umsetzbar sein. Darauf sollen sich dann auch alle verlassen können. Früher brauchte man manchmal noch Jahre, um sich freizuschwimmen, das ist dank der neuen WBO vorbei.

Wie profitieren die Ärzte in der Weiterbildung davon konkret?

Herrmann: Sie erhalten transparent deutlich mehr Kompetenzen und können diese nach der Facharztprüfung auch umsetzen. Dafür muss ihnen in der Weiterbildung auch die Zeit eingeräumt werden. Das hat nicht nur appellativen Charakter, sondern wird durch die Weiterbildungsordnung zwingend erforderlich. Sie macht deutlich, dass Weiterbildung kein Abfallprodukt der ärztlichen Alltagsroutine, sondern genau das Gegenteil ist: das Fundament unserer ärztlichen Tätigkeit. Daneben wird die Weiterbildung insgesamt flexibler.

Richardt: Die Ärzte in Weiterbildung profitieren ganz konkret vom vorgeschriebenen elektronischen Logbuch. Es macht transparent, was in der Weiterbildung geschieht. Es zeigt übersichtlich, wo man steht, welche Schritte schon erfolgt sind. Fehler in der Dokumentation, wie sie früher möglich waren, werden damit vermieden. Auch bei einem Wechsel in ein anderes Bundesland bietet diese Übersicht Vorteile.

Worauf müssen sich die Weiterbildungsbefugten einstellen?

Herrmann: Sie bekommen höhere Verantwortung und stehen ihren Ärzten in Weiterbildung gegenüber in Verpflichtung. Wenn man als Arzt von der Kammer zur Weiterbildung befugt wird, ist das eine Auszeichnung. Dieses Gefühl ist uns in Deutschland ein Stück weit verloren gegangen. Ich hoffe, dass die neue Weiterbildungsordnung dazu beiträgt, diesen Gedanken zu befördern. Die Weiterbildungsbefugten werden künftig verpflichtende Train-the-Trainer-Kurse besuchen.

Richardt: Die Weiterbildungsbefugten dürfen nur dokumentieren, was wirklich geleistet wurde und was beherrscht wird. Das wird mit dem elektronischen Logbuch transparenter. Der Weiterbildungsbefugte muss sich also mit dem elektronischen Logbuch auseinandersetzen. Was er bescheinigt, muss der Facharzt beherrschen - darauf werden sich die Arbeitgeber dann auch berufen.

Wird die Ärztekammer kontrollieren, was in der Weiterbildung geschieht?

Herrmann: Nein, das ist nicht primär unsere Rolle. Wir gehen davon aus, dass die Ärzte eigenverantwortlich handeln und dass die Weiterbildungsordnung vor Ort umgesetzt wird.

Richardt: Die Kontrolle erfolgt über die Anmeldung zur Prüfung bzw. die Prüfung selbst. Dort zeigt sich, was der angehende Facharzt beherrscht. In der Zeit bis zur Prüfung leistet die Kammer auf Wunsch Supervision. Wenn uns Probleme gemeldet werden, werden wir auch korrigierend einschreiten.

Herrmann: Wer als Arzt in Weiterbildung von uns enger begleitet werden möchte, kann sein elektronisches Logbuch für uns freischalten. Damit haben wir kontinuierlich Einsicht und können begleitend tätig werden, wenn uns etwas auffällt Wenn es Jahre lang keine Einträge gibt, läuft etwas schief und wir können das hinterfragen.

Wird Schleswig-Holstein durch die neue WBO attraktiver für Ärzte in der Weiterbildung?

Herrmann: Die neue Muster-Weiterbildungsordnung wird nach und nach in allen Landesärztekammerbereichen umgesetzt und die Abweichungen werden hoffentlich marginal sein. Entscheidend wird sein, wie wir die neue Weiterbildungskultur leben. Das hängt entscheidend von den Weiterbildungsbefugten und den Weiterbildungsstätten ab. Wenn es uns gelingt, die Stärken der neuen WBO zu leben, wird Schleswig-Holstein für Ärzte in Weiterbildung attraktiver sein. Dann hätten wir einen echten Standortvorteil. Wenn wir das versäumen, haben wir einen Nachteil und die Arbeitgeber im Kampf um Fachkräfte das Nachsehen.

Richardt: Junge Ärzte stehen in einem regen Austausch über die Arbeitsbedingungen. Wenn ihnen die Weiterbildung an einer Einrichtung nicht gefällt, spricht sich das ganz schnell herum. Die Arbeitgeber sollten Weiterbildung als lohnenden Wettbewerb begreifen. Die neue Weiterbildungsordnung gibt jeder Einrichtung die Chance, sich in diesem Bereich gut aufzustellen.

Um die neue WBO vorzustellen, wird die Ärztekammer mit ihrer Weiterbildungsabteilung vor Ort informieren. Was erhoffen Sie sich davon?

Herrmann: Wir wollen Präsenz vor Ort zeigen, für unsere Mitglieder sichtbar sein. Dafür ist die neue WBO besser geeignet als jedes andere Thema. Weiterbildung ist unsere Kernkompetenz schlechthin, unser wichtigstes Arbeitsfeld. Deshalb arbeiten wir derzeit an einem Fahrplan, wann wir ab Sommer wo im Land informieren können.

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6000 Anfragen rund um das Thema Weiterbildung erreichen die Ärztekammer Schleswig-Holstein pro Jahr. Die überwiegende Zahl - mehr als 4000 - werden per E-Mail gestellt. Viele vertiefende persönliche Gespräche finden aber auch vor Ort mit den Mitarbeiterinnen der Weiterbildungsabteilung in der Kammer in Bad Segeberg statt. Neben diesen Beratungen soll es in diesem Jahr auch Informationen für die Mitglieder in ihren Krankenhäusern und in großen ambulanten Weiterbildungseinrichtungen geben. Der Fahrplan dafür wird derzeit erstellt. Starten sollen die Informationsgespräche vor Ort im Sommer 2020.
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Richardt: Neben dem rein praktischen Aspekt, dass sich unsere Ärzte vor Ort von uns informieren lassen können, ist das auch ein Symbol: Wir gehen im wahrsten Sinne des Wortes auf sie zu. Dafür ist Weiterbildung wegen des hohen Beratungsbedarfs genau richtig. Jedes Jahr kommen Ärzte mit rund 6000 Anliegen rund um die Weiterbildung auf uns zu. Das sind überwiegend elektronische und schriftliche Anfragen, aber auch 280 persönliche Beratungen. Das alles wird es auch künftig geben und wird durch die aufsuchenden Gespräche ergänzt. Hinzu kommt eine Serie im Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt, mit der wir auf einzelne Aspekte der neuen Weiterbildungsordnung vertiefend eingehen wollen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Fragen?

Welche Fragen haben Sie zur neuen Weiterbildungsordnung? Ob als Arzt in Weiterbildung, als Weiterbildungsbefugter oder als interessierter Arzt: Schicken Sie uns Ihre Frage(n) per E-Mail. Die Weiterbildungsabteilung der Ärztekammer Schleswig-Holstein beantwortet die Frage(n) so schnell wie möglich und sammelt sie außerdem anonymisiert. Die wichtigsten Fragen und Antworten sollen als FAQ's veröffentlicht werden und helfen damit allen mit der Weiterbildung befassten Ärzten im Land. Richten Sie Ihre Frage(n) bitte an: Neue WBO-Fragen@aeksh.de
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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 1/2020 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2020/202001/h20014a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
73. Jahrgang, Januar 2020, Seite 8 - 9
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
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www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2020

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