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ERNÄHRUNG/1108: Nahrungsergänzung - Im Reich der Wünsche (welt der frau)


welt der frau 5/2011 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Nahrungsergänzung
Im Reich der Wünsche

Von Susanna Sklenar


Angeblich ist es ganz einfach: Ein paar Tabletten oder Kapseln täglich und man bleibt gesund und fit, geistig rege und attraktiv - bis ins hohe Alter. Nahrungsergänzung liegt im Trend und füllt ganze Wandregale in Supermärkten, Apotheken und Drogerien. Doch sie hält nur selten ihre großen Versprechen. Wann die "Extra-Pillen" Sinn machen, und wann nicht.


Zwei Vitamin-ACE-Pillen als Krebsvorsorge vor dem Frühstück, eine Kalzium-Brausetablette zum Mittagessen, um die Knochen zu stärken, eine Omega-3-Fettsäuren-Kapsel zwecks Herzgesundheit am Nachmittag und ein paar Propolistropfen als Immunabwehr-Booster vor dem Schlafengehen - fertig ist das Alltagsrezept für ein gesundes Leben. Das zumindest behaupten etliche Hersteller der Nahrungsergänzungsmittel und bekräftigen auf bunten Verpackungen die zuverlässigen Wirkungen und Vorteile ihrer Präparate. Wer mag, kann daher täglich auch noch Kieselerde für schöne Haare, Haut und Nägel nachlegen oder sich Guarana Kapseln als ultimativen Energie-Kick gönnen. Auch Wechselbeschwerden dürfte frau heute angesichts der vielen "natürlichen Helferlein" gar nicht mehr kennen. Versprechen, die gerade in einer schnelllebigen Gesellschaft punkten und so zielgenau den Nerv der Zeit treffen. Denn für viele scheint der tägliche Griff zur Pillenpackung leichter als fünf Handvoll Obst oder Gemüse am Tag zu essen bzw. auf abwechslungsreiche, gesunde Kost zu achten. Damit nämlich ist der normale Nährstoffbedarf eines gesunden Menschen durchaus gedeckt, sagt Mag. Markus Zsivkovits, Ernährungswissenschafter und Gutachter für Nahrungsergänzungsmittel in der AGES (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit). Das bestätigt auch Mag.a Nina Zellhofer, Ernährungswissenschafterin und Projektleiterin für Lebensmittel im VKI (Verein für Konsumenteninformation): "Die Versorgung mit Vitaminen und Antioxidantien, also Wirkstoffen, die die Zellen schützen, ist reichlich durch eine ausgewogene Ernährung vorhanden." In vielen Fällen sei es nur die Beruhigung des schlechten Gewissens, nach einem langen Arbeitstag ohne ausgewogene Ernährung zur Vitamindosis aus der Schachtel zu greifen. Mag.a Zellhofer: "In unseren Breiten kommt es kaum zu Vitaminunterversorgung." Allerdings könne eine falsche Ernährung dazu führen. Dann nämlich, wenn man zu viele tierische Fette und übermäßig Zucker zu sich nimmt. "Die Zufuhr von Vitaminen in Form von Nahrungsergänzung ändert aber nichts am Grundproblem der falschen Ernährung", so Mag. Zsivkovits. "Mit der Vitamintablette nach der Leberkässemmel zu Mittag wird man jedenfalls nicht gesünder."


Sinnvoll ergänzen

Problematisch kann die Vitaminversorgung lediglich für einzelne Personengruppen sein: "In einigen Studien wurden Versorgungslücken bei Vitamin D, Folsäure, eventuell Vitamin A und Jod festgestellt", so die Ernährungswissenschafterin Mag.a Zellhofer.

In solchen Fällen - bei älteren Personen (Vitamin D), Frauen mit Kinderwunsch bzw. Schwangeren (Folsäure) oder Kranken - könne eine Nahrungsergänzung durchaus Sinn machen. Doch auch eine Überdosierung sei problematisch. Mag.a Zellhofer: "Menschen, die generell in einem schlechten Ernährungszustand sind, können bei zu hohen Vitamin-C-Gaben (Ascorbinsäure) Magenprobleme bekommen."

Fälle, in denen tatsächlich latenter Vitamin- bzw. Mineralstoffmangel vorliegt, sodass dieser durch gezielte Nährstoffgaben ausgeglichen werden muss, seien eher selten. Mag. Zsivkovits: "Ein solches Defizit - etwa in der Schwangerschaft oder bei manchen Lebensmittelunverträglichkeiten - sollte vom Arzt mittels Bluttest diagnostiziert oder vom Ernährungswissenschafter bzw. Diätologen über ein genaues Ernährungsprotokoll festgestellt werden." Danach sei eine detaillierte Beratung empfehlenswert, wie der Mangel über Nahrungsmittel behoben werden kann. Erst wenn das zu schwierig ist oder nicht gelingt, ist die Verordnung entsprechender Nahrungsergänzungsmittel ratsam. Mag. Zsivkovits: "Dennoch wird man allein durch die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln weder schöner noch gesünder oder schlanker. Der kommerzielle Erfolg dieser Präparate besteht vor allem darin, dass sie im Bereich der 'unerfüllbaren Wünsche' angeboten werden. Und wir Menschen neigen dazu, diese Dinge zu glauben bzw. die realistische Kehrseite zu verdrängen."


Fragliche Anwendungen

In einer Studie von Ass.-Prof.in Dr.in Petra Rust und Rebecca Kandut vom Institut für Ernährungswissenschaften Wien hat sich gezeigt, dass mehr als die Hälfte der getesteten Nahrungsergänzungsmittel Vitamin E enthalten. Die Vitamine C und B2 sind bei jeweils einem Viertel der in der "Marktanalyse" bewerteten Produkte zugesetzt. Ein Fünftel der untersuchten Präparate enthält die Vitamine B1 und B6, 17 Prozent enthalten Vitamin B12 und Biotin. Die laut Österreichischem Ernährungsbericht als "kritische Nährstoffe" angesehenen Vitamine Folsäure und Vitamin D wurden den bewerteten Nahrungsergänzungsmitteln nur zu sieben Prozent beziehungsweise drei Prozent zugesetzt. "Das heißt, die Ergänzung mit Vitaminen geht am Bedarf des durchschnittlichen Österreichers vorbei", so die Schlussfolgerung.

Ein Beispiel für eine problematische Überversorgung wiederum lieferte einst die sogenannte CARET-Studie (sie musste abgebrochen werden). Sie brachte bei Rauchern, die Beta-Carotin-Zusätze (Provitamin A) eingenommen hatten, eine höhere Sterblichkeitsrate zutage. In klinischen Studien war das Risiko für das Auftreten von Lungenkrebserkrankungen bei Rauchern erhöht, wenn zusätzlich zur normalen Ernährung täglich 20 mg Beta-Carotin über einen längeren Zeitraum (bis 24 Monate) eingenommen wurden. Der normale Bedarf an Beta-Carotin lässt sich spielend mit der täglichen Nahrung zuführen. Als Faustregel gilt: Alle orangefarbigen und roten Gemüse- und Obstsorten - also Marille, Honigmelone oder Karotte - sind ausgezeichnete Beta-Carotin-Lieferanten. Zusätzlich wird Beta-Carotin industriell zugeliefert, nämlich als Farbstoff, der in vielen Lebensmitteln enthalten ist.


Prebiotische Zusätze

Auch Ballaststoffe sind ein wichtiger Bestandteil der Nahrung. Sie können "nachgebaut" werden, wenn man zu wenig davon aufnimmt. Man bezeichnet sie als Prebiotika - unverdauliche Lebensmittelbestandteile, die die Aktivität von bestimmten Bakterienstämmen im Darm fördern und so eine positive Wirkung haben. Inulin und Oligofruktose sind Prebiotika, die zur Gruppe der Fruktane zählen und im Pflanzenreich weit verbreitet sind. Sie kommen zum Beispiel in Wurzeln, Knollen oder Zwiebeln von Zichorie, Knoblauch, Topinambur, Lauch, Spargel, Gemüsezwiebeln oder in Bananen vor. Industriell gewonnen werden sie aus Pflanzen wie Zichorie oder Sojabohne, sie können aber auch synthetisch aus Saccharose (Haushaltszucker) hergestellt werden. Prebiotische Zusätze finden sich vor allem in Milchprodukten, aber auch in Müsli, Fruchtsäften und in Wurstwaren. Als natürliche Ingredienzien kommen sie in Pflanzen vor - man müsste sie gar nicht extra zuführen, sofern man sich ausgewogen ernährt.

Auch hier gibt die Dosis den Ausschlag: Denn bei gesunder Ernährung und einer zusätzlichen Aufnahme von prebiotischen Stoffen kann es zur Verdoppelung oder gar Verdreifachung der Oligofruktane kommen. Mögliche unerwünschte Folgen: Durchfälle oder Darmkrämpfe.

Zusammenfassend gilt: "Nahrungsergänzungsmittel sind Lebensmittel und keine Arzneimittel", so AGES-Fachmann Mag. Zsivkovits. "Die Präparate sind kein Ersatz für eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung. Für die gesunde Durchschnittsbevölkerung ist der Verzehr von Nahrungsergänzungsmitteln aus ernährungswissenschaftlicher Sicht nicht notwendig."

Lediglich in bestimmten Lebensphasen (zum Beispiel Frauen mit Kinderwunsch, Schwangere, HochleistungssportlerInnen) kann eine vorübergehende Einnahme sinnvoll sein. Kranke Menschen sollten diese aber immer mit der Ärztin/dem Arzt oder der/dem ApothekerIn absprechen.


FALLWEISE HILFREICH

In manchen Fällen können Nahrungsergänzungsmittel - gezielt und nach Absprache mit einer/einem MedizinerIn oder ErnährungswissenschafterIn eingesetzt - hilfreich sein.

Folsäure - für die Bildung roter Blutkörperchen. Erhöhten Folsäurebedarf haben etwa Frauen in der Frühschwangerschaft. Auch bei Kinderwunsch kann die Ärztin/der Arzt zusätzliche Präparate verordnen, damit dann zu Beginn einer Schwangerschaft ausreichend Folsäure vorhanden ist.
Eisen - für die Sauerstoffverwertung. Eisenmangel (z. B. bei Anämie oder in der Schwangerschaft) kann im Blut nachgewiesen werden und bei Bedarf durch ärztlich verordnete Tabletten behoben werden.
Omega-3-Fettsäuren - für Herz und Gefäße. Sie schützen die Zellen, können aber vom Organismus nur teilweise selbst hergestellt werden. Sinnvoll ist es daher, sie durch Seefische (z. B. Makrele, Lachs), Nüsse, Raps-, Soja- oder Leinöl zuzuführen. Im Handel gibt es hier neben Nahrungsergänzungsmitteln auch mit Omega-3-Fettsäuren angereicherte Produkte. Viele enthalten aber zu geringe Mengen, manche davon sind zudem zu fett.
Kalzium - für Knochen und Zähne. Auch der Bedarf an Kalzium kann im Zuge einer gut balancierten Ernährung gedeckt werden. Menschen, die Milchprodukte nicht vertragen (Laktoseintoleranz), können dies mit anderen Nahrungsmitteln kompensieren, beispielsweise mit dunkelgrünen Gemüsesorten oder Orangensaft, der mit Kalzium angereichert ist. In jedem Fall sollte die Ärztin/der Arzt informiert werden.


LASSEN SIE SICH NICHT BLENDEN!

Aufgrund der Ergebnisse ihrer aktuellen Tests fordert die Arbeiterkammer (AK) vom Gesundheitsministerium mehr Kontrollen bei den Werbeaussagen und der Kennzeichnung von Nahrungsergänzungen. Auch seien für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungen sichere Obergrenzen nötig. Hier einige Tipps für den Gebrauch:

- Anamnese. Wenn Sie glauben, Ihre Nahrung ergänzen zu müssen, ist es sinnvoll, zur Ernährungsanamnese eine Fachkraft (Arzt/Ärztin, ErnährungswissenschafterIn, DiätologIn) aufzusuchen, die feststellen kann, welche Ergänzungen individuell Sinn machen.
- Nachweis. Lassen Sie sich nicht von der Werbung blenden. Die meisten Aussagen sind nicht wissenschaftlich belegt. Ein nachweisbarer Effekt von Nahrungsergänzungen zur Vorbeugung gegen Krankheiten konnte bisher nicht gezeigt werden. Für Obst und Gemüse im natürlichen Verbund ist dieser Beweis allerdings erbracht.
- Gezielt. Viele verschiedene Nährstoffe in einem Präparat sind nicht sinnvoll. Sie sollten nur einen konkreten kritischen Mangel ergänzen.
- Kennzeichnung. Achten Sie auf die Kennzeichnung: Produkte, die keinen Bezug zur Tagesempfehlung herstellen, sollten Sie aus Sicherheitsgründen meiden, da Hochdosierungen nicht auszuschließen sind.
- Gegenspieler. Vorsicht auch bei Mischpräparaten oder hoch dosierten Monopräparaten! So sind beispielsweise Eisen und Zink "Gegenspieler", die einander bei der Aufnahme blockieren.
- Preis. Der Preis eines Produktes ist kein Qualitätshinweis.


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Mai 2011, Seite 50-52
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2011