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ETHIK/1188: Länderübergreifendes Treffen zum Thema Kultur des Sterbens (Infobrief - Deutscher Ethikrat)


Infobrief des Deutschen Ethikrates Nr. 17 - Juli 2015 - 02/15

Ethikräte Deutschlands, Österreichs und der Schweiz diskutierten über die Kultur des Sterbens

von Christian Hinke


Vertreter des Deutschen Ethikrates, der österreichischen Bioethikkommission und der schweizerischen Nationalen Ethikkommission der Humanmedizin sind am 17. April 2015 in Bern zu ihrem dritten Treffen zusammengekommen. Den thematischen Schwerpunkt der Veranstaltung bildeten die Themen Kultur des Sterbens, die Voraussetzungen für ein Sterben in Würde sowie ethische, rechtliche und medizinische Fragestellungen zur Sterbehilfe.


Durch den liberaleren Umgang mit dem Thema Suizidbeihilfe habe sich in der Schweiz das Interesse von der Beihilfe zum Suizid weg zu einem Nachdenken über eine Kultur das Sterbens bewegt, so Otfried Höffe, Vorsitzender der schweizerischen Nationalen Ethikkommission, in seiner Begrüßungsansprache. Mit dem diesjährigen Treffen zum Thema Kultur des Sterbens wolle man dieser Entwicklung Rechnung tragen und eine gemeinsame Diskussion zum Thema anstoßen. Die Beiträge der Veranstaltung deckten daher neben den aktuellen Debatten zum Thema Sterbehilfe in diesen drei Ländern auch die Fragen nach einer Kultur des Sterbens sowie den gesellschaftlichen Voraussetzungen für ein Sterben in Würde ab.

Selbstbestimmung und Autonomie am Lebensende

Fragen der Selbstbestimmung und Autonomie im Zusammenhang mit Entscheidungen am Lebensende prägten den Vormittag der Veranstaltung. Carl Friedrich Gethmann vom Deutschen Ethikrat betrachtete die Themenfelder Handlungsurheberschaft und Selbstbestimmung im Kontext der Selbsttötung. Dabei ging er zunächst auf die begrifflichen Grundlagen und die darauf beruhenden ethischen Beurteilungen ein. Anschließend untersuchte er das Problem der Selbsttäuschung hinsichtlich der Selbstbestimmung, die Konflikte in Bezug auf die Ausübung der Selbstbestimmung und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für das ärztliche Handeln.

Im Anschluss forderte Michael Wunder, ebenfalls Mitglied des Deutschen Ethikrates, in seinem Vortrag eine Ars moriendi nova als Antwort auf die gesellschaftliche Verdrängung von Tod und Sterben und auf die Verbannung des Themas aus der Medizin. Dabei widmete er sich ebenfalls dem Thema Selbstbestimmung und untersuchte die Abstufungen selbstbestimmter Entscheidungen in der Sterbebegleitung. Er plädierte für eine bessere Einbeziehung der Patienten in die Entscheidungen zur Therapiebegrenzung sowie für den Einschluss psychosozialer und spiritueller Dimensionen in die Hospiz- und Palliativversorgung.

Markus Zimmermann, Mitglied der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin der Schweiz, präsentierte Entwicklungen und Narrative, welche die gesellschaftlichen Diskurse zum Thema Lebensende prägen. In diesem Zusammenhang fragte er auch nach Modellen und Leitbildern, die zur positiven Orientierung am Lebensende beitragen können und es den Menschen erlauben, ihre eigenen Vorstellungen von einem sogenannten "guten Sterben" entwerfen zu können. Der Prozess des "guten Sterbens" gestaltete sich seiner Meinung nach als ein vom Sterbenden kontrollierter, bewusster und aktiver Akt, bei dem der Sterbende möglichst bis zuletzt eine hohe Lebensqualität genießt. Dabei unterstrich er die Bedeutung, die Situationen von Lebensüberdruss im Alter, Aspekte der passiven Seite von Autonomie sowie von spiritueller Autonomie und die Idee des Leidens als Teil der Conditio humana auf die Vorstellungen vom Sterben haben können. Dies gelte es in Diskussionen über eine Kultur des Sterbens zu berücksichtigen.

Andreas Valentin von der österreichischen Bioethikkommission analysierte die Kultur des Sterbens im Kontext medizinischer Entscheidungen. Er legte zunächst ethische und rechtliche Rahmenbedingungen für den Entscheidungsprozess dar und ging anschließend auf Fragen der Indikationsstellung, den Begriff "Lebensende" und Zielvorstellungen zum Sterben in Würde ein. In seinem Vortrag gelangte Valentin zu dem Schluss, dass nicht alles, was medizinisch machbar sei, auch einen individuellen Nutzen für den Patienten habe. Einen irreversibel eingetretenen Sterbeprozess zu verlängern, sei seiner Meinung nach nicht zu rechtfertigen. Er plädierte in diesem Zusammenhang für eine deutliche Abgrenzung gegen das Thema Sterbehilfe und für die Verwendung einer klaren und sorgfältigen Sprache im Umgang mit Patienten und Angehörigen.

Gemeinsame Diskussion mit Schweizer Parlamentariern

Am Nachmittag kamen die Teilnehmer der Tagung mit Schweizer Abgeordneten im Bundeshaus, dem Schweizer Parlamentsgebäude, zusammen. In seinem Beitrag zur Kultur des Lebens und der Kultur des Sterbens präsentierte Otfried Höffe zunächst fünf Strategien, um leben zu lernen, und stellte diesen anschließend vier Grundarten des Sterbens gegenüber. Er betonte, dass für eine Kultur des Sterbens eine Kultur des Abschiednehmens unverzichtbar sei. Dabei gelte es, den Käfig der Sterbebürokratisierung zu verlassen. Anschließend arbeitete er fünf Dimensionen einer Kultur des Sterbens heraus, die rechtliche, medizinische, emotionale, soziale und spirituelle Aspekte umfassen.

Christiane Woopen, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, präsentierte die aktuelle Debatte zur Sterbehilfe in Deutschland. Dabei ging sie auf die politischen Vorstöße zur Regulierung der sogenannten organisierten Beihilfe zur Selbsttötung sowie der ärztlichen Suizidassistenz ein und präsentierte die Eckpunkte der Empfehlung des Deutschen Ethikrates "Zur Regelung der Suizidbeihilfe in einer offenen Gesellschaft" vom Dezember 2014. Ihrer Meinung nach leiste die geplante Stärkung der Palliativmedizin und Förderung der gesellschaftlichen Diskussion einen Beitrag zur Gestaltung einer Kultur des Sterbens. Gleichzeitig kritisierte sie die Verengung der Debatte auf das Thema Selbstbestimmung und die Rolle von Sterbehilfevereinen sowie eine unzureichende Differenzierung unterschiedlicher Situationen am Lebensende.

Zum Thema Sterben in Würde präsentierte Christiane Druml, die Vorsitzende der österreichischen Bioethikkommission, die aktuelle Stellungnahme "Sterben in Würde: Empfehlungen zur Begleitung und Betreuung von Menschen am Lebensende und damit verbundenen Fragestellungen", die im Februar 2015 von der österreichischen Bioethikkommission veröffentlicht worden war. Druml konstatierte, dass der Tod immer weniger ein natürliches Ereignis, sondern vielmehr ein medizinisch-technisch gestalteter Prozess sei. Dabei betonte sie die Gratwanderung zwischen Lebensverlängerung und Sterbensverlängerung besonders vor dem Hintergrund unverhältnismäßiger medizinischer Interventionen am Lebensende. Abschließend untersuchte sie rechtliche und ethische Handlungsoptionen für ein Sterben in Würde.

In den anschließenden Kurzplädoyers der Parlamentarier sprach sich Ständerat Felix Gutzwiller (FDP), Mitglied der schweizerischen Parlamentarischen Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) und für Soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK), für eine Stärkung der Palliativmedizin aus, betonte aber auch die Gefahren einer Überregulierung. Um eine Kultur des Sterbens zu entwickeln, müsse zunächst ein entsprechender Kulturprozess angestoßen werden, so Nationalrätin Maya Ingold (EVP), Mitglied der SGK. Guy Parmelin (SVP), Präsident der SGK, unterstrich das hohe Reflexions- und Konfliktpotenzial in der Diskussion zum Thema Sterben und Lebensende, das im Fall der Abstimmung zur Sterbehilfe in der Schweiz dazu geführt habe, dass sich die Abgeordneten im Schweizer Parlament auch über Fraktionsgrenzen hinweg zusammenschlossen.

In der anschließenden Diskussion standen Fragen der Autonomie und Selbstbestimmung vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Ökonomisierung im Blickpunkt. Außerdem wurde darüber diskutiert, was Menschen dazu bewegen mag, Angebote von Sterbehilfeorganisationen nachzufragen. Nicht immer sei dies Ausdruck von Autonomie, sondern auch von Angst vor einem ungewissen Lebensende. Der Wunsch nach Absicherung und Kontrolle könne ein leitendes Motiv dabei sein. Einig war man sich in der Einschätzung, dass die gesellschaftliche Debatte in den drei Ländern unterschiedliche Antworten auf die gleichen Fragen ergeben habe. Deshalb müsse die Diskussion über eine Kultur des Sterbens offen und ehrlich geführt werden und die verschiedenen gesellschaftlichen Perspektiven berücksichtigen.

Nächstes Treffen

Gastgeber für das nächste Treffen 2016 wird die österreichische Bioethikkommission sein.

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Quelle:
Infobrief Nr. 17 - Juli 2015 - 02/15, Seite 10 - 11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2015

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