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ETHIK/1226: Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Demenzkranken? (Alzheimer Info)


Alzheimer Info, Ausgabe 3/16
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz

Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Demenzkranken?

von Bärbel Schönhof


Die 4. Novelle zum Arzneimittelgesetz (AMG), die in diesem Jahr verabschiedet werden und in Kraft treten soll, birgt für Menschen mit Demenz einen brisanten und bedenkenswerten Inhalt. So behielt der erste Entwurf dieser Gesetzesänderung zwar das generelle Verbot der fremdnützigen Forschung an Nicht-Einwilligungsfähigen bei. Jedoch findet sich in § 40b Absatz 4 AMG eine Ausnahmeregelung, nach der zum Beispiel Arzneimitteltests an Menschen mit Demenz auch dann möglich sein sollen, wenn diese Tests den Probanden keinen unmittelbaren Nutzen bringen würden. Hierbei handelt es sich um so genannte gruppennützige Forschung.

Bislang ist in Deutschland die klinische Forschung an Menschen, die aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung nicht selbst einwilligungsfähig sind, wie etwa Menschen mit Demenz, gem. §§ 40, 41 AMG nur dann erlaubt, wenn die Betroffenen selbst unmittelbaren Nutzen davon haben. Das wäre im Falle einer Demenz dann der Fall, wenn ein neues erfolgversprechendes Medikament zur Linderung oder Heilung einer Demenzerkrankung getestet wird.

Die Bundesregierung beabsichtigte mit der Änderung dieser Vorschriften, auch so genannte gruppennützige Forschung zuzulassen. In diesem Falle würde die klinische Prüfung dem Probanden selbst nicht zugutekommen, sondern nur Patienten, die künftig unter der entsprechenden Krankheit leiden. Voraussetzung hierfür sollte sein, dass die Betroffenen zuvor, im Zustand der Einwilligungsfähigkeit, in einer Patientenverfügung die Erlaubnis zu einer solchen gruppennützigen Forschung erteilt haben. Liegt eine solche Patientenverfügung vor, dann soll ein rechtlicher Betreuer nach entsprechender Aufklärung über Sinn und Risiken der gruppennützigen Forschung stellvertretend die Einwilligung erteilen können.

Eine Patientenverfügung ist ein wichtiges Instrument, um Aussagen für ärztliche Behandlungen in der Zukunft zu treffen, also für einen Zeitpunkt, zu dem Patienten krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage sein werden, Bestimmungen für die eigene Behandlung und Versorgung treffen zu können. Bislang war die Teilnahme an Forschungsvorhaben nicht Teil einer Patientenverfügung. Generell werden sicher einige Menschen ein Interesse an der Unterstützung von klinischer Forschung haben, schon allein, um ggf. die eigenen Nachkommen vor einer vererblichen Krankheit zu schützen. Jedoch stellt sich beim Verfassen einer Patientenverfügung die Frage, ob jemand genügend Informationen über ein künftiges Forschungsprojekt hat, um über die Teilnahme entscheiden zu können. Berücksichtigt werden muss hier ebenfalls, dass rechtliche Betreuer gesetzlich verpflichtet sind, die Angelegenheiten der Betreuten so zu besorgen, dass sie deren Wohl entsprechen (§ 1901 Abs. 2 BGB). Bei einer lediglich gruppennützigen und somit fremdnützigen klinischen Forschung ist von vornherein absehbar, dass das Medikament, welches an dem Probanden getestet wird, den Betreuten nicht zugutekommt, also eine Entscheidung für die Teilnahme an einer solchen Forschung nicht ohne Weiteres dem Wohl des Betreuten entspricht.

Auch besteht die Gefahr, dass die Betroffenen trotz eindeutiger Patientenverfügung ihre Entscheidung noch ändern möchten, jedoch ggf. in der Praxis durch den rechtlichen Betreuer an der Patientenverfügung festgehalten wird. Nicht von der Hand zu weisen ist auch die Befürchtung, dass die Patientenverfügung als wichtiges Instrument der Selbstbestimmung in Misskredit kommen könnte, falls es der Rekrutierung von Probanden dienen und Betroffene gedrängt werden würden, sich im Falle einer Demenz an einer solchen Forschung zu beteiligen.

Nach umfangreichen öffentlichen Protesten verschiedener Fachverbände und Institutionen wurde die parlamentarische Beratung des Gesetzesentwurfes zunächst verschoben. Es werden verschiedene andere Lösungen erarbeitet und erörtert, z.B. die Zustimmung zu fremdnütziger Forschung in einer so genannten "Forschungsverfügung" festzulegen. Ob damit die generellen ethischen und rechtlichen Probleme gelöst werden, bleibt abzuwarten. Eine Stellungnahme der Deutschen Alzheimer Gesellschaft zur Novelle des AMG wurde im Internet veröffentlicht (siehe unten).


Bärbel Schönhof, Bochum Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht


Internet:
www.deutsche-alzheimer.de > Über uns > Stellungnahmen


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die Teilnahme an Forschungsstudien muss immer mit ausführlicher Beratung verbunden sein

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Quelle:
Alzheimer Info, Ausgabe 3/16, S. 19
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2016

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