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FORSCHUNG/2338: Tagungsbericht - Metabolomics and More (umg)


umwelt · medizin · gesellschaft - 3/2010
Humanökologie - soziale Verantwortung - globales Überleben

Metabolomics and More
(1st International Metabolomics Symposium, Freising-Weihenstephan, 10.-12.3.2010)

Von Thilo M. Messerschmitt


Die in jüngster Zeit entwickelten und weiterentwickelten Methoden der biochemischen Analytik lassen eine Revolution für die medizinische Diagnose und Therapie erwarten. Die dadurch ermöglichte Einsicht in die Vorgänge des Stoffwechsels und die krankheitsbedingten Abweichungen verspricht, dass künftig die Patienten auf ihre genotyp- wie phänotyp-spezifischen Bedürfnisse hin behandelt werden können. Das 1. Metabolomic Symposium in Deutschland gab einen guten Überblick über den gegenwärtigen Stand der biochemischen Forschung auf diesem Weg. Ausgerichtet wurde es in Gemeinschaftsarbeit durch die Technische Universität München (TUM) und das Helmholtz Zentrum München bei einer Teilnehmerzahl von ca. 400 Wissenschaftlern.


Das Symposium unter der Leitung von Frau Professor Dr. Hannelore Daniel, TUM, gab einen breiten Überblick über die methodischen Details der Metabolomic wie auch über die dadurch gewonnenen Erkenntnisse über den Stoffwechsel und die Folgerungen daraus für die Anwendung in Diagnostik und Therapie.

Es ist noch nicht so lange her, dass die zu Beginn als "Mammutprojekt" angesehene internationale "Jagd" auf die Entschlüsselung des menschlichen Genoms erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Zur allgemeinen Überraschung stellte sich heraus, dass die Anzahl der Gene weitaus geringer ist als ursprünglich erwartet. Das menschliche Genom besteht aus ca. 25.000 Genen, d.h. "Arbeitsanweisungen" zur Synthese von Eiweißmolekülen. Die Zuordnung der Gene auf deren Erbinformation und die Umsetzung auf medizinische Anwendung ist noch voll im Gang. Dieser Forschungszweig der Biochemie und Medizin ist unter dem Begriff "Genomics" zusammengefasst.

Die in Folge entwickelten analytischen Methoden zur Erfassung und Identifizierung der im Organismus vorhandenen Proteine, in der Gesamtheit "Proteom", haben zu dem Forschungs- und Entwicklungszweig der "Proteomic" geführt. Die Auftrennung der im Cytosol, in den Membranen, dem Plasma und im Urin vorhandenen Proteine durch Elektrophorese, gekoppelt an Massenspektroskopie und Rechner gestützter Auswertung, hat bis zu einer Million verschiedener Proteine zutage gebracht. Wie sich herausstellt, sind die durch die Gene in der Sequenzierung vorgegebenen Proteinketten zunächst genotypisch festgelegt, um dann durch die Umgebung, phänotypisch modifiziert zu werden und so zu dieser Vielfalt an Proteinen zu führen. Diese Vielzahl und Variabilität der Proteine ermöglicht die subtile, hochkomplexe Steuerung des Stoffwechsels. Die phänotype Variation des Proteinmusters unterliegt den Einflussfaktoren der Lebensumstände, wie Nahrungsangebot, Lebensgewohnheit und Einwirkung aller Art von Stressoren, z.B. Infekte, Intoxikationen, Hypoxie, körperlicher Stress und seelischer Stress.

Die analytischen Methoden zusammen mit der computer-gestützten Auswertung, analog der Proteomic, angewandt auf die Erfassung der im Stoffwechsel beteiligten Moleküle niedrigen Molekulargewichts, sind das Arbeitsgebiet der "Metabolomic". Das in der qualitativen wie quantitativen Zusammensetzung variable Gemisch von zigtausend verschiedenen chemischen Verbindungen weist ebenfalls genotyp wie phänotyp geprägte Verteilungsmuster auf. Die "Metabolomic" befasst sich damit, aus der Zusammensetzung der Stoffwechselteilnehmer Rückschlüsse zu ziehen auf die jeweiligen Veränderungen der Stoffwechselabläufe und deren Zuordnung zu spezifischen Auslösern und gesundheitlichen Folgen.

Zunächst wird berichtet, dass das "Metabolom" des Urins durch äußere Einflüsse geringeren Veränderungen unterliegt als das "Metabolom" des Plasmas oder des Cytosols.

C. Luchinat, berichtet von einer groß angelegten Studie an der Universität Florenz. Danach stellte sich heraus, dass die
inter-individuelle (genotype) Varianz des Metaboloms im Urin größer ist als die intra-individuelle. Es zeigte sich auch, dass das individuelle Muster in dem untersuchten Zeitraum von 3 Jahren relativ konstant blieb.

In der groß angelegten KORA-Studie (Suhre, Helmholtz Zentrum München) mit 18.000 Teilnehmern wurde das Metabolom des Serums untersucht. Der Gehalt von über 360 Metaboliten wurde erfasst und statistisch ausgewertet. Es zeigte sich, dass einzelne genetische Polymorphismen zu deutlichen Verschiebungen des metabolischen Fließgleichgewichts führen. Vier Gene mit Polymorphismus wurden identifiziert, die das Muster einiger Enzyme bestimmen. So ist das FADSI-Gen bei Diabetes verantwortlich für die Erhöhung von Phosphatidylcholin.

Das phänotype Metabolom kann bereits bei der Ausbildung der Darmflora im Säugling dauerhaft beeinflusst werden. Dadurch wird u.a. das metabolische Muster der Oligosaccharide typisch verändert. Die Flora beim Säugling bleibt maßgebend für das weitere Leben (Bruce, UCLA; Fay, Nestle).

Die aufgenommene Nahrung verursacht ein jeweils typisches Metabolom-Muster, das jedoch genotypisch bestimmt individuell spezifisch ist und durch Lebensumstände und Gesundheitszustand modifiziert wird.

Die in Grossbritannien durchgeführte MEDE Study (Metabolomics to Characterise Dietary Exposure) zeigt, dass das phänotypisch geprägte Metabolitenmuster im Urin reproduzierbar durch Diät modifiziert werden kann. Das Profil des Metaboloms im Urin oder Plasma unterscheidet sich sehr eindeutig je nachdem, wann die Probe genommen wurde: nach 12 Stunden oder nach der Mahlzeit. Urinproben, etwa 2-4 Stunden nach der Nahrungsaufnahme gesammelt, ergaben die stärksten diätbezogenen Veränderungen auf das Metabolom. Die individuellen Werte der einzelnen Probanden sind sehr gut reproduzierbar.

Die Suche nach Nahrungsmittel oder Nahrungsmittelbestandteil spezifischen Markern führt schließlich zur Nachweisführung der Auswirkung von Ernährung auf die Gesundheit.

Als spezifischer Marker für Fleischkonsum bietet sich unter anderem die an der Aminogruppe methylierte Aminosäure 1-Methylhistidin an. Bitterschokolade senkt, wie berichtet wird, den Cortisolgehalt im Urin.

Die positive Auswirkung von Yoghurt, insbesondere von Bifidus-Infantis-Kulturen, auf das Irritable Bowel Syndrom, wurde über entsprechende Metabolom Analysen nachgewiesen.

Die chronische Aufnahme bestimmter Nahrungsbestandteile kann eine entsprechende Genexpression aktivieren.

Ein wesentliches Ergebnis der Veranstaltung war dementsprechend auch die Erkenntnis, dass zur Vergleichbarkeit der weltweit anfallenden riesigen Datenmenge dringend eine Normierung der Probennahme nötig ist. Besonders die Ausgangssituation, nämlich die vorausgehende Nahrungsaufnahme vor der Probennahme, ist zu standardisieren. H. Daniel hat in ihren Studien flüssige Astronautennahrung verwendet. Es wird die Erwartung ausgedrückt, dass an Hand des persönlichen Metaboloms eine individuell optimale Diät und proaktive Medikation verordnet werden kann.

Einen großen Raum nahmen die Berichte ein, welche spezifische Marker für einzelne Krankheiten aus den jeweils gewonnenen Metabolom-Mustern identifizieren konnten. So ist Sarkosin, die N-methylierte Aminosäure Glycin, im Urin ein eindeutiger Marker für das maligne Prostata Carcinom.

Bei der Zöliakie, welche unter anderem zum Fatigue Syndrom führt, ist, wie sich aus dem Metabolom herausstellt, der Zuckerabbau gestört.

Es ergab unter anderem, dass bei Diabetes die Phosphatidylcholin-Bildung erhöht ist.

Oncogene bei Yurkat Leukämie führen zu einer generellen Erhöhung der Cholinverbindungen, mit Ausnahme des Glycerophosphocholins (Wagner, Boston).

Durch Metabolom Flux Analysen, d.h. zeitliche Veränderung des Metaboloms und Vergleich mit dem gleichzeitig vorliegenden Proteom an Einzellern, kann z.B. die Auswirkung von Xenobiotica auf das Stoffwechselfließ-Gleichgewicht ermittelt werden.

Wertvolle Erkenntnisse können dabei schon aus Zellkulturen gewonnen werden, aber auch die Tierversuche können dadurch wesentlich effizienter gestaltet werden. Die Methoden der Metabolomic ermöglichen den Nachweis der Unbedenklichkeit, bzw. des schädigenden Einflusses von xenobiotischen Stoffen entsprechend den Anforderungen von REACH effizienter zu gestalten und damit auch die Möglichkeiten des Schutzes vor Stoffwechselschädigungen zu erkennen.

Durch die Analyse der Metabolomverschiebungen werden Zusammenhänge und das Ineinandergreifen von Stoffwechselkreisläufen erkennbar und verständlich. Insbesondere die Zusammenhänge zwischen Entzündung, oxidativem Stress und mitochondrialer Funktionsfähigkeit können so auf der molekularen Ebene des Stoffwechsels verfolgt werden.

Auffallend war, dass bei all den untersuchten Krankheiten besonders methylierte Metaboliten Erwähnung fanden. Dies unterstützt die im Poster "Schwefelhaltige Aminosäuren" (T. Messerschmitt) dargestellte Kausalität zwischen Glutathion-Verbrauch verursacht durch oxidativem Stress und der verstärkten katabolen Umwandlung von Methionin zu Cystein mit entsprechender Aktivierung der Methylierung nucleophiler Molekülgruppen, wie z.B. der Amine im Stoffwechsel.

Die berichteten Ergebnisse lassen hoffen, bald mit Hilfe von Metabolomic und Proteomic "personalized und proactive medicine", d.h. eine auf den individuellen Stoffwechsel zugeschnittene Therapierung durchführen zu können. Es lässt erwarten, dass besonders schwer zuzuordnende Beschwerden, wie MCS, MFS künftig durch die Profile der Metabolomic, Proteomic und nötigenfalls Genomic eindeutig auf Schweregrad, Ursache und Therapierbarkeit erfasst werden können.

Die analytischen Techniken zur Ermittlung des metabolischen Profils aus den biologischen Flüssigkeiten sind pro Probe relativ kostengünstig. Für die Auswertung wird es vor allem darauf ankommen, auf ein breites standardisiertes Datenmaterial zurückgreifen zu können.

Die Erforschung der Stoffwechselvorgänge mittels Metabolomic und Proteomic hat zwar noch keine Routinemethoden für die Diagnose und Therapie anzubieten, aber mit dem rapide anwachsenden Datenfundus, der künftig in großen Datenbanken zugänglich sein soll, wird die individualisierte, zielgerechtere Medizin möglich.


Kontakt:
Dr. Thilo M. Messerschmitt
Ledererzeile 31 a
83512 Wasserburg
E-Mail: thilo.messerschmitt@web.de


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Quelle:
umwelt · medizin · gesellschaft Nr. 3/2010, (September 2010)
23. Jahrgang, S. 234 - 235
Verlag: UMG Verlagsgesellschaft mbH
Frielinger Str. 31, 28215 Bremen
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Erscheinungsweise: vierteljährig
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2011