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FORSCHUNG/2444: Wie aus einer Stammzelle eine Krebsstammzelle wird - Schlüsselmoleküle identifiziert (idw)


Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch - 16.06.2011

Wie aus einer Stammzelle eine Krebsstammzelle wird - Forscher identifizieren Schlüsselmoleküle


Glioblastome, die häufigsten und aggressivsten Hirntumore, entstehen offenbar aus Stammzellen des Gehirns. Forscher beginnen jetzt zu verstehen, welche Mechanismen dazu führen, dass aus den wenigen Stammzellen im erwachsenen Gehirn, die eigentlich den Nachschub für neue Nervenzellen (Neuronen) bilden, eine Krebsstammzelle wird. Sie identifizierten eine Reihe verschiedener Faktoren, die die Stammzellen steuern und umpolen, berichteten Forscher auf der Tagung "Brain Tumor 2011", die am Donnerstag, den 16. Juni 2011, im Max-Delbrück-Centrum (MDC) eröffnet worden ist. Sie verbinden damit die Hoffnung, Angriffspunkte für wirksamere Therapien des Glioblastoms und anderer Hirntumoren zu finden.

Neue Nervenzellen entstehen aus Stammzellen, die sich in einer Nische des Gehirns befinden, die Forscher subventrikuläre Zone nennen. Diese Zone gilt schon lange auch als Keimzelle für Glioblastome. Glioblastome bestehen aus unterschiedlichen Zelltypen und deren Vorstufen. Forscher gelang es vor einiger Zeit, aus Glioblastomen auch sogenannte Krebsstammzellen zu isolieren. Sie haben die Eigenschaften von Stammzellen, dazu gehört, dass sie sich auch selbst erneuern. Das bedeutet, Krebsstammzellen bilden immer wieder neue Tumore. Das ist möglicherweise die Ursache dafür, dass Tumore trotz Behandlung wieder auftreten können.

Wie aber wird aus einer Stammzelle, die der Organismus braucht, um immer wieder neue Zellen bilden zu können, eine Krebsstammzelle? "Tumorstammzellen im Gehirn bedienen sich einiger Schlüsselregulatoren, die normalerweise die Bildung neuer Nervenzellen im erwachsenen Gehirn steuern", sagte Prof. Angelo L. Vescovi (Universität von Mailand Bicocca, Italien) in Berlin.

Dazu gehören die Ephrine, eine wichtige Stoffgruppe von Signalmolekülen im Gehirn und ihre Zielmoleküle (Rezeptoren) auf den Stammzellen, kurz Eph-Rezeptoren genannt, an die sie binden. Beide erfüllen verschiedenste Aufgaben im Gehirn, unter anderem regulieren sie die Neubildung von Nervenzellen.

Wie Prof. Vescovi in Berlin berichtete, konnten er und seine Mitarbeiter sowohl in Glioblastomgewebe als auch in darin enthaltenen Krebsstammzellen die genetische Bauanleitung nicht nur für die Eph-Rezeptoren sondern auch für ihre Bindungspartner, die Ephrine, nachweisen. Besonders ein Rezeptor, kurz EphA2 genannt, war hochaktiv.

In ersten Versuchen im Reagenzglas, gelang es ihnen, die Aktivität dieses Rezeptors zu drosseln. Das führte dazu, dass sich die Krebsstammzellen nicht mehr selbst erneuerten und ihre Fähigkeiten, Hirntumoren zu bilden, quasi "ausgetrocknet" war, wie er formulierte. Der Nachschub an Krebsstammzellen war versiegt. Zwar wurden die Tumorstammzellen nicht in den Selbstmord getrieben, waren also noch vorhanden, hatten aber ihr Merkmal als Krebsstammzelle verloren.

In Mäusen mit Glioblastomzellen des Menschen gelang es den Forschern, den EphA2-Rezeptor herunterzuregulieren und damit die Ausbreitung dieses tödlichen Tumors zu bremsen. "Wir haben jetzt einen Antrag für eine klinische Studie Phase I mit Patienten gestellt und wir hoffen, dass über die Beeinflussung solcher Schlüsselregulatoren neue Wege für die Therapie von Glioblastomen gefunden werden können", sagte Prof. Vescovi.

In Glioblastomzellen des Menschen Schlüsselmolekül von Stammzellen nachgewiesen

Prof. Günther Schütz vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ) und Prof. Peter Lichter (ebenfalls DKFZ) hatten vor kurzem auf Hirnstammzellen ein bestimmtes Merkmal, das Protein Tlx, entdeckt. Tlx ist ein Transkriptionsfaktor, der bestimmte Gene steuert, die normale Hirnstammzellen dazu veranlassen, ihre Nische zu verlassen und sich zu gesunden Nervenzellen zu entwickeln.

"Produziert die Stammzelle jedoch zuviel von diesem Protein, entwickelt sie sich zur Krebszelle", sagte Prof. Schütz auf der Tagung in Berlin. Er und seine Kollegen vom DKFZ hatten damit den ersten Nachweis erbracht, dass Glioblastome tatsächlich aus Stammzellen entstehen können. Schalteten die Forscher Tlx in den Hirnstammzellen aus, bildeten sich bei erwachsenen Mäusen keine neuen Nervenzellen mehr. Sorgten sie dafür, dass die Stammzellen zuviel Tlx produzierten, entwickelten sie sich zu Krebszellen. Schalteten sie zusätzlich das Schutzprotein p53 aus, beschleunigte sich die Krebsentstehung.

Wie Prof. Schütz in Berlin-Buch weiter berichtete, konnten er und seine Mitarbeiter zeigen, dass Glioblastome von Menschen tatsächlich auch zuviel Tlx bilden. Zugleich treten die Gene, die den Bauplan für Tlx enthalten, in diesen Glioblastomen in vielen Kopien auf. Sie sind amplifiziert, wie Forscher diesen Vorgang nennen. Das führt dazu, dass die Krebszellen noch mehr Tlx produzieren.

Weiter gelang es den Forschern, den Mechanismus zu entschlüsseln, wie Tlx aus einer neuronalen Stammzelle eine Glioblastomzelle macht. Sie fanden heraus, dass überschüssiges Tlx in den neuronalen Stammzellen zwei Gene ausschaltet. Die Stammzellen schütten darauf hin verstärkt Tlx aus.

Das bedeutet, die neuronale Stammzelle wird zur Glioblastomzelle. Sie hat damit zugleich ihre Herkunft aufgegeben und eine neue Identität angenommen: die frühere neuronale Nervenzelle hat sich in eine Gliazelle verwandelt. Gliazellen bilden neben den Neuronen die zweite große Zellgruppe im Gehirn. "Diese Umwandlung erklärt vielleicht auch, dass Hirntumoren die Identität von Gliazellen haben", erläuterte Prof. Schütz.

An der Tagung im Max Delbrück Communications Center (MDC.C), die am Freitag nach zweitägiger Dauer zu Ende ging, nahmen rund 200 Wissenschaftler aus Europa und den USA teil.

Organisatoren waren Prof. Helmut Kettenmann und Dr. Rainer Glaß vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch, Prof. Peter Vajkoczy und Dr. Michael Synowitz (Charité - Universitätsmedizin Berlin) sowie Prof. Jürgen Kiwit (Helios Klinikum Berlin-Buch).


Barbara Bachtler
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch
Barbara Bachtler, 16.06.2011
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2011