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ERNÄHRUNG/991: Ernährung für Kinder - Hier kocht die Industrie mit (Securvital)


Securvital 4/2009 - Juli/August
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Ernährung für Kinder

Hier kocht die Industrie mit


Über zwei Millionen Kinder essen täglich in den Kindertagesstätten. Nicht unbedingt gesund, wie die Verbraucherorganisation foodwatch aufgedeckt hat. Denn die Lebensmittelindustrie sorgte dafür, dass umstrittene Inhaltsstoffe weiter auf dem Speiseplan stehen.


Die Absicht klingt gut: "Wir wollen allen Kindern ausgewogenes, vollwertiges Essen schmackhaft machen", formulierte Ernährungsministerin Ilse Aigner kürzlich als Leitlinie für die Essensqualität in Kindertagesstätten. "Kindertageseinrichtungen sind ganz besondere Orte für die Ernährung: Hier sammelt man bereits vom frühen Kindesalter an Erfahrungen im Umgang mit Lebensmitteln."

Doch die Realität ist anders. Still und heimlich kocht die Lebensmittelindustrie in den Kita-Küchen mit. Bei den offiziellen "Qualitätsstandards" der Bundesregierung für eine gesunde Kita-Verpflegung hatten Lobbyisten ihre Finger kräftig im Spiel. Sie haben dafür gesorgt, dass Geschmacksverstärker, künstliche Aromen und Süßstoffe weiter auf die Kinderteller kommen.

"Ministerin Aigner brüstet sich, für gesunde Ernährung in Kitas zu sorgen", kritisiert Thilo Bode von der Verbraucherorganisation foodwatch. "Tatsächlich aber schützt sie die Profitinteressen der Nahrungsmittelindustrie auf Kosten der Kleinsten." Anlass der Kritik sind "Qualitätsstandards für die Verpflegung in Tageseinrichtungen für Kinder". Diese 40-seitige Broschüre wurde als Anleitung für gesundes Essen in Kitas vom Ernährungsministerium in Zusammenarbeit mit der DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) herausgegeben.


Aromen und Süssstoffe

Was die Broschüre nicht mitteilt: Die Lebensmittelindustrie hat an dem Text fleißig mitgemischt. In Gestalt des Lobbyverbands BLL (Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde) sorgte sie dafür, dass umstrittene Inhaltsstoffe weiter eingesetzt werden. Durch ein internes Rundschreiben des BLL ist das nun an die Öffentlichkeit geraten. Darin rühmt sich der Lobbyverband, "zahlreiche Inhalte richtig gestellt" und "ideologische Verbotsaussagen" verhindert zu haben. So sei es gelungen, die von der DGE zunächst vorgesehene "Ausgrenzung" von Schmelzkäse und Mayonnaise, künstlichen Aromen und Süßstoffen wieder streichen zu lassen. In einem ursprünglichen Entwurf für die Qualitätsstandards habe die DGE davon abgeraten, Lebensmittel mit künstlichen Aromen oder Süßstoffen auf den täglichen Speiseplan zu setzen. Doch dies sei durch "Gespräche auf allen Ebenen" abgeändert worden, so der BLL.


"Ausgewogene Kost, die den Kindern schmeckt, sollte eine Selbstverständlichkeit sein."
Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung und Verbraucherschutz



Industrie-Geschmack

Etwa 2,5 Millionen Kinder werden in Kindertageseinrichtungen mit Essen versorgt. Größere Kindergärten verfügen über eine eigene Küche. Andere lassen sich von Großküchen und Caterern versorgen, sei es mit vorgefertigten Komponenten oder gleich mit fertigen Menüs. Die Branche gilt als Wachstumsmarkt. Hochwertige Rohstoffe und frische Zutaten sind dabei ein entscheidender Kostenfaktor. Häufig werden deshalb industriell aufbereitete Lebensmittel (sogenannte Convenience-Produkte) aus billigen Rohstoffen hergestellt und mit künstlichen Aromen und Geschmacksverstärkern "aufgehübscht". Dass es auch anders geht, beweisen nicht nur zahlreiche Anbieter von Bio-Kindergartenkost, sondern auch einige konventionelle Konkurrenten, die auf umstrittene Zusätze verzichten.

Die "Qualitätsstandards" des Ernährungsministeriums sollen für alle Kinder im Alter von 1 bis 6 Jahren gelten. "Sie dienen zur Planung und Umsetzung eines vollwertigen und gesundheitsfördernden Speisenangebotes", heißt es darin, denn "eine vollwertige Verpflegung und die Qualität der Ernährung beeinflussen die körperliche und geistige Entwicklung bei Kindern und sind somit elementare Bestandteile der Gesundheitsförderung." Auch Bio-Aspekte werden genannt und "der Einsatz von regionalen, saisonalen und ökologisch erzeugten Produkten" empfohlen.


Fett und Zucker

Doch bei diesen Leitlinien hat nun ganz offenbar die Lebensmittelindustrie mitentschieden, was für kleine Kinder "richtig" und gesund sein soll. Dahinter stehen Großunternehmen wie Nestlé, Unilever, Kraft & Co., die auch entsprechende Produkte anbieten. Restlos zufrieden zeigten sich die Lobbyisten mit ihrer Arbeit allerdings nicht: Trotz massiver Einwände, klagt der BLL in seinem Rundschreiben, habe er sich beim Thema Süßigkeiten nicht ganz durchsetzen können.

So wird in der Broschüre erfreulicherweise immer noch der klare Ratschlag gegeben, dass Süßigkeiten dort nichts zu suchen haben ("Keine Süßigkeiten in der Brotbox"). Auch die sogenannten "Kinderlebensmittel" hätten in den Kitas nichts zu suchen. Diese werden oft als "Zwischenmahlzeiten" vermarktet und in der Werbung angepriesen, mit angeblich gesundem Mehrwert von der "extra Portion Milch" bis zum "Schokogenuss mit Cerealien-Plus". Tatsächlich enthalten sie oft hohe Mengen an Fett und Zucker - nicht gerade das Richtige angesichts der Tatsache, dass mittlerweile schon 15 % der Kinder und Jugendlichen übergewichtig sind.

Hervorgegangen ist der Leitfaden für eine gesunde Kost an Kindertagesstätten übrigens aus der Initiative "Fit-Kid". Angesichts des unübersehbaren Industrie-Einflusses wäre "Fat Kid" wohl der passendere Name.


Ernährungsberatung
In Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Verbraucherorganisation foodwatch e.V. bietet die SECURVITA Krankenkasse ihren Versicherten eine kostenlose Beratung zu Fachfragen rund um Lebensmittel und Ernährung an. Sie können eine E-Mail schreiben (ernaehrung@foodwatch.de) oder anrufen (Anrufbeantworter 030 - 2844 5295). Bitte nennen Sie das Stichwort "SECURVITA" und vergessen Sie nicht, eine Telefonnummer für einen Rückruf anzugeben. Die Ernährungsberaterin Katrin Glang ruft Sie so schnell wie möglich zurück.


Weitere Informationen

Annette Sabersky, Jörg Zittlau:
Versteckte Dickmacher. Wie die Nahrungsmittelindustrie uns süchtig macht
Knaur Taschenbuch 2009, 254 Seiten, 8,95 Euro

Birgit Frohn:
Das kommt mir nicht auf den Teller. Lebensmittel unter der Lupe
Ullstein Verlag 2007, 320 Seiten, 7,95 Euro

Hans-Ulrich Grimm:
Die Suppe lügt. Die schöne neue Welt des Essens
Droemer/Knaur 2008, 220 Seiten, 8,95 Euro

Die Broschüre "Qualitätsstandards für die Verpflegung in Tageseinrichtungen für Kinder" ist im Internet abrufbar unter
www.in-form.de


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Quelle:
Securvital 4/2009 - Juli/August, Seite 16-18
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH -
Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2009