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ETHIK/683: Post-Abortion-Syndrom - Tabu unserer Zeit (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 88 - 4. Quartal 2008
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

Post-Abortion-Syndrom: Tabu unserer Zeit

Von Dr. med. Claudia Kaminski


Befürworter der Abtreibung behaupten immer wieder, vorgeburtliche Kindstötungen brächten keinerlei nachweisbare Nachteile für die sich einer Abtreibung unterziehenden Frauen mit sich. Mehr noch: Einige behaupten gar, das Post-Abortion-Syndrom sei eine Erfindung von Lebensrechtlern, um Schwangeren Angst vor einer Abtreibung zu machen. Wie der folgende Überblick zeigt, beweist die medizinische Fachliteratur: Richtig ist das Gegenteil.


Ich durfte acht Wochen mit Dir teilen, acht Wochen hatte ich Dich in meinem Bauch und letztendlich habe ich mich gegen Dich entschieden. Ich habe mehr zerstört, als ich in Worte fassen kann, Du warst ein vollständiger kleiner Mensch und ich habe Dir Dein Recht genommen, geboren zu werden. Du bist gestorben, bevor Du geboren warst. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder richtig glücklich sein kann, ob ich jemals wieder heil werde."

Solche Briefe an Kinder, die vor ihrer Geburt getötet wurden, zeugen unter anderem in Internet-Foren wie beispielsweise www.nachabtreibung.de von dem Leid, das Frauen nach einer Abtreibung durchmachen. Sie sind Ausdruck des so genannten "Post Abortion Syndroms" (PAS), das die Gesamtheit der Symptome umfasst, welche bei Frauen, die ihr ungeborenes Kind im Mutterleib töten ließen, auftreten können. Psychische, psychosomatische und körperliche Folgen bleiben bei einem solch drastischen Eingriff selten aus.


Psychische Symptome

Maria Simon, Würzburger Psychologin und Autorin der einzigen je in Deutschland durchgeführten Studie zum PAS, zeigte auf, dass rund 80 Prozent der Frauen unter psychischen Spätfolgen wie Schuldgefühlen, Selbstvorwürfen, Stimmungsschwankungen und Depressionen sowie Verlust des Selbstwertgefühls leiden (Post-abortional-syndrom. In: IMABE-Quartalsblätter, 2/1993). Bei 63 Prozent der Frauen treten "Flashbacks" auf, das Geschehen um die Abtreibung läuft filmartig auch tagsüber vor dem inneren Auge der Betroffenen ab.


Psychosomatische Symptome

Frauen erleben ihre Schuld nach einer Abtreibung häufig nicht bewusst, sondern zeigen körperliche Symptome, die keine organische, medizinische Ursache haben. Das seelische Leid wird umgewandelt in Unterleibsschmerzen, Menstruationsbeschwerden, Störungen der Verdauungstätigkeit bis hin zu Magersucht oder Bulimie, Kopfschmerzen, Migräne und anderem.


Körperliche Symptome

Frühkomplikationen: Dazu zählen zurückgebliebene Abortreste, die Blutungen und Infektionen der Gebärmutterschleimhaut, der Gebärmuttermuskelwand oder Eileiter bis hin zu einer Bauchfellentzündung. Zu den Spätfolgen der Abtreibungen gehören Menstruationsstörungen, eine mögliche Halteschwäche des Gebärmutterhalses und die damit einhergehende Gefahr späterer Fehl- oder Frühgeburten. Vernarbungen des Muttermundes durch den instrumentellen Eingriff können zudem zu einer verzögerten Öffnung des Muttermundes bei späteren Entbindungen führen. Auch ein erhöhtes Brustkrebsrisiko findet sich bei Frauen nach Abtreibung.

All diese Symptome können unter dem Begriff Post Abortion Syndrom zusammengefasst werden, zu dem es jedoch nur wenige Studien gibt. Die Gründe:

- Die Frauen sprechen nur sehr schwer über ihr Erleben nach der Abtreibung. Bis zu 60 Prozent der Frauen möchten keine Auskunft geben über ihr Leben "danach". Ein Grund ist der doppelte Verlust: Zum einen das Kind, zum anderen der Person, die sie ohne Abtreibung hätten sein können.

- Die Symptome nach einer Abtreibung sind außerordentlich komplex und vielschichtig, was eine Analyse über alle medizinischen Fachgebiete hinweg stark erschwert.

- Die Aufarbeitung möglicher Symptome und Probleme nach einer Abtreibung lässt sich kaum mittels Fragebogen erheben.

Wohl eher zufällig zu nennen - deswegen aber von der Aussage her nicht weniger interessant - ist die Studie "Psychosoziale Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik. Evaluation der Modellprojekte in Bonn, Düsseldorf und Essen", die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wurde. In der Untersuchung, die unter der Leitung von Professor Anke Rohde (Universitätsklinik Bonn, Gynäkologische Psychosomatik) und Dr. Christiane Woopen (Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Universität Köln) durchgeführt und 2007 im Deutschen Ärzte-Verlag veröffentlicht wurde, heißt es: "Die Erfahrung, ein krankes oder behindertes Kind zu bekommen, beziehungweise eine Schwangerschaft abzubrechen, kann psychische Störungen verursachen." Frauen nach Abtreibung zeigen Symptome, die den Kriterien der Posttraumatischen Belastungsstörung (engl.: Post-Traumatic-Stress-Disorder = PTSD) entsprechen.

Und es finden sich in der medizinischen Literatur immer wieder Hinweise auf die Folgen von Abtreibung: Gomez Lavin berichtete 2005 von Albträumen, Schuld und dem Gefühl "etwas reparieren zu müssen" (Diagnostic categorization of post-abortion syndrome. In: Actas Españolas de Psiquiatría, 33, 4/2005).

Schon 2004 ergab eine amerikanische Studie, dass es PAS gibt (Induced abortion and traumatic stress: A preliminary comparison of American and Russian women. In: Medical Science Monitor, 10, 10/2004). Das "Institute for Pregnancy Loss" in Jacksonville wies nach: 65 Prozent der untersuchten Amerikanerinnen (N = 217) hatten multiple Symptome wie gesteigerte Erregung, Wiedererleben (auch Flashbacks) sowie Verdrängung, die mit Posttraumatischer Belastungsstörung einhergehen (PTSD). Immerhin 14,3 Prozent der Amerikanerinnen wiesen die gesamten diagnostischen Kriterien für PTSD auf.

Dass der Verlust eines vermutlich gewollten ungeborenen Kindes Stressreaktionen hervorruft, beweist eine Studie unter der Leitung von Stephen V. Bowles aus dem Jahr 2000 (Acute and post-traumatic stress disorder after spontaneous abortion. In: American Family Physician, 61, 6/2000). Wenn schon Spontanaborte, also der Verlust des Kindes ohne eigenes Zutun in der frühen Schwangerschaft, Stresssymptome hervorrufen, dann sollte es nicht überraschen, wenn eine freiwillig oder auf Drängen des Umfeldes herbeigeführte Beendigung der Schwangerschaft, eine Abtreibung, ähnliche oder sogar gravierendere Symptome mit sich bringt.

2004 gab es Untersuchungen im direkten Vergleich aus der Psychosomatischen Medizin: In einer zweijährigen Studie verglich eine Forschergruppe um Anne N. Broen das Verhalten von Frauen nach Spontanabort und nach Abtreibung (Psychological impact on women of miscarriage versus induced abortion: A 2-year follow-up study. In: Psychosomatic Medicine, 66, 2/2004). Direkt nach dem "Ereignis" war der IES (Impact of Event Scale) für Frauen nach Spontanabort höher (47,5 Prozent versus 30 Prozent); nach zwei Jahren hatte sich das Verhältnis umgekehrt: 2,6 Prozent versus 18,1 Prozent bei den Frauen nach Abtreibung.

Nun argumentiert mancher, dass die Gesellschaft Frauen immer noch ein schlechtes Gewissen nach Abtreibung einredet. Dabei zeigte Dennis A. Bagarozzi bereits 1994 auf, dass es gerade die Leugnung des PAS oder PTSD ist, die wesentlich zum Aufbau der Stressreaktion beiträgt (Identification, assessment, and treatment of women suffering from post-traumatic stress after abortion. In: Journal of Family Psychotherapy, 5, 3/1994). Was nicht sein kann, das nicht sein darf: Da es PAS angeblich nicht gibt, darf die Frau auch nach der Abtreibung nicht leiden, so die Befürworter der Abtreibung.

Wenn das Post Abortion Syndrom als eine Variante der PTSD anzusehen ist, dann gilt auch für das PAS das, was David D'Souza schon 1995 veröffentlichte: Die Posttraumatische Belastungsstörung ist eine Narbe für das Leben (Post-traumatic stress disorder - a scar for life. In: The British Journal of Clinical Practice, 49, 6/1995).

Eine aktuellere Studie von David M. Fergusson weist nach, dass fast jede zweite Frau nach einer Abtreibung psychisch erkrankt (Abortion in young women and subsequent mental health. In: Journal of Child Psychology and Psychiatry, 47, 1/2006). Der enge Konnex zwischen Depressionen, Angstzuständen, Suizidgefährdung, Suchtverhalten und einer Abtreibung war selbst für die Autoren überraschend. Aus einer Gruppe von 1.265 Mädchen der neuseeländischen Stadt Christchurch, die seit ihrer Geburt im Jahre 1977 beobachtet wurden, wurden 41 Prozent der Mädchen bis zum Alter von 25 Jahren schwanger. 14,6 Prozent ließen ihr Kind abtreiben. Von jenen 90 Frauen, die eine Abtreibung vornehmen ließen, entwickelten 42 Prozent innerhalb der nächsten vier Jahre eine schwere Depression. Auch der Drogen- und Alkoholmissbrauch stieg bei dieser Gruppe von Frauen signifikant an. Diese Verhaltensweisen und Erkrankungen könnten auf keine früheren Erlebnisse zurückgeführt werden, betont Studienleiter Fergusson von der Universität von Otago (Department Christchurch Health and Development Study). Er bezeichnete es als Skandal, dass die psychischen Folgen eines Eingriffs, der bei jeder zehnten Frau durchgeführt wird, kaum studiert oder evaluiert werden.

Wie dramatisch die Folgen einer Abtreibung für Frauen sein können, zeigt auch eine finnische Studie von 1997 unter der Leitung von Mika Gissler: Eine dreifach erhöhte Suizidrate nach Abtreibung (Suicides after pregnancy in Finland, 1987-94: register linkage study. In: British Medical Journal, 313, 1997).

Dieses Jahr wurde eine Langzeitstudie aus Norwegen von Willy Pedersen veröffentlicht, die zeigt, dass vor allem junge Frauen, die abtreiben ließen, später stärker zu Depression neigen als andere (Abortion and depression: A population-based longitudinal study of young women Scandinavian. In: Scandinavian Journal of Public Health, 36, 4/2008). Die Ergebnisse der Studie, für die der Soziologe Pedersen an der Universität Oslo elf Jahre hindurch 768 Frauen im Alter zwischen 15 und 27 Jahren wissenschaftlich begleitet hat, zeigten außerdem, dass das Suchtverhalten (Alkohol und Drogen) bei jungen Frauen nach einer Abtreibung signifikant höher war als bei jenen, die sich für ihr Kind entschieden (Childbirth, abortion and subsequent substance use in young women: A population-based longitudinal study. In: Addiction, 102, 12/2007).


Aktuell

Jetzt scheint Bewegung in die Debatte um das Post Abortion Syndrom zu kommen. Mitte August 2008 hatte die "American Psychological Association" (APA) den "Report of the APA Task Force on Mental Health and Abortion" veröffentlicht, wonach es keine wissenschaftlichen Daten gebe, die den Zusammenhang zwischen Abtreibung und psychischen oder auch psychosomatischen Erkrankungen bewiesen. Dem wurde unter anderem im Lancet, einer der führenden internationalen medizinischen Zeitschriften, widersprochen (Women should be offered post-abortion psychological care. In: The Lancet, 372, 2008). Im Editorial fordern die Autoren psychologische Beratung und Hilfe nach einer Abtreibung, da unter anderem das "Journal of Youth and Adolescence" eine Studie veröffentlicht habe, die psychische Probleme nach Abtreibung nachweise (Resolution of unwanted pregnancy during adolescence through abortion versus childbirth: Individual and family predictors and psychological consequences. In: Journal of Youth and Adolescence, 35, 6/2006).

Angesichts einer Vielzahl von Betroffenen, seien es Frauen, die abgetrieben haben, Männer, die ihre Partnerinnen zur Abtreibung gedrängt haben, Geschwister, Großeltern oder auch direkt an Abtreibung mitwirkende Ärzte, Hebammen und Krankenschwestern, muss die Schweigespirale um das Leid nach Abtreibung endlich durchbrochen werden.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Oft verzweifelt: Frauen nach Abtreibung


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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 88, 4. Quartal 2008, S. 14-15
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Herausgeber: Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminsky (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2009