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FORSCHUNG/2116: Immunologische Erkenntnisse beflügeln die Krebsforschung (forsch/Uni Bonn)


forsch 4/2009 - November 2009
Bonner Universitäts-Nachrichten

Das schmutzige Geheimnis
Immunologische Erkenntnisse beflügeln die Krebsforschung

Von Franz Luerweg


Impfungen funktionieren nicht immer. Warum, ahnen die Immunologen erst seit kurzem. In Bonn nutzen Ärzte dieses Wissen unter anderem, um neue Therapien gegen Krebs zu entwickeln. Als Dreh- und Angelpunkt dient ihnen ein uralter angeborener Abwehrmechanismus gegen Viren.


Am 14. Mai 1796 führte der englische Landarzt Edward Jenner ein Experiment durch, das ihn berühmt machen sollte. Seine Versuchsperson war eine Stallmagd namens Sarah Nelmes. Diese hatte sich beim Melken mit Kuhpocken angesteckt - seinerzeit war das nicht ungewöhnlich. Jenner durchstach eine der Pusteln auf ihrer Hand und infizierte mit dem Inhalt einen achtjährigen Jungen namens James Phipps. Dadurch wurde Phipps gegen die gefährliche menschliche Pockenerkrankung immun.

Edward Jenners Versuch hat den Kampf gegen Infektionskrankheiten revolutioniert. Doch bis vor 20 Jahren blieben Impfungen zu einem Gutteil Alchemie. Man wusste zwar, dass es bestimmte Bestandteile des Erregers sind, die eine Immunabwehr hervorrufen. Diese Moleküle nennt man Antigene. Ein Impfstoff, der diese Antigene enthält, sollte im Prinzip zu einer guten Immunisierung führen. "So einfach ist es aber leider nicht", betont Professor Dr. Veit Hornung vom Institut für Klinische Chemie und Pharmakologie. "Ein effektiver Impfstoff muss immer auch ein wenig Schmutz enthalten, um zu wirken. Das nennen wir das dirty little secret of immunology."


Das fehlende Puzzlestück

Daher werden den Antigenen Hilfsmittel zugesetzt. "Früher waren das beispielsweise undefinierte Bestandteile von Tuberkulose-Bakterien", erklärt Hornung. Immunologen sprechen auch von Adjuvantien - ein großes Wort für ein wenig Bakterien-Schmodder. Der Fachbegriff konnte aber nicht verschleiern, dass bis vor zwei Jahrzehnten niemand wusste, was diese Adjuvantien überhaupt tun. Alles was man wusste war: Reine Antigene ohne irgendwelche Hilfsstoffe wirken nicht besonders gut. Inzwischen ist dieses schmutzige Geheimnis weitgehend gelüftet. Veit Hornung und sein Kollege Gunther Hartmann, Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Pharmakologie, konnten wichtige Puzzleteilchen dazu beitragen. Die Ergebnisse in diesem mittlerweile sehr großen Forschungszweig haben inzwischen einen Paradigmenwechsel in der Immunologie eingeleitet. Sie zeigen, dass bislang ein wichtiger Mosaikstein fehlte, um unser Bild vom Immunsystem komplett zu machen.

Im Prinzip ähnelt die körpereigene Abwehr einem Staat mit vielen Milliarden Sonderermittlern. Jeder dieser Ermittler ist auf einen einzigen Verdächtigen spezialisiert. Er verbringt sein Leben damit, auf diesen potenziellen Übeltäter zu warten - oft genug vergebens. Dann sind da noch die Herren von der Spurensicherung. Wenn sie einem möglichen Verbrecher begegnen, fertigen sie eine Phantomskizze an. Mit dieser Skizze gehen sie dann unter den Sonderermittlern hausieren. Bis einer von denen sagt: Halt, den Typen kenne ich doch!

Was dann passiert, könnte aus einem Science-Fiction-Film stammen: Der alarmierte Sonderermittler beginnt, sich selbst zu klonen. So entsteht eine Armada von Zwillingen, die zum Ort des Verbrechens ausschwärmen. Krankheitserreger treten nie einzeln, sondern immer in Rudeln auf. Nur dank der Klon-Kämpfer hat der Körper eine Chance, diesen Massenangriff zurückzuschlagen. Forscher sprechen auch von einer "klonalen Expansion" im Rahmen der adaptiven Immunabwehr: Das Immunsystem erkennt einen Virus oder ein Bakterium und produziert dann ganz gezielt Zellen, die genau diesen Erreger bekämpfen.

Dieser Mechanismus ist schon lange bekannt. Schade ist nur, dass er nicht stimmt. Oder zumindest nicht ganz. Denn er vernachlässigt die Rolle, die ein ganz anderer Teil unserer körpereigenen Abwehr dabei spielt: das angeborene Immunsystem. Angeboren deshalb, weil es gewissermaßen "weiß", welche Merkmale für Pilze, Viren oder Bakterien spezifisch sind. Dieses Wissen wird seit Hunderttausenden von Jahren mit unseren Genen von Generation zu Generation überliefert. Das adaptive Immunsystem ist dagegen zunächst einmal dumm: Es weiß nicht, wie Krankheitserreger aussehen. Deshalb produziert es die Sonderermittler, die zwar viele verschiedene Antigen-Strukturen erkennen, aber nicht beurteilen können, ob es sich um Freund oder Feind handelt.


Doppelt genäht hält besser

Was macht nun das angeborene Immunsystem? Ganz einfach - es liefert die entscheidenden Indizien dafür, dass der Körper tatsächlich einem Erregerangriff ausgesetzt ist. Es reicht nämlich nicht, dass die körpereigene Spurensicherung die Phantomzeichnung eines Verdächtigen präsentiert. Erst wenn sie zusätzlich noch den dazu passenden Fingerabdruck findet, alarmiert sie den entsprechenden Ermittler und bläst zum Großangriff. Diese Fingerabdrücke sind meist strukturelle Merkmale von Viren oder Bakterien, die in unserem Körper so nicht vorkommen. Sie werden durch das angeborene Immunsystem erkannt und signalisieren, dass tatsächlich Gefahr im Verzug ist. Anders ausgedrückt: Das Immunsystem vergewissert sich stets doppelt, bevor es einen Krieg anzettelt.

Fast 200 Jahre nach der ersten Impfung war es 1989 der Wissenschaftler Charlie Janeway, der diese "Rückversicherungs-Strategie" erstmals postulierte. Seitdem suchen Arbeitsgruppen weltweit nach Rezeptoren des angeborenen Immunsystems, die Krankheitserreger identifizieren können. Mit großem Erfolg: Der riesige 30-Zoll-Bildschirm in Veit Hornungs Büro reicht kaum aus, um die bislang gefundenen Rezeptoren und ihre Signalwege darzustellen. "Wir in Bonn konzentrieren uns auf Sensoren für virales Erbgut", sagt er und umkreist mit dem Mauscursor die entsprechende Stelle auf dem Monitor.

Dabei hat er zusammen mit Professor Dr. Gunther Hartmann schon reichlich Aufklärungsarbeit leisten können. So haben sie entdeckt, dass ein Sensor namens RIG-I Fremd-RNA erkennen kann - das Erbgut vieler Viren besteht nicht aus DNA, sondern aus RNA. Erst vor einigen Wochen konnten die Bonner zudem zeigen, dass RIG-I augenscheinlich auch auf DNA anspricht. Dazu geht die Zelle einen interessanten Umweg: Sie erstellt aus viraler DNA eine RNA-Kopie, die RIG-I dann identifiziert.


Impfungen gegen AIDS und Krebs

Jede gesunde Körperzelle enthält ebenfalls RNA und DNA, auf die die Immunabwehr natürlich nicht ansprechen soll. Die Bonner Forscher wissen inzwischen jedoch, woran der Körper genetisches Material eines Krankheitserregers erkennt. Beispielsweise verrät sich Viren-Erbgut durch eine fehlende "molekulare Unterschrift". "Wir können inzwischen künstliche Erbgutschnipsel herstellen, die dem Immunsystem eine Infektion vorgaukeln", erläutert Professor Hartmann. Diese Schnipsel könnten die althergebrachten Adjuvantien ergänzen und so die Schutzwirkung von Impfungen deutlich verbessern. Vielleicht ermöglichen sie mittelfristig sogar bessere Impfstoffe gegen einen der bedrohlichsten Erreger, mit dem die Welt zu kämpfen hat: das AIDS-Virus.

Professor Dr. Thomas Tüting hat mit Hornungs und Hartmanns Genschnipseln schon gearbeitet. Der 47-jährige Dermatologe arbeitet in einem Fachgebiet, das der Laie nicht unbedingt mit Impfungen assoziiert: Er ist Hautkrebs-Forscher. Kürzlich haben seine Mitarbeiter und er mit einer interessanten Studie Aufsehen erregt: Es war ihnen gelungen, Hauttumoren von Mäusen zu behandeln. Und das so erfolgreich, dass selbst die Metastasen der Tiere komplett verschwanden.

Dazu nutzten die Forscher der Klinik für Dermatologie eine intelligente Mehrfach-Strategie. Die künstlichen Erbgut-Schnipsel made in Bonn spielten darin eine Schlüsselrolle. "Wir haben die Immunabwehr unserer Mäuse mit dem angeblichen Viren-Erbgut gegen Antigene scharf gemacht, die sie normalerweise ignorieren", erklärt Tüting. Seit Jahren träumen Krebsforscher davon, das Immunsystem gegen Tumoren in Stellung zu bringen. Da unsere Abwehrtruppen aber nicht so ohne weiteres gegen körpereigenes Gewebe Krieg führen (nichts anderes sind Tumoren ja), verliefen entsprechende Versuche jedoch weitgehend erfolglos. Das könnte sich jetzt ändern.

Der gefährliche schwarze Hautkrebs entsteht, wenn sich bestimmte Pigmentzellen - die Melanozyten - unkontrolliert vermehren. Melanozyten tragen auf ihrer Oberfläche charakteristische Eiweiß-Verbindungen. Die Bonner Forscher haben die Gene für diese Eiweißverbindungen nun in ein Virus gepackt. Dieses Virus haben sie dann zusammen mit den künstlichen Erbgut-Schnipseln Mäusen mit Hautkrebs injiziert. Das Ganze wirkte wie eine Impfung, durch die sie das Immunsystem gegen die entarteten Pigmentzellen in Stellung brachten. "Sowohl die Primärtumoren als auch die Metastasen verschwanden", freut sich Tüting.


Neue Bündnisse

Für den Erfolg waren aber auch noch zwei weitere Zutaten ausschlaggebend: "Zum einen haben wir die Mäuse zuvor mit einem Chemotherapeutikum behandelt", erklärt Tütings Mitarbeiterin Judith Kohlmeyer. "Außerdem stellen Mäuse normalerweise keine Abwehrzellen her, die körpereigene Strukturen bekämpfen können. Daher haben wir den Versuchstieren zusätzlich künstlich gezüchtete spezifische Killerzellen injiziert."

Dass sich Krebsforscher mit Immunologen verbünden, ist ein vergleichsweise neuer Trend. Die Bonner Ergebnisse zeigen, wie erfolgreich eine solche Partnerschaft sein kann. Zwar gelten die Resultate bislang nur für den Tierversuch. "Unsere Versuchsmäuse entwickeln allerdings Melanome, die denen im Menschen sehr stark ähneln", betont Tüting. "Das lässt uns hoffen, dass sich unsere Mehrfach-Strategie auch für den Menschen eignen könnte."

Judith Kohlmeyer steckt gerade mitten in den Examensvorbereitungen. Dennoch plant sie schon den nächsten Schritt: Sie möchte testen, ob sich die Kombinations-Therapie auch gegen menschliche Melanomzellen eignet - wenn auch zunächst nur im Reagenzglas.


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Quelle:
forsch - Bonner Universitäts-Nachrichten Nr. 4, November 2009, Seite 8-10
Herausgeber:
Rektorat und Senat der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Abt. 8.2 - Presse und Kommunikation
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forsch erscheint viermal pro Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2010