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FORSCHUNG/2168: Molekulare Prothese gegen Gicht (idw)


Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) - 28.03.2010

Molekulare Prothese gegen Gicht


Forschende am Departement für Biosysteme (D-BSSE) der ETH Zürich entwickelten eine neue Methode, mit der sich die Ursache von Gicht präventiv und dauerhaft beheben lässt. Dabei wird ein biologisches Netzwerk implantiert, das selbstständig den Harnsäurespiegel reguliert.

Schon Paracelsus wusste: allein die Dosis macht's. Dies gilt nicht nur für zugeführte chemische Substanzen, sondern auch für körpereigene Stoffe. Insbesondere die Harnsäure im Blut sollte wohldosiert sein. Ist der Spiegel zu hoch (d.h. über 6,8 mg/dl Blut), kristallisiert die Harnsäure aus, was zu Nierensteinen und Gicht führen kann. Harnsäure hat aber andererseits eine wichtige Funktion als Teil des menschlichen Entgiftungssystems. Sie ist so genannter "Fänger" von freien Radikalen, die zu neurologischen Störungen, Hirnerkrankungen und Tumorbildungen führen. Einem Forschungsteam von Professor Martin Fussenegger am Departement Biosysteme der ETH Zürich in Basel ist es nun gelungen, ein Netzwerk aus Genen zu bauen, welches die Harnsäurekonzentration dauerhaft im Lot hält. Erste Versuche in Mäusen sind vielversprechend. Die Forschungsresultate werden am Sonntag im Fachmagazin Nature Biotechnology veröffentlicht.

Netzwerk reguliert sich selbst

Bei den meisten Säugetieren bestimmt ein Enzym, die Urat-Oxidase, den Harnsäurespiegel. Während der Evolution, beim Übergang vom Affen zum Menschen, ist den Menschen dieses Enzym abhanden gekommen - sie leiden deshalb vermehrt an einer erhöhten Harnsäurekonzentration. Forschende der ETH Zürich haben nach einem Weg gesucht, wie dieser Defekt korrigiert und die subtile Kontrolle des Harnsäurespiegels wiederhergestellt werden kann. Dafür haben sie ein biologisches Netzwerk aus Genen namens UREX zusammengebaut. Die einzelnen Bausteine von UREX sind von den Forschern unterschiedlich "programmiert" worden: Ein Harnsäuresensor misst und kontrolliert ständig die Konzentration im Blut. Erreicht der Harnsäurespiegel eine besorgniserregende Konzentration, gibt der Sensor diese Information an einen genetischen Schaltkreis weiter. Dieser sorgt dann dafür, dass ein dritter Bestandteil des Netzwerkes das Enzym Urat-Oxidase in der richtigen Menge ins Blut ausschüttet und der Harnsäurespiegel wieder in ein gesundes Gleichgewicht gebracht wird. Die drei Bausteine des Netzwerkes kommunizieren also untereinander und funktionieren so selbstständig und automatisch - ohne Zutun von aussen. Der Harnsäurespiegel kann auf diese Weise präventiv und dauerhaft durch UREX kontrolliert werden.

Kein Eingriff in die Gene

Dieses Netzwerk aus Genen wird in eine einzelne Zelle integriert. Rund zwei Millionen dieser Zellen werden in einer Kapsel aus Algengelatine eingeschlossen, die einen Durchmesser von 0,2 mm hat. Die Kapsel schützt die Zellen vor einer Abwehrreaktion des Immunsystems. Poren in der Kapsel sorgen dafür, dass Nährstoffe in die Zelle gelangen können, der Harnsäurespiegel durch den Sensor gemessen wird und sich das Enzym den Weg in das Blut bahnen kann. Der Organismus kommt aber nicht in Kontakt mit den veränderten Genen des Netzwerks. Auch wenn die Methode bei Menschen angewandt wird, wäre kein direkter Eingriff in das Erbgut des Patienten nötig. "Bei Krankheiten, die auf einem Gendefekten beruhen, kann es sinnvoll sein, genetisch verändertes Material direkt in die menschlichen Zellen einzuschleusen. Es hat sich aber gezeigt, dass dies Befürchtungen weckt, weil dieses Material nicht mehr entfernt werden kann", erklärt Martin Fussenegger. Ganz anders bei der neuen Methode: Das Implantat kann jederzeit gefahrlos und ohne jede Nachwirkung entfernt werden.

Für den ETH-Professor zeigt dieses Forschungsergebnis exemplarisch, was der relativ neue Forschungszweig der synthetischen Biologie alles zu leisten vermag: "Viele medizinische Probleme werden dadurch gelöst, dass dem Körper chemische Substanzen, sprich Medikamente, von aussen zugeführt werden müssen. Bei unserer Methode korrigieren wir einen fehlerhaften Stoffwechselweg und helfen dem Körper dabei, sich optimal selbst zu therapieren." Martin Fussenegger spricht in diesem Zusammenhang auch gerne von einer "Molekularen Prothese" - ein künstlich gemachtes Hilfsmittel also, das den evolutionär bedingten Defekt an Urat-Oxidase optimal ausgleicht.

Gicht als Geissel der Menschheit

Rund 1% der Bevölkerung in den industrialisierten Ländern leidet aufgrund des erhöhten Harnsäurespiegels unter der äusserst schmerzhaften Gelenkerkrankung Gicht. Gründe für eine Erhöhung des Harnsäurespiegel gibt es viele: Eine genetische Veranlagung, Umwelteinflüsse oder eine unausgewogene Ernährung. Zudem kann es bei Chemotherapien zum sogenannten Tumorlyse-Syndrom kommen. Tumorzellen zerfallen wegen des Eingriffs so schnell, dass zu viel Harnsäure ins Blut gelangt. Die Folge ist eine Stoffwechselentgleisung, die unter Umständen bis zum Nierenversagen führen kann.

Das ETH-Forschungsteam hat das Netzwerk UREX erfolgreich an Mäusen getestet: Die Harnsäurekonzentration im Blut ging - wie erwartet - auf ein stabiles und gesundes Niveau zurück und die Harnsäurekristalle in den Nieren der Tiere lösten sich auf. Das Netzwerk ist bereits zum Patent angemeldet, die weiteren Schritte für die medizinische Anwendung müssen nun aber von anderen Partnern übernommen werden. "Wir sind zuversichtlich, dass unser Netzwerk baldmöglichst alle nötigen Testreihen durchläuft, aber erfahrungsgemäss dauert es länger als erhofft, bis ein fertiges Produkt auf dem Markt ist," dämpft Fussenegger die hohen Erwartungen. Dann allerdings könnten Gicht und Nierensteine der Vergangenheit angehören.


Weitere Informationen:
ETH Zürich
Prof. Martin Fussenegger
Departement für Biosysteme
martin.fussenegger@bsse.ethz.ch

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.bsse.ethz.ch
(Departement für Biosysteme)

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution104


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)
Franziska Schmid, 28.03.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2010