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FORSCHUNG/1932: Schmarotzer im Genom (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 29. Januar 2009

Schmarotzer im Genom

Die Struktur eines Proteins hilft zu verstehen, wie sich parasitäre Gene im Erbgut vermehren


In unserem Betriebssystem haben sich Schmarotzer breit gemacht: Zu gut einem Viertel besteht unser Erbgut aus parasitären Genen. Wie sich eines dieser Gene im Erbgut einnistet, könnte die Struktur eines Proteins erklären, die Forscher am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen jetzt bestimmt haben. Der Bauplan für dieses Protein findet sich auf dem parasitären Gen, das Biologen LINE-1-Retrotransposon, kurz LINE-1, nennen. Anhand der Proteinstruktur haben die Wissenschaftler auch gezeigt, dass LINE-1 nicht so eng mit Retroviren wie etwa dem HI-Virus verwandt sind wie bisher angenommen. Setzen sich die Schmarotzer-Gene an der falschen Stelle fest, lösen sie Krankheiten aus. Gelänge es den Biologen aber, das Verhalten des LINE-1 nachzuahmen, könnten sie die Parasiten-Gene vielleicht zu Therapiezwecken einspannen und gezielt Informationen ins Erbgut einschleusen. (PNAS, 20. Januar 2009)


Im Genom von Säugetieren, auch dem des Menschen, hat sich wahllos das parasitäre Gen LINE-1 verbreitet. Gegenwärtig macht es etwa 17 Prozent des menschlichen Erbgutes aus. "Dies ist ein riesiger Anteil, wenn man berücksichtigt, dass unsere etwa 30 000 Proteine von weniger als fünf Prozent der DNA kodiert werden", erklärt Oliver Weichenrieder, der diese Gene am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie untersucht.

Weichenrieder und seine Mitarbeiterin Elena Khazina helfen nun aufzuklären, wie sich das LINE-1-Retrotransposon ins Erbgut schmuggelt: Sie haben die Struktur eines Proteins namens L1ORF1p ermittelt, dessen Bauplan in dem parasitären Gen enthalten ist. Aus dieser Struktur schließen die Forscher, wie das Protein das LINE-1 Gen bei der Vermehrung unterstützt, denn sie haben in dem Protein einen Bereich entdeckt, der an RNA, die Boten genetischer Information, bindet. Eine solche Region, die Biologen RRM-Domäne nennen, hatten sie in dem Protein nicht erwartet.

"RRM-Domänen, wie wir sie im L1ORF1p-Protein gefunden haben, sind nicht in Viren vorhanden", erklärt Weichenrieder. "Das grenzt die LINE-1-Retrotransposons deutlich von den Retroviren ab." Bislang wurde spekuliert, L1ORF1p sei mit retroviralen Proteinen verwandt.

Die Erkenntnisse sind für Biologen auch deshalb interessant, weil LINE-1 auch anderen parasitären Genen hilft, im Erbgut Platz zu nehmen. "Verstehen wir, wie das geschieht, können wir möglicherweise gezielt Gene einschleusen", sagt Weichenrieder: "Vielleicht können wir dann sogar Gene präzise aneinander puzzeln - doch das ist bislang nur eine Vision."

Parasitäre Gene pflanzen sich ständig fort: "Eines von zwanzig Neugeborenen weist eine neue Integration eines solchen Elementes auf", sagt Weichenrieder: "Es ist kaum vorstellbar, dass die massive Integration von parasitären Genen ohne Auswirkungen auf die Evolution des Menschen blieb. Umso erstaunlicher ist, wie wenig bisher über den Mechanismus und die daran beteiligten Proteine bekannt ist." Fast jedes menschliche Gen scheinen die erfolgreichen Schmarotzer schon einmal verändert zu haben. Solche Veränderungen tragen zur Evolution bei, können aber in seltenen Fällen Tumore oder Stoffwechselkrankheiten hervorrufen. Meistens gefährdet es die Gesundheit lebender Menschen jedoch nicht. Wenn tatsächlich einmal ein wichtiges Gen zu stark beschädigt ist, werde ein Mensch gar nicht geboren, führt Weichenrieder aus.

Nun untersuchen die Forscher, wie das LINE-1-Retrotransposon die Zelle einspannt, um sich zu vermehren. Zudem beschäftigt sie die Frage, wie die Zelle verhindert, dass parasitäre Gene überhand nehmen. Bei Pflanzen, Insekten und Fischen sind schon Mechanismen bekannt, die die Vermehrung blockieren. Nun suchen sie nach ähnlichen Mechanismen beim Menschen.
[PH/NV]


Originalveröffentlichung:
Elena Khazina, Oliver Weichenrieder
Non-LTR retrotransposons encode noncanonical RRM domains in their first open-reading frame
PNAS, 20. Januar 2009, vol. 106 (3), 731-736, doi:
10.1073/pnas0809964106


Weitere Informationen erhalten Sie von:
Dr. Oliver Weichenrieder
Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen
Tel.: +49 7071-601-1358
E-Mail: Oliver.Weichenrieder@tuebingen.mpg.de

Dr. Susanne Diederich (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit)
Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen
Tel.: +49 7071-601-333
E-Mail: presse@tuebingen.mpg.de


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Quelle:
MPG - Presseinformation B / 2009 (12), 29. Januar 2009
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2009