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AUSLAND/1672: Russland boykottiert WHO-Empfehlung - Gute Geschäfte statt Jodsalz für alle (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. März 2011

Osteuropa: Gute Geschäfte statt Jodsalz für alle - Russland boykottiert WHO-Empfehlung

Von Pavol Stracansky


Belgrad, 14. März (IPS) - Als einzige Staaten der ehemaligen Sowjetunion boykottieren Russland und die Ukraine weiterhin die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die allgemeine Jodanreicherung von Speisesalz gesetzlich zu verankern. In den beiden Ländern wird nur die Hälfte der insgesamt 200 Millionen Einwohner ausreichend mit dem Spurenelement Jod versorgt. Jodmangel ist ein Gesundheitsrisiko und verzögert oder schädigt die geistige Entwicklung von Kindern.

Kritische Beobachter vermuten hinter der Weigerung Moskaus und Kiews den Druck einer Industrie, die Jod und Jodsalz gewinnbringend vermarktet. Hinter vorgehaltener Hand meinte einer der Gesundheitsexperten, die kürzlich in der serbischen Hauptstadt Belgrad tagten: "In Russland und in der Ukraine lehnen Pharmaunternehmen, die mehr Jodtabletten verkaufen wollen, sowie Nahrungsmittel- und Salzproduzenten und die Regierung die Jodanreicherung von Salz ab."

Die in Belgrad versammelten Fachleute untersuchten den Erfolg eines vor neun Jahren von WHO und UNICEF in Russland und anderen Mitgliedsländern der ehemaligen Sowjetunion begonnenen Jodierungsprogramms. Dort waren 2000 in nur sieben von 20 Ländern mehr als die Hälfte der Haushalte ausreichend mit dem Spurenelement Jod versorg. Besonders Weißrussland und Kasachstan erzielten inzwischen bemerkenswerte Erfolge. Dagegen kommen nach Schätzungen der Konferenzteilnehmer in Russland mehr als eine Million Kinder zur Welt, die nicht vor Jodmangel geschützt sind.

Eine obligatorische Jodierung von Speisesalz würde in Russland und in der Ukraine dazu führen, dass bis zu 98 Prozent der Bevölkerung täglich ausreichend mit Jod versorgt werden. Derzeit sind es 51 Prozent.

Gegenüber IPS bekräftigte Russlands ehrenamtlicher UNICEF-Botschafter Anatoli Karpow: "Aus eigenen geschäftlichen Interessen widersetzt sich Russlands Wirtschaft massiv der Jodierung von Kochsalz. Russische und ukrainische Behörden begreifen offenbar nicht, wie wichtig eine ausreichende Versorgung der Menschen mit Jod ist."

Auch wenn Ärzte und Ernährungsexperten die Jodierungsinitiative unterstützen, bezweifeln manche Gegner den medizinischen Nutzen des Programms. So etwa sorgten Bedenken von Gesundheitsaktivisten in Indien dafür, dass die obligatorische Jodanreicherung von Salz Ende der 1990er Jahre aufgegeben wurde. 2005 wurde sie wieder eingeführt.

Die für UNICEF in Russland und Zentral- und Osteuropa arbeitende Ernährungswissenschaftlerin Vilma Tyler sagte IPS: "Die von der WHO nach zahlreichen Studien empfohlene geringe Dosierung von Jod im Salz wird regelmäßig kontrolliert, so dass keinerlei gesundheitliche Schäden zu befürchten sind."

Da erstmals auch das russische Agrarministerium auf der Expertenkonferenz in Belgrad mit einer Delegation vertreten war, besteht nach Ansicht von Karpow Hoffnung, dass sich Moskaus Haltung zum obligatorischen Jodsalz in absehbarer Zeit ändern könnte. "Ich denke, in dieser Angelegenheit wird sich in Russland und der Ukraine noch in diesem Jahr etwas tun" meinte er zuversichtlich. (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2011