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AUSLAND/1871: Osteuropa - Ärzte gegen Korruption (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. August 2012

Osteuropa: Ärzte gegen Korruption

von Pavol Stracancsky



Bratislava, 23. August (IPS) - Mediziner in der Slowakei haben eine bislang beispiellose Kampagne gegen die grassierende Korruption in ihrem Berufszweig gestartet. Unter dem Motto 'Danke, wir nehmen keine Schmiergelder' will die Ärztegewerkschaft nun für mehr Transparenz sorgen.

Im Rahmen der Kampagne werden die teilnehmenden Ärzte bei der Arbeit entsprechende Sticker tragen und sich auf einer speziellen Website als Teilnehmer der Initiative outen. Bestechlichkeit im Gesundheitswesen ist ein Problem, das viele osteuropäische Länder betrifft.

Wie aus einer 2010 verbreiteten Studie von 'Transparency International' hervorgeht, belegt die Slowakei, was die Korruption im Gesundheitswesen angeht, den 18. Platz von 88 untersuchten Staaten. Ein weiterer in diesem Jahr veröffentlichter Bericht kommt zu dem Schluss, dass jede vierte slowakische Familie bereits Erfahrungen mit korrupten Ärzten gemacht hat.

Viele Patienten fühlen sich selbst dann zu Schmiergeldzahlungen verpflichtet, wenn sie nicht explizit danach gefragt werden. Damit wollen sie sicherstellen, gut medizinisch versorgt zu werden. Betroffene berichteten von Beträgen zwischen 20 und mehreren Tausend Euro, mit denen sie sich eine vorgezogene OP oder andere Vorzugsbehandlungen erkauften.


Problem in der gesamten Region verbreitet

In anderen zentral- und osteuropäischen Staaten ist die Situation ähnlich oder sogar noch schlimmer. Die Bestechlichkeit des Gesundheitspersonals ist auch in der Ukraine, Moldawien, Rumänien und Ungarn ein bekanntes Problem.

In vielen ehemaligen Sowjetrepubliken ist der öffentliche Gesundheitssektor im Vergleich zum europäischen Durchschnitt stark unterfinanziert. Ärzte und Pfleger verdienen nur wenig und arbeiten unter ungünstigen Bedingungen. In den vergangenen zwei Jahren ist es deshalb in Ungarn, Tschechien und der Slowakei häufig zu Streiks gekommen.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie des unabhängigen Instituts für Gesundheitspolitik (HPI) in Bratislava sieht die Unterbezahlung jedoch nicht als den ausschlaggebenden Grund für die Korruption. Die Ärzte seien "gierig" und nutzten die Umstände aus, um Schmiergelder einzufordern, heißt es in dem Bericht.

Das Problem wird dadurch verschärft, dass sich Patienten ihrer Rechte nicht wirklich bewusst sind. Gabriel Sipos, der Direktor des Slowakei-Büros von Transparency International, erklärte gegenüber der Zeitung 'Sme', dass die Versorgungsansprüche der Patienten genau definiert werden müssten.

Andere Beobachter verweisen auf die historischen Wurzeln des Übels. Es habe bereits zu Sowjetzeiten existiert. Damals war es in allen Bereichen der Gesellschaft üblich, Geld oder Geschenke für Vorzugsbehandlungen oder den Zugang zu bestimmten Waren und Dienstleistungen zu zahlen. "Schmiergelder wurden vor 1989 gezahlt, und so ist es bis heute geblieben", konstatiert Roman Muzik vom HPI.

Nach Schätzungen der Weltbank fließen allein in Rumänien täglich durchschnittlich 750.000 Euro an Schmiergeldern. Rumänische Medien berichteten, dass das Personal in Krankenhäusern Hunderttausende Euro von Patienten kassiert, die im Ausland operiert werden wollen. Rumäniens Gesundheitsminister Ladislau Ritli räumte gar Anfang des Jahres ein: "Die Bestechlichkeit geht so tief, dass sie nur schwer zu beseitigen ist."


Patienten sollen korrupte Doktoren anzeigen

Muzik zufolge müssen die Patienten selbst diesen Teufelskreis durchbrechen. Sie sollten bestechliche Ärzte anzeigen. Im Zuge der neuen Kampagne bat die Ärztegewerkschaft das Gesundheitsministerium darum, eine spezielle Hotline zur Korruptionsbekämpfung zu schalten.

In der Vergangenheit wurden nur wenige korrupte Mediziner zur Rechenschaft gezogen. Manche Patienten erklärten, aus Angst vor der 'Mafia im weißen Kittel' keine Anzeige erstattet zu haben.

Kaum ein Arzt ist dazu bereit, offen über das Problem zu sprechen und Kollegen zu bezichtigen. Hinter vorgehaltener Hand räumen aber viele ein, dass diese Praxis verbreitet ist. Nach Ansicht von Muzik kann die Kampagne der Korruption sicherlich nicht den Garaus machen. Immerhin habe sie aber dazu geführt, dass slowakische Ärzte zugegeben hätten, dass in ihrer Branche Bestechlichkeit weit verbreitet ist. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.transparency.sk/en
http://www.hpi.sk/hpi/en
http://www.ipsnews.net/2012/08/treating-doctors-for-corruption/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. August 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2012