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AUSLAND/1909: Nicaragua - HIV-Übertragung soll strafbar werden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. Dezember 2012

Nicaragua: HIV-Übertragung soll strafbar werden

von José Adán Silva



Managua, 3. Dezember (IPS) - Das nicaraguanische Parlament will ein Gesetz verabschieden, um die Übertragung der Immunschwächekrankheit HIV/Aids strafbar zu machen. Nichtregierungsorganisationen, die sich um die Rechte Infizierter kümmern, bezeichnen Teile des Gesetzes als diskriminierend.

Das Gesetz zur Vorbeugung und zum Schutz vor HIV/Aids sowie zur Verteidigung der Menschenrechte von Infizierten wurde am 27. November mit den Stimmen von 85 der 92 Abgeordneten der Nationalversammlung in erster Lesung verabschiedet. Die abschließenden Verhandlungen zum Gesetz sollen in der ersten Dezemberwoche erfolgen.

Artikel 27 sieht vor, dass es die "Pflicht" einer jeden mit Aids oder HIV positiv diagnostizierten Person sei, "den Ehepartner, den Lebenspartner und den Partner einer stabilen oder kurzfristigen Beziehung über ihre Situation" zu informieren. Dies nicht zu tun, bedeute, die Übertragung geradezu zu provozieren.


UN: Bestrafung nur bei Vorsatz

Rund 100 zivilgesellschaftliche Organisationen kämpfen nun darum, den Text von Artikel 27 zu ändern. Die ungewollte Übertragung der Krankheit dürfe nicht strafbar gemacht werden. Das würde auch den Normen des Aids-Programms der Vereinten Nationen entsprechen: Demzufolge darf nur bestraft werden, wer wissentlich und vorsätzlich das Virus übertrage.

Arely Cano, Präsidentin der Nicaraguanischen Vereinigung HIV-Aids-Infizierter, ist der Auffassung, dass der Artikel 27 des nicaraguanischen Aids-Gesetzes die Menschenrechte der Betroffenen verletze und das eine solche Gesetzgebung der Prävention keineswegs dienlich sei.

"Wenn ein Partner einen Aids-Test macht und positiv getestet wird, und der andere Partner sich erst daraufhin testen lässt, dann kann er seinem Partner vorwerfen, ihn angesteckt zu haben - dabei hätte die umgekehrte Test-Reihenfolge auch die vermeintliche Schuldfrage anders aussehen lassen", sagt Cano.

"Der Artikel 27 widerspricht dem Artikel 20 des gleichen Gesetzes, nach dem niemand über seinen Gesundheitsstatus Rechenschaft ablegen muss. Jeder Mensch ist selbst für seine Sexualbeziehungen verantwortlich", sagt Cano. Artikel 20 bezieht sich hauptsächlich auf den Kontakt mit Ärzten und anderem Gesundheitspersonal, dem gegenüber HIV-/Aids-Infizierte dem Gesetz nach keine Angaben über ihren Gesundheitszustand abgeben müssen, dies aber dürfen, wenn sie wollen.

Artikel 27 ist genau genommen eine Dopplung bereits bestehender Rechtsgrundlagen. Das Strafgesetzbuch sieht bereits eine strafrechtliche Verfolgung vor, wenn die Übertragung von Krankheiten vorsätzlich geschehen ist. Allein die Möglichkeit der Übertragung wird mit sechs Monaten bis drei Jahren Haft bestraft, die tatsächliche Übertragung mit einem bis vier Jahren.

"Dass die Übertragung von Krankheiten bereits bestraft werden kann, hat die Epidemie nicht eingedämmt", sagt Johanna Ostrander, Direktorin der Stiftung zur Aids-Prävention 'Nimehuatzin', gegenüber IPS. Der Sinn eines solches Artikels ist daher fraglich.


"Staat muss Betroffene verteidigen"

Unter den Abgeordneten gibt es nun bereits erste positive Reaktionen auf den Druck aus der Zivilgesellschaft: "Gesetzestexte, die die Rechte von HIV-/Aids-positiven Menschen verletzen, gehören gestrichen", sagte der Abgeordnete Gustavo Porras von der regierenden Sandinistischen Front für die Nationale Befreiung (FSLN) gegenüber IPS. "Es darf nicht darum gehen, diese Menschen zu bestrafen oder schlechter zu stellen. Im Gegenteil: Der Staat muss sie verteidigen."

Das tut das Gesetz teilweise auch. Es garantiert den uneingeschränkten Zugang Betroffener zu Therapien und anti-retroviralen Medikamenten. Darüber hinaus fördert es den Zugang zu Kondomen und anderen Verhütungsmitteln, die die Gefahr der Übertragung von Geschlechtskrankheiten verringern können.

Sechs Millionen Menschen leben in Nicaragua. Dem Gesundheitsministerium zufolge sind 7.356 Fälle von Aids-/HIV-Infektionen bekannt. Doch auf jede diagnostizierte Person kommen Schätzungen zufolge drei bis vier nicht registrierte Infektionen. Insgesamt könnten daher rund 28.000 Nicaraguaner das Virus in sich tragen. Zwischen 2006 und 2011 ist die Zahl der positiv Getesteten um 11,2 Prozent gestiegen. Die meisten Betroffenen sind zwischen 15 und 39 Jahren alt. Vom sechsten UN-Millenniumsziel, die Zahl der Aids-/HIV-Infizierten bis 2015 zu halbieren, ist Nicaragua damit noch weit entfernt. (Ende/IPS/jt/2012)


Links:

http://www.asonvihsida.org.ni/asonvihsida/
http://www.nimehuatzin.org/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101980

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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Dezember 2012