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AUSLAND/2018: Pakistan - Traumatisiertes Gesundheitspersonal, Versorgung der Terroropfer macht krank (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. November 2013

Pakistan: Traumatisiertes Gesundheitspersonal - Versorgung der Terroropfer macht krank

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Krankenschwestern behandeln ein verletztes Kind am Lady-Reading- Krankenhaus in Peshawar
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, Pakistan, 21. November (IPS) - Ajab Guls erlebt jede Nacht ein Blitzgewitter aus grauenvollen Bildern. Er sieht blutüberströmte Körper, hört die Schreie von Frauen und Kindern. "Ich kann nicht mehr schlafen", sagt der 25-Jährige, der als Pfleger in der Notaufnahme des Lady-Reading-Hospitals (LRH) in Peshawar arbeitet. Dort werden 98 Prozent aller pakistanischen Terroropfer behandelt.

Die von den Bombenanschlägen und Selbstmordattentaten verursachten Verletzungen in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa und den angrenzten Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) haben die Ärzte, Rettungssanitäter, Krankenschwestern und -pfleger gezeichnet. Ihre Verletzungen sind zwar nicht sichtbar, gehen dafür aber tief. "Die meisten haben psychologische Probleme", berichtet Gul.

Peshawar, die Hauptstadt von Khyber Pakhtunkhwa, war einst eine friedliche Oase. Doch seit der Vertreibung der Taliban-Regierung aus Afghanistan 2001 treiben die selbst ernannten Gotteskrieger in den FATA-Grenzregionen ihr Unwesen. So kommt es zu Angriffen der 'Tehreek Taliban Pakistan' (TTP) auf die pakistanischen Streitkräfte, Regierungsstellen, Märkte und Schulen. Nach Polizeiangaben wurden seit 2005 mindestens 210 solcher Anschläge verübt.

"Da unsere Fachkräfte Opfer von Terroranschlägen behandeln, werden sie in nächster Nähe mit den Traumata ihrer Patienten konfrontiert", erläutert der LRH-Geschäftsführer Arshad Javaid. "Aus Angst vor Alpträumen greifen viele unserer Fachkräfte zu Antidepressiva, Beruhigungspillen und Schlafmitteln."

In Khyber Pakhtunkhwa gibt es zwölf größere Kliniken. In der Provinz leben 22 Millionen Menschen. Dennoch landen die meisten Opfer von Terroranschlägen im mit 1.650 Betten ausgestatteten LRH.


Schlimme Verletzungen

"Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass möglichst wenige Terroropfer sterben", berichtet Javaid. Doch der Anblick abgerissener Gliedmaßen, blutüberströmter Gesichter, der vielen Tränen und die lauten Schreie haben auch bei den Ärzten und Pflegern Narben hinterlassen.

"Ich sehe im Traum immer die verbrannten Körper von Kindern", schildert die 28-jährige Krankenschwester Rifat Bibi. "Der Anblick von Kindern, die schuldlos leiden oder sterben mussten, zerreißt mir das Herz."

In einigen Fällen ist das Gesundheitspersonal so stark traumatisiert, dass es versetzt werden muss. "Rund ein Dutzend meiner Kollegen haben die Notaufnahme verlassen, weil sie den Stress nicht aushielten", berichtet sie.

Das menschliche Leid, das der Doppelanschlag auf die Allerheiligenkirche am 22. September verursacht hatte, ist Bibi noch gut in Erinnerung. Damals starben 80 Menschen. "Das Bild von der blutüberströmten Frau, die an diesem Tag ihre beiden jüngeren Brüder verloren hat und über die Leichen gebeugt, so fürchterlich weint, will mir einfach nicht mehr aus dem Kopf."

Jauhar Ali ist der Leiter der Rettungssanitäter von Khyber Pakhtunkhwa. "Wir sorgen dafür, dass die Blutungen gestoppt und die Wunden verbunden werden", sagt Ali. Doch der Horror ist auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen. "Wenn ich nicht mehr im Dienst bin, werde ich von grausigen Bildern verfolgt", räumt er ein.

Ali erinnert sich noch gut an drei schwer verletzte Erstklässler, denen er medizinische Soforthilfe geleistet hatte. "Sie fragten mich, warum sie angegriffen worden seien. Ich konnte ihnen keine Antwort geben", sagt er. Seither mache er sich ständig Sorgen um die eigenen Kinder. "Auch sie könnten eines Tages zum Ziel der Terroristen werden."


Aggressive Angehörige

Amjad Ali, Psychiater am LRH, berichtet, dass zu allem Übel das Krankenhausteam auch mit Übergriffen von Opferangehörigen zu tun habe. Wie er betont, wurden nach dem Anschlag auf die Allerheiligenkirche am 22. September 233 Terroropfer ins LRH eingewiesen und behandelt. Dennoch seien Angehörige gewalttätig geworden.

Sanitäter und Pfleger zeigten häufig Symptome schwerer Belastungsstörungen. "Sie brechen in Tränen aus, wenn sie Menschen sehen, die leiden. Jeder zehnte ist seelisch krank. Wie kann man denn angesichts dieser vielen blutenden Menschen gleichgültig bleiben?" (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/11/treating-the-injured-leaves-its-wounds/

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IPS-Tagesdienst vom 21. November 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2013