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AUSLAND/2080: Uganda - Kleiner Sieg mit großer Wirkung, Gericht verfügt Herausgabe von Patientenakte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. März 2014

Uganda: Kleiner Sieg mit großer Wirkung - Gericht verfügt Herausgabe von Patientenakte

von Amy Fallon


Bild: © Amy Fallon/IPS

Michael Mubangizi (li.) und seine Frau Jennifer Musimenta mit ihrer Tochter Babirye
Bild: © Amy Fallon/IPS

Kampala, 28. März (IPS) - In Uganda hat ein Paar im Zusammenhang mit dem Verschwinden seines neugeborenen Kindes aus einem Krankenhaus einen juristischen Sieg davongetragen, der zum Präzedenzfall werden könnte. Nach dem Gerichtsurteil vom 26. März muss das Hospital die Patientenakte der Klägerin herausgeben. In vielen Gesundheitseinrichtungen des ostafrikanischen Landes werden die Unterlagen unter Verschluss gehalten.

"Babirye hat in diesen Tagen ihren zweijährigen Geburtstag gefeiert. Wir sind froh, unser Kind ist gesund", meint die Klägerin Jennifer Musimenta in der Lokalsprache Luganga. Ihr Mann Mubangizi übersetzt ins Englische. "Doch immer muss ich an das andere Kind denken. Lebt es noch? Ist es tot? Ich weiß es einfach nicht."

Das Kind, von dem sie spricht, ist Babiryes Zwillingsschwester Nakato. In Luganda bedeutet Babirye 'Erstgeborene eines weiblichen Zwillingspaares', Nakato 'Zweitgeborene'. Die Geburt von Zwillingen gilt in vielen afrikanischen Ländern als ein Segen.

Musimenta hatte das Zwillingspaar am 14. März 2012 im Mulago-Krankenhaus in Kampala, der größten Gesundheitseinrichtung des Landes, entbunden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie und ihr Mann gar nicht gewusst, dass sie Zwillinge erwarteten. Doch nur wenige Minuten nach der Geburt von Nakato wurde ihnen mitgeteilt, dass das Kind gestorben sei. Der Wunsch der Eltern, den Leichnam zu sehen, wurde ebenso abgeschlagen wie die Bitte um eine Kopie der Patientenakte.

"Drei Tage lang waren wir auf der Suche nach der Leiche", berichtet Michael Musimenta, der unmittelbar nach dem Vorfall die Polizei eingeschaltet hatte. "Wir haben uns überall im Krankenhaus umgesehen - in der Leichenhalle und auf der Entbindungsstation. Nirgendwo gab es zu diesem Zeitpunkt ein totes Kind", so der 30-jährige Mechaniker. Drei Tage später wurde dem Paar ein totes Kind ausgehändigt. "Das Kind war gerade geboren. Wir wussten gleich, dass das nicht unser Baby sein konnte." Der Verdacht wurde durch einen DNA-Test bestätigt.


Babys schon häufiger verschwunden

In Uganda gibt es viele solcher Fälle von verschwundenen oder gestohlenen Babys. Gerade in diesem Krankenhaus komme es vor, dass Mütter, die dort niederkämen, ihr Kind nicht erhielten, berichtet Nakibuuka Noor Musisi vom Zentrum für Gesundheit, Menschenrechte und Entwicklung (CEHURD).

"Nur die Medien berichten über solche Fälle", sagt Musisi. Dass betroffene Eltern nicht vor Gericht gehen, führt sie darauf zurück, dass die wenigsten wissen, an wen sie sich wenden können. Mubangizi and Musimenta waren nicht bereit, den Fall auf sich beruhen zu lassen und verklagten im Juli 2013 mit Hilfe des CEHURD den Geschäftsführer der Mulago-Klinik und den ugandischen Generalstaatsanwalt.

In der Klageschrift heißt es, dass die Klinik gegen das Verfassungsrecht des Paares auf Informationen und Elternschaft verstoßen habe. "Als wir uns mit diesem speziellen Fall konfrontiert sahen, war klar, dass wir vor Gericht ziehen mussten, um auf das in diesem Land existierende Problem aufmerksam zu machen", erläutert Musisi.

Am 26. März wurde das Mulago-Krankenhaus vom High Court Ugandas aufgefordert, dem Paar die Patientenakte sowie einen Auszug aus dem Geburtenregister der Klinik am Tag der Entbindung, eine Kopie des DNA-Tests sowie eine Liste mit den Mitarbeitern des Krankenhauses auszuhändigen, die an dem besagten Tag Dienst hatten.

Musisi zufolge hat das Urteil, in dem das Recht der Ugander auf Einsicht in ihre Krankenakten anerkannt wird, einen wichtigen Präzedenzfall geschaffen. "In der Verfassung heißt es, dass jeder das Recht auf Zugang zu staatlichen Informationen hat, sofern dadurch nicht der Staat oder die staatliche Sicherheit gefährdet wird", betont Musisi.


Maßnahme gegen hohe Müttersterblichkeit

Das jüngste Urteil wird auch Auswirkungen auf die hohe Müttersterblichkeitsrate von derzeit 438 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten haben. "Stellen Sie sich vor, Sie sind eine Frau, die einen Kaiserschnitt hinter sich hat und keine Kopie der Krankenakte bekommt, es aber nach ihrer Entlassung zu Komplikationen kommt", so Musisi vor dem hohen Gericht. "Das bedeutet, dass Sie diesem Fall zur Behandlung in die gleiche Klinik müssen. Doch was, wenn sich diese sehr weit entfernt von ihrem Wohnort befindet? Das sind die Gründe, warum so viele Mütter sterben."

Der Fall Nakato erklärt aber auch, warum viele ugandische Frauen Angst davor haben, im Krankenhaus zu gebären. "Nach dieser Erfahrung vor zwei Jahren würde ich bestimmt nicht mehr in diesem Krankenhaus entbinden", meint Musimenta.


Vergleich angeboten

Das Mulago-Hospital hat Interesse an einer gütlichen Beilegung des Falls mit Musimenta und Mubangizi bekundet. Die Rechtsberater der Klinik waren jedoch nicht zu einer Stellungnahme bereit.

Musimenta und Mubangizi geht es darum, die Wahrheit über das Schicksal ihrer Tochter zu erfahren. "Ich will einfach wissen, was ihr zugestoßen ist, ob sie vielleicht entführt wurde", meint die Mutter. Lokalen Berichten zufolge kommt es vor, dass Säuglinge aus Krankenhäusern gestohlen oder aber vom Krankenhauspersonal verwechselt werden. So sollen Eltern auch die toten Kinder anderer Paare bekommen haben.

Musimenta und Mubangizi werden wohl einem Vergleich zustimmen, sind sie finanziell nicht in der Lage, weitere Nachforschungen vorzunehmen. "Wir werden in unser Dorf gehen und an einer traditionellen Zeremonie teilnehmen. Sollte unsere Tochter noch leben, wird sie sich zeigen." (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/03/ugandans-fight-right-access-medical-records/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2014