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DEMENZ/043: Forschung - Neuer Ansatz bei der Diagnose und Therapie von Demenzerkrankungen (idw)


Charité-Universitätsmedizin Berlin - 18.06.2012

Neuer Ansatz bei der Diagnose und Therapie von Demenzerkrankungen

Manche Demenzkranke zeigen Symptome eines gestörten Immunsystems und sind entsprechend therapierbar



Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Charité - Universitätsmedizin Berlin ist es gelungen, einen neuartigen Therapieansatz bei Demenzerkrankungen vorzuschlagen. Die in der Fachzeitschrift Neurology* veröffentlichte Studie zeigt, dass Immunreaktionen gegen körpereigene Nervenzellen Ursache für fortschreitende Demenzerkrankungen sein können und dass eine entsprechende immunsuppressive Therapie große Wirksamkeit entfalten kann.

Demenzerkrankungen, die der Gesellschaft hohe Kosten und den Betroffenen und Angehörigen große psychosoziale Lasten aufbürden, werden bei oft unklarer Entstehung, schwieriger Vorbeugung und noch immer unbefriedigenden Therapien immer mehr als das Damoklesschwert über einer alternden Gesellschaft wahrgenommen.

Dr. Harald Prüß, Mediziner an der Klinik für Neurologie an der Charité, konnte nun zusammen mit seiner Arbeitsgruppe und Kooperationspartnern in Deutschland und den USA nachweisen, dass Demenzerkrankungen auch durch das Immunsystem hervorgerufen und so als Begleiterscheinung einer Autoimmun-Erkrankung therapierbar sein können. Dieser Ansatz wurde durch die bisherigen Diagnosekriterien übersehen. Bei den Patientinnen und Patienten dieser Studie, die an voranschreitenden Gedächtnisstörungen litten, konnte nachgewiesen werden, dass einige von ihnen eine Immunabwehr mit Antikörpern gegen einen Ionenkanal im Gehirn, einem sogenannten Glutamat-Kanal vom NMDA-Typ, entwickelt hatten. Dadurch wurden bestimmte Eiweiße in der Nervenzell-Membran reduziert, was zu charakteristischen Funktionsstörungen der Nerven und zum Verlust von Synapsen führte. Die Betroffenen zeigten Gedächtnisstörungen und Auffälligkeiten von Stimmung und Affekt. Die Eliminierung dieser Antikörper mittels einer Blutwäsche sorgte für eine Besserung der Symptome bei verbessertem Hirnstoffwechsel im Bereich des Hippokampus, einem Teil des Gehirns, der für Gedächtnisleistungen besonders relevant und bei Demenzerkrankungen vorrangig betroffen ist.

"Durch die Ergebnisse dieser Studie kann sich möglicherweise eine ganz neue diagnostische Herangehensweise an Demenzerkrankungen ergeben. Derzeit arbeiten wir an Folgestudien mit größeren Untersuchungsgruppen, um unseren Ansatz weiter verifizieren zu können", erläutert Harald Prüß. Er ergänzt: "Das verheißungsvolle Potential dieses neuen Ansatzes besteht darin, dass sich für eine ganze Gruppe von Demenzkranken, für die bislang keine spezifische therapeutische Option bestand, völlig neue Perspektiven ergeben könnten."


* Prüss H, Höltje M, Maier N, Gomez A, Buchert R, Harms L, Ahnert-Hilger G, Schmitz D, Terborg C, Kopp U, Klingbeil C, Probst C, Kohler S, Schwab JM, Stoecker W, Dalmau J, Wandinger KP:
IgA NMDA receptor antibodies are markers of synaptic immunity in slow cognitive impairment.
Neurology. 2012 May 29;78(22):1743-53.

Kontakt:
Privatdozent Dr. Harald Prüß
Klinik für Neurologie
Charité - Universitätsmedizin Berlin
harald.pruess[at]charite.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution318

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Charité-Universitätsmedizin Berlin, Dr. Julia Biederlack, 18.06.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2012