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DEMENZ/269: Forschung - Demenz mit Lewy-Körpern (Alzheimer Info)


Alzheimer Info, Ausgabe 1/16
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz

Demenz mit Lewy-Körpern

Von Prof. Dr. Alexander Kurz


Die Demenz mit Lewy-Körpern tritt seltener als die Alzheimer-Krankheit auf. Sie ist gekennzeichnet durch Störungen der Aufmerksamkeit, der Handlungsplanung, der visuellen Funktionen sowie durch optische Sinnestäuschungen und Parkinson-Symptome.


Was ist die Demenz mit Lewy-Körpern?

Die häufigsten Ursachen einer Demenz sind Krankheiten des Gehirns, bei denen auf Grund der Fehlverarbeitung von bestimmten Eiweiß-Stoffen (Proteinen) Nervenzellen funktionsunfähig werden und sich schließlich auflösen (Neurodegenerationen). Zu ihnen gehört die Demenz mit Lewy-Körpern. Das betroffene Protein ist α-Synuklein, dessen normale Funktion noch nicht genau bekannt ist. Es lagert sich zu kugelförmigen Gebilden innerhalb von Nervenzellen zusammen. Diese Einschlusskörper wurden von Friedrich Heinrich Lewy (1885-1950) 1912 erstmals beschrieben. Je nachdem, in welchen Abschnitten des Gehirns sich die Lewy-Körper bilden, entstehen unterschiedliche klinische Bilder. Wenn sie ausschließlich in den tief liegenden Zentren des Gehirns auftreten, die für die Bewegungssteuerung verantwortlich sind, kommt es zu motorischen Veränderungen wie Verlangsamung der Bewegungsabläufe, Steifheit, Zittern der Gliedmaßen und Gangunsicherheit. Dieses Symptommuster wird als Parkinson-Krankheit bezeichnet. Wenn Lewy-Körper in den Bereichen des Gehirns vorkommen, die für Lernen, Gefühlskontrolle, Handlungsplanung und komplexe visuelle Funktionen zuständig sind, entstehen Störungen des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit, des Planens und Organisierens, des emotionalen und sozialen Verhaltens und der Wahrnehmung, also eine Demenz.

Wie häufig ist die Demenz mit Lewy-Körpern und welche Ursachen hat sie?

Die Häufigkeit der Demenz mit Lewy-Körpern wird auf 4 pro Tausend in der Bevölkerung über 65 Jahre geschätzt. Damit ist sie rund 10-mal seltener als die Demenz bei Alzheimer-Krankheit und ungefähr gleich häufig wie die Frontotemporale Demenz. Der Beginn der Symptome liegt meist zwischen dem 50. und 80. Lebensjahr. Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen. Bei den meisten Patienten finden sich keine gleichartigen Erkrankungen in der Familie. Nur in sehr seltenen Fällen wurden Veränderungen im Gen für α-Synuklein als Ursache gefunden.

Woran ist die Demenz mit Lewy-Körpern zu erkennen?

Bei dieser Form der Demenz sind Störungen des Gedächtnisses und der Sprache zwar vorhanden, sie prägen aber nicht das klinische Bild. Vorrangig sind Beeinträchtigungen der Aufmerksamkeit (einschließlich starker Schwankungen während des Tages), der zielgerichteten Handlungssteuerung und Selbstregulation, der visuellen Funktionen (Wahrnehmung der Größe und Form von Gegenständen; Bewegungen unter Sichtkontrolle) sowie lebhafte und detaillierte optische Sinnestäuschungen. Die charakteristischen Bewegungsstörungen der Parkinson-Krankheit (Verlangsamung, Steifheit, Zittern der Gliedmaßen, Gangunsicherheit) treten bei den meisten Patienten auf, können aber auch fehlen. Häufig kommt es zu einer Fehlsteuerung automatischer innerkörperlicher Vorgänge mit der Folge von Schwindel, Stürzen, vorübergehendem Bewusstseinsverlust oder Harninkontinenz.

Ein eigenartiges Phänomen, das bei allen α-Synuklein-Krankheiten auftreten kann, sind Verhaltensstörungen während des Träumens. Weil die normalerweise in diesen Phasen des Schlafes bestehende Lähmung der Willkürmuskulatur aufgehoben ist, werden Träume, die oft angstbesetzt sind, in heftigen Bewegungen (Schlagen, Boxen, Treten, Stoßen) ausagiert.

Wie wird die Diagnose gestellt?

Die klinische Diagnose stützt sich auf die genannten klinischen Krankheitszeichen. Da viele dieser Symptome auch bei anderen Krankheiten vorkommen, bestehen Unsicherheiten hinsichtlich der Abgrenzung vor allem gegenüber der Alzheimer-Krankheit und gegenüber durchblutungsbedingten Demenzzuständen. Das Elektro-Enzephalogramm (EEG) und die Untersuchung von bestimmten Proteinen (β-Amyloid und Tau) in der Hirnrückenmarksflüssigkeit tragen wenig zur Unterscheidung bei. Die Kernspintomografie erlaubt den Ausschluss von alternativen Demenzursachen wie Schlaganfälle, Hirnblutungen oder Tumoren, liefert aber keine krankheitstypischen Befunde. Mit einem anderen bildgebenden Verfahren (Szintigrafie) lässt sich der Nervenzelluntergang in tief liegenden Strukturen des Gehirns nachweisen. Er ist bei der Demenz mit Lewy-Körpern erheblich stärker ausgeprägt als bei der Alzheimer-Krankheit. Eine weitere bildgebende Technik (Positronen-Emissions-Tomografie, PET) eignet sich dazu, den Funktionszustand von Nervenzellen in der Hirnrinde darzustellen. Er zeigt bei der Demenz mit Lewy-Körpern ein charakteristisches Muster von Ausfällen im Scheitel- und Hinterhauptslappen. Die Parkinson-Krankheit mit Demenz weist große Übereinstimmungen mit der Demenz mit Lewy-Körpern auf. Diese Diagnose wird gestellt, wenn die Bewegungsstörungen der Demenz um mindestens ein Jahr vorausgehen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

In stärkerem Maß als bei der Alzheimer-Krankheit sind bei der Demenz mit Lewy-Körpern Nervenzellverbände in Mitleidenschaft gezogen, die unterhalb der Hirnrinde liegen. Dazu gehört das Kerngebiet, in dem Acetylcholin erzeugt wird. Aus diesem Grund ist der Mangel an diesem Überträgerstoff, der für Aufmerksamkeit und Gedächtnis eine bedeutende Rolle spielt, besonders ausgeprägt. Dieses Defizit kann durch Medikamente teilweise ausgeglichen werden, die den Abbau von Acetylcholin unterbinden (z. B. Rivastigmin). Durch diese Behandlung lassen sich sowohl die kognitiven Fähigkeiten als auch die Alltagsfunktionen verbessern. Darüber hinaus kommt es zu einem Rückgang von problematischen Verhaltensweisen wie grundlose Befürchtungen, Unruhe oder Antriebslosigkeit. Manchmal werden auch optische Sinnestäuschungen gemildert. Die Halluzinationen stellen aus zwei Gründen ein besonderes Problem für die Therapie dar. Erstens reagieren Patienten mit Demenz bei Lewy-Körpern überempfindlich _auf Neuroleptika, die üblicherweise gegen diese Symptome eingesetzt werden. Es kann zu vermehrter Steifheit der Bewegungen, Verwirrtheit, Benommenheit und Stürzen kommen.

Zweitens werden die Sinnestäuschungen häufig durch die Medikamente verstärkt, die zur Behandlung der Bewegungsstörungen eingesetzt werden. Deswegen muss die medikamentöse Therapie von Sinnestäuschungen (z. B. mit Quetiapin) und Parkinson-Symptomen (L-Dopa) mit größter Vorsicht, regelmäßiger Kontrolle und mit möglichst niedrigen Dosierungen erfolgen. Zur Behandlung von depressiven Verstimmungen eignen sich Antidepressiva, die das Serotonin-System des Gehirns aktivieren (z. B. Citalopram). Nicht-medikamentöse Behandlungsformen sind bei der Demenz mit Lewy-Körpern ganz besonders wichtig. Dazu gehören kognitive Aktivierung, Ergotherapie, Physiotherapie, Wohnungspassung, gute Beleuchtung tagsüber, geeignete Beschäftigung, Vermeiden von Reizüberflutung und Beratung der Angehörigen.

Prof. Dr. Alexander Kurz
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Klinikum rechts der Isar Technische Universität München


Alzheimer Info 2/2016
"Menschen mit Demenz in der Arztpraxis"

Die nächste Ausgabe des Alzheimer Info wird Ende Mai 2016 erscheinen. Das Schwerpunktthema lautet "Menschen mit Demenz in der Arztpraxis". Menschen mit Demenz besuchen, in der Regel mit Angehörigen, den Hausarzt und Neurologen, aber auch verschiedene Fachärzte, etwa Zahn- und Augenärzte. Ein Teil ist gut auf den Umgang mit Demenzkranken vorbereitet, doch es gibt auch andere Erfahrungen. Was kann getan werden, wenn Menschen mit Demenz Arztbesuche ablehnen? Welche positiven oder negativen Erfahrungen haben Sie in Arztpraxen gemacht?

Bitte schicken Sie uns dazu Manuskripte, gerne mit Fotos, möglichst als Datei; maximal eine dreiviertel Seite in einer 12er Schrift (etwa 350 Wörter). Redaktionsschluss ist der 5. April 2016.

Auswahl und Kürzungen behält sich die Redaktion vor.

Übrigens: Das übernächste Heft (3/2016), das Ende August 2016 erscheinen wird (Redaktionsschluss: 24. Juni 2016), hat die Schwerpunkte, "Welt-Alzheimertag" und "Wie verändert sich die Familie, wenn ein Mitglied erkrankt?" Auch hierzu freuen wir uns über Ihre Beiträge!

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Quelle:
Alzheimer Info, Ausgabe 1/16, S. 14 - 15
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz
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Das Alzheimer Info erscheint vierteljährlich.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2016

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