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DEMENZ/344: Interview - Wieso ist das Schlafen in Pflegeheimen ein Problem? (Alzheimer Info)


Alzheimer Info, Ausgabe 4/17
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz

Interview
Normalität muss das Ziel sein

Astrid Lärm sprach mit Claus Appasamy


In Pflegheimen wird meist nach einem traditionellen Drei-Schicht-Modell gearbeitet, das den Tagesablauf bestimmt. Darin bleibt wenig Raum für einen individuellen Schlafrhythmus. Vor allem für Menschen mit Demenz ist das schlecht, meint Claus Appasamy. Er berät Einrichtungen bei der Umstellung ihrer Arbeitszeitmodelle.

Alzheimer Info: Wieso ist das Schlafen in Pflegeheimen ein Problem?

Claus Appasamy: Schlafgewohnheiten sind sehr verschieden. Wann und wie lange ein Mensch schlafen möchte, ist individuell unterschiedlich. Außerdem wird der Schlaf im Alter kürzer und weniger tief. In Pflegeheimen ist oft kein Platz für diese individuellen Schlafgewohnheiten.

In den meisten Heimen beginnt der Tag um 6.30 Uhr, nach dem Wechsel vom Nachtdienst zum Frühdienst. Der Tag endet kurz vor Dienstbeginn des Nachtdienstes, also etwa um 20 Uhr. Je nach Organisation des Spätdienstes kann es passieren, dass die ersten Bewohnerinnen und Bewohner gleich nach dem Abendbrot um 18.30 Uhr ins Bett gebracht werden. Viele wünschen dies auch so, weil es nach dem Abendbrot in der Einrichtung ohnehin langweilig ist. Die meisten Betreuungsangebote gibt es am Vormittag und am Nachmittag.

Warum ist das für Menschen mit Demenz schlecht?

Besonders Menschen mit Demenz sind darauf angewiesen, dass ihre Lebensgewohnheiten beachtet werden. Um sich wohlzufühlen, brauchen sie einen Tagesablauf, der für sie normal ist. Der typische Tag im Pflegeheim passt aber nicht zu den Bedürfnissen von Nachtmenschen, die gern später schlafen gehen. Außerdem passt die lange Nachtruhe nicht zu dem im Alter verringerten Schlafbedürfnis. Kaum ein älterer Mensch möchte zehn oder zwölf Stunden im Bett liegen. Das führt dazu, dass viele Bewohnerinnen und Bewohner nachts wach werden. Menschen mit Demenz werden dann oft unruhig und geistern in der Einrichtung umher. Die Pflegekräfte im Nachtdienst geraten unter Druck, weil sie gar nicht die Zeit haben, mehrere Bewohner gleichzeitig zu betreuen. In manchen Einrichtungen wird dann zu Schlafmitteln gegriffen. Mit einem normalen Tagesablauf hat das alles nichts zu tun.

Worauf können Angehörige achten?

Angehörige sollten darauf achten, ob es in einer Einrichtung auch abends und am Wochenende Betreuungsangebote gibt, und danach fragen. Außerdem ist es sehr aufschlussreich, wann es Abendessen gibt. In vielen Einrichtungen ist die Personalnot so groß, dass das Abendessen bereits um 17.30 Uhr beginnt, auch wenn auf dem Plan etwas anderes steht. Aber nur so schafft es der Spätdienst, alle Bewohner bis zur Übergabe ins Bett zu bringen. Auch die Besetzung am Wochenende ist wichtig. Wenn Angehörige sehen, dass am Wochenende noch weniger Personal da ist, sollten sie hellhörig werden.

Der Personalmangel in der Pflege verschärft dieses Problem. Wie groß ist da überhaupt der Spielraum für einzelne Pflegeheime?

Bei der Arbeitsorganisation haben Pflegeeinrichtungen viel Gestaltungsspielraum und ich denke, den sollten sie nutzen - nicht zuletzt um ihren Mitarbeitenden attraktivere Arbeitsbedingungen zu bieten. Dazu gehören verlässliche Dienstpläne und flexiblere Arbeitszeitmodelle.

Was genau können Pflegeheime tun?

Pflegeheime sollten ihre Dienste und ihre Arbeitsabläufe grundlegend ändern. Es gibt kein Gesetz, das es vorschreibt, die Arbeit im Pflegeheim auf die gewohnte Art zu organisieren. Diese Tradition stammt letztlich aus den Krankenhäusern.

Es gibt sehr viele Wege, daran etwas zu ändern. Man kann zum Beispiel den Frühdienst um 7.30 Uhr starten. Das verschiebt des gesamten Tag eine Stunde nach hinten. Man kann aber auch zusätzlich zu den normalen Schichten sogenannte lange Dienste einführen: Manche Mitarbeitenden arbeiten dann zwölf Stunden am Stück, inklusive zwei Stunden Pause. Das bringt mehr Kontinuität für die Bewohnerinnen und Bewohner, weil die Gesichter nicht so häufig wechseln. Es gibt viele Möglichkeiten. Das Ziel dabei sollte die größtmögliche Normalität für die Bewohnerinnen und Bewohner sein.

Wir danken für das Gespräch!


Claus Appasamy ist Krankenpfleger, Mitarbeiter der Bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht, freiberuflicher Organisationsberater und 2. Vorsitzender der Deutschen Expertengruppe Dementenbetreuung e.V.

Das Interview führte Astrid Lärm, DAlzG

Internet:
www.3tueren.de
www.demenz-ded.de

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Quelle:
Alzheimer Info, Ausgabe 4/17, S. 7
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz
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Das Alzheimer Info erscheint vierteljährlich.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2018

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