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HERZ/875: Frauenherzen schlagen anders (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2016

Kardiologie
Frauenherzen schlagen anders

Von Uwe Groenewold


Frauen mit Herzerkrankungen unzureichend versorgt. Herzbericht unterstreicht geschlechtsspezifische Unterschiede.


Frauen erkranken später und sterben häufiger als Männer an einem Herz-Kreislauf-Leiden. Das erklärte Prof. Sandra Eifert, Herzchirurgin der Ludwig-Maximilian-Universität München (LMU), kürzlich bei einem Herzsymposium in Lübeck. Hinsichtlich Diagnose und Therapie sind Frauen gegenüber Männern nach wie vor benachteiligt. "Nicht Brustkrebs, sondern die Folgen von Herzinfarkt und Schlaganfall sind auch bei Frauen Todesursache Nummer eins", erläuterte die früher in Lübeck tätige Ärztin beim Gründungssymposium des Universitären Herzzentrums. Frauen erkranken in aller Regel zehn Jahre später als Männer. Worauf die schlechtere Prognose zurückzuführen ist, sei Gegenstand weiterer Forschungen.

Aktuelle Zahlen aus dem Deutschen Herzbericht 2015, der Ende Januar in Berlin vorgestellt wurde, unterstreichen die Aussagen von Eifert. Die Daten machen deutlich, dass Männer an den am weitesten verbreiteten Herzkrankheiten zwar häufiger erkranken, die Sterblichkeit bei Frauen insgesamt aber deutlich höher ist. Auffallend ist diese höhere Sterblichkeit etwa bei Frauen mit Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen oder Klappenerkrankungen. So lag 2013 die Sterbeziffer (Gestorbene pro 100.000 Einwohner) bei Herzschwäche für Frauen 81,6 Prozent über dem Wert der Männer (Frauen: 72,7; Männer: 40,0, in absoluten Zahlen: 29.973 Frauen starben gegenüber 15.842 Männern). Bei den Herzrhythmusstörungen lag die Sterbeziffer der Frauen um 47 Prozent höher, bei Herzklappenerkrankungen sogar um 56,2 Prozent. Weitere Zahlen aus dem Herzbericht:

- Von den erfassten kardiologischen Diagnosen betreffen 57,8 Prozent Männer und 42,2 Prozent Frauen. Die Erkrankungshäufigkeit betrug 2013 bei Männern 2.330,6 auf 100.000 Einwohner, bei Frauen 1.634.

- Die Sterblichkeit bei Frauen ist deutlich höher als bei Männern. Von den Patienten, die an einer der häufigsten Herzkrankheiten gestorben sind, sind 45,9 Prozent Männer und 54,1 Prozent Frauen. Die Sterbeziffer bei Männern beträgt 252 und bei Frauen 285,2.

- Bei den ischämischen Herzkrankheiten übersteigt die Sterbeziffer bei Männern mit 169,8 die bei Frauen mit 149,6.

"Die ungünstigere Prognose für Frauen bei diesen Erkrankungen lässt sich nicht ohne Weiteres erklären und bedarf genauer Analysen", betonte Prof. Thomas Meinertz, Vorsitzender der Deutschen Herzstiftung, bei der Vorstellung der Daten. In Frage kommen seiner Meinung nach Aspekte wie geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Wirkung von Medikamenten aufgrund von Stoffwechselprozessen, unterschiedliche Anatomie, hormonelle Unterschiede oder auch psychosoziale Faktoren, denn Frauen im hohen Alter leben häufiger allein, so Meinertz.

Auch die Beschwerden äußern sich offenbar bei Frauen anders. Zwar macht sich der Infarkt meist typischerweise in Form von Brustschmerzen bemerkbar. Doch Frauen klagen häufiger über atypische Brustschmerzen oder Angina-ähnliche Symptome wie Dyspnoe, Schwäche, Erbrechen oder Übelkeit. Plötzlich auftretende Symptome wie Schmerzen zwischen den Schulterblättern sowie in Hals und Nacken, starke Beschwerden im Kiefer, Kopf- und Oberbauchschmerzen sind bei ihnen weiter verbreitet als die Brustenge und in den linken Arm ausstrahlenden typischen Schmerzen beim Mann. Auslöser für einen Myokardinfarkt ist bei Frauen häufiger emotionaler Stress; bei Männern ist nach wie vor eher starke körperliche Aktivität Anlass für ein solches plötzliches Ereignis, erläuterte Eifert.

Werde die richtige Ursache nicht erkannt, könne womöglich nicht immer die angemessene Behandlung eingeleitet werden, so Eifert, die zahlreiche verschiedene Studien zum Thema ausgewertet hat. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum Frauen noch immer unterbehandelt sind. Des Weiteren äußern sich einige der bekannten Risikofaktoren wie Rauchen, Typ-2-Diabetes, Depression und andere psychosoziale Faktoren bei Frauen ausgeprägter. So ist ein Bluthochdruck bei Frauen stärker mit dem Auftreten eines Herzinfarktes assoziiert als bei Männern.

Auch gebe es geschlechtsspezifisch unterschiedliche immunologische Ausstattungen. Schwangerschaftskomplikationen etwa erhöhen das Risiko für eine arterielle Hypertonie um den Faktor vier, für Diabetes um den Faktor acht bis zehn, so die Herzchirurgin. Risikofaktoren und Begleiterkrankungen wirken sich stark auf die Prognose aus: Fünf Jahre nach einem Infarkt, so Eifert, leben noch mehr als 70 Prozent der Patientinnen ohne Diabetes. Erleiden jedoch zuckerkranke Frauen einen Infarkt, überleben weniger als 40 Prozent von ihnen die nächsten fünf Jahre.

Auch bei der Therapie des akuten Infarkts hat die Münchener Ärztin deutliche Unterschiede ausgemacht: Frauen werden seltener mit einer Bypass-OP versorgt als Männer. Und wenn sie doch operiert werden, sind sie länger beatmungspflichtig als Männer, liegen länger auf der Intensivstation, haben ein höheres Risiko für eine Pneumonie und insgesamt eine deutlich höhere Mortalität.

Worauf sich diese Unterschiede genau zurückführen lassen, müsse weiterhin erforscht werden, so Eifert. Welche Mechanismen führen bei Frauen zum Infarkt oder zum Auftreten anderer folgenschwerer Herzerkrankungen? Was sind die Ursachen für die höheren Komplikationsraten? Diese Fragen lassen sich nur beantworten, wenn Frauen in der Forschung angemessen repräsentiert werden.

Auch bestehe die Notwendigkeit, bei Frauen das Bewusstsein für die Risiken zu stärken. Denn ein ganz trivialer Grund für die unzureichende Versorgung könne darin liegen, dass Frauen mit akuten Herzproblemen später zum Arzt gehen als Männer. "Weil sie keine klassischen Infarktsymptome haben, denken Frauen häufig, die Beschwerden gehen schon wieder weg und verzichten auf einen rechtzeitigen Arztbesuch." Im Durchschnitt kommen Frauen mit akuten Herzbeschwerden eine halbe Stunde später in die Klinik als Männer. Obwohl in dieser Situation jede Minute zählt, verzögert sich deshalb häufig der Behandlungsbeginn. Denn die Sorge der Frauen gelte nach wie vor vielmehr dem vermeintlich starken Geschlecht zu Hause als dem eigenen Wohlbefinden, so Eifert. "Frauen achten im Alltag viel stärker darauf, dass ihr Mann bei Problemen einen Arzt aufsucht."


Info

Beim akuten Herzinfarkt ist die Sterbeziffer bei Frauen mit 55,9 um 23,7 Prozent niedriger als bei Männern (73,3). Die Sterbeziffer der Herzklappenkrankheiten dagegen beträgt bei Männern 15,3, bei Frauen 23,9. Damit liegt der Wert bei Frauen 56 Prozent über dem der Männer. Die Sterbeziffer der Herzrhythmusstörungen übersteigt bei Frauen (38, 5) die der Männer (26,2) um 47 Prozent.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201604/h16044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, April 2016, Seite 33
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2016

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