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INFEKTION/1505: Migrantenmedizin - "Neue Erreger durch Asylbewerber und Flüchtlinge?" (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2016

Migrantenmedizin
"Neue Erreger durch Asylbewerber und Flüchtlinge?"

Von Horst Kreussler


Fortbildung zur infektiologischen Seite der Migrantenmedizin im Krankenhaus Reinbek.


Prof. em. Gerd Burchard stellte die wichtigsten Erkrankungen, die in der Behandlung von Asylbewerbern diagnostiziert werden, in den Mittelpunkt der Fortbildung. Es hätten zunächst "normale" Befunde wie Infektions- und Folgekrankheiten, chronische Krankheiten wie Diabetes oder auch körperliche und seelische Traumata im Vordergrund gestanden. Nach einer kürzlichen Publikation aus Bielefeld sei Helicobacter pylori häufig zu sehen gewesen, selten (mit wenigen Prozent) ungewöhnliche Infektionen etwa durch Parasiten wie Amöben oder Helminthen.

Burchard schilderte Fallberichte und einzelne wichtige Krankheiten bei Flüchtlingen, vor allem nach Hamburger Erfahrungen, aber auch nach ähnlichen Zahlen aus Bayern bzw. über das Robert Koch-Institut (RKI) aus dem Bundesgebiet. So sei Läuse-Rückfallfieber wieder öfter gesehen worden (15 Fälle in Bayern). Das gelte auch für Malaria tertiana (benannt nach Auftreten von Fieber alle drei Tage), etwa bei Menschen aus Eritrea, aus Pakistan und Afghanistan, nicht jedoch laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus Syrien. Die Malariaformen außer Malaria tropica hätten wie manche anderen tropischen Infektionskrankheiten den diagnostischen Vorteil, dass nach einer überschaubaren Inkubationszeit von einigen Wochen die Ausschlussdiagnose gestellt werden könne.

Leishmaniose werde öfter von Ostafrikanern, aber auch von Syrern mitgebracht und sei bei entsprechender kutaner Ausprägung leicht erkennbar, zum Beispiel als "Aleppo-Beule" auf der Wange. Nicht zu verwechseln mit Lepra-Läsionen am ganzen Körper.

Ebenfalls relativ häufig werde aus Afrika die Wurmerkrankung Schistosomiasis mitgebracht, die durch eine typische Eosinophilie auffalle. Bei Zuwanderern aus Ländern wie Somalia oder auch Mali sei mit diesen Bilharziose-Erregern zu rechnen. Mali ist ein Beispiel für weniger bekannte Heimatländer von Flüchtlingen, die aber durchaus in nennenswerter Zahl aufgenommen wurden, wie zum Beispiel 2015 in einer Kirchengemeinde in Reinbek.

Insgesamt, so der Referent, gebe es quantitativ so viel Neues nicht, am ehesten bei Tuberkulose, die in manchen Ländern einen völlig anderen Stellenwert habe als bei uns: Die Inzidenz beschrieb Burchard in Deutschland bei fünf Erkrankungen auf 100.000 Einwohner pro Jahr, in Somalia hingegen 548, also mehr als das Hundertfache.

Burchard stellte auch die Frage, ob aus alledem der Vorschlag eines Screenings aller Flüchtlinge abgeleitet werden könne. Ziel wäre neben der individuellen Therapie der Schutz der Bevölkerung. Angesichts der bisher bekannten epidemiologischen Daten zeigte sich Burchard bei der Antwort zurückhaltend: "Migranten stellen nicht generell ein Ansteckungsrisiko für die Bevölkerung dar - vielleicht mit Ausnahme von Tuberkulose." Er wies auf die Empfehlungen des RKI und für Kinder/Jugendliche auf der Website der Kinder- und Jugendärzte hin.

Andere große Einwanderungsstaaten wie die USA und Kanada empfehlen ein umfangreiches Screening, sogar eine vorsorgliche Medikation vor der Diagnose, hätten jedoch (im Fall der USA) Probleme bei der Umsetzung der strengen Regeln vor Ort. Auf Deutschland übertragen könnte laut Burchard die Untersuchung auf Tuberkulose mit Sicherheit sinnvoll sein, eventuell noch auf Scabies (zum Beispiel zwischen den Fingern) und Ektoparasiten, auf Würmer und Hepatitis B.


Info

Referent Prof. em. Gerd Burchard aus dem Hamburger Bernhard-Nocht-Institut (BNI) war langjähriger Leiter der Klinik und ist nun wissenschaftlicher Leiter Fort- und Weiterbildung des BNI. Er stützt sich auf Erfahrungen mit der Konzeption eines 32-stündigen Kurses mit mehreren Referenten im November und Dezember 2015. Der Kurs hatte die wichtigsten bei der Erstaufnahme von Flüchtlingen diagnostizierten Krankheiten vorgestellt. Dazu gehörten neben dem vorherrschenden allgemeinen Spektrum wie in der einheimischen Bevölkerung nun auch Tuberkulose, Malaria und andere parasitäre Erkrankungen, vermehrt HIV/Aids, chronische Hepatiden, Rückfallfieber, Ektoparasitoden.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2016 im Internet unter:
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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, März 2016, Seite 31
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2016

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