Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → PHARMA


FORSCHUNG/1011: Wie kommen Krebsmittel in die Zelle? Aufnahmemechanismus für Zytostatika entdeckt (idw)


Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft - 03.11.2015

Aufnahmemechanismus für Zytostatika entdeckt


Wie kommen Krebsmittel in die Zelle? Wissenschaftler am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) und am Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) in Berlin haben in Zusammenarbeit mit einer holländischen Gruppe gezeigt, dass der volumenregulierte Anionen-Kanal VRAC zu 50 Prozent für die Wirkstoffaufnahme verantwortlich ist. Die neuen Erkenntnisse sind soeben im Fachmagazin EMBO Journal erschienen und haben eine hohe klinische Relevanz.

Wie kommt ein Zytostatikum wie Cisplatin oder Carboplatin eigentlich in die Zelle? Wissenschaftler am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) und Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) in Berlin konnten nun in Zusammenarbeit mit einer holländischen Gruppe zeigen, dass der volumenregulierte Anionen-Kanal VRAC zu 50 Prozent für die Wirkstoffaufnahme verantwortlich ist. Ist eine der VRAC-Untereinheiten LRRC8A oder LRRC8D herunterreguliert, können Zellen wesentlich weniger Krebsmittel aufnehmen. Unabhängig davon ist auch der programmierte Zelltod, die Apoptose, empfindlich gestört, wenn LRRC8A fehlt. Damit haben die Forscher einen potenziellen Verursacher von Therapieresistenzen ausgemacht. Die neuen Erkenntnisse sind soeben im Fachmagazin EMBO Journal erschienen und haben eine hohe klinische Relevanz.

Vor gut anderthalb Jahren haben Forscher am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) und Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) die molekulare Identität von VRAC entdeckt. Bei VRAC handelt es sich um einen Volumen-regulierten Anionen-Kanal, der negativ geladene Ionen (Anionen) und Aminosäuren in die Zelle hinein- und wieder herauslässt. VRAC, der von dem Protein LRRC8A und mindestens einem Verwandten gebildet wird, soll auch bei der Zellteilung und bei Krebs eine Rolle spielen.

VRAC entscheidend für die Wirkstoffaufnahme

Wie bedeutsam VRAC gerade für Krebserkrankungen ist, konnten die Forscher in einer anschließenden Studie gemeinsam mit niederländischen Kollegen zeigen. An Zelllinien wurde untersucht, welche Rolle VRAC und seine Untereinheiten beim Transport von Cisplatin und Carboplatin in die Zelle spielen. Das Ergebnis hat die Forscher selbst überrascht: VRAC oder vielmehr seine Bausteinproteine LRRC8A und LRRC8D sind zu 50 Prozent für den Aufnahmemechanismus der beiden weit verbreiteten Zytostatika verantwortlich. Anders ausgedrückt: Ohne diese beiden Untereinheiten kommt nur noch wenig Wirkstoff in die Zelle hinein. Aus Sicht der Forscher lassen sich damit Therapieresistenzen ein Stück weit erklären.

In ihren Experimenten hatte die Arbeitsgruppe von Thomas Jentsch die Anionen-Kanal bildenden Proteine nacheinander ausgeschaltet. Waren LRRC8A und LRRC8D an der Reihe, konnten die Zellen kaum noch Krebsmittel aufnehmen. "Es gibt zwar schon seit Langem eine Hypothese, dass VRAC bei der Apoptose eine wesentliche Rolle spielt. Aber dass das Druckventil auch als Aufnahmemechanismus für Zytostatika dient, war eine echte Überraschung", sagt Thomas Jentsch.

Gestörte Apoptose verstärkt Therapieresistenz

Die Hypothese zur Apoptose konnte in der Studie ebenfalls bestätigt werden. War das für VRAC lebenswichtige Protein LRRC8A außer Gefecht gesetzt, funktionierte der natürliche Zelltod nicht mehr richtig.

Den Forschern zufolge ist das apoptotische Geschehen völlig unabhängig von dem Aufnahmemechanismus zu sehen. Jentsch spricht von einem doppelten Mechanismus. "Die Unterdrückung der Apoptose liegt vermutlich daran, dass bei Fehlen des volumen-regulierenden VRAC die beim programmierten Zelltod beobachtete Zellschrumpfung nicht mehr funktioniert. Dies hat mit dem Mechanismus der Medikamentenaufnahme nichts zu tun", betont der Berliner Ionenkanalforscher.

Der nun neu entdeckte Aufnahmemechanismus konnte in der Studie sogar klinisch untermauert werden. Forscher um Sven Rottenberg vom Krebsforschungszentrum Amsterdam hatten in einem Genom-weiten Screen auf zelluläre Zytostatikaresistenz ebenfalls LRRC8D als relevantes Gen identifiziert und die genetischen Daten von Eierstockkrebspatientinnen, die mit Cisplatin oder Carboplatin behandelt worden waren, mit der Überlebenszeit verglichen. Die Tumordatenbankanalyse zeigte: Je weniger LRRC8D im Tumor exprimiert war, desto kürzer überlebten die Frauen.

Ergebnisse mit klinischer Relevanz

Begünstigt das Fehlen des VRAC-Proteins also Therapieresistenzen? "Die Daten sprechen dafür, dass LRRC8A und LRRC8D auch klinisch relevante Resistenzgene sind, wobei der Befund aber noch durch prospektive Studien erhärtet werden muss", sagt Grundlagenforscher Jentsch. Und was dann? Rein theoretisch könne man vielleicht Aktivatoren finden, um das angeschlagene Druckventil wieder zu mobilisieren, meint Jentsch. In der Screening-Unit am FMP werde bereits danach gefahndet.

Neben den beiden klinisch relevanten Mechanismen förderte die Studie auch noch einen bislang unbekannten physiologischen Mechanismus zu Tage. Demnach ist die VRAC-Untereinheit LRRC8D immens wichtig für den Transport der Aminosäure Taurin, die eine wichtige Rolle als organischer Osmolyt bei der Volumenregulation spielt, aber auch wichtige Rezeptoren im Gehirn stimuliert. Durch die Ausschaltung von LRRC8D wird es nun möglich sein, gezielt physiologische und pathologische Rollen der Taurin-Freisetzung durch VRAC zu untersuchen. Insgesamt hat die Studie einmal mehr bewiesen, wie schnell Grundlagenforschung zu klinisch bedeutsamen Ergebnissen führen kann.


Hinweis: Dies ist eine gemeinsame Mitteilung des MDC und des FMP.

Die Studie mit dem Originaltitel "Subunit composition of VRAC channels determines substrate specificity and cellular resistance to Pt-based anti-cancer drugs", ist soeben im EMBO Journal erschienen.
http://emboj.embopress.org/content/early/2015/10/30/embj.201592409

Ansprechpartner:
Prof. Thomas J. Jentsch
Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP)
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)
Robert-Roessle-Strasse 10
D-13125 Berlin
E-Mail: Jentsch@fmp-berlin.de
Internet: www.fmp-berlin.de/jentsch.html

Link zur Studie:
http://emboj.embopress.org/content/early/2015/10/30/embj.201592409

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution672

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft,
Josef Zens, 03.11.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang