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FORSCHUNG/669: Synthetische Biologie findet neuen Weg zur Herstellung von Lantibiotika (idw)


Technische Universität Berlin - 02.12.2011

Neuartige Wirkstoffe durch Bakterien

Synthetische Biologie findet neuen Weg zur Herstellung von Lantibiotika


Roderich Süssmuth und Nediljko Budisa, beide Professoren des Berliner Exzellenzclusters "Unifying Concepts in Catalysis" (UniCat), haben einen neuen Weg zur künstlichen Herstellung von Lantibiotika entwickelt. Lantibiotika sind eine Gruppe von Antibiotika. Sie enthalten Aminiosäuren, die nicht im Eiweiß von Lebewesen vorkommen, sogenannte nicht-proteinogene Aminosäuren. Budisa und Süssmuth berichten darüber in der neuesten Ausgabe der angesehenen Fachzeitschrift "Angewandte Chemie".

Durch Einbau synthetischer Aminosäuren in Peptid-basierte Lantibiotika wurde die chemische Vielfalt von Lichenicidin, einem antibakteriell wirkenden Zweikomponenten-Lantibiotikum, wesentlich erhöht. Das Verfahren ermöglicht die biotechnologische Herstellung von vielen verschiedenen Lichenicidin-Verbindungen. Damit wird ein Weg zu neuartigen Antibiotika geebnet, die für den Menschen therapeutisch eingesetzt werden können.

Süssmuth und Budisa möchten die herkömmliche natürliche zelluläre Chemie für die bakterielle Lantibiotika-Synthese durch eine neue Methode erweitern. In der Natur werden die Lantibiotika zunächst als Präpropeptid-Form unter Nutzung von 20 Standard-Aminosäuren ribosomal synthetisiert und danach enzymatisch zu biologisch aktiven Lantibiotika umgewandelt. In ihrer neuen Studie konnten Süssmuth und Budisa zeigen, dass der Einbau von unnatürlichen Aminosäuren den synthetischen Spielraum drastisch vergrößert. "Das ist wie mit einem Kasten voller Legosteine, dem wir neue Steine mit neuen Verbindungsmöglichkeiten hinzufügen", sagt Budisa. "Dadurch können wir Stoffe synthetisieren, die normal lebende Zellen nicht herstellen können, z. B. Lantibiotika mit chemischen Eigenschaften, die nicht durch die natürliche Evolution hervorgebracht wurden."

Süssmuth und seine Mitarbeiter sind die Ersten, die vor kurzem mit gen-technisch veränderten Escherichia coli-Bakterien das Lantibiotikum Lichenicidin hergestellt haben. Es besteht aus zwei Peptiden, die nach dem Einbau modifiziert wurden und miteinander kombiniert antimikrobiell wirken. Der bakterielle Wirt Escherichia coli stellt bis heute die besten Bedingungen für gentechnische Arbeiten bereit und ermöglicht, eine oder mehrere synthetische Aminosäuren in Peptid-basierte Antibiotika zu integrieren. Dadurch lässt sich die klassische Gentechnologie für die Produktion synthetischer Antibiotika nutzen.

"Die Arbeiten von Budisa und Süssmuth zeigen, wie ein Ganzzellkatalysator funktionieren könnte. Dies setzt die Kopplung von vielen enzymatischen Prozessen voraus: Ein Kerngeschäft des UniCat-Netzwerkes", sagt Prof. Dr. Matthias Drieß, der Sprecher des Exzellenzclusters.

Es gibt genau 20 natürliche Aminosäuren. Sie sind die Grundbausteine für den Aufbau von Eiweißen durch Lebewesen. Budisa und seine Mitarbeiter haben ein Verfahren entwickelt, mit dem nahezu jede der 20 natürlichen Aminosäuren durch synthetische ersetzt werden kann. Damit werden die Grenzen der traditionellen Gentechnik durchbrochen. Sie nennen dieses neue biochemische Verfahren "Condonemanzipation".

Lantibiotika und ihre therapeutische Bedeutung

Lantibiotika sind ribosomal synthetisierte Peptid-Antibiotika, die durch eine Enzym-Kaskade generiert werden. In der Natur werden die Lantibiotika zunächst als Präpropeptid-Stufe aus den 20 kanonischen Aminosäuren synthetisiert, bevor diese Standardbausteine durch posttranslationale Modifikationen durch eine Batterie an Enzymen, die selektiv verschiedene Arten von Aminosäureseitenketten verändern, effizient zu bioaktiven Lantibiotika umgewandelt werden.

Das Lantibiotikum Nisin wird seit über 40 Jahren auf der ganzen Welt als biologischer Lebensmittelkonservierungsstoff ohne das Auftreten von bakteriellen Resistenzen genutzt, wohingegen die kommerziell verfügbaren Antibiotika auf Grund des schnellen Auftretens von multiresistenten Bakterienstämmen in den letzten Jahrzehnten zunehmend in ihrer Verwendung eingeschränkt werden. Daher sind Lantibiotika wertvolle antimikrobielle Wirkstoffe mit großem Potenzial für therapeutische Anwendung beim Menschen.

Die biotechnologische Herstellung dieser wertvollen Stoffe ist von größtem Interesse, besonders wenn durch Re-Engineering der Strukturen von natürlich vorkommenden Lantibiotika ihre pharmazeutischen Eigenschaften noch verbessert werden können.

Der genetische Code und das Konzept der Codonemanzipation

Der genetische Code wurde 1966 aufgeklärt, er ist für alle Lebewesen gleich. Das bedeutet, dass in jedem Organismus eine bestimmte Reihenfolge von Nukleinsäuren in der DNA das gleiche Eiweißmolekül liefert.

Der genetische Code bestimmt, wie die Reihenfolge der Basen aus Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T) in Eiweiße übersetzt werden. Je drei Basen stehen für eine Aminosäure. Solch ein Triplet nennt man Codon. Es gibt nur 64 Codons, die 20 Aminosäuren bilden. Deshalb sind die meisten Aminosäuren durch mehrere Codons codiert.

Zum Beispiel kann die Aminosäure Arginin durch die sechs Codons CGG, CGA, CGC, CGU, AGG und AGA dargestellt werden. AGG und AGA sind in Bakterien wie Escherichia coli sehr selten benutzt. Deshalb könnten theoretisch z. B. alle AGGs im Erbgut eines Lebewesens einer neuen nicht-natürlichen Aminosäure zugeordnet werden. Man sagt dann, die Zelle ist codonemanzipiert, d. h. die alte natürliche Chemie ist durch eine neue ersetzt.


Weitere Informationen:

Prof. Dr. Roderich Süssmuth
TU Berlin, Institut für Chemie
E-Mail: suessmuth@chem.tu-berlin.de
Internet: www.biochem.tu-berlin.de

Prof. Dr. Nediljko Budisa
TU Berlin, Institut für Chemie
E-Mail: budisa@biocat.tu-berlin.de
Internet: www.biocat.tu-berlin.de

Dr. Martin Penno
Exzellenzcluster UniCat
Öffentlichkeitsarbeit TU Berlin
E-Mail: martin.penno@tu-berlin.de

Referenzen:
Roderich Süssmuth, Florian Oldach, Rashed Al Toma, Anja Kuthning, Tânia Caetano, Sónia Mendo, Nediljko Budisa (2011)
Lantibiotika-Kongenere mit nicht-kanonischen Aminosäuren durch ribosomale In-vivo-Peptidsynthese
Angewandte Chemie, 2011, Band 123
online am 30. November 2011:
http://dx.doi.org/10.1002/ange.201106154

UniCat
"Unifying Concepts in Catalysis" (UniCat) ist der einzige Exzellenzcluster, der das volkswirtschaftlich wichtige Gebiet der Katalyse erforscht. In diesem interdisziplinären Forschungsverbund arbeiten mehr als 250 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Chemie, Physik, Biologie und Verfahrenstechnik aus vier Universitäten und zwei Max-Planck-Instituten aus Berlin und Brandenburg zusammen. Sprecherhochschule ist die Technische Universität Berlin. UniCat wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit Mitteln aus der Exzellenzinitiative mit ca. 5,6 Millionen Euro jährlich gefördert.


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/de/institution52


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Technische Universität Berlin, Stefanie Terp, 02.12.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2011