Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → PSYCHIATRIE


ARTIKEL/450: Gespräch - "Die Forensik in der Gemeinde verankern" (Soziale Psychiatrie)


Soziale Psychiatrie Nr. 151 - Heft 1/16, Januar 2016
Rundbrief der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.

Forensik: Gemeindepsychiatrie in der Verantwortung
"Die Forensik in der Gemeinde verankern"

Gespräch von Michaela Hoffmann mit Friedhelm Schmidt-Quernheim


Ein Gespräch mit Friedhelm Schmidt-Quernheim über die Entwicklung des "ungeliebten 'Kellerkindes' der Reformpsychiatrie" auf dem Weg zum anerkannten Akteur in der Gemeindespsychiatrie


SP: Herr Dr. Schmidt-Quernheim, Sie haben Einführung und Ausrichtung Forensischer Ambulanzen in der Klinik des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) in Düren, aber auch landesweit maßgeblich beeinflusst und sich mit zahlreichen Publikationen zum Thema einen Namen gemacht.

Der Maßregelvollzug wird eher mit 'Einschließen und Sichern' assoziiert. Wie kam es da zur Schaffung von Ambulanzen?

Schmidt-Q.: Als wir in Düren 1990 mit der forensischen Nachsorge anfingen, waren primär fachlich-therapeutische Gründe maßgebend: also die heute zum Allgemeinplatz gewordene Erkenntnis, dass die beste Therapie nichts nützt, wenn der Patient anschließend wieder in sein Milieu zurückkehrt und nicht weiterbetreut wird - dann gibt es die bekannten 'Drehtüreffekte'. Damals war gerade auch eine große Studie von Norbert Leygraf zum Ergebnis gekommen, dass die Hälfte aller Rückfälle in den ersten 15 Monaten nach der Entlassung zu verzeichnen war - der Übergang nach 'draußen' stellt offensichtlich eine besonders sensible, störanfällige Phase dar und bedarf einer speziellen absichernden Begleitung.

SP: Und an diesem Punkt setzen die Forensischen Ambulanzen an?

Schmidt-Q.: Ja, sie bauen den 'sozialen Empfangsraum' schrittweise auf und schaffen damit Voraussetzungen für eine gute Prognose, nach der Maxime: Die beste Prognose ist die, die man selber herstellen kann. Entlassungsprognosen lassen sich aus meiner Erfahrung nie in absoluter Form - Rückfall ja oder nein -, sondern nur als Wenn-dann-Aussagen formulieren. Und dazu gehört eben eine stabile und professionelle Nachsorge durch Forensische Ambulanzen, die in enger Kooperation mit der Gemeindepsychiatrie den Patienten kontinuierlich begleitet.

SP: Wie kann die Ambulanz diese Aufgabe am besten erfüllen?

Schmidt-Q.: Die Kernaufgabe der Ambulanz besteht in einer regelmäßigen Überprüfung der Frage, ob sich der Patient in einem Setting befindet, welches ihn mit ausreichender Wahrscheinlichkeit vor erneuten Straftaten schützt. Also: permanente Risikoeinschätzung und - wenn erforderlich - Nachjustieren der verschiedenen Betreuungskontexte in den Bereichen Wohnen, Arbeiten, Behandlung, Freizeit.

Dieses Casemanagement ist 'personenzentriert' im besten sozialpsychiatrischen Sinne, muss maßgeschneidert werden. Die Betreuung sollte dabei nicht wie eine klassische Wartezimmer-Ambulanz organisiert sein, sondern mobil-aufsuchend, also im Lebensfeld des Patienten stattfinden - auch um kritische Veränderungen frühzeitig wahrzunehmen und rechtzeitig gegensteuern zu können.

Dafür sind regelmäßige Treffen mit allen an der Betreuung Beteiligten erforderlich, im Rahmen so genannter Helferkonferenzen, um sich über Fortgang und erforderliche Veränderungen des Settings ständig auszutauschen.

SP: Also Transparenz und ständiger Informationsaustausch als wichtigste Methode der Arbeit?

Schmidt-Q.: Genau! Die Forensische Ambulanz verfährt nach dem Grundsatz der 'offenen Karten'. Die Träger, z.B. von Wohneinrichtungen, erhalten weitgehende Einsicht in die relevanten Unterlagen der Akte, insbesondere zum Thema Delikt und Krankheitsgeschichte. Aber noch wichtiger: Sie erhalten auch Antwort auf die Frage, was denn und mit welchem Erfolg in der Klinik behandelt wurde, welche Risiken verbleiben, woran sie zu erkennen sind und wie man dann intervenieren kann. Für jeden Patienten wird daher ein Hilfe- und Krisenleitfaden entwickelt, der für alle Helfer nicht nur die wichtigsten Informationen, sondern auch konkrete Umgangsempfehlungen enthält.

SP: Und wenn sich eine Krise anbahnt?

Schmidt-Q.: Hier ist dann die Ambulanz der 'geborene' Ansprechpartner - weil die Mitarbeiter den Patienten gut kennen, insbesondere den Umgang mit seinen Krisensymptomen, und weil sie neben den psychiatrischen auch die im Krisenfall wichtigen justiziellen Interventionsmöglichkeiten handhaben können. Seit 2007 haben wir ja nach einer Gesetzesreform die Möglichkeit einer sehr effektiven, schnellen stationären Wiederaufnahme im Fall einer riskanten Entwicklung (§ 67h StGB) erhalten. Wenn zum Beispiel ein Patient - entgegen seinen gerichtlichen Weisungen - Alkohol oder Drogen zu sich nimmt oder seine Medikamente nicht mehr einnimmt und daraufhin in einen kritischen, psychosenahen und angespannten Zustand gerät, ist die rasche stationäre Behandlung in der Forensischen Klinik häufig die einzige Chance, ihn - und andere - vor einer schlimmeren Fehlentwicklung zu schützen. Nach drei, längstens sechs Monaten lässt sich der Patient dann in aller Regel wieder in die Wohneinrichtung zurückbringen. Oder man nutzt diese Zeit, ein alternatives Setting aufzubauen, das besser zum Patienten passt.

SP: Die Ambulanz ist also eine Schnittstelle, eine Brücke zur Gemeindepsychiatrie und zur Justiz und schafft dadurch ein Sicherheitsnetz?

Schmidt-Q.: Ja, wir müssen die Versorgungsbereiche verknüpfen. Ich spreche gerne von einem 'haltenden Übergangsraum', der für alle Beteiligten geschaffen werden muss, vor allem für die Patienten - aber nicht nur für die! Dazu gehört neben dem Vermeiden von Brüchen und möglichst viel Beziehungskontinuität auch das Wissen über effektives Krisenmanagement. Dazu gehört aber auch, dass wir in einer langen so genannten Beurlaubungsphase den Patienten und den Betreuern in den komplementären Einrichtungen die Möglichkeit einräumen, sich kennen zu lernen und bei 'Nichtgefallen' sich auch wieder zu trennen - wir nennen das dann etwas salopp: 'Rücknahmegarantie'.

SP: Haben Sie denn mit Ihren Angeboten aufnahmebereite Träger gefunden? Viele Träger sind doch eher skeptisch und fühlen sich überfordert.

Schmidt-Q.: Wir haben mittlerweile ein großes Netz an Kooperationspartnern, die gerne bereit sind, forensische Patienten zu nehmen und die manchmal - schneller als möglich - auf 'Nachschub' drängen. Die Langzeitbeurlaubung, aber auch das gesamte Servicepaket an Unterstützung und die Offenheit in der Zusammenarbeit während der Nachsorge sind sicher der Schlüssel zum Erfolg. Diese enge, verlässliche und institutionsübergreifende Zusammenarbeit wird ja sonst häufig vermisst.

Allerdings wollen wir die Patienten möglichst gleichmäßig in die bestehenden Wohneinrichtungen 'einstreuen', statt neue Exklaven zu schaffen, und nicht zuletzt: Wir müssen fachliche Mindestanforderungen stellen, die Einrichtungen müssen sich qualifizieren. Mit manchen Patienten werden wir weiterhin einfach sitzen gelassen: Sexualdelikte werden immer wieder grundsätzlich abgelehnt. Dabei kommt diese Patientengruppe eher selten in den Maßregelvollzug - maximal 8 Prozent der Neuaufnahmen -, aber schlecht wieder raus und macht daher in der Belegung in Nordrhein-Westfalen (NRW) (§ 63 StGB) aktuell einen Anteil von knapp 24 Prozent aus.

SP: Aber haben forensische Patienten aufgrund ihres Deliktes nicht gezeigt, dass sie gefährlicher sind als andere?

Schmidt-Q.: Die flächendeckende Einführung von Ambulanzen und die gute Kooperation mit der Gemeindepsychiatrie drückt sich auch in guten Erfolgszahlen aus. Bundesweit liegen Rückfälle deutlich unter 10 Prozent, bei Gewalt- und Sexualstraftaten kam es bei einer von mir durchgeführten Untersuchung in NRW nur in 7 von 225 Fällen zu erneuter Gewalt - oder Sexualdelikten (3,1 Prozent). Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es selbstverständlich nicht.

SP: Wenn man also ganz sichergehen möchte, übernimmt ein Träger besser doch Patienten aus der Allgemeinpsychiatrie?

Schmidt-Q.: Ganz im Gegenteil: Es ist nachgewiesen, dass entlassene psychosekranke Menschen aus der Forensik nach jahrelanger Behandlung (im Durchschnitt 8 Jahre) wesentlich weniger gefährlich sind als die Gruppe der schwierigen Drehtürpatienten der Allgemeinpsychiatrie, die häufig nach zu kurzer stationärer Behandlung, ohne konsequent durchführbare Nachsorge entlassen werden - und dann häufig Delikte begehen, die sie in die Forensik bringen.

SP: Und dort sitzen sie dann in der Falle?

Schmidt-Q.: Das würde ich nicht so ausdrücken. Patienten finden dort - leider häufig erstmalig - jemand, der sie aushält, sie bekommen Entwicklungschancen und eine adäquate Therapie, die bisher aus den unterschiedlichsten Gründen nicht stattgefunden hat. Das hat noch am wenigsten mit den Patienten zu tun - es fehlen in der Versorgung vergleichbar haltende Strukturen, die eine Unterbringung in einem langen Zwangs-Maßregellvollzug überflüssig machen und damit auch präventiv wirksam sein könnten.

Insofern haben Sie recht: Wenn die Patienten erst mal forensifiziert sind, bekommt man sie kaum noch raus - sie sind dann offenbar zu einer besonderen Spezies der 'Gefährlichen' mutiert, die keiner haben will, vor denen man Angst hat oder die - sage ich mal etwas sarkastisch - somit als etwas Monströses nicht in das schöne neue Bild des 'Kunden' passen.

Der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug NRW Uwe Dönisch-Seidel wird dagegen nicht müde zu betonen: Maßregelvollzug ist Transit. Die Gemeinden bleiben in der Verantwortung für alle ihre Bürger - Wegsperren für immer geht nicht! Das fordern im Übrigen auch immer stärker die Gerichte von uns. Forensische Patienten haben vor ihrer Unterbringung meist eine lange Karriere in sozialpsychiatrischen Einrichtungen der Region hinter sich, an die man nach der Behandlung in der Forensik - jedenfalls vom Grundsatz her - auch wieder anknüpfen können sollte.

SP: Dafür müsste man die Gemeinden aber mehr an ihre Versorgungsverpflichtung erinnern.

Schmidt-Q.: Ich bin sehr erfreut, dass ich bei der Suche nach Ansprechpartnern in den Regionen bisher auf sehr viel Bereitschaft bei den kommunalen Stellen und gemeindepsychiatrischen Gremien gestoßen bin, sei es bei den Psychiatriekoordinatoren der Gesundheitsämter, bei den Psychosozialen Arbeitsgemeinschaften (PSAG) oder Sozialpsychiatrischen Zentren (SpZ), erst recht bei den Gemeindepsychiatrischen Verbünden (GPV). Es wird auch dort zunehmend wahrgenommen, dass der Maßregelvollzug einer der größten und ein nicht mehr zu verleugnender Teil der psychiatrischen Versorgung darstellt: Jedes vierte Bett in der stationären Psychiatrie steht im forensischen Bereich - als ich 1980 anfing, waren es nur wenige Prozent! Alle bisher kontaktierten Kreise und Städte im Rheinland haben sich bereit erklärt, im Rahmen bestehender Hilfeplanstrukturen auch als Anlaufstellen für schwer entlassbare Patienten aus den forensischen Kliniken zu fungieren, um dann im Einzelfall mit allen Akteuren, auch mit der Eingliederungshilfe als Kostenträger, nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Ich habe eine 'Landkarte' im Rheinland erstellen können, die es allen Forensischen Kliniken ermöglicht, auch mit ihren bisher schwierig zu entlassenen Patienten kompetente Ansprechpartner in den Regionen zu finden. Garantien für Entlassungen sind das natürlich nicht.

SP: Die Politik hat also hier Notwendigkeiten in diesem Bereich erkannt?

Schmidt-Q.: Wir haben in Nordrhein-Westfalen mit Barbara Steffens eine Gesundheitsministerin, die sehr an einer verbesserten Kooperation der verschiedenen Versorgungssysteme interessiert ist, damit die Menschen mit komplexem Hilfebedarf auch eine durchgehende Betreuung erhalten, die nicht an fragwürdigen Versorgungsgrenzen haltmacht. Der Landesbeauftragte versteht sich als Vernetzungsplattform und unterstützt Initiativen, die bisher starre Abgrenzungen 'verflüssigen' helfen können. Die schwierigen, vielfach diskutierten Multiproblempatienten, die so genannten Systemsprenger, haben ja vielerorts wieder ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass dieses Thema nicht durch Schönrederei oder Abschieben - auch als 'Psychiatrietourismus' kritisiert - vom Tisch ist. Hier gibt es auch aktuell ein sehr vielversprechendes Projekt des LVR mit dem Verein für Psychosoziale Dienste Langenfeld.

SP: Was müsste denn weiter in Richtung Prävention passieren?

Schmidt-Q.: Es ist wirklich bedauerlich, dass sich die 'Integrierte Versorgung' gemäß §§ 146a ff. SGB V noch nicht flächendeckend durchgesetzt hat. Das dort praktizierte intensive Casemanagement 'aus einer Hand' im ambulanten Bereich zur Verhinderung von langen Krankenhausaufenthalten ähnelt sehr den Konzepten Forensischer Ambulanzen und könnte im Vorfeld, also präventiv, viele Patienten vor einer Forensifizierung bewahren. Hier müsste sicher mehr Druck auf die Krankenkassen ausgeübt werden, die natürlich in erster Linie ihre Kostenkalkulation betrachten - wenn die Patienten im Maßregelvollzug landen, kommt ja der Steuerzahler dafür auf!

Wir brauchen auch in der Allgemeinpsychiatrie noch wesentlich stärker koordinierte Behandlungswege zwischen den stationären und ambulanten Bereichen. Die meisten der 'Drehtürpatienten' kommen doch gar nicht im ambulanten Bereich an! Da kann man noch so schicke und richtige S3-Leitlinien zu "psychosozialen Therapien" entwickeln - die Strukturen sind noch sehr lückenhaft und unverbindlich.

Vorbildhaft ist nach meiner Meinung ein intensives Nachbetreuungsprogramm, wie es zurzeit im LVR-Klinikum Düsseldorf praktiziert wird - und an dessen Entstehung auch eine Krankenkasse beteiligt war. Dadurch lässt sich nach den dortigen Erfahrungen die PsychKG-Wiederaufnahmerate erkennbar senken und damit das Risiko, dass Patienten aufgrund von Gewaltdelikten schließlich in den Maßregelvollzug kommen. Auch hier sind die Krankenkassen gefordert, diese Programme dauerhaft abzusichern, sonst bleibt das wieder nur ein schönes Projekt.

SP: Der Maßregelvollzug war doch lange Zeit nicht nur von der Politik eher gemieden, sondern auch von der sozialpsychiatrischen Reformbewegung abgeschnitten.

Schmidt-Q.: Klar, mit dem Maßregelvollzug lassen sich schwerlich Wählerstimmen mobilisieren, sicherlich eine Crux für Reformbestrebungen auf diesem Gebiet. Die Forensische Psychiatrie war auch (zu) lange Zeit das ungeliebte 'Kellerkind' der Psychiatriereform. Es bestand offenbar lange Zeit eine uneingestandene Übereinkunft, dass beim Kampf um die Öffnung der Psychiatrie und um Entmystifizierung psychischer Erkrankungen forensische Patienten - und damit auch das Thema ihrer fraglichen 'Gefährlichkeit' - ausgeblendet werden sollten. Man konnte sicher auch somit ein Bild von sich pflegen, auf der 'guten' Seite zu stehen und nichts mit dem 'bösen' staatlichen Zwang zu tun zu haben.

Ich habe mich dazu an vielen Stellen kritisch geäußert - inzwischen hat sich jetzt vieles getan! Ich bin sicher, die Politik und die gesamte Psychiatrie haben verstanden, dass auch sie selbst ein sehr naheliegendes Interesse an der Qualität von Behandlung und Rehabilitation im Maßregelvollzug haben: Bei Vorkommnissen und Rückfällen kommt es bei der bekanntlich schnell einsetzenden medialen Skandalisierung sofort zu einer Gleichsetzung von Forensischer und Allgemeiner Psychiatrie in der Öffentlichkeit, wie der 'Fall Mollath' zuletzt überdeutlich gezeigt hat.

Die kürzlich gehörte Aussage stimmt: Die Forensik ist das Schaufenster, in das die Öffentlichkeit auf die Psychiatrie schaut.

SP: Aber zeigt nicht gerade der 'Fall Mollath' die Misere des Maßregelvollzugs?

Schmidt-Q.: Der Fall ist nicht so einfach, wie er medial - mal wieder allzu gern - für eine reißerische Story missbraucht wurde, nach dem Motto: Unschuldiges Opfer durch Komplott von Gericht und willfährigen Gutachtern psychiatrisiert und weggesperrt, weil er aufrecht gegen Finanzmachenschaften kämpfte o.Ä. Die Story ist offenbar einfach zu gut gewesen, als dass man sie sich von der Wirklichkeit kaputt machen lassen wollte, bestätigt sie doch so wunderbar die Ressentiments großer Teile der Bevölkerung, rührt womöglich auch an latenten Ängsten in jedem Menschen. Diese unseriöse Berichterstattung - Ausnahme war hier fast nur der "Spiegel" - schürt diese Ängste bei Laien, gerade auch bei Menschen und deren Angehörige, die Behandlung benötigen, und diskreditiert alle, die dieser höchst anspruchsvollen und wahrlich strapaziösen Arbeit im Maßregelvollzug nachgehen.

Und durch die Hintertür wird auch noch ein diskriminierendes Bild von psychisch Kranken transportiert: Wer so adrett und sympathisch ist, kann doch nicht psychisch krank sein! Oder: Den kann man doch nicht zusammen mit (wirklich) psychisch Kranken einsperren - die ja dann alle ganz fürchterlich sein müssen!

SP: Aber die nachträgliche Aufarbeitung spricht doch klar für eine Fehleinweisung oder für eine auf jeden Fall viel zu lange Unterbringung, die dann ja auch plötzlich schnell beendet wurde.

Schmidt-Q.: Das stimmt. Prominente Vertreter der Justiz haben auch eingeräumt, dass hier vieles nicht nur im Verfahrensrecht nicht beachtet wurde, sondern dass man bei der gerichtlichen Wertung seiner zukünftig zu erwartenden Gefährlichkeit - und darauf kommt es an -auch anders hätte entscheiden können, wenn nicht müssen, zumindest nach wesentlich kürzerer Unterbringungszeit als geschehen.

Mir geht es nur darum: In diesem Zusammenhang die Forensik als "Dunkelkammer des Rechts" zu bezeichnen, ist schlicht dummes Zeug - kaum ein Bereich steht so unter permanenter Kontrolle von außen. Undifferenzierte Attacken gegen die Psychiatrie mögen sich als Horrorgeschichten gut verkaufen, verkennen aber die Schwierigkeiten und Dilemmata, die in der Sache selbst liegen, z.B.: Wie umgehen mit Menschen, die im Rahmen ihrer Wahnerkrankung nicht nur jedes gutachterliche Gespräch verweigern, sondern auch nicht an ihrer Behandlung mitarbeiten? Das ist ihr gutes Recht - macht aber die Einschätzung der Klinik, wann ein Patient zu entlassen ist, der immerhin einen Menschen lebensgefährlich attackiert hatte, nicht gerade einfacher!

SP: Die Frage war doch, ob er überhaupt krank war.

Schmidt-Q.: Da waren zum Teil Topgutachter am Werk, denen ich ein Urteil zutraue, die auch den Patienten tatsächlich exploriert haben - anders als dargestellt - und die dafür bekannt sind, dass sie in der Regel zugunsten des Patienten Empfehlungen aussprechen.

Ich höre häufig: Mollath könne nicht krank sein, weil er doch recht hatte mit seinen Erkenntnissen zum Schwarzgeld. Welch ein verzerrtes, miserables Bild hat man von psychisch Kranken, dass sie nicht auch Dinge richtig und realitätsbezogen wahrnehmen können? Es gehört zudem zum Grundwissen der Psychiatrie - die sich allerdings viel zu wenig öffentlich geäußert hat -, dass wahnhafte Entwicklungen häufig mit zutreffenden Beobachtungen und wahren Vorkommnissen zu tun haben, die dann aber zum Beispiel im Rahmen eines heftig eskalierenden Beziehungskonfliktes eine paranoide Eigendynamik bekommen, die dann aus dem Ruder laufen kann - wobei ein Großteil der Persönlichkeit weiterhin durchaus sehr intakt und damit auch gesund bleibt. Ich finde auch hier wieder ein indirekt zum Ausdruck kommendes falsches, dämonisierendes Bild von psychisch Kranken, das sich unter einer vermeintlich aufklärerischen und patientenfreundlichen Attitüde verbirgt! Und dafür erhält man - wie zum Hohn - auch noch einen "Wächterpreis" der Presse o.Ä.

SP: Aber letztlich hat der 'Fall Mollath' und dessen Skandalisierung doch zur Reformierung des § 63 StGB geführt.

Schmidt-Q.: Das ist dann so die tröstliche Betrachtungsweise, nach dem Motto: Man hat uns in der Forensischen Psychiatrie zwar in eine ganz üble Ecke gestellt, nämlich in die Nähe von Gesetzlosigkeit und Folter, aber dafür bekommen wir jetzt immerhin einen neuen "Mollath-Paragrafen" - wie der § 63 StGB in der "Süddeutschen Zeitung" nunmehr genannt wird. Allerdings muss man bei diesem 'Reförmchen' einen Fortschritt mit der Lupe suchen. Der aktuelle Regierungsentwurf wird aus der Sicht der Praxis eher als Symbolpolitik wahrgenommen. Auch in den begleitenden Verlautbarungen der Reformkommission spricht man lediglich von Klarstellungen und Konkretisierungen der bisherigen Praxis, insbesondere der Spruchpraxis der Obergerichte. Der Versuch, die Dauer der Unterbringung durch zeitliche Schwellenwerte zu begrenzen, ist dabei sicher ein begrüßenswerter Schritt.

SP: Die Überprüfungen durch externe Begutachtungen sollen nun in einem zeitlich kürzeren Abstand erfolgen - könnten dadurch Endlosunterbringungen besser verhindert werden?

Schmidt-Q.: Hier wird nun bundesweit das übernommen, was wir in Nordrhein-Westfalen schon lange so praktizieren. Eine Verkürzung der Unterbringungsdauern hat sich dadurch nicht erreichen lassen, sondern genau das Gegenteil ist der Fall! Das liegt auch an der prinzipiell begrenzten Treffergenauigkeit von Prognosen - und zwar zulasten der Patienten! Gutachter überschätzen eher die weiterbestehende Gefährlichkeit von Patienten - auch als Problem der so genannten Falsch-Positiven bekannt. Die Anzahl der insofern eigentlich zu Unrecht festgehaltenen Patienten übertrifft bei weitem die Zahl derjenigen, die zu Unrecht entlassen werden.

Außerdem tendieren viele Gutachter dazu - insbesondere bei dem aktuellen restriktiven sicherheitspolitischen Gesamtklima - auf der 'sicheren Seite' zu sein. Warum soll man sich auch eigentlich für eine Entlassung aussprechen? Diese Frage stellen sich im Übrigen alle im Maßregelvollzug Beteiligten durchaus immer häufiger, wenn auch nicht laut. Für gelungene und rückfallfreie Wiedereingliederung erhält man kaum Anerkennung, bei Vorfällen steht man aber schnell am Pranger. Ich glaube, deswegen haben wir auch vielerorts so schlechte Entlassquoten.

SP: Also eher weniger Gutachten?

Schmidt-Q.: Vielleicht andere - mehr solche, die auf konkrete Fragen zu Behandlung und Rehabilitation Auskunft geben, das hätte einen höheren praktischen Nutzwert, statt nur pauschal etwas zur Entlassfähigkeit 'ja oder nein' zu schreiben. Aber dafür kennen viele Gutachter den 'sozialen Empfangsraum' in der Gemeindepsychiatrie viel zu wenig. Hier bin ich dann wieder bei meinem Lieblingsthema: viel mehr gegenseitige Information und Zusammenarbeit.

An einer Stelle bin ich aber entschieden sogar für mehr Gutachten, allerdings in einer anderen Form und mit einer präventiven Fragestellung: Der Landesbeaufragte Uwe Dönisch-Seidel hat schon mehrfach angeregt, bereits während der einstweiligen Unterbringung nach 126a StPO durch eine klare gesetzliche Normierung sicherzustellen, dass alternative Behandlungs- und Betreuungsmöglichkeiten konkret überprüft werden, sodass dann gleich bei der Hauptverhandlung die Maßregel gemäß § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Bei strikter Auslegung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sollte das eigentlich selbstverständlich sein und zum Standard gehören.

Dafür brauchen wir aber eine Expertise, die nicht von den begutachtenden Psychiatern oder Psychologen erbracht werden kann, sondern von zwei Seiten kommen könnte: einmal von der Gerichtshilfe als einer Säule der ambulanten Dienste der Justiz, neben Bewährungshilfe und Führungsaufsicht. Diese könnte regelhaft - bisher wird sie nur in Einzelfällen beauftragt - eine sozialarbeiterische Stellungnahme abgeben, die im Rahmen einer Darlegung der persönlichen Verhältnisse und der bisherigen Betreuungsversuche die gerichtliche Entscheidung auf verbesserte prognostische Grundlagen stellen könnte. Die Erstellung einer solchen 'psychosozialen Diagnose' ist deren definierte Aufgabe - das muss also nicht neu erfunden werden.

SP: Und die zweite Möglichkeit?

Schmidt-Q.: Wir brachen die 'Koordinierenden Bezugspersonen', wie sie auch in den Expertenempfehlungen immer wieder beschrieben wurden und die an vielen Orten, etwa in Stuttgart, eindrucksvolle Arbeit leisten. Sie könnten als feste Ansprechpartner gleich nach der Einweisung des Patienten fungieren, da sie nicht nur die gemeindepsychiatrische Vorgeschichte des Patienten detailliert beschreiben, sondern auch fachlich bewerten können hinsichtlich Ressourcen und Risikofaktoren. Sie können dem Gutachter und dem Gericht Vorschläge für ein außerstationäres Setting machen.

Auch wenn der Patient dann doch untergebracht wird - die Koordinierende Bezugsperson bleibt auch während einer forensischen Unterbringung Begleiter und Ansprechpartner für die Rückkehr des Patienten in die Region. Denn Maßregelvollzug - ich wiederhole mich - ist keine Sackgasse, sondern ein therapeutisch hochintensiver Transitbereich nur so lange, bis die Gemeinden wieder ihre originäre Aufgabe erfüllen können - natürlich mit unserer Unterstützung!

SP: Was ist also Ihr Fazit und Ihre Forderung zum Thema Vorsorge?

Schmidt-Q.: Auch hier wieder: Rückbindung an die allgemein- und gemeindepsychiatrische Versorgung! Nutzung und Ausbau bereits bestehender Ressourcen der Justiz und der Gemeindepsychiatrie! Nicht mehr psychiatrische Gutachten im Sinne von 'Mehr desselben', sondern zusätzliche umfeldbezogene, anamnestisch-sozialpsychiatrische Berichte, die regelhaft als eigenständige Stellungnahmen in den gerichtlichen Entscheidungsprozess einfließen. Dadurch ist eine häufigere Anwendung des § 67b StGB, also eine primäre Bewährungsaussetzung, zu erwarten, die insgesamt zum Rückgang langer Unterbringungen führen werden.

Hier ist der Gesetzesentwurf bei der Umsetzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht konsequent, macht zumindest keine verbindlichen Vorgaben.

SP: Welche Forderungen gibt es denn aus Sicht der Nachsorge? Hat die aktuelle Gesetzesvorlage Konsequenzen für die Ambulanzen oder für die gemeindepsychiatrische Anschlussbetreuung?

Schmidt-Q.: Aus der Sicht der forensischen Nachsorge ist der Entwurf enttäuschend, er wirft zumindest viele Fragen auf und kann auch für die Träger stationärer und ambulanter Dienste im Einzelfall zu nicht unerheblichen Konsequenzen führen.

Bekanntlich hat sich der Entwurf die stärkere Umsetzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hinsichtlich Anordnung und Dauer einer forensischen Unterbringung zum Ziel gemacht, u.a. durch zeitliche Begrenzungen. Das wird bei allen - hoffentlich - positiven Effekten aber in der Tendenz dazu führen, dass vermehrt Patienten entlassen und weiterbetreut werden müssen, bei denen selbst die Klinik ein noch beträchtliches Risiko sieht; dies häufig unter erheblichem Zeitdruck, ohne lange Erprobungsmöglichkeiten. Und als ob das nicht schon genug an Problematik und Brisanz mit sich bringt - der Gesetzgeber sieht gerade bei dieser schwierigen Gruppe keinerlei Kriseninterventionsmöglichkeiten vor (z.B. § 67h StGB) vor, die ich eingangs als einen der Schlüssel zu einer erfolgreichen Nachsorgearbeit beschrieben habe - auch und gerade im Hinblick auf die Kooperation mit der Gemeindepsychiatrie. Wir haben das paradoxe Phänomen des 'gegenläufigen Kontinuums': Je besser die Prognose, desto mehr justizielle Kriseninstrumente haben wir, je schlechter die Prognose, desto weniger effektive Eingriffsmöglichkeiten haben wir. Führungsaufsicht ist da leider ein gänzlich 'stumpfes Schwert - das ist juristisch sicher schlüssig und so gewollt, führt aber zum erhöhten Risiko und zur folgerichtigen Ablehnung aller derjenigen, die diese Patienten betreuen könnten!

Fazit: Forcierte, nicht fachgerechte Entlassungen aus juristischen Gründen - so genannte Erledigungen - können für die gesamte Nachsorgelandschaft, aber auch für Klinik und Justiz, nicht zuletzt für den Patienten nachhaltig nachteilige Folgen haben und damit zum Bumerang werden.

Es gibt aber auch bereits rechtlich fundierte Vorschläge, wie da Änderungen vorzunehmen sind, z.B. durch den Richter beim Landgericht Matthias Koller, die man zügig diskutieren und umsetzen sollte.

SP: Raten Sie Einrichtungen von der Übernahme solcher Patienten generell ab?

Schmidt-Q.: Nein, aber hier ist maximale Offenheit und intensive Fallberatung mit den Forensischen Ambulanzen noch wichtiger als sonst. Vielleicht ist ja im Einzelfall trotz aller negativer Vorzeichen gemeinsam ein tragfähiges Setting aufzubauen. Ich erlebe häufig, dass auch bei scheinbar aussichtslosen Patienten, die sich - und vielleicht auch durch uns - aufgegeben haben bzw. völlig unkooperativ waren, bei konkreter Aussicht auf einen Entlassungszeitpunkt noch kleine, aber wichtige Fortschritte machen, die dann auch ein Annehmen von Unterstützung ermöglichen und die man nutzen sollte. In anderen Fällen sollte man sich aber auch nicht scheuen, die Betreuung abzulehnen; keiner - auch nicht die Ambulanzen - will sich gerne als Therapie-Alibi instrumentalisieren lassen, da müssen wir aufpassen.

SP: Sie fühlen sich also gerade bei der Rehabilitation der schwierigsten in der Forensik vom Gesetzgeber alleingelassen?

Schmidt-Q.: Ja, diesen Eindruck haben wohl auch viele Richter bei den Strafvollstreckungskammern, die jetzt diese Vorgaben umsetzen sollen. Im Landgerichtsbezirk Köln gibt es daher aktuell eine Arbeitsgruppe der Forensischen Abteilung der LVR-Klinik und der Strafvollstreckungskammer mit dem Vorsitzenden Richter Dr. Dietmar Dumke, die ich als richtungsweisend einschätze. An dieser Gruppe sind neben dem Landesbeauftragten und der Bewährungshilfe vor allem die Kölner Einrichtungsträger einschließlich der Eingliederungshilfe vertreten. Auch hier scheint mir wieder der Königsweg, gemeinsam und pragmatisch Lösungen und Auswege aus den unterschiedlichen Sichtweisen und Interessenlagen zu finden. Also kein Schwarzer-Peter-Spiel!

SP: Dabei kommt es sicher auf die Gesprächsbereitschaft und das Engagement der Beteiligten an. Inwieweit ist überhaupt Wissen und Wissenwollen über Praxis und Probleme des Maßregelvollzugs bei Justiz und nicht-forensischer Psychiatrie vorhanden?

Schmidt-Q.: Das ist sehr unterschiedlich, sicher ausbaufähig. Die DGSP bietet ja neben Kurzfortbildungen auch einen einjährigen Zertifikatskurs 'Forensische Nachsorge' unter meiner Leitung an, der sich an alle Tätigen in der Gemeindepsychiatrie, aber auch in der Bewährungshilfe wendet. Mir ist das ein Herzensanliegen: Die Mitarbeiter sind schließlich mit ihrer Person und ihrem professionellen Können das wesentliche Instrument der Arbeit.

Neben der individuellen Fortbildung erhoffe ich mir - und das ist auch ein wesentliches Anliegen der DGSP - vor allem Multiplikatoren - und damit versorgungspolitische Effekte, die zu weiter gehenden Kooperationen der Forensiken mit den Einrichtungen der Regionen führen sollen. Daher werden zum Beispiel die Hospitationen der Teilnehmer auch immer in den Forensischen Kliniken vor Ort angestrebt.

SP: Dann skizzieren Sie doch bitte kurz die wesentlichen Inhalte dieser Fortbildung.

Schmidt-Q.: Neben ausführlichen Informationen über juristische Rahmenbedingungen, Abläufe und therapeutische Inhalte des Maßregelvollzugs stehen die Vermittlung einer erhöhten Sicherheit und eines professionellen Umgangs mit der Klientel im Vordergrund. Denn mit der Entscheidung zur Fortbildung sind ja Ängste, Skepsis und Vorbehalte gegenüber Menschen mit Straftaten nicht automatisch verschwunden! Diese subjektiven Barrieren und Unsicherheiten müssen und werden im Kurs daher immer wieder durchgearbeitet. Dazu gehören auch Fragen der Beziehungsgestaltung im Alltag: Wie vermeide ich typische Fallstricke in der Interaktion mit dem Patienten? Wie halte ich die Balance zwischen Hilfe und Kontrolle, zwischen Nähe und Distanz? Wie gehe ich mit störenden Gefühlen oder anderen Gegenübertragungen um?

SP: Aber es werden doch auch Methoden und neue Handlungskompetenzen gelernt?

Schmidt-Q.: Das steht natürlich im Vordergrund. Bewährte sozialpsychiatrische Arbeitsweisen sollen um das spezifische forensische Know-how ergänzt werden. Interesse an Netzwerkarbeit ist dabei von Vorteil - geht es doch in der forensischen Nachsorge weniger um Individualbehandlung als um Unterstützung von Beziehungen und Systemen.

Dazu zählen aber auch ganz praktische Fragen, z.B.: Wie offen führe ich ein Gespräch über das Delikt, auch gegenüber Mitbewohnern und Nachbarschaft? Wie kann ich eine Sonderstellung der 'Forensiker' in meiner Wohngruppe vermeiden? Wer hat die Fallverantwortung - was macht eigentlich die Führungsaufsicht? Wie komme ich zu einer angemessenen Risikoeinschätzung? Wo erhalte ich Hilfe bei Regelverstößen oder bei einer Krisenintervention?

Ich bin immer wieder erfreut, wie stark die Teilnehmer interessiert sind, im Laufe der Fortbildung nicht nur ihre Kenntnisse zu erweitern, sondern sich einen realistischen, 'entmystifizierten' Standpunkt zwischen den Extremen einer Dämonisierung - gerade bei Patienten mit Sexualdelikten - oder umgekehrt einer Opferstilisierung der Patienten zu erarbeiten. Dazu gehört ja auch das bewusste Aushalten des 'Spagats', sich als Vertreter des Realitätsprinzips und ethischer Normen gleichzeitig in die verführerischen Aspekte von Grenzverletzung und Größenfantasie einfühlen zu können.

SP: Die Erarbeitung einer Haltung, eines professionellen Standpunktes ist also ein wichtiges Ziel.

Schmidt-Q.: Auf alle Fälle. Dabei ist das Akzeptieren eigener Grenzen in der Arbeit ebenso wichtig wie die Bereitschaft, auch den Patienten Grenzen zu setzen, auf Verbindlichkeiten zu bestehen. Eine weitere wichtige Botschaft: Forensische Nachsorge ist nichts für Einzelkämpfer, sondern bedeutet immer institutionsübergreifende Teamarbeit!

SP: Wollen Sie zum Schluss noch ein bisschen Werbung machen für den nächsten Kurs 'Forensische Nachsorge?

Schmidt-Q.: Ein unschätzbarer Vorteil ist, und das trägt sicher zur hohen Zufriedenheit aller bisherigen Gruppen bei, dass den Teilnehmern - bei durchgehender Präsenz und Kursleitung durch mich, der den 'roten Faden' hält - zu allen Spezialthemen jeweils die erfahrensten Fachleute aufgeboten werden, und zwar auch nur solche, die in der Lage sind, ihr Wissen gut verständlich und vor allem praxisnah zu vermitteln.

Der hohe Praxisbezug ist überhaupt ein Wesensmerkmal des Kurses; dazu gehören: Exkursion, viertägige Blockveranstaltung in einer Forensischen Klinik, einwöchige Hospitation in der Forensik 'vor Ort', Bearbeitung von Lernfällen, Supervision eigener Problemfälle, nicht zuletzt eine flexible und fächerübergreifende Themenauswahl entlang aktueller, alltagspraktischer Fragestellungen der Teilnehmer.

Der Kurs läuft ab März 2016 in Berlin zum 10. Mal, und ich kann ihn nur sehr empfehlen.

SP: Herr Dr. Schmidt-Quernheim, vielen Dank für das Gespräch.


Dr. Friedhelm Schmidt-Quernheim, Diplom-Pädagoge, Forensische Ambulanz der LVR-Klinik Düren und Referent für Nachsorge beim Landesbeauftragten für den Maßregelvollzug NRW; zahlreiche Publikationen zur forensischen Nachsorge; verfasste zusammen mit Thomas Hax-Schoppenhorst das Grundlagenwerk "Professionelle forensische Psychiatrie. Behandlung und Rehabilitation im Maßregelvollzug" (Bern u.a.: Verlag Hans Huber, 2008).
E-Mail: friedhelm.schmidt-quernheim@lvr.de

*

Quelle:
Soziale Psychiatrie Nr. 151 - Heft 1/16, Januar 2016, Seite 31 - 36
veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.
Zeltinger Str. 9, 50969 Köln
Telefon: 0221/51 10 02, Fax: 0221/52 99 03
E-Mail: dgsp@netcologne.de
Internet: www.dgsp-ev.de
 
Erscheinungsweise: vierteljährlich, jeweils zum Quartalsanfang
Bezugspreis: Einzelheft 10,- Euro
Jahresabo: 34,- Euro inkl. Zustellung
Für DGSP-Mitglieder ist der Bezug im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang