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THERAPIE/296: Erfolge mit Verhaltenstherapie bei Panik-Patienten (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2009

Erfolge mit Verhaltenstherapie bei Panik-Patienten

Von Jörg Feldner


90 Prozent der Patienten mit Panikattacken und Platzangst können mit sechs Wochen Verhaltenstherapie von ihrem Leiden befreit werden. Die Kosten-Nutzen-Relation bei dieser Therapie liegt bei 1 zu 5,6. Diese Resultate aus der bundesweiten Paniknetz-Studie trug der Psychologe Prof. Dr. Alfons Hamm (Universität Greifswald) auf einer Veranstaltung der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) zum zehnjährigen Bestehen des Psychotherapeuten-Gesetzes vor.

Psychische Erkrankungen sind im Mittel langwieriger und damit auch teurer als somatische Erkrankungen. Drei bis fünf Prozent der Deutschen, geschätzt 2,5 Millionen Menschen, leiden mindestens zeitweise unter Panikstörungen. Am häufigsten betroffen sind Menschen zwischen 25 und 30 Jahren, Frauen häufiger als Männer. 70 Prozent der Panik-Patienten weisen weitere Erkrankungen auf, vor allem Depressionen, Suchtmittelabhängigkeit und Phobien. Vom Auftreten der Symptomatik bis zur ersten Behandlung vergehen durchschnittlich sieben Jahre. 28 Prozent der ärztlich behandelten Panikpatienten bekommen Medikamente. Die Verordnung "Benzodiazepin nach Bedarf" nannte Hamm "langfristig kontraproduktiv", weil sie die Strategie der Angstvermeidung aufrecht erhalte und die Erkrankung chronifiziere. Vermeidungsstrategien der Patienten verlängern die Angst: Kurzfristig wird sie zwar gemildert, auf Dauer fühlen sich die Patienten durch ihr Vermeidungsverhalten aber darin bestärkt, dass die vermiedene Situation gefährlich geworden wäre, wenn sie sich ihr ausgesetzt hätten ("antizipatorische Angst").

In Greifswald beginnt die Therapie mit der Erarbeitung eines individuellen Erklärungsmodells gemeinsam mit den Patienten. Da Panikanfälle häufig mit der Fehleinschätzung eindrucksvoller, aber harmloser körperlicher Symptome kombiniert sind (erhöhter Puls wird als Vorbote eines Herzinfarktes gewertet), sei es wichtig, diese angstauslösenden Interpretationen kognitiv zu hinterfragen. So erleben die Patienten, dass erhöhter Puls, im Experiment ausgelöst durch körperliche Anstrengung, keineswegs einen Infarkt ankündigen muss. In späteren der insgesamt zwölf Sitzungen sollen die Patienten - zunächst in Begleitung und dann allein - gezielt die angstauslösenden Situationen aufsuchen und so lange aushalten, bis eine Gewöhnung eintritt und die Angst nachlässt. Konkret heißt das: Mit dem Bus fahren, im Kaufhaus einkaufen, im Wald spazieren gehen; alles Situationen, in denen panikartige Flucht schwierig oder wenigstens peinlich wäre, oder in denen schnelle Hilfe (Waldspaziergang) nicht erwartet werden kann.

Die Therapieerfolge sind deutlich. Hamm: "Wir haben beim Rückgang der selbst beurteilten Angst eine Effektstärke von 2,26 gemessen; von einem starken Effekt spricht man schon bei 0,8. Bei der Fremdbeurteilung sieht es sogar noch besser aus (2,8)." Die vorher sehr eingeschränkte Mobilität nimmt wieder deutlich zu, wobei hier die Patienten besonders von der Reizkonfrontation in vivo profitieren (Effektstärke 1,65). Hohe Effektstärken wurden auch bei Lebensqualität, Depressivität und Arbeitsfähigkeit registriert: "Die Depressivität geht zurück (Effektstärke 0,7), auf eine antidepressive Medikation kann in der Regel verzichtet werden." Für den Erfolg spreche auch die geringe Abbrecherquote: zehn Prozent bei Panik- und Agoraphobie-Patienten; 14 Prozent bei Klaustrophobie-Patienten, die sich u. a. in einem engen Schrank einschließen ließen.

Nach zehn Jahren Psychotherapiegesetz ist diese Therapieform heute selbstverständlicher geworden, und die Integration der psychologischen Psychotherapeuten in die KV Schleswig-Holstein ist gelungen, stellte Dipl.-Psych. Heiko Borchers vom Fachausschuss Psychotherapie in der KV fest: "Wir werden respektiert. Und wir sind in der KV die zweitgrößte Einzelgruppe nach den Hausärzten." Dr. Johann Brunkhorst, Chef der Techniker Krankenkasse in Schleswig-Holstein, beklagte die seit Jahren unverändert langen Wartezeiten (fast fünf Monate) auf Therapieplätze. Er bat die freiberuflichen Psychotherapeuten, eine Ausweitung ihrer Sprechzeiten zu prüfen: "Warum nicht auch mal am Sonnabend?"


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2009 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2009/200906/h090604a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Juni 2009
62. Jahrgang, Seite 28
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2009