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BERICHT/019: E-Cardmedizin - Brücke der Umlastdienste ... (SB)


Steigbügelhalter des neoliberalen Umbaus

Aktionstreffen "Medizin statt Überwachung" am 31. Oktober 2014 in Hamburg



Als wieder einsetzende Wirtschaftskrisen das Versprechen auf dauerhaft wachsenden Wohlstand für alle und Absicherung in jeglichen Lebenslagen zu Grabe getragen hatten, stand der deutsche Sozialstaat zur Disposition. Die neoliberale Doktrin, der zufolge allein die Ökonomisierung sämtlicher gesellschaftlicher Sphären den Fortbestand der herrschenden Verhältnisse gewährleisten und die nationalstaatliche Dominanz in der internationalen Konkurrenz sichern könne, etablierte ein Regime forcierter Umverteilung von unten nach oben. Parallel zur Senkung der Lohnstückkosten in der Produktion wie auch zu der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen stand der Umbau des Gesundheitswesens in einen lukrativen Wirtschaftszweig und die Verwandlung des anspruchsberechtigten Patienten in einen Pflichtschuldner auf der Tagesordnung. Auch in dieser Hinsicht entfalteten Sozialdemokratie und Grüne die größere Innovationskraft, da sie besser als konservative Kreise dazu in der Lage waren, soziale Grausamkeiten erfinderisch zu entwerfen und unter Einbindung ihrer Klientel durchzusetzen.

Untersucht man die Entstehungsgeschichte der elektronischen Gesundheitskarte (eGK), so stößt man auf einen von langer Hand konzipierten Entwurf, der schon in seinen Anfängen das strategische Ziel in aller Deutlichkeit offenlegte. Daß sich in der Folge erweisen sollte, wie ambitioniert und folglich auf Kollisionskurs mit dem damaligen Stand technischer Möglichkeiten und gesetzlicher Hürden dieses Vorhaben war, kann nicht zur Entwarnung Anlaß geben. Gleich anderen Großprojekten, die angesichts immenser Kosten, fortgesetzter Pannen und immer deutlicher zu Tage tretender Schadensfolgen für das Gros der Betroffenen widersinnig anmuten, folgt auch die Einführung der eGK einer auf lange Sicht angelegten Verflechtung aggressiver Profitinteressen mit staatlichen Sicherheits- und Befriedungskonzepten.

Schon 1997 und damit vor dem oftmals als Auslöser vermuteten Lipobay-Skandal von 2001 formulierte eine im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit erstellte Studie der Unternehmensberatung Roland Berger den Rahmenplan der eGK. Unter der Maßgabe, die Gesundheitsversorgung in eine Gesundheitswirtschaft umzuwandeln, hieß es dort, daß die Fähigkeit, die Gesundheitsversorgung zu steuern, allein von der Nutzung der Informationen abhänge. Zu diesem Zweck müsse man die verschiedenen Sektoren des Gesundheitswesens miteinander vernetzen, da die spezialisierte Medizin einen zentralen elektronischen Server unabdingbar mache. Folge man diesem Weg, seien Einsparpotentiale in Milliardenhöhe wie etwa durch die Vermeidung von Doppeluntersuchungen möglich, während Gleiches für die Krankenkassen durch das elektronische Rezept in Aussicht stehe.

Charakteristisch für diesen Entwurf genuin neoliberaler Provenienz ist die Fiktion, es ließe sich durch bloßen Abbau sperriger Strukturen und Verzicht auf überflüssige Praktiken so viel einsparen, daß damit nicht nur die Finanzierung des Gesundheitssystems gewährleistet, sondern dieses sogar wesentlich effektiver zum Wohle der Patientinnen und Patienten gestaltet werden könne. Daß auch im Gesundheitswesen Profite keineswegs aus dem Nichts, sondern ausschließlich aus der Verwertung der Arbeitskraft dort tätiger Menschen und mehr noch mittelbar aus den Sozialabgaben der Versicherten erwirtschaftet werden, verschwieg die Studie wohlweislich. Andernfalls wäre zur Sprache gekommen, zu wessen Lasten die in Aussicht gestellten Milliarden herausgepreßt werden sollten.

Nicht von ungefähr waren der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Außenminister Joseph Fischer Visionäre einer Politik, die im Koalitionsvertrag von 1999 alles auf eine Karte setzte. Die elektronische Gesundheitskarte, die ursprünglich auch Daten der Renten- und Sozialversicherung enthalten sollte, war ein langgehegter Traum des direkten Zugriffs auf bislang getrennt verwaltete und zweckgebundene Angaben zur Person. Dabei wollte man sich den Gewöhnungseffekt durch die bereits eingeführte Krankenkassenkarte zunutze machen und den Patientinnen und Patienten vorgaukeln, die elektronische Version sei im Grunde dasselbe, nur wesentlich besser und praktischer.

Den gesundheitspolitischen Hintergrund des weltgrößten IT-Projekts entwickelte maßgeblich die Sozialdemokratie, zumal die Ziele der deutschen Gesundheitspolitik damals im Dunstkreis der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung formuliert wurden. Im Jahr 2001 legten Glaeske, Lauterbach, Rürup und Wasem zu einer Tagung der Stiftung eine wegweisende Studie mit dem Titel "Weichenstellungen für die Zukunft. Elemente einer neuen Gesundheitspolitik" [1] vor, die bis heute wirksam ist. Angefangen von Chronikerprogrammen, einem Qualitätsmanagement in Kliniken und Praxen wie auch Fallpauschalen über die Trennung der Haus- und Fachärzte sowie Selektivverträge zwischen Kasse und Arztpraxis bis hin zu Risikostrukturausgleich und Rabattverträgen war darin so gut wie alles vorgedacht, was später im Gesundheitssystem umgesetzt wurde.


Soziale Grausamkeiten notdürftig kaschiert

Karl Lauterbach, dessen Name untrennbar mit diesen gesundheitspolitischen Umwälzungen verbunden ist, erklärte 2006, daß die Gesundheitsdaten mit einer eGK zentral verfügbar seien, was erheblich zu einer Steigerung der Versorgungsqualität beitrage. Was das tatsächlich bedeutet, beschrieb Silke Lüder, auf deren Initiative hin das Bündnis "Stoppt die e-Card" im Jahr 2007 entstanden ist. Wie sie in ihrem einführenden Beitrag auf dem Aktionstreffen "Medizin statt Überwachung" am 31. Oktober in Hamburg erläuterte, steht bei der aktuellen Struktur der medizinischen Kommunikation der Hausarzt oder Facharzt im Zentrum der Behandlung. Dabei werden Daten dezentral im geschützten Raum der Arztpraxen gespeichert, die Datenbasis verbleibt oft beim Hausarzt oder auf Wunsch beim Patienten, wobei es sich meist um eine Punkt-zu-Punkt-Kommunikation handelt. Hingegen steht beim eGK-Telematik-Projekt eine zusammengeschaltete Struktur von zentralen Servern im Mittelpunkt, in die die Datenbasis verlagert wird. Es entsteht eine Mensch-zu-Computer-Kommunikation, und angesichts des Kollektivrisikos aufgrund der zusammengeführten großen Datenbestände ist ein höherer Sicherheitsaufwand zwingend.

Referentin beim Vortrag am Stehpult - Foto: © 2014 by Schattenblick

Silke Lüder
Foto: © 2014 by Schattenblick

Die Einführung der eGK wurde unter Angabe des Ziels, Qualität und Wirtschaftlichkeit des Gesundheitswesens zu verbessern, 2004 per Gesetz beschlossen. Ab 1. Januar 2006 sollte jeder die neue Karte haben, was sich bekanntlich als illusorisch herausstellte. Die weitere Geschichte der umstrittenen Karte zeichnete sich durch eine Folge immer neuer Mängel, Rückschläge und Verschiebungen aus, die Wasser auf die Mühlen ihrer Kritiker waren, die sich 2007 mit Gründung der Aktion "Stoppt die e-Card" in Berlin formierten. 2007/2008 endeten umfangreiche Tests in mehreren Bundesländern mit einem katastrophalen Ergebnis: Das Karteneinlesen dauerte viel zu lange, das elektronische Rezept erwies sich selbst nach Angaben der Betreibergesellschaft gematik als Flop, die Sicherheits-PIN-Nummer wurde von zwei Dritteln aller Patienten und Ärzte vergessen, die Testärzte und Apotheker waren mit den Nerven am Ende, die Notfalldatentests scheiterten, das Eintragen der Daten auf der Karte dauerte in der Sprechstunde über 20 Minuten, und bei jeder kleinen Medikamentenänderung mußte der Datensatz neu signiert werden, so die Referentin. Daraufhin wurde die geplante nächstgrößere Teststufe kurzerhand abgesagt.

Angesichts dieser entufernden Probleme, die dem vorgehaltenen Anspruch verbesserter Effizienz und Behandlungsqualität Hohn sprachen, stand das Projekt vor der Bundestagswahl 2009 auf der Kippe. FDP, Linkspartei und Aktion "Stoppt die e-Card" hielten eine gemeinsame Pressekonferenz in Berlin ab, auf der die FDP versprach, die eGK nach der Wahl zu stoppen. Hinterher machte sie jedoch einen Rückzieher, da sie angeblich dem auf sie ausgeübten Druck nicht standhalten konnte. Massiv unter Druck gesetzt wurden auch Kassen und Ärzte, da es aus Sicht der Protagonisten galt, das bedenklich schlingernde Projekt zu retten. Zwischen 2010 und 2012 wurden im Bundestag vier neue Gesetze verabschiedet, die als sogenannte Omnibusse durchliefen, also zum Zweck der Tarnung Entwürfen zu ganz anderen Themen angefügt wurden. Die Parlamentarier erfuhren zumeist erst so kurzfristig davon, daß sie sich nicht angemessen damit befassen konnten und es zu keiner Diskussion kam.

In diesen klammheimlich durchgebrachten Gesetzen ging es insbesondere um das Versicherten-Stammdaten-Management. Als die Kassen erkannten, daß sie sehr viel Geld ohne absehbaren Gegenwert investieren mußten, trübte das ihre Begeisterung für das Projekt beträchtlich, wenngleich nicht auf Dauer. Bundesgesundheitsminister Gröhe kündigte unverdrossen ein Gesundheitsgesetz an, das einen Zusammenschluß aller Beteiligten über eine einzige Schnittstelle realisieren sollte, was nach Auffassung vieler Experten eine Fata Morgana war, so Silke Lüder. Auf der e-Health-Konferenz 2014 in Hamburg erklärten der Bundesgesundheitsminister und die Hamburger Gesundheitsenatorin unisono, man begegne dem drohenden Mangel an medizinischer Versorgung in verödeten Landstrichen mit Telemedizin aus Spitzenzentren in den Metropolen. Für diese Fernbehandlung benötige man die zentrale Telematik-Infrastruktur der eGK. Ärzte sollten nicht durch eine Delegation, sondern vielmehr eine Substitution von Leistung durch Pflegepersonal ersetzt werden, um Kosten zu sparen.

Zuletzt hat Gröhe noch einmal auf dem IT-Gipfel in Hamburg verkündet, e-Health bringe die Gesundheitsbranche auf Expansionskurs. Das geplante e-Heath-Gesetz soll Anreize für die Einführung von medizinischen Anwendungen setzen, darunter die elektronische Bereitstellung von Notfalldaten, die Einführung eines Medikationsplans und die Verbesserung des Informationsaustausches zwischen den mehr als 200 verschiedenen IT-Systemen des Gesundheitswesens. Telemedizin als Vision der Politik und Geschäftsfeld der Industrie läßt sich im Aberwitz ihrer Konsequenzen mit dem Szenario eines alten Menschen illustrieren, der ohne Angehörige oder Pflegekräfte allein in seiner Wohnung sitzt, wo er per Video, Sensoren in Fußmatten und anderen Gerätschaften permanent überwacht wird, so Silke Lüder.

Aufgrund langanhaltenden massiven Drucks besitzen die meisten Versicherten inzwischen die eGK mit einem nicht identitätsgeprüften Foto. Milliarden sind investiert worden, von der elektronischen Patientenakte und dem elektronischen Rezept ist heute kaum noch die Rede. Man spricht vom Versicherten-Stammdaten-Management, der elektronischen Signatur, den Notfalldatensätzen und der Sicherheitsprüfung. Gematik-Chef Arno Elmer gebrauchte auf der diesjährigen Telematik-Tagung das Bild einer Datenautobahn, auf der Versicherte wie Autos verkehren und mit der eGK einen Autoschlüssel besitzen, der die NSA draußen hält. In einem Vortrag bei den Piraten überraschte Elmer hingegen mit einer skeptischen Sichtweise: Wir bauen nur die Autobahn. Wenn der Gesetzgeber die Daten haben will, dann ändert er die Gesetze und holt sie sich.

Ab 1. Januar 2015 gilt nur noch die eGK, und wer sie nicht besitzt, muß die Arztrechnung privat bezahlen. Ausnahmen gibt es nur noch bei Kindern unter 15 Jahren oder Menschen, bei denen die Fotoerstellung nicht möglich ist, wie etwa in Pflegeheimen, sowie aus religiösen Gründen. Unterschlagen wird bei dieser Ankündigung, daß man im Notfall weiterhin mit dem Ersatzverfahren auf Papier behandelt werden kann: Die Praxis ruft bei der Kasse an, diese schickt eine Versicherungsbescheinigung und der Patient unterschreibt, wie das bisher tagtäglich vorkommt. Notfall sei ein dehnbarer Begriff und liege im Ermessen der Ärztin oder des Arztes, so die Referentin.

Das nächste Ziel der Betreiber, Arztpraxen mit dem Versicherten-Stammdaten-Management als Außenstellen der Kassen zu institutionalisieren, soll ab Ende nächsten Jahres getestet werden, wofür Kosten von 32 Millionen Euro veranschlagt werden. Letztlich sollen alle Praxen mit Kassenservern verbunden und einmal im Quartal die Stammdaten auf dem Chip über die Onlineverbindung aktualisiert werden. Bei 70 Millionen GKV-Versicherten müßten demnach 582 Millionen Prüfungen im Jahr durchgeführt werden, und das obwohl die Kassen schätzen, daß nur bei jeder 50. Karte eine Änderung erfolgen müßte. Das eindeutige Ziel ist wiederum, alle Praxen an die zentrale Telematik-Infrastruktur anzuschließen. Das aber gilt es zu verhindern, zumal die NSA bekanntermaßen Quantencomputer aufbaut, die auch die RSA-Verschlüsselung der eGK knacken würden. Das Ausspähen der zentralisierten Medizindaten wäre folglich nur eine Frage der Zeit, da alle Verschlüsselungen irgendwann durchbrochen werden.


David gegen Goliath - doch vielerorts regt sich Widerstand

Auch in anderen Ländern regt sich Widerstand gegen vergleichbare Vorhaben: So protestieren die Hausärzte in England gegen die verpflichtende Weiterleitung aller Daten an den National Health Service. In den USA wurde eine große Studie veröffentlicht, die Zweifel am Nutzen elektronischer Krankenakten schürt. In Frankreich kritisierte der Rechnungshof die teure e-Card als Rohrkrepierer. In Österreich empfehlen die Hausärzte ihren Patienten, sich aus der elektronischen Patientenakte auszutragen.

In Deutschland treiben einflußreiche Protagonisten wie die e-Health-Gemeinde, die IT-Industrie, die Gesundheitswirtschaft, private Klinikkonzerne, Krankenkassen, Versicherungen, Pharmaindustrie und nicht zuletzt die Politik mit ihrem unstillbaren Datenhunger das Projekt eGK voran. Wenngleich der Widerstand wie Davids Kampf gegen Goliath anmuten mag, gibt es doch zumindest eine klare Beschlußlage der deutschen Ärzteschaft von 2012 gegen die eGK und deren Tests. Auch die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung lehnt das Versicherten-Stammdaten-Management ab, doch unternimmt der neue Vorstand nichts, um diesen Beschluß umzusetzen.

Wie Silke Lüder unterstrich, habe man keine Einwände gegen moderne Kommunikationsmethoden in kleinen Einheiten, sofern man sie sicher handhaben kann: Elektronische Arztbriefe Punkt-zu-Punkt, Notfalldaten in Händen des Patienten auf Papier oder USB-Stick. Möglich seien zudem verschlüsselte e-Mails in einem Versenderkreis beispielsweise von Hausärzten. Grundsätzlich gelte es, stets auf Sparsamkeit und Dezentralität der Daten zu achten.

Als nächste Aufgabe der kritischen Ärzte und Patienten wies die Referentin die Verhinderung des Versicherten-Stammdaten-Managements und des Online-Anschlusses aller Praxen an die Kassen aus, da dies einem Dammbruch gleichkäme. Zudem gelte es die Beschlußlage der Ärzteschaft umzusetzen, die geplanten Tests abzulehnen und sich dabei auch nicht bestechen zu lassen. Die Aktion "Stoppt die e-Card" sei seit 2007 auch auf großen Demonstrationen wie jener des AK Vorratsdatenspeicherung in Berlin 2013 unter dem Motto "Freiheit statt Angst" präsent. Gesundheit ist keine Ware, Patienten sind keine Kunden und Medizindaten kein Geschäftsmodell, schloß Silke Lüder ihren Vortrag.

Referent beim Vortrag am Stehpult - Foto: © 2014 by Schattenblick

Christoph Kranich
Foto: © 2014 by Schattenblick


Konsumismus ist ein unsicherer Kantonist

Der Bundesbürger in seiner Eigenschaft als Konsument und der Verbraucherschutz als Vertretung seiner Interessen sind ihrer Natur nach unsichere Kantonisten im Streit gegen drohende Verschlechterungen der Lebensverhältnisse und den Ausbau repressiver Staatlichkeit. Wie der Name "Verbraucher" schon sagt, geht es dabei um das eigene Wohlergehen, nicht aber um die Frage, wer oder was dabei zwangsläufig verstoffwechselt wird. Das schließt gelegentliche Seitenblicke auf ökologisch unbedenkliche Anbauweisen, fair gehandelte Produkte oder besonders verwerfliche Unternehmenspraktiken nicht aus, zieht aber zugleich eine Grenze vorgeblicher Opferbereitschaft unter Wahrung des eigenen Lebensstils.

Wie Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale Hamburg berichtete, hatten sich Verbraucherschützer schon 1995 erfolgreich gegen elektronische Chipkarten eingesetzt. Damals ging es um die Krankenversichertenkarte, die die Industrie einführen wollte. Etliche Datenschützer und Verbraucherzentralen befürworteten allerdings das Vorhaben, und dieses heterogene Bild bei Verbrauchern und Patienten findet man heute ebenso. Viele Patienten begrüßen die eGK, weil sie sich eine schnelle Notfallbehandlung oder das Erkennen von Medikamentenwechselwirkungen davon erhoffen. Bei Umfragen ist eine Mehrheit dafür, und zwölf Verbraucherzentralen raten in ihrem gemeinsamen Internetauftritt, ein Foto für die eGK einzuschicken - wehren könne man sich ja noch später. Nur die Hamburger Verbraucherzentrale präsentiert unter dem Stichwort "Gesundheitskarte" durchweg kritische Artikel. Die Verbraucherschützer sprechen also nicht mit einer Stimme, so der Referent.

Zwangsläufig landen alle Gegner der eGK mit ihren Fragen bei der Hamburger Verbraucherzentrale, die unter anderem Vorträge zum Thema Datensicherheit hält. Kranich wies darauf hin, daß die CDs mit Daten von Steuerbetrügern für ein enormes Echo in der Öffentlichkeit gesorgt hätten, während die Sicherheit von Gesundheitsdaten demgegenüber stiefmütterlich behandelt werde. Dabei sei deren Schutz noch wesentlich höher anzusiedeln, denn während man beispielsweise ein leergeräumtes Konto ersetzen könne, gelte das im Fall chronischer Krankheiten nicht.

Christoph Kranich beruft sich in seiner Argumentation gern auf die Gesellschaft für Informatik, in der 25.000 Computerwissenschaftler versammelt sind, darunter sämtliche Professoren von deutschen Informatiklehrstühlen. Diese lehnte 2005 die Speicherung von Gesundheitsdaten im Internet nachdrücklich ab. Wenn ein solcher Kreis kompetenter Experten der Auffassung sei, daß man derartige Systeme nicht sicher machen kann, sei dies ein gravierender Einwand, den man nicht relativieren dürfe.

Demgegenüber argumentieren viele Verbraucherschützer, daß die eGK immer noch sicherer als freiwillige Systeme in Ärztenetzen oder bei Google sei, die ohne die hohen Sicherheitsstandards auskämen. Worum es jedoch bei der eGK perspektivisch geht, beschrieb die Beratungsfirma Booz Allen Hamilton 2006 in einem internen Dokument, das vom Chaos Computer Club "befreit" wurde: Der Hauptnutzen der eGK resultiert aus den freiwilligen Anwendungen, die später kommen sollen. Aufgrund des großen Nutzenpotentials sollten diese freiwilligen Anwendungen aber möglichst frühzeitig eingeführt werden, hieß es weiter. Es liegt auf der Hand, daß bei ungenügender freiwilliger Zustimmung der Zwang auf gesetzlichem Wege droht.

Plakat 'Alles auf diese Karte? Wir sagen Nein!' - Foto: 2014 by Schattenblick

Foto: 2014 by Schattenblick


Fußnote:


[1] Glaeske, Lauterbach, Rürup, Wasem: Weichenstellungen für die Zukunft. Elemente einer neuen Gesundheitspolitik. Berlin 2001.


Einführungsbeitrag zum Aktionstreffen "Medizin statt Überwachung" in Hamburg im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → MEDIZIN → REPORT:

BERICHT/018: E-Cardmedizin - Vorwand, Plan und Wirklichkeit ... (SB)

16. November 2014