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ARTIKEL/501: Hebammen - Ehrung für die sanfte Geburt (Securvital)


Securvital 6/2011 - November/Dezember
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Hebammen
Ehrung für die sanfte Geburt

Von Peter Kuchenbuch


Eine Amerikanerin wird am 9. Dezember in Stockholm mit dem alternativen Nobelpreis geehrt. Die Hebamme hat in ihrer Heimat die Tradition der natürlichen Geburt wiederbelebt.

Die Amerikanerin Ina May Gaskin bekommt den alternativen Nobelpreis, weil sie über einen Zeitraum von vier Jahrzehnten Meilensteine zur Förderung der natürlichen Geburt und der Hebammenausbildung gesetzt hat. Die Jury des Right Livelihood Awards ehrt sie dafür, dass sie »Geburtsmethoden lehrt und verbreitet, die Frauen in den Mittelpunkt stellen und die körperliche wie geistige Gesundheit von Mutter und Kind fördern.«

Ina May Gaskin, 71, hat ein Leben lang dafür gekämpft, einen in den USA fast ausgestorbenen Beruf wiederzubeleben. Ihr ist es gelungen, traditionelles Hebammenwissen zu bewahren und neue Geburtstechniken zu entwickeln. Diese Erkenntnisse hat sie weltweit an andere Hebammen und Mütter weitergegeben. Das Zentrum ihrer Arbeit war ein Geburtshaus auf einer Farm in Tennessee. Die Farm hatte sie 1971 als Mitglied einer Hippiekommune zusammen mit anderen jungen Familien und ihrem Lebenspartner Steven gegründet.

Gegen den Strom

Im Oktober 1970 war ihre Hippie-Karawane in Kalifornien auf der Suche nach einem geeigneten Ort aufgebrochen. Auf der monatelangen Reise quer durch die USA kamen auch immer wieder Babies zur Welt - und Gaskin war voll in ihrem Element.

Dabei war ihre erste eigene Entbindung vier Jahre zuvor nicht locker und leicht verlaufen. Ihr betreuender Arzt riet ihr ohne Umschweife zu einer Zangengeburt unter Schmerzmitteleinsatz - das war gängige Praxis damals und seinen Worten zufolge sicherer als eine natürliche Geburt. Ein Ereignis, das für das Leben der jungen Literaturstudentin aus Iowa wegweisend wurde: »Diese ganze Erfahrung öffnete mir die Augen und ich war sicher, dass der weibliche Körper besser reagieren kann als es meinem Geburtshelfer beigebracht worden war.«

Fortan stemmte sie sich gegen die etablierten Standards und die Angstbesessenheit in amerikanischen Krankenhäusern unter Einsatz von Kaiserschnitt, Hightech und Medikamenten. Stattdessen stellte sie andere Fragen und fand wichtige Antworten.

Im Februar 1976 erschütterte ein schweres Erdbeben Guatemala, 23.000 Menschen starben und Gaskin reiste in das zentralamerikanische Land, um zu helfen. Bei dieser Gelegenheit erfuhr sie von uralten Geburtstechniken einheimischer Hebammen. Einer dieser Kniffe ist heute im internationalen Klinikalltag mit ihrem Namen verbunden. Das Manöver nach Gaskin, auch Vierfüßlerstand genannt, ändert bei Komplikationen die Position des Beckens der Gebärenden, was einer verkeilten Baby-Schulter im Geburtskanal ermöglicht, sich aus der Klemme zu befreien.

Im Laufe ihres Lebens hat Gaskin etwa 1.200 Kinder zur Welt gebracht und bei insgesamt 3.000 Geburten assistiert. In den USA, in denen es keine staatlich geregelte Ausbildung für Hebammen gibt, bewahrt und lehrt sie in ihrem Geburtshilfezentrum in Tennessee das Wissen über die sanfte Geburt.

Mut und Überzeugung

»Gute Anfänge machen einen positiven Unterschied in der Welt, und deshalb ist es aller Mühe wert, wenn wir Müttern und Säuglingen die bestmögliche Fürsorge in dieser enorm richtunggebenden Lebensphase angedeihen lassen«, sagt Gaskin. Ihre Bücher sind Bestseller, zu Vorträgen ist sie rund um die Welt gereist. Viele Hebammen haben sich die Pionierin zum Vorbild genommen. Ein aktueller Schwerpunkt ihrer Arbeit ist es, die USA für das Thema einer steigenden Müttersterblichkeitsrate aufzurütteln. Dazu arbeitet sie mit staatlichen Institutionen an einem einheitlichen und verpflichtenden Berichtssystem zur Erhebung der Sterblichkeit amerikanischer Mütter.

Denn gemessen am medizinischen Standard ist es erschreckend, dass die Frauensterblichkeit in der Schwangerschaft und bei der Geburt Schätzungen zufolge in den USA etwa doppelt so hoch ist wie in Deutschland. Gaskin hofft, diese negative Entwicklung aufzuhalten, indem die Arbeit von Hebammen künftig wieder stärker zum Zuge kommt - und Frauen unter ihrer Anleitung wieder mehr Mut zur natürlichen Geburt bekommen.

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Unerstützung für Hebammen

Ina May Gaskin sagt, dass weibliche Fähigkeiten weit über das medizinische Verständnis hinausgehen und dass diese Fähigkeiten besser zur Entfaltung kommen, wenn die Geburt durch mehr Vertrauen in die eigenen Mutterinstinkte geleitet wird. Diese innere Stimme zu verstärken, das gelingt auch deutschen Hebammen tagtäglich. Trotzdem ist die wirtschaftliche Situation gerade der freiberuflichen Hebammen in unserem Gesundheitssystem weiter prekär. Wenn sich die Verdienstsituation nicht bald deutlich verbessert, werden noch mehr Freiberuflerinnen aus der Geburtshilfe aussteigen. Die SECURVITA zahlt als einzige Krankenkasse ein erweitertes Geburtshilfehonorar: Betreuende Hebammen erhalten 50 Euro je Geburt. Und Müttern wird die Rufbereitschaftspauschale von 250 Euro erstattet.

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Alternativer Nobelpreis

Der alternative Nobelpreis (Right Livelihood Award) wird Persönlichkeiten verliehen, die sich für die Lösung der dringendsten Probleme der Welt einsetzen und in Bereichen wie Umwelt, Frieden, Menschenrechte und Gesundheit Besonderes leisten. Zu den deutschen Preisträgern zählen unter anderem Petra Kelly (1982), Hans-Peter Dürr (1987) und Hermann Scheer (1999). Der Preis wurde vom deutsch-schwedischen Philosophen und Ökonomen Jakob von Uexküll gestiftet.

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Quelle:
Securvital 6/2011 - November/Dezember, Seite 30 - 31
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2012

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