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HINTERGRUND/148: Rockspiegel - Die Letzten werden die Ersten sein (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 14 vom 15. September 2009

Rockspiegel: Die Letzten werden die Ersten sein
20 Jahre Wende: Wir erinnern an die Vorreiterrolle einiger
DDR-Rockmusiker und an manche Reaktionen des Publikums

Von Mathias Bäumel


Am 18. September 1989 protestierten Rocker und Liedermacher gegen "unaushaltbare Zustände" in der DDR, schon 1994 aber wurden auch wieder die Mitläufer bejubelt.

Dies war schon anlässlich früherer Wende-Jubiläen Thema von Artikeln in vor allem Tageszeitungen, so zum Beispiel von Martin Baum (DNN, 7. Oktober 1994), an deren Gestus wir hier anlässlich des bevorstehenden Jubiläums "20 Jahre friedliche Revolution" erinnern:


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Mut haben ist nicht selbstverständlich. Ängstlich und bauernschlau vorsichtig sein oder einfach seine Ruhe haben wollen ist keinesfalls von vornherein kritikwürdig. Aber sollen deswegen die Mutigen vergessen und die Ängstlichen sowie die Kopf-in-den-Sand-Stecker zu Leitfiguren erhoben werden?

Vor zwanzig Jahren, am 18. September 1989, noch deutlich vor den Wende-Ereignissen auf den Straßen mancher Städte der DDR, traten einige Rockmusiker und Liedermacher mit einer Protestresolution an die Öffentlichkeit. Weil die Musiker den Abdruck ihrer Resolution in den Tageszeitungen zunächst nicht durchsetzen konnten, verlasen sie sie vor jedem ihrer Auftritte - landesweit - und riefen damit nicht nur empörte Klubhausleiter, sondern auch die Polizei und Spitzel auf den Plan. Die Rockmusiker und Liedermacher kritisierten in ihrer Resolution die "unerträgliche Ignoranz der Partei- und Staatsführung", begrüßten ausdrücklich, "dass sich Bürger in basisdemokratisch orientierten Gruppen finden, um die Lösung der anstehenden Probleme in die eigene Hand zu nehmen" (zur Erinnerung: die meisten der DDR-Bürger standen zu diesem Zeitpunkt dem gerade gegründeten Neuen Forum desinteressiert oder gar ablehnend gegenüber), sie forderten "jetzt und hier sofort den öffentlichen Dialog mit allen Kräften", eine "Öffnung der Medien", eine "Änderung der unaushaltbaren Zustände". Das war mutig. Immerhin: Gerade die Profimusiker waren existentiell auf ihre "Pappe", zum großen Teil auch auf ihren Pass angewiesen - Dokumente, deren Besitz sie mit dem öffentlichen Eintreten für die Protestresolution aufs Spiel setzten. Viele von den Erstunterzeichnern bekamen sofort - direkt oder indirekt - Auftrittsverbot, finanziell hohe Ordnungsstrafen oder Klagen wegen Hausfriedensbruchs an den Hals (weil sie der Aufforderung, unverzüglich das Klubhaus zu verlassen, nicht nachgekommen waren).

Das Verlesen der Resolution war mutig auch deswegen, weil schließlich die allermeisten DDR-Bürger solche Worte als Nestbeschmutzung empfanden (heutige Schätzungen im Zusammenhang mit den sogenannten Wahlfälscherprozessen behaupten, dass immerhin etwa 80 Prozent der Ostler ständig und wissentlich die Kandidaten der Nationalen Front gewählt hatten).

Die Verbreitung dieser DDR-kritischen Resolution durch Rocker und Liedermacher hatte Konsequenzen. Neben einem Schneeball-Effekt (die Zahl der Veranstaltungen, auf denen die Forderungen dieses Textes diskutiert und andere ähnliche verfasst wurden, wuchs) kam es schließlich auf Initiative von Musikern wie Toni Krahl, Tamara Danz und Lutz Kerschowski am 16. Oktober 1989, also unmittelbar nach den ersten stürmischen Wendetagen, zur außerordentlichen Vollversammlung der Sektion Rock beim Komitee für Unterhaltungskunst im Berliner Klubhaus "Peter Edel".

Diese Rocker-Vollversammlung war die allererste offizielle Reaktion eines offiziellen Gremiums auf die zugespitzten Verhältnisse in der DDR, alle vorangegangenen Protestaktionen hatten sich spontan aus aktuellen Situationen heraus gebildet (z.B. der Protest Dresdner Schauspieler am Ende der jeweiligen Aufführung oder der während des Kolloquiums zu den damaligen Tagen der zeitgenössischen Musik). Und die mittlerweile zur Heldensache hochstilisierte Großkundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. Novembertag lag noch in (politisch) weiter Ferne.

Die auf der Vollversammlung erhobenen Forderungen gingen um einiges weiter als die der Resolution vom September 1989; so verlangten die Rocker unter anderem volle Reisefreiheit für jedermann und die Bestrafung aller, auch auf Seiten der Polizei, die für die Eskalation der Gewalt in den ersten Oktobertagen verantwortlich sind - und dies, obwohl an einen 9. November noch niemand geglaubt hatte.

Doch die Rocker übten auch Selbstkritik. Lebhaft wurde auf der Vollversammlung die Frage diskutiert, inwieweit DDR-Rockmusiker selbst Mitschuld am Verfall des geistigen und politischen Klimas in der DDR tragen - eine Fragestellung, wie man sie in adäquater Form in nahezu allen anderen Bevölkerungskreisen einschließlich der Künstler vermisst hatte. "Während am Anfang der siebziger Jahre ein engagiertes, kritisches Auftreten der Musiker durchaus üblich war, ist seit über einem Jahrzehnt das belanglose Liedlein das Normale", meinte ein Diskussionsteilnehmer. Und: "Wer bisher brav seinen plakativen Friedenssong abgeliefert hat, war aus dem Schneider und konnte auf Produktionsmöglichkeiten stark hoffen."

Wer damit gemeint gewesen sein könnte, ergibt sich durch einige Blicke in die DDR-Rock-Geschichte und auf die Songs mancher Bands. So offenbarten beispielsweise die Puhdys mit einigen Songs ihrer damals vielgelobten LP "Das Buch" (1984) eine einfältige, eindimensionale Weltsicht, die sich zudem durch plakative Textgestaltung verriet. Ausgerechnet zu der Zeit, in der so viele Menschen wie wohl noch nie zuvor in Deutschland aus politischen Gründen auf die Straße gingen, nämlich um gegen die Raketenstationierung zu demonstrieren, formulierten die Puhdys in ignoranter Weise, dass der "Mann mit den Sternen und Streifen am Hut" deshalb so erfolgreich sei, weil der "Überfluss die Aufmerksamkeit lähmte". Dümmlicher hätte es ein Agitprop-Sekretär einer SED-Kreisleitung auch nicht hinkriegen können. YDNatürlich gehörte niemand von den Puhdys zu den Initiatoren der Protestresolution, zu den Wortführern während der Vollversammlung gleich gar nicht. "Dennoch wäre es interessant zu erfahren", schrieb damals die DNN vom 7.10.1994, "was Puhdys-Keyboarder Peter Meyer über den Verlauf der Rocker-Vollversammlung weitergemeldet hat - als damaliger inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit, dem heute seine Anhänger wieder zujubeln. "

Und während die Meyer & Co. wieder gefeiert werden, sind die politischen Aktivisten unter den Rockern aus der Vorwende- und Wendezeit bereits fast völlig vergessen. Sie waren unbequem und sind es wieder: In ihrer Protestresolution vom 18. September 1989 stellten sie klar, dass wirkliches Links-Sein im DDR-Regime genauso verfolgt wurde wie in konservativ-nationalen Gesellschaften. Damit nahmen sie vielen Menschen die Illusion einer heilen DDR-Vergangenheit wie die einer heilen gesamtgroßdeutschen Gegenwart. - Um da wenigstens ein klein bisschen noch die Wärme des Kollektivs zu spüren, bleibt seither manchem nur übrig, Herrn Meyer beim Grölen seiner geschmacklosen Hiroshima-Kampflieder zu helfen.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 20. Jg., Nr. 14 vom 15.09.2009, S. 12
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. September 2009