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HINTERGRUND/151: Ausnahmeerscheinungen? - Der Platz der Frauen in der Weltmusik (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 110, 4/09

Ausnahmeerscheinungen?
Der Platz der Frauen in der Weltmusik

Von Caroline Maraszto


Die Biografien großer Sängerinnen regen zu Fragen des Vertriebs von Weltmusikproduktionen weiblicher Provenienz an. Im folgenden Beitrag behandelt die Autorin die Karrieren von Oum Kalthoum, Mercedes Sosa und Miriam Makeba, drei Musikerinnen(1), die die letzten 60 Jahre des internationalen Musikgeschehens bedeutend mitgestaltet haben, und sie erörtert die Frage, wie deren Musik u.a. im deutschsprachigen Raum aufgenommen wurde.


Beginnen möchte ich die Abhandlung über Weltmusik(2) mit der Biografie der 1904 geborenen Sängerin Oum Kalthoum. Sie gilt als berühmteste Sängerin der arabischen Welt. Ihre Stimme war einzigartig, ein Contralto. In ihren Auftritten steigerte sich ihr Zusammenspiel mit dem Publikum zur Ekstase. An ihrem Begräbnis war die gesamte Stadt Kairo lahmgelegt. Vier Millionen Menschen nahmen von der Kultfigur Ägyptens Abschied.


Vom Dorfmädchen zum nationalen Aushängeschild

Eines Abends entdeckte der Imam des Dorfes, dass sie sämtliche Verse, die er üblicherweise der Dorfgemeinschaft vortrug, auswendig kannte und richtig intonierte. Auf Drängen des Musikers Zakariya Ahmed, dem sie vorsang, gab ihr Vater nach und zog mit ihr nach Kairo. Ihr Arabisch klang anfangs für die GroßstädterInnen etwas fremd, deshalb arbeitete sie an ihrer Aussprache und an ihrer Stimme und lernte die arabische Laute, Oud, spielen. Berühmte Dichter und Komponisten schrieben Texte für sie und 1924/25 kam es zu ersten Aufnahmen und zur ersten Tournee durch die Länder des Nahostens. Ihr Auftreten war äußerst diskret, außerhalb der Bühne ließ sie sich kaum blicken, was ihrem guten Ruf nützlich war, auch in späterer Folge, als sie ihren Leibarzt heiratete.

Die 1940er und 1950er Jahre gelten gemeinhin als das "Goldene Zeitalter" ihres Gesangs, zugleich gelang es ihr in dieser Zeit, ihre Karriere geschäftlich vollends in die Hand zu nehmen. Ihr Ruhm wuchs kontinuierlich, und sie wurde allmählich zu einem nationalen Aushängeschild. Nach einer fast 60-jährigen Bühnenkarriere und Hunderten von Aufnahmen starb sie 1975 an einem schweren Nierenleiden. Im deutschsprachigen Raum sind derzeit nur einige wenige CDs von ihr erhältlich.

Trotz ihres bahnbrechenden Erfolgs stellt die Musik Oum Kalthoums ein Randphänomen am deutschen und österreichischen Musikmarkt dar - die Verkäufe liegen pro CD bei ca. 100 Stück jährlich.


Amerikas Interpretin

Man nannte sie die Stimme Amerikas: Mercedes Sosa verstarb am 18. September dieses Jahres. Ein Trauertag für Argentinien, für Lateinamerika und für die Welt. "Ich trage ein Volk in meiner Stimme", sagte sie einmal in einem Interview. Und meinte gleichzeitig viele indigene Völker Lateinamerikas. 1935 wurde sie in sehr bescheidene Verhältnisse hineingeboren. Liebevoll und volksnah wurde sie "La Negra" genannt. Mit 15 Jahren wurde sie von Bekannten für einen Gesangswettbewerb angemeldet, gewann und wurde für das argentinische Radio engagiert. Der Anspruch, im Singen eine Botschaft mitzugeben, war ihr Zeit ihres Lebens ein Anliegen. So hieß ihr erstes Album 1966 "Yo no canto por cantar" - ich singe nicht um des Singens willen. Mercedes Sosa lieh den LyrikerInnen des lateinamerikanischen Kontinents - Violeta Parra, Victor Jara, Atahualpa Yupanqui, Pablo Neruda u.v.a. - ihre Stimme. Sie schrieb nie selbst. Ihre Stärke lag in der Interpretation, dem Hineinlegen einer Seele in einen Text, der sie ansprach. Aber mit dem Militärputsch 1976 legte sich die Zensur als schwere Last über das Kulturleben ihrer Heimat. Bei einem Konzert 1979 wurde sie auf offener Bühne samt Publikum verhaftet und floh anschließend ins Exil nach Paris, dann nach Madrid, um 1982 vor argentinisches Publikum in der Oper von Buenos Aires zurückzukehren - eine Schlüsselsituation, die für eine politische und musikalische Erneuerung des argentinischen Kulturlebens steht. Unvergesslich wird ihre Interpretation von Violeta Paras "Gracias a la vida" (Ich danke dem Leben) bleiben. In Deutschland und Österreich sind derzeit noch fünf CDs der großen Sängerin erhältlich, die sich im Schnitt nach Auskunft des Vertriebs an die 600-mal jährlich verkaufen.


Die Stimme gegen Apartheid

Miriam Makeba verstarb letztes Jahr unmittelbar nach einem Benefizkonzert für den von der Mafia bedrohten Schriftsteller Roberto Saviano in Italien. Der Kreis ihrer vielen Auslandsaufenthalte hat sich geschlossen. Denn als sie das erste Mal Südafrika verließ, holte sie der Regisseur von "Come back Africa" 1960 zur Preisverleihung nach Venedig. Auch wenn ihr Auftritt im Film nur wenige Minuten dauert, darin zeigte sich ihr feines Gespür für Jazzinterpretationen als auch ihre Fähigkeit, traditionelle Musik mit ihrer einmaligen Virtuosität zu beleben. Gleichermaßen schockierten die Bilder des Elends von Südafrikas Minenarbeitern. Und so entwickelte sich Makebas Karriere Schlag auf Schlag, immer begleitet vom Schatten des verbrecherischen Apartheid-Regimes in Südafrika und geschützt durch ihren Mentor Harry Belafonte in den USA. Sie konnte ihre Tochter Bongi zu sich holen, ihre Mutter durfte sie in Südafrika aber nicht begraben.

1963 sprach sie erstmals vor der UNO. Das Lied Khawuleza, 1966 uraufgeführt und heute auf Youtube zu finden, birgt am stärksten die Macht ihres Auftritts und ihrer Stimme gegen das Leid der Townshipkinder in ihrer Heimat. Acht Jahre feierte sie bahnbrechende Erfolge in den USA, bis sie den Black Power-Aktivisten Stokeley Carmichael heiratete und zur persona non grata wurde. Ins Exil ging sie nach Guinea, wo sie den Austausch westafrikanischer mit südafrikanischen Rhythmen und Traditionen initiierte. Viele ihrer Lieder schrieb auch ihre Tochter Bongi, ebenfalls außerordentlich begabt und politisch engagiert. Nach einem schweren Schicksalsschlag - Bongi verstarb bei der Geburt ihres dritten Kindes - zog sich Miriam Makeba zurück. Nur eine Tournee mit Paul Simons Graceland konnte die Musikerin 1987 wieder auf die Bühne bringen. Schließlich holte Nelson Mandela sie nach Südafrika, wo sie nach 30 Jahren Exil als Mama Africa unermüdlich an der Erneuerung der zerrütteten Gesellschaft ihres Landes mitwirkte.

Als sie in den 1960ern ihr Land verließ, waren Aufnahme- und Aufführungsrechte kein Thema, dementsprechend wurde sie ausgenutzt, und so erklärt sich die unübersichtliche Diskografie der Ikone der afrikanischen Musik. In Österreich und Deutschland wurden pro Jahr an die 600 Stück pro CD verkauft, ein Trend, der anhalten dürfte bei den sechs im Moment lieferbaren CDs.


Gendergerechte Branche?

Da es sich bei den hier vorgestellten Künstlerinnen um Ausnahmeerscheinungen handelt, kann daraus nicht abgeleitet werden, wie es Frauen generell im Musikgeschäft geht. Unbestritten ist, dass Frauen als Vokalistinnen mehr Erfolg haben denn als Instrumentalistinnen. Wie selten sieht frau sie am Drumkit in der Popmusik oder am Keyboard?

In der Kategorie "Weltmusik" ist eine noch relativ ausgewogene Repräsentanz der Geschlechter anzutreffen, wo Frauen sogar oft als Frontfrauen fungieren und das Ensemble sehr verhalten im Hintergrund agiert. Das Weltmusikpublikum "giert" förmlich nach schönen Frauenstimmen und nach Auskunft von LieferantInnen und Labels gibt es in dieser Sparte einen richtiggehenden Boom. Auch im Gespräch mit KuratorInnen, VeranstalterInnen und OrganistorInnen macht man/frau bessere Figur, wenn das Genderverhältnis ausgewogen ist. Eine Veranstalterin betont, dass sie in erster Linie nach Qualität urteile und es habe sich in den letzten Jahren einfach ergeben, dass 75% der Acts von weiblichen Ensembles seien. Auch in der Musik setzt sich ein Trend in Richtung mehr Gendergerechtigkeit durch. Ein Zeichen in diese Richtung passierte vor kurzem mit der Publikation des Österreichischen Ministeriums für Europäische und Internationale Angelegenheiten "frauen/musik österreich", in welcher in Österreich wirkende und lebende Musikerinnen, Komponistinnen und Musikmanagerinnen aufgelistet sind. Es geht um die Sichtbarmachung jener, die im Verborgenen tätig sind.


Anmerkungen:

(1) Oum Kalthoum (1904-1975), Mercedes Sosa (1935-2009), Miriam Makeba (1932-2008).

(2) Der Begriff Weltmusik entstand Ende der 1970er Jahre, um Musik aus anderen Ländern zu benennen. Heute unterteilen wir drei Kategorien: Zur ersten zählt die traditionelle Volksmusik unterschiedlichster Regionen der Welt, die ein Allgemeingut darstellt. Zur zweiten Kategorie ist die klassische Musik unterschiedlichster Kulturen zu zählen, die auf Jahrhunderte alten Prinzipien und Funktionsweisen basiert. Die dritte Kategorie schließlich wird allgemein auch als Crossover bezeichnet und ist eine Brücke zwischen unterschiedlichsten Musiktraditionen.


Zur Autorin:
Caroline Maraszto studierte Romanistik, Afrikanistik und Sozialanthropologie an der Universität Wien. Sie ist Expertin für Weltmusik und lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 110, 4/2009, S. 6-7
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Senseng 3, 1090 Wien
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org
Internet: http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2009