Schattenblick →INFOPOOL →MUSIK → FAKTEN

HINTERGRUND/158: Über den Werdegang einer Rapperin - Interview mit Sister Fa (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 110, 4/09

Man kann das Meer nicht aufhalten
Über den Werdegang einer Rapperin, über die Kraft der Musik und über Migration
Interview mit Sister Fa

Von Helga Neumayer


Fatou Mandiang Diatta, bekannt unter dem Namen Sister Fa, steht seit 2000 als Rapperin im Rampenlicht. Sie repräsentierte 2003 beim Festival de Rap feminin in Guinea Conakry den Senegal und 2005 - nach Veröffentlichung ihres ersten Soloalbums - erlangt sie den senegalesischen HipHop Award für die beste Neuentdeckung des Jahres. Sister Fa engagiert sich mit ihrer Kunst gegen Aids und - wie zuletzt mit ihrem Projekt "Education sans mutilation" - gegen Genitalverstümmelung.
Im Interview mit Helga Neumayer spricht sie über ihren Werdegang, über die Möglichkeiten für junge Frauen in der Musik und über das Kulturschaffen in Europa.


FRAUENSOLIDARITÄT: Wie wird frau als junge Senegalesin Rapperin?

SISTER FA: Auf mich bezogen, ich bin als Rebellin geboren. Ich habe in meiner Umgebung viel Ungerechtigkeit und soziale Missstände gesehen. Es war also Zeit, meine Stimme zu erheben und die Leute zu vertreten, die keine Chance haben, sich Gehör zu verschaffen. Für mein Alter und meine Möglichkeiten gab es da nur den Rap, der es mir erlaubt hat, mein Umfeld zu verteidigen. Es gibt nicht sehr viele Frauen, die rappen, und noch viel weniger, die auch bekannt sind. Es gab also für mich keine wirklichen Vorbilder direkt im Senegal. Meine Idole kamen eher aus dem französischen und amerikanischen Rap, den meine großen Geschwister zu Hause gehört haben.

FRAUENSOLIDARITÄT: Welche musikalischen Ausbildungsmöglichkeiten gibt es?

SISTER FA: Rap kann man natürlich nicht in einer Schule lernen, er ist wirklich eine Musik der Straße. Es gibt ganz selten Rapper, die in einer Schule gelernt haben zu singen oder ein Instrument zu spielen, und das gilt noch vielmehr für Frauen. Viele Mädchen gehen gar nicht auf die Schule, weshalb sie später auch nicht auf eine Musikschule oder ähnliches gehen könnten. Die meisten traditionellen Sängerinnen sind großartige Musikerinnen, aber Analphabetinnen.

Neben diesen nicht vorhandenen schulischen Möglichkeiten spielt die Sichtweise der Familie eine wichtige Rolle. In der Regel wird es nicht gern gesehen, wenn ein Mädchen Musik macht und schon gar keinen Rap, wenn sie dauernd ausgeht, mit Männern im Studio abhängt und dann auch noch ohne Geld nach Hause kommt. Die Familie und die damit vorgegebene Rolle der Frau in der Gesellschaft ist also die größte Herausforderung, die es zu überwinden gilt.

FRAUENSOLIDARITÄT: Welche Rolle spielen Festivals und Preise beim Bekanntwerden einer Musikerin?

SISTER FA: Richtige Festivals gibt es im Senegal nur sehr wenige und die TeilnehmerInnen sind in der Regel schon bekannte und etablierte MusikerInnen. Wenn man aber die Möglichkeit hat, auf einem solchen zu spielen, ist es eine große Möglichkeit, sich einen Namen zu machen. Mein Preis bei den senegalesischen HipHop Awards als beste Neuentdeckung 2005 hat auch viel zu meiner Bekanntheit beigetragen, zudem ich da als Frau wirklich die einzige unter hunderten Männern war. Neben Festivals ist aber auch das Fernsehen sehr wichtig, denn da werden auch viele Musikvideos gezeigt. Bekannt zu werden ist im Senegal also nicht so schwierig, wenn du einmal eine Single, ein Video und ein paar Auftritte hast. Diese Bekanntheit lässt einen aber noch lange nicht von der Musik leben.

Die Plattenfirmen und Produzenten interessieren sich allerdings nicht sonderlich für die jungen Frauen, weil es im Normalfall ein Verlustgeschäft ist. Sobald die Frau einen Mann hat und Kinder bekommt, bedeutet das meist das frühe Ende der Karriere.

FRAUENSOLIDARITÄT: Wie wichtig sind Wettbewerbe, die speziell für Frauen ausgeschrieben werden? War das Festival de Rap feminin international 2003 in Guinea Conakry wo Sie den Senegal vertraten, ein großer Schritt?

SISTER FA: Wettbewerbe alleine für Frauen gibt es im Senegal keine, ich könnte höchstens bei den Männern mitmachen. Das Festival in Guinea war definitiv ein großer Schritt, vor allem was die Erfahrung betrifft. Es waren Frauen unterschiedlichster Nationalität da und die Bühne war nur für Frauen offen. Wir hatten also die Möglichkeit uns auszudrücken und untereinander auszutauschen, wenngleich das Festival in einem Land stattgefunden hat, wo ihm von den Medien keine große Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

FRAUENSOLIDARITÄT: Welche Themen spricht senegalesischer Rap und HipHop im Allgemeinen an? Sind Sexismus und Homophobie ein Problem in der Rap-Szene?

SISTER FA: Die Probleme, die der Rap anspricht, stehen immer in Verbindung mit der Gesellschaft und ihrer Situation. Das betrifft sowohl soziale Angelegenheiten als auch das politische System und seine VertreterInnen. Wie bereits vorhin erwähnt, erheben wir unsere Stimmen, um das Leid vieler Leute öffentlich zu machen und um ihre Anliegen zu vertreten. Sexismus ist auf jeden Fall ein Thema. Viele Rapper haben in ihren Texten das Verhalten der jungen Frauen kritisiert, obwohl das Problem mit ihnen selbst zu tun hatte. Sie haben arrogante und schockierende Texte über die senegalesischen Frauen geschrieben. Diese Frauen haben darauf geantwortet, indem viele aufgehört haben, Rap zu hören und auf die Konzerte zu gehen. Das war sehr hart für die Rapper, da die Frauen in der Regel am ehesten CDs kaufen. Das hat sie zum Nachdenken angeregt und die Texte verändert. Heute ist es also sicher besser als um die Jahrtausendwende, aber wie überall im Rap gibt es immer noch Sexismus, keine Frage. Gegenüber Homosexuellen gibt es seitens der Rapper kein Erbarmen. Diese homophobe Einstellung ist aus gesellschaftlichen und religiösen Gründen tief verankert.

Es gibt Musiker, die sich für Compilations zusammentun, um sich z. B. für Demokratie einzusetzen oder für den Kampf gegen Aids. Was Frauenrechte betrifft, gibt es so etwas aber nicht.

FRAUENSOLIDARITÄT: Musik ist ein wichtiges Transportmittel für messages und Zeitgeist. Wie wichtig ist es für Sie, mit ihrer Musik gesellschaftspolitische Haltungen zu kommunizieren?

SISTER FA: Ich verliere nicht allzu viel meiner Zeit, um über Politiker zu reden, weil sie sind, wie sie sind, und sie werden sich wegen meines Textes nicht ändern. Ich sehe meine Musik aber auf jeden Fall auch als ein Mittel der Sensibilisierung und nicht nur der Unterhaltung. Es ist mir also sehr wichtig, mich sozialer Themen anzunehmen. Wichtigstes Thema ist dabei die Situation der Frauen in meinem Land und das Unrecht und die Gewalt, die ihnen teilweise angetan wird wie z. B. die Beschneidung.

FRAUENSOLIDARITÄT: Was kann eine Musikerin für das Leben der Frauen erreichen, verändern?

SISTER FA: Ich denke, das hängt vom Thema ab, aber wenn ich über Aids singe, kann das definitiv zur Bildung beitragen, genauso wenn ich sage, dass die jungen Frauen auf die Schule gehen sollen, damit sie keine Analphabetinnen bleiben und dann später im Leben noch weniger Chancen haben. Grundsätzlich ist es immer schwierig zu sagen, was man wirklich verändert. Wenn ich in meinem Lied "Milyamba" über die Frauen auf dem Land und ihre harte Situation spreche, wird sich deren Situation nicht gravierend ändern, aber sie werden Stolz empfinden und sich geehrt fühlen, dass ich über sie singe, ihnen eine Stimme verleihe. Ich kann also etwas zu ihrem Selbstbewusstsein beitragen.

FRAUENSOLIDARITÄT: Wie nehmen Labels sozialpolitisches Engagement auf? Wie ist die Reaktion des Publikums?

SISTER FA: Es gibt nicht allzu viele Labels im Senegal, vor allem für den Rap, und sie engagieren sich nur teilweise für soziale Themen. Das Publikum honoriert das Engagement der RapperInnen aber sehr wohl und zeigt dies auch bei Konzerten. Es beurteilt die RapperInnen vor allem auch nach den Texten, wenngleich Auftreten und Mode auch eine Rolle spielen.

FRAUENSOLIDARITÄT: Seit einigen Jahren kennen Sie auch die Kulturszene in Deutschland. Wie ist die Zusammenarbeit mit deutschen Kulturschaffenden? Haben sich die Themen verändert?

SISTER FA: Ich bin hier immer auf viele interessierte Menschen und MusikerInnen gestoßen, was es mir ermöglicht hat, mich mit verschiedensten KünstlerInnen auszutauschen und kleine Projekte zu machen. Dies betrifft sowohl afrikanische wie auch europäische MusikerInnen. Dasselbe gilt auch für meine Bandmitglieder, die alle aus Deutschland kommen, aber komplett offen sind für meine Kultur und alles versuchen, um diese auch in unsere Musik hineinzubringen. Es gibt gerade hier in Berlin also einen sehr regen Austausch und unterschiedlichste Kollaborationen unter den KünstlerInnen. Die Themen haben sich verändert. Im Senegal wurde ich von den Dingen inspiriert, die ich jeden Tag gesehen habe. Hier erfahre ich natürlich ganz andere Dinge und das Leben hier und im Senegal ist auch nicht zu vergleichen. Um über Themen, die Deutschland betreffen, zu singen, bin ich noch nicht integriert genug, also fokussiere ich mehr auf internationale Themen wie Krieg oder Migration. Ich verliere aber nie meine Heimat und die Geschehnisse dort aus den Augen.

Die Leute hier sind sehr interessiert an den Themen meiner Texte und den Themen, für die ich mich einsetze. Dabei stoße ich immer wieder auf Menschen, die mir bei meinem Engagement helfen wollen. Die EuropäerInnen sollten wissen, dass die WestafrikanerInnen sehr arm sind, aber kulturell sehr reich. Sie sind extrem solidarisch und sehr offen gegenüber BesucherInnen.

FRAUENSOLIDARITÄT: Mit Ihrem Projekt" Education sans mutilation" wenden Sie sich als Musikerin aktiv gegen FGM, weibliche Genitalverstümmelung, ein Thema, das auch im Westen oft besprochen wird und zu Klischees über Afrika führt. Ist dieses Interesse hilfreich für Ihr Projekt?

SISTER FA: Es ist gut, dass die Leute hier viel darüber sprechen, es haben sich dadurch aber auch Sichtweisen entwickelt, die völlig deplatziert sind. Z.B. die Frauen, die ihre Töchter beschneiden lassen, des Genozids zu bezichtigen, als Killerinnen, als Frauen ohne Herz. Menschen, die so etwas sagen, verstehen nicht viel. Sie sehen nur den Akt der Beschneidung an sich, aber nicht den sozialen und kulturellen Aspekt, der damit so stark verbunden ist. Sie sehen nicht, dass den meisten Frauen aufgrund des sozialen Drucks für sie und ihre Töchter keine andere Wahl bleibt. Mit Gesetzen, Verboten oder gar Drohungen kann man da nichts erreichen, man muss den Leuten Alternativen anbieten und sie können immer nur in einer größeren Gemeinschaft dieser Praxis abschwören, denn nur dann fällt der soziale Druck weg. Wenn die europäischen Organisationen mehr mit lokalen PartnerInnen arbeiten würden, wäre die Sichtweise sicher besser und die Arbeit fruchtbarer. Das Thema ist aber eigentlich viel zu komplex, um es hier in diesem Interview angemessen behandeln zu können.

FRAUENSOLIDARITÄT: Viele europäische Länder haben menschenverachtende Gesetzgebungen und Praktiken gegenüber außereuropäischen MigrantInnen - Osterreich, mein Land, ist leider eines davon. Wie empfinden Sie diese Situation?

SISTER FA: Ich finde es sehr schade, dass viele Menschen denken, dass das Leben vor ihrer Haustüre aufhört, solange es sich dort gut leben lässt. Es ist schade, dass Verliebte unterschiedlicher Kontinente nicht ihre Liebe leben können, nur weil es Gesetze gibt, die ihnen Steine in den Weg legen und die keine Liebe kennen. Es ist sehr traurig, dass es in unserer Zeit immer noch Menschen gibt, die den Hass in sich selbst gegen AusländerInnen kultivieren. All die Menschen, die ihre Heimat, ihre FreundInnen, ihre Familie hinter sich gelassen haben, würden sich garantiert bei sich zu Hause am wohlsten fühlen, wenn sie dort die Möglichkeiten hätten, für die sie all das zurückgelassen haben und in die Fremde gegangen sind. Wenn die EuropäerInnen die Energie, die sie für ausländerfeindliche Gesetze aufwenden, für die Entwicklung der Herkunftsländer der MigrantInnen nutzen würden, wäre das auf lange Sicht sicher die effektivere Lösung. Bei uns heißt es: "Man kann das Meer nicht mit den Armen aufhalten", sprich, man wird die massiven MigrantInnenströme auch mit noch so vielen Gesetzen nicht aufhalten können.

FRAUENSOLIDARITÄT: Was sind Ihre kommenden Projekte?

SISTER FA: Mein Sensibilisierungsprojekt gegen Frauenbeschneidung im Januar/Februar 2010. Danach möchte ich mein zweites Album angehen.


Webtipps:
www.youtube.com/user/keeprecords
www.sisterfa.com
www. myspace.com/sisterfa
www.youtube.com/user/sisterfahiphopqueen


*


Quelle:
Frauensolidarität Nr. 110, 4/2009, S. 18-20
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Senseng 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2010