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HINTERGRUND/192: Israel - "Vor allem sind wir Metal-Brüder", jüdische und arabische Band auf Tournee (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Juli 2013

Israel: 'Vor allem sind wir Metal-Brüder' - Jüdische und arabische Band gehen auf Tournee

von Pierre Klochendler


Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Kann Musik Juden und israelische Araber miteinander verbinden?
Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Tel Aviv, 30. Juli (IPS) - Von Feindschaft keine Spur: Im Club Hangar 13 im umgebauten Hafen von Tel Aviv sind die israelisch-arabische Heavy-Metal-Band 'Khalas' ('Genug') und die jüdische Gruppe 'Orphaned Land' ('Verwaistes Land') soeben zusammen aufgetreten. Im Herbst ist sogar eine gemeinsame Tournee mit 18 Gigs in Europa geplant.

Dass sich jüdische und arabische Musiker eine Bühne geteilt haben, ist ungewöhnlich, auch wenn Khalas eine israelisch-arabische Band ist. Doch die Band-Mitglieder greifen nach eigenen Angaben lieber in die Saiten, als sich über den Konflikt zwischen Arabern und Israelis auszulassen.

Abed Khathout, Bassgitarrist und Leader der arabischen Band, stammt aus Acre in Nordisrael. Die hohen Erwartungen an das Zusammentreffen der beiden Gruppen hatte er gleich in einer Probe heruntergespielt: "Vor allem sind wir Metal-Brüder. Was uns verbindet, ist die Musik."

"Die Zusammengehörigkeit zu pflegen und zusammen aufzutreten, steht über der Politik", meinte auch Koby Farhi, der Lead-Sänger der jüdischen Band. Die Musik von Orphaned Land ist ein Mix aus New-Age-Beat, die Texte beschwören einen prophetischen Frieden zwischen den Religionen herauf.

Khalas orientiert sich am 'Hafla'-Stil ('Party') Kairos. Während ihrer Auftritte mit den Orphaned Land in diesem Monat spielten sie Stücke wie 'Alf Leila wa Leila' (Tausend Nächte), einen Hit der legendären ägyptischen Sängerin Umm Kulthum.


Auftrittsverbot von Israelis in der arabischen Welt

Die Mitglieder von Khalas sind Israelis palästinensischer Abstammung, die sich selbst als Palästinenser betrachten. Allerdings hat ihr Identitätsanspruch in der arabischen Welt oft keinen Bestand. So sollte Khalas im vergangenen November in Ägypten spielen, doch eine Woche vor der Tournee bekam die Band eine Absage. "Weil wir israelische Pässe haben", erläuterte Khathout. Jüdische Musiker dürfen nicht in arabischen Ländern auftreten.

Orphaned Land hat bereits in der Türkei ein Konzert gegeben und ist stolz darauf, "in der arabischen Welt beliebt zu sein". Die Verwechslung der türkischen und der arabischen Identität gehört in Israel zum Alltag, da beide islamische Wurzeln haben. In der arabischen Welt ist die Band mit ihren jüdischen Mitgliedern nicht erwünscht.

Die Botschaft beider Bands, dass Musik hat keine Grenzen kennt, gilt somit nur bedingt. Da Grenzen gerade im israelisch-palästinensischen Konflikt eine entscheidende Rolle spielen, ist Politik natürlich auch für Khalas-Mitglieder sehr wohl ein Thema. Sie haben es nicht so gern, wenn gemeinsame Musik-Events als Koexistenz-Projekte dargestellt werden. Damit werde die israelische Besatzung des Westjordanlands und Ost-Jerusalems schön geredet, meinen sie.

Jeder fünfte Israeli ist Araber palästinensischer Abstammung. Die meisten von ihnen sehen sich als Palästinenser oder 'israelische Palästinenser'. Der Großteil der israelischen Juden definiert sie hingegen als 'israelische Araber'. Konservative israelische Juden bezeichnen sie als 'fünfte Kolonne'.

Die meisten Palästinenser nennen die Israelis palästinensischer Abstammung die 'Araber von 1948', da sie in den Zeiten der israelischen Staatsgründung im Land geblieben sind. Als Israel 1948-49 den Unabhängigkeitskrieg führte, wurden Hunderttausende Palästinenser zu Flüchtlingen. Von denjenigen, die blieben, wurden viele als 'Binnenflüchtlinge' eingestuft. Für die Palästinenser ist der israelische Unabhängigkeitskrieg die große Katastrophe ('Naqba') .


Arabische Israelis zwischen den Stühlen

Für viele israelische Juden sind ihre arabischen Mitbürger vor allem 'Araber'. Für diese ist es nicht leicht, Teil einer Minderheit zu sein und zugleich den Krieg zwischen ihrem Volk - den Palästinensern - und ihrem Land - Israel - miterleben zu müssen.

"Wir hassen es, wenn alle meinen, nur weil wir Palästinenser sind, müssten wir die Besatzung zum Inhalt unserer Lieder machen", sagte Khathout. Viele Palästinenser im Westjordanland und in Ost-Jerusalem halten seit der zweiten Intifada von 2000 bis 2005 aus Protest einen kulturellen Boykott gegen Israel aufrecht.

In jedem Fall trägt die strikte Abriegelung des Westjordanlandes durch Kontrollpunkte und Trennmauern nicht zur Verständigung beider Völker bei. Während des islamischen Fastenmonats Ramadan wird den Palästinensern zurzeit mehr Bewegungsfreiheit gewährt. Die älteren Gläubigen aus dem Westjordanland dürfen am Haram es-Sharif, dem drittwichtigsten heiligen Schrein in der Altstadt von Jerusalem beten. Politische Beobachter führen dies darauf zurück, dass Friedensgespräche anstehen.

Abgesehen von der Grenzfrage ist die nationale Identität der größte Stolperstein. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu beharrt darauf, dass Israel von den Palästinensern als 'jüdischer Staat' anerkannt wird. Doch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas will dem nicht zustimmen, weil damit die große palästinensische Minderheit in Israel ignoriert würde.

Die Europäische Union kündigte kürzlich an, dass ihre 28 Mitglieder ab 2014 zwischen dem israelischen Staatsterritorium und den illegalen israelischen Siedlungen im Westjordanland und Ost-Jerusalem unterscheiden würden. Nach Auffassung der meisten Israelis sind die rund 200.000 Einwohner von Ost-Jerusalem keine Siedler, sondern "Einwohner der Stadt". (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.orphaned-land.com/
http://www.khalas.net/
http://www.ipsnews.net/2013/07/bands-play-across-political-discord/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 30. Juli 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2013