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HINTERGRUND/214: Musikerinnen aus Lateinamerika singen gegen Gewalt (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 134, 4/15

Mit dem Mikro gegen Machos
Musikerinnen aus Lateinamerika singen gegen Gewalt

Von Aleksandra Kolodziejczyk


Musik kann nicht nur Körper, sondern auch Gedanken bewegen. Sozialkritische Lieder haben in Lateinamerika lange Tradition. Heute singen Musiker_innen gegen Gewalt an Frauen und bringen so Bewegung in althergebrachte soziale Muster.


"Ni dios ni patria ni marido ni partido" - "Weder Gott noch Heimatland, weder Ehemann noch Partei": Mit dieser klaren Absage an Autoritäten beginnt die erste Zeile des Liedes "Mujer Lunar" (Mondfrau) von Rebeca Lane. Die 31-jährige Guatemaltekin mit dem gelockten schwarzen Haar ist Rapperin, Poetin, Schauspielerin, Soziologin, Radiomacherin und anarchistische Feministin in einer Person. In ihrem dicht gewobenen Lied "Mujer Lunar" singt die guatemaltekische Artivista gegen Gewalt an Frauen in ihren vielen Facetten an. "La libertad es cuando ya no hay etiquetas" (Mujer Lunar): Freiheit ist, wenn es kein Schubladendenken mehr gibt. Was einst die Guerillas für die Befreiungsbewegungen waren, sind heute die Rapperinnen mit ihren Mikrofonen in der Hand, so Rebeca Lane. Rebeca Lane ist 1984 in den Wirren des guatemaltekischen Bürgerkriegs geboren. Aus dem Erleben von Gewalt und Ungerechtigkeit entwickelte sie eine Wut auf soziale Missstände, die sie in Poesie ausdrückt. Das Lied "Cumbia de la Memoria" (Cumbia der Erinnerung) soll an den Genozid des Militärs an der indigenen Bevölkerung während des Bürgerkriegs erinnern. Bei einem Konzert bindet Rebeca Lane das tanzende Publikum in die Performance ein. Auf Rebeca Lanes Ausruf "Claro que sí" (Ja, sicher) antwortet das Publikum "Sí hubo genozidio" (Ja, es gab einen Genozid).


Farbe bekennen

Die guatemaltekische Musikerin bevorzugt Rap-Musik, um sich musikalisch auszudrücken. Diese Musikform hat für sie sowohl politische wie ästhetische Komponenten, die es dem Publikum erlaubt zu verstehen, was die Jugend denkt und wie sie fühlt, erzählt Rebeca Lane der Zeitung "La prensa libre". Rapperinnen haben es in der guatemaltekischen Gesellschaft schwieriger als ihre männlichen Kollegen. "Wir sind 18 oder 20 Rapperinnen, und die Eventorganisatoren entpuppen sich oftmals als Machos, weil sie uns nicht berücksichtigen", erzählt Rebeca Lane. Das sei jedoch kein Problem, meint sie , denn die Rapperinnen hätten genug Selbstvertrauen, um eigene Events auf die Beine zu stellen. Das Lied "Bandera Negra" (Schwarze Flagge) stellt klar, wie sich Rebeca Lane als Feministin positioniert.


Alte Vorbilder und neue Impulse

Lateinamerikanische Künstler_innen blicken auf eine lange Geschichte des sozial engagierten und politisch motivierten Liedtexte Schreibens und Singens zurück. "Nueva canción" verband in den 1950/60er-Jahren Einflüsse von Rock'n'Roll und Volksmusik mit politischem und sozialem Aktivismus. Ihre Entwicklung nahm sie von Chile aus und inspirierte Künstler_innen in allen Ländern des mittel- und lateinamerikanischen Kontinents.

Für die nicaraguanische Sängerin und Gitarristin Gaby Baca stellen Silvio Rodríguez und Pablo Milanés, zwei Vertreter der "Nueva Trova", die Inspiration ihrer musikalischen Anfänge dar. "Nueva Trova" ist die kubanische Version der "Nueva canción", die sich während der kubanischen Revolution entwickelte und sowohl die sozialistische Gesellschaft gefeiert als auch das Castro-Regime kritisiert hat. Mittlerweile spielt die Musikerin Gaby Baca mit verschiedenen Musikstilen. Reggae, Rock, elektronische Musik oder auch Reggaeton verwendet sie, um ihre Botschaften an die Frau zu bringen. Umgeben von Menschen, die von einem freien Nicaragua träumten, dort aufgewachsen und ernüchtert von der Realität, kämpft sie mit Worten und Rhythmen gegen das Patriarchat und die Unterdrückung von Frauen an. "Te creés boxeador, te creés gran cantante, te creés presidente y sos un don nadie. Si vas por la calle recorda respetar, te parió una mujer, no seas animal". Zeilen aus dem Lied "Con la misma moneda" (Mit gleicher Münze) prangern die sexualisierte Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum an.

Was das Patriarchat für Frauen vorgesehen hat, interessiert Gaby Baca nicht. In dem Lied "Mujeres Brujas" (Frauen Hexen) greift sie die Stigmatisierung von Frauen als Hexen im Mittelalter auf und stellt die patriarchale Logik mit Witz und Ironie auf den Kopf. "Das Patriarchat hat uns als Hexen bezeichnet, aber nachdem die Weisheit der Hexen ererbt wird, können wir (jetzt auch) darauf zurückgreifen. Das versetzt das Patriarchat in Schrecken. Dies eröffnet die Möglichkeit, jegliche Angst vor dem, was dir das Patriarchat vorschreibt, zu verlieren", erklärt Gaby Baca in der Radiosendung "Onda local" des nicaraguanischen Radiosenders "Radio La Prímerísima".


Queerer Protest

Dass in Liedern nicht nur gegen die Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen angeschrieben werden kann, beweist die queer-feministische Gruppe Invasorix. Invasorix hinterfragt in ihren Texten und Videoclips die Normativität der Geschlechter und binäre Körperkonstrukte. Die acht Künstler_innen, die in Mexiko-Stadt leben und arbeiten, verstehen ihre Lieder und audiovisuellen Produktionen als eine Form des queer-feministischen Protests.

In ihrem Lied "El macho intelectual" (Der intellektuelle Macho) kritisieren die Künstler_innen den intellektuellen Typus, der - hinsichtlich versuchter Dominanz über Frauen, seinem gemeinen Macho-Kollegen in nichts nachsteht. Konzepte der Polyamorie und Anarchie kennen diese Männer nur aus der Theorie, in der Praxis zeigen sie sich rollenkonform und konservativ, so eine Botschaft des Songs. Mit angeklebten Schnauzern, Bärten und Gender-nonkonformer Bekleidung durchbrechen die Protagonist_innen des Videoclips Erwartungen an den vergeschlechtlichten Körper. Dabei nehmen sie Bezug auf bekannte Fotos der Kulturgeschichte, wie das Gruppenbild der Mitglieder der Wiener Secession aus dem Jahr 1902, auf dem nur Künstler abgelichtet sind. Feminist_innen verwenden schon lange musikalische Formen, um ihren Anliegen und Standpunkten Ausdruck zu verleihen. Soziale Medien vereinfachen den Zugriff auf ihre Musik und Videoclips, eröffnen Möglichkeiten der Bekanntmachung und Wirkungsbreite. Auch der Zugriff auf Inspirationsquellen für die eigene Arbeit ist für Musiker_innen in der digitalisierten Zeit einfacher geworden. So entwickelte die Künstler_innengruppe Invasorix ihre Lieder und Videoclips im Dialog mit Gloria Anzaldúa, Pina Bausch oder Silvia Rivera Cusicanqui. Ihre Musik kann nun andere - Musiker_innen und Hörer_innen - inspirieren.


ZUR AUTORIN:
Aleksandra Kolodziejczyk ist Absolventin der Kultur- und Sozialanthropologie und Internationaler Entwicklung. Sie lebt und arbeitet in Wien.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 134, 4/2015, S. 16-17
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2016

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