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HINTERGRUND/223: Ausstellung "Stolen Moments" erzählt Geschichten der namibischen Popmusik (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Januar/Februar 2017

Was möglich war, was möglich wird
"Stolen Moments" erzählt Geschichten der namibischen Popmusik -
Künstlerischer Ausdruck des Widerstands gegen Apartheid.

von Katharina Fink und Serena Radaelli


Bilder tanzender Menschen flirren über eine Leinwand. Der Fokus richtet sich auf zwei Frauen. Die jüngere der beiden - in Jeans und Tanktop - kommt zunächst zaghaft ins Bild getänzelt. Ihr Blick ist auf eine ältere Frau gerichtet, über siebzig wird sie sein. Ihre Kleidung hat sie mit Sorgfalt und Liebe zum Detail gewählt. Im farbprächtig strahlenden Kleid, geschmückt mit Accessoires, bewegt sie sich im Beat der Musik. Ihre Blicke und Hände laden die deutlich Jüngere ein und leiten sie an. Ohne Worte kommuniziert sie: So. Nein, nicht so! Ja, genau so! Endlich finden die beiden in einen gemeinsamen Rhythmus. Und strahlen sich an.

Es ist ein Moment, der die ganze sinnliche Kraft der einzigartigen Ausstellung "Stolen Moments" auf den Punkt bringt. Sie wird derzeit im Iwalewahaus in Bayreuth gezeigt. In dem großen, einem Kinosaal ähnelnden Ausstellungsraum sieht man lächelnde Gesichter. Die Besucherinnen und Besucher in den Kinostühlen schwingen mit. So geht Geschichtsarbeit. "Das ist ein Ausschnitt aus der "größten Party Namibias", betonen die Ausstellungsmacher/innen. Das "Stolen Moments"-Team hatte Menschen ab 40 Jahre dazu eingeladen, ins National Theatre in Windhoek zu kommen und an einer ausschweifenden Party teilzunehmen. Ziel der Aktion war es, Teile der Popmusikkultur Namibias ab den 1950er Jahren multimedial einzufangen. Dazu gehörten Tanzschritte, Styling und Pose. Oft sind Gruppen zu sehen, die zeigen, was sie auf dem Dancefloor vermochten und auch in gereifterem Alter noch vermögen. Und manchmal geschah pure Magie zwischen den Generationen, wie zwischen den, beiden Frauen.


Ein wichtiges Projekt zur richtigen Zeit

Dabei hat sich die Ausstellung ein gar nicht so unbeschwertes Thema vorgenommen: Die namibische Geschichte der populären Musik von den 1950er bis Ende der 1980er Jahre. Neben einer weitreichenden und vielschichtigen Kunstproduktion bedeutete diese Zeit insbesondere: Harte Zensur. Eine Langspielplatte mit brachial zugefügtem Kratzer symbolisiert das eindrucksvoll. Doch nicht nur LPs wurden zerstört. Das südafrikanische Apartheidregime, das völkerrechtswidrig im nördlichen Nachbarland als Besatzungsmacht auftrat, schränkte auch die Möglichkeiten dortiger Musiker/innen drastisch ein. Gleichzeitig war das Leben noch von den Narben geprägt, die der deutsche Kolonialismus hinterließ. Er hatte das heutige Namibia bis 1915 fest im Griff. Ein Großteil der Herero und Nama fiel der Gewaltherrschaft der Deutschen im damaligen "Deutsch-Südwestafrika" und dem vernichtenden Krieg zwischen 1904 und 1908 zum Opfer. Erst heute kommt langsam Bewegung in die Debatte um Entschuldigungen, von Reparationen ist man noch weit entfernt. Ein wichtiger Zeitpunkt für "Stolen Moments". Die Ausstellung soll möglichst auch in Namibia zu sehen sein.


Musik ist Quelle unseres Wissens

"Stolen Moments" basiert auf einem akribischen, sechs Jahre währenden Forschungsprojekt, das die Musikkultur der Townships in den Fokus rückt. Es wandte sich gegen die vielfältigen Formen des Vergessens und des Nicht-Erinnerns. Seine Gewährsleute sind Künstler und Zeitzeugen. Viele von ihnen hatten bis dato keine öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Geschichten erfahren. Bereits der Titel ist eine Behauptung: Stolen Moments - geraubte Momente. Dies ist in zweierlei Hinsicht zu lesen: Es geht um das, was Kunstschaffenden genommen wurde - aber auch um die Lust, die Freiheit und das Leben im Moment, die vollständige Präsenz in der Musik.

Zu hören und sehen sind Werke von: Ben Molatzi, Wiks Louw, Willy Collins, #Kharixurob, Samuel Flermuis, Kakuja Kembale, The Rocking Kwela Boys, Rita Ikwambi, The Ugly Creatures, Kwela and Lexington, Papa Shikongeni, Phillipus Shehama, David Amukoto, Sandile Pazvakavamwa, Stephan Zaubitzer und anderen - Musikerinnen und Musiker mit einer Vielzahl an Silrichtungen wie Afro-Rock, Jazz, Funk und Volksmusik. Ein Video zeigt den Liveauftritt der Band "The Ugly Creatures" im Rahmen der Namibian Music Awards (Nama) 2014. Die 1970 gegründete Band dokumentiert in ihrem Werdegang vielleicht am besten, wie bizarr die Apartheid in Namibia war. In der Ausstellung sind verschiedene Erinnerungen zu hören: Über Verfolgung und Repressalien, das Anmelden auf Polizeistationen bei jedem Auftritt, zerstörte Musikinstrumente, aber auch Buchungen der Band durch "weiße" Veranstalter.

Ebenfalls zu erleben ist ein generationenübergreifendes Duo: Einer der "elders" der namibischen Musik, Kakuja Kembale, im Zusammenspiel mit Jackson Wahengo. "Stolen Moments" widmet sich auch dem Gitarrenkünstler Ben Molatzi. Er starb kurz vor der Ausstellungseröffnung, aber sein Credo ist bleibend: "Musik ist alles, sie ist die Quelle all unseres Wissens." Die spirituelle Kraft des künstlerischen Ausdrucks verdeutlichen auch Stücke von Papa Shikongeni, wie "Music for the people". Das Werk dieses Multimediakünstlers veranschaulicht die Bedeutung von Kunst und Kultur für die Unabhängigkeit.

Musik war ein Raum der Freiheit. Das betont Eljakim 'Baby' Doeseb, der in Windhoek als Musiker und Toningenieur arbeitet. Doeseb ist selbst Teil der berühmten Band The Ugly Creatures: Ein Popstar ist hier am Werk. Gemeinsam mit der namibischen Forscherin und Kuratorin Aino Moongo sowie weiteren Kollegen digitalisierte er Tausende von Tonbändern aus den Beständen der Namibian Broadcasting Corporation NBC zur zugänglichen Sicherung und ihrer weiteren Nutzung. Obwohl Musiker/innen nur schwer eigene Platten aufnehmen durften, wurden Radiosendungen aufgezeichnet und archiviert.


Forschung - Spurensuche und Fest

Daran knüpft nun die Erstellung von Schallplattencovers für Musik an, die nie erschienen ist. Eine großartige Intervention in Kooperation mit namibischen Gegenwartskünstlern, die Machtverhältnisse in Frage stellt. Sie ist Teil des Forschungsprojekts "Stolen Moments". Nach einem groß angelegten Aufruf zur Einsendung von Musikstücken, Fotos und Erinnerungen erkundeten Forscherinnen und Forscher gemeinsam mit Zeitzeugen, was während der Herrschaft der südafrikanischen Mandatsmacht in Namibia geschah, was verboten und nie veröffentlicht wurde, was keine Dauer haben sollte und trotzdem möglich war. Resilienz und Widerstand an Hand von Liedern, Melodien, Beats, der ganzen Fülle der Popkultur - Und natürlich viel Style, Mode und Pose.

Um Wertschätzung, Erwecken derartiger Momente geht es der Ausstellung. Ihr gelingt es, der Musik einen Nachhall in der Gegenwart zu verleihen und somit ein angemessenes, fluides Monument für eine Musikkultur zu errichten, die nicht bleiben sollte, es aber doch tat. All das ist in der Ausstellung und im Dokumentarfilm zu bewundern. Daran wirkte unter anderem der Filmemacher Thorsten Schütte mit, der schon mehrere kritische Dokumentarfilme in Namibia drehte (siehe afrika süd 1/2016).


Sinnliche Erfahrung und Freiheit

Die große Stärke der von Aino Moongo und Dr. Ulf Vierke (Iwalewahaus) kuratierten Schau ist, dass sie die Besucherinnen und Besucher an diesen Prozessen teilhaben lässt. Mit einem eigens geschalteten Radio, einer Arbeit von Medienkünstler Wolfgang Spahn, ausgestattet, wandert man durch die Räume, die beispielsweise ehemalige Dancehalls zeigen. Die Photographien von diesen unscheinbaren Gebäuden hat Stephan Zaubitzer exakt durchkomponiert. Mit dem Sound der Lieder und Geschichten im Ohr erzeugen die Bilder eine Spannung zwischen faktischer Abwesenheit und sinnlicher Anwesenheit. "Stolen Moments" lädt zum Zuhören und Ansehen ein, fordert aber auch dazu auf, Stellung zu beziehen.

Ein Raum im Herzen der Ausstellung gibt Besuchern dabei die volle Autonomie. In Archivkisten und Rechnern verwahrt stehen die Materialien der Forscher nebst Plattenspieler bereit. Jeder kann selbst suchen, stöbern und auf akustische Entdeckungsreisen gehen. Eine gute, radikale Idee, die auf kluge Art die Intimität der Archivalien mit einem Gefühl der Teilhabe an einem gesellschaftlichen Prozess verbindet. Klangerlebnisse, die Spaß machen. Worauf "Stolen Moments" auch verweist, ist die Prozesshaftigkeit der Museumsarbeit. Die Ansammlung der Fragmente, das Ordnen, die Gespräche zwischen erstem Forschungsinteresse und Vernissage - all das ist nicht versteckt, sondern sichtbar und transparent - Kernstück des namibisch-deutschen Arbeitsprozesses. Eine von Eljakim 'Baby' Doeseb und Hauke Dorsch herausgegebene Dokumentation "Stolen Moments. Namibian Music History Untold" wird 2017 erscheinen.

Der TURN Fonds für künstlerische Kooperationen zwischen Deutschland und afrikanischen Ländern der Kulturstiftung des Bundes ermöglichte die in jeglicher Hinsicht umfassende Ausstellung. Sie bietet viele großartige Anstöße zur Reflexion von Kunstproduktion, Identität, kolonialem Erbe und geschichtlicher Verantwortung.

STOLEN MOMENTS
Die Ausstellung war bis zum 30.4.2017 im Iwalewahaus Bayreuth zu sehen, danach wird sie in den Afrika Bibliographien, Basel, und schließlich im Kunstraum Bethanien, Berlin, präsentiert. Es gibt Begleitprogramme und einen Katalog.
www.iwalewa.uni-bayreuth.de

Kuration: Aino Moongo (NA) und Dr. Ulf Vierke (DE). Team: Lucie Ameloot (DE), Eljakim 'Baby' Doeseb (NA), Alexandra Kuhnke (DE), Sabine Linn (DE), Thorsten Schütte (DE), Wolfgang Spahn (DE), Hercules Viljoen (NA).


Dr. Katharina Fink arbeitet als Post-Doc-Wissenschaftlerin an der Bayreuth Academy of Advanced African Studies und ist assoziierte Forscherin an der University of Johannesburg.
Serena Radaelli ist Austauschstudentin an der Universität Bayreuth.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
46. Jahrgang, Nr. 1, Januar/Februar 2017, S. 38-39
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2017

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