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HINTERGRUND/227: Frauen im Heavy Metal (frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 142, 4/17

Frauen im Heavy Metal

von Maria Knaub


In einer Gesellschaft, in der laut und wütend sein nicht als attraktive "weibliche" Eigenschaften gelten, stellen Frauen im Heavy Metal als Fans und Musikerinnen sowohl gesamtgesellschaftliche als auch szeneimmanente Rollenvorstellungen in Frage. Ein Interview mit Bassistin und Sängerin Fernanda Lira der Band Nervosa gibt Einblicke in eine ambivalente Subkultur zwischen Emanzipation und Unterdrückung.


Wütende Frauen

Nervosa - Portugiesisch für "wütende Frauen" - formierten sich 2010 in Sao Paulo in Brasilien als Thrash Metal Trio und haben sich seitdem mit zwei Alben sowie mehreren Welttourneen große Bekanntheit in der Szene erspielt. In ihrem Sound und den Songtexten stehen sie durchaus in der Tradition großer brasilianischer und internationaler Thrash Metal Bands. Dennoch stellt eine ausschließlich weibliche Metal Band außerhalb symphonischer Spielarten (wie etwa dem Gothic Metal Genre) eine Seltenheit dar. Dabei hat der lateinamerikanische Kontinent im Gegensatz zu Europa bereits in den 1980er Jahren eine beachtliche Vielfalt an Extreme Metal Acts mit weiblicher Besetzung hervorgebracht.

Fernanda Lira erklärt sich dies als radikale Auflehnung gegen die aggressive Misogynie, die Frauen in Lateinamerika offener zu spüren bekommen: "Ein Mädchen und ein Metalhead(1) zu sein ist unsere Art, nein zum System zu sagen."


Zwischen Emanzipation und Konformität

Metal ist noch immer eine Szene, die mit hypermaskuliner Ästhetik spielt und größtenteils von jungen Weißen Männern dominiert wird. Deren Erfahrungen und Perspektiven konstituieren die Identität der Subkultur. Frauen existieren darin nur durch den männlichen Blick: entweder in den Songtexten als Objekt sexualisierter Fantasien und als Opfer von Gewaltexzessen oder als Groupies. Während männliche Metalheads aufgrund ihres nichtkonformen Aussehens im Alltag oft mit Stereotypen und Ressentiments konfrontiert sind, sind im Gegensatz dazu Konzerte oder Festivals Orte der Begegnung mit Gleichgesinnten. Während für Frauen Konzertbesuche oft ernüchternde Erfahrungen sind, da sie dort demselben Sexismus begegnen, der auch im Alltag omnipräsent ist.

Dazu Fernanda Lira: "Wenn du jedoch als Frau in einer Band bist, fühlen sich viele Leute von dir bedroht, als würdest du ihnen Raum wegnehmen. Daher mussten wir uns am Anfang sehr viele negative Kommentare anhören. "Dies ist umso erstaunlicher, drehen sich viele Lyrics im Thrash Metal doch um den Kampf gegen Diskriminierungen, gegen Kriege, Unterdrückung, Konformität und soziale Missstände. "Our freedom was worth fighting for - resistance now or nevermore", singt die US-Band Testament. Deren Sänger Chuck Billy nutzt die Songtexte und Videos, um den Widerstand autochthoner Gruppen in den USA sichtbar zu machen. Doch auch in derartig als emanzipatorisch empfundenen Subkulturen schlägt allzu oft toxische Maskulinität zu und ruiniert allen die Party. "Metal ist ein Genre, das die Leute befreien und nicht in Geschlechterkonventionen unterdrücken soll. Deshalb akzeptiere ich Faschismus und Misogynie im Metal nicht und bin der Meinung, dass wir sie bekämpfen müssen", so Lira.


Ist Satan eine Frau?

Dass Metal-Musikerinnen als bedrohlich wahrgenommen werden, veranschaulicht folgende Anekdote, die Lira erzählt: Ursprünglich war für den Herbst eine umfangreiche Asientour geplant; bis den brasilianischen Kollegen der Band Krisiun am Flughafen von Dhaka die Pässe abgenommen und sie vorübergehend in Gewahrsam genommen wurden. In Folge wurden die Mitglieder von Krisiun unter Berufung auf das Blasphemie-Gesetz in Bangladesch des Satanismus bezichtigt und mussten ihre restliche Tour absagen. Nervosa wurde vom Veranstalter daraufhin nahegelegt, ihre Konzerte ebenfalls zu canceln, da sie bei den Behörden bereits unter Beobachtung stünden. "Tätowierte, gepiercte Frauen in schwarzer Kluft, die verzerrte Instrumente spielen und unmenschliche Schreie hervorbringen", erzählt Lira und lacht, "da lauteten die Vorwürfe der Behörden nicht, wir würden wie unsere männlichen Kollegen den Teufel anbeten, sondern wir seien Satan persönlich."


What are you doing here?!

Laina Dawes ist eine kanadische Journalistin, die zu Identitätspolitiken in alternativen Subkulturen schreibt und selbst Metal-Fan ist. Sie hat ihre eigene Geschichte und die anderer Schwarzer Frauen in Metal, Rock und Punk in einem Buch versammelt. Dessen Titel, What are you doing here?, beschreibt die häufigste Reaktion, der sie in der Szene begegnet ist. Dawes erzählt, wie sie als Heranwachsende Judas Priest und KISS für sich entdeckte und durch die Musik ein Ventil fand, um ihre Wut und Isolation zu verarbeiten. Sie lebte damals in einem Weißen Vorort und war täglich mit Rassismus und Ausschluss konfrontiert. In der Metal-Szene findet sie sowohl Zugehörigkeit als auch Ablehnung.

Dawes geht der Frage nach, was denn "kulturelle und rassifizierte Authentizität" sei, und kritisiert zudem die mangelnde Unterstützung für Schwarze Metal-Musikerinnen und -Fans seitens Freund_innen, Familie und Medien. Schließlich wird gerne ausgeklammert, dass sich Metal aus dem Rock and Roll entwickelt hat und dieser auf der kulturellen Aneignung des Rhythm and Blues basiert.


Metal und Empowerment

Trotzdem soll das positive und emanzipatorische Potenzial von Metal nicht kleingeredet werden. Was auf Außenstehende chaotisch, laut und befremdlich wirken kann, ist für all jene, die ihr Leben lang dazu erzogen wurden, nicht laut und wütend zu sein, höchst subversiv. Metal gibt den Fans eine Stimme und einen Zusammenhalt in einer Gruppe, die sich über geteilte Ausgrenzungserfahrungen definiert. Musik und Konzerte bieten so die Chance, der Realität und all ihren negativen Aspekten zu entfliehen, sei es auch nur für die Dauer eines Songs.

Das Punk-Genre hat mehr Inklusivität vorgelebt. In den 1990ern waren es die Riot Grrrls, die es satt hatten, auf ihre "girlfriend"-Funktion reduziert zu werden, und sich ihren Raum in der Musikszene nahmen. Mit Bands wie Nervosa erleben wir nun den Vormarsch von Frauen im Metal.

Lira führt dies auch auf die rege Touraktivität der Band zurück, die dadurch eine größere Präsenz und Sichtbarkeit erreicht: "Wir schreiben keine feministischen Texte, da es aufgrund verschiedener Feminismen schwierig wäre, einen gemeinsamen Konsens zu finden. Mein Weg, Feminismus zu verbreiten, ist unsere Einstellung - die Existenz unserer Band ist bereits die feministische Antwort, die wir brauchen! Natürlich ist das viel Verantwortung für unsere Band. Aber trotzdem werden bei jedem Konzert Mädchen und Jungen dabei sein, die sehen, dass wir Frauen auch Metal spielen können, und das ist unsere feministische Message."


Anmerkung:
(1) Metalhead ist eine Art liebevolle Selbstbezeichnung von Fans von Metal Bands.

Hörtipp:
Das Interview mit Fernanda Lira wurde im September 2017 im Rahmen der Sendereihe Globale Dialoge der Women on Air auf Radio Orange 94.0 ausgestrahlt. Sie kann jederzeit unter www.noso.at nachgehört werden.

Webtipp:
http://nervosaofficial.com/site/eng-band/

Lesetipp:
Dawes, Laina (2013): What Are You Doing Here? A Black Woman's Life and Liberation in Heavy Metal. Bazillion Points: New York.


Zur Autorin: Maria Knaub lebt, arbeitet und studiert in Wien Internationale Entwicklung.

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Quelle:
frauen*solidarität Nr. 142, 4/2017, S. 30-31
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2018

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