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BERICHT/040: Die Zyklen des Himmels entdecken (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 2/09 - Februar 2009
Zeitschrift für Astronomie

Die Zyklen des Himmels entdecken
Urtümliche Astronomie mit dem Horizontobservatorium auf der Halde Hoheward

Von Burkard Steinrücken


Wann ist Mittag? Wie verändert sich der Lauf der Sonne im Rhythmus eines Jahres? Was ist die astronomische Ursache der Jahreszeiten? Warum geht der Mond mal im Nordosten, mal im Südosten auf? Wer solche Fragen stellt, findet die Antworten auf spielerische und spannende Art auf einem Relikt des Ruhrgebiet-Bergbaus.


Astronomische Konzepte spielten schon früh im sozialen und religiösen Leben unserer Vorfahren eine bedeutende Rolle. Spätestens mit Beginn des sesshaften Lebens und der Landwirtschaft wurden die jahreszeitlichen Rhythmen der Natur in einen Sonnenkalender gefasst. Um ihn einzurichten, gab es nur eine Möglichkeit: Die am Landschaftshorizont wandernden Auf- und Untergänge der Sonne mussten beobachtet werden.

Das jungsteinzeitliche Stonehenge in Südengland ist das vielleicht bekannteste Bauwerk, dem man eine solche Beobachtungsfunktion zuschreibt. Die Symmetrieachse und die sich daran anschließende Prozessionsstraße weisen zur Aufgangsrichtung der Sommersonne am längsten Tag des Jahres und zur Untergangsrichtung der Wintersonne am kürzesten Tag des Jahres. Ausgrabungen in Goseck in Sachsen-Anhalt haben die bislang älteste Kreisgrabenanlage mit astronomischer Funktion aufgedeckt. Vor rund 7000 Jahren wurde dort ein Kultbau aus einem kreisförmigen Graben und zwei Palisadenringen geschaffen, dessen Zugänge und Visierlinien nach astronomischen Gesichtspunkten angelegt wurden.

Die ebenfalls in Sachsen-Anhalt gefundene bronzezeitliche Himmelsscheibe von Nebra enthält goldene Randsegmente, die offenbar den der Sonne bei ihren Auf- und Untergängen zugänglichen Bereich des Horizonts symbolisieren. Demnach dauerte die Tradition der Horizontbeobachtung bis in diese Kulturepoche fort.

Die Erkenntnis, dass die grundlegenden Himmelserscheinungen regelmäßig ablaufen, führte zu einem astronomisch motivierten Kalenderwesen. Entsprechend der zyklischen Wiederkehr von Sonne und Mond wurde die Zeit in Tage, Wochen, Monate und Jahre unterteilt. Rituelle Feste, die an den Eintrittsdaten bestimmter Himmelsereignisse gefeiert wurden, erhielten auf diese Weise ihren wohldefinierten Platz im Kalender.


Horizontastronomie als Kulturgut

Wichtigstes Hilfsmittel für diese »Kalenderastronomie« ist der Horizont. Abgeleitet aus dem griechischen Wort horos (Grenze, Grenzstein, Ziel), lässt sich der Begriff als »Sichtgrenze« oder »Gesichtskreis« übersetzen. Von einem gleichbleibenden Standort aus fungiert der Horizont auch als eine Art Skala, auf der natürliche Strukturen (etwa ferne Berge) oder künstliche Marken (Pfosten oder Steine) bestimmte Auf- und Untergangspunkte der Sonne oder auch des Mondes markieren.

In diesem ganz praktischen und grundlegenden Sinne einer fernrohrlosen Bestimmung der himmlischen Rhythmen ist die Kalenderastronomie auch eine »Horizontastronomie«. Diese widmet sich der Beobachtung der Auf- und Untergänge von Himmelskörpern auf dem Horizont und ihrer scheinbaren Bahnen am Firmament. Sie schafft sich dazu Hilfsmittel zur Peilung ausgezeichneter Himmelsstände und stellt feste Daten und Punkte im Ablauf der Zeit dar, die durch die Architektur einer geeigneten Beobachtungsstätte baulich konserviert sind.

Unsere neuzeitliche Kultur benötigt die sichtbaren Ereignisse des jährlichen Sonnen- oder Mondlaufs nicht mehr für ihre Zeitordnungszwecke. Auch sind die Erkenntnisse, die sich durch horizontastronomische Beobachtungen gewinnen lassen, längst in den Lehrbüchern der Positionsastronomie enthalten. Mit dem Verlust der Notwendigkeit elementarer Horizontbeobachtungen ist aber neben dem Bewusstsein für diese Jahrtausende alte Kulturtätigkeit auch das sinnstiftende Element einer bewussten Gestirnsbeobachtung und die damit verbundene lehrreiche Erfahrung verloren gegangen.

Dieser Kulturverlust geht mit einer weitgehenden Unkenntnis der Öffentlichkeit über grundlegende astronomische Erscheinungen einher. Das Wissen über den Lauf von Sonne, Mond und Sternen am Firmament ist heutzutage leider nicht sehr stark ausgeprägt, und auch die Schule hat die astronomische Basiserziehung nicht an zentraler Stelle im Lehrplan verankert. Das Projekt der Horizontastronomie auf der Halde Hoheward bei Herten und Recklinghausen setzt hier ein und will Abhilfe schaffen helfen. Es dient der astronomischen Allgemeinbildung und bietet Möglichkeiten für eine astronomische Freizeitgestaltung.

Zu diesem Zweck entwickelte der Initiativkreis Horizontastronomie im Ruhrgebiet e.V. seit 1999 verschiedene Vorschläge für den Bau öffentlich zugänglicher Einrichtungen, denen archaische Beobachtungsprinzipien zu Grunde liegen. Zwei davon hat der Regionalverband Ruhrgebiet im Landschaftspark Hoheward verwirklicht: ein Obelisk als Schattenwerfer einer großen Horizontalsonnenuhr und das Horizontobservatorium auf der Halde Hoheward (siehe Ende, Bildunterschrift 1).

Die große Horizontalsonnenuhr, im Jahr 2005 fertiggestellt, richtet sich nach antiken Vorbildern, mit denen auch die noch heute gültigen Grundlagen unseres Kalenders geschaffen wurden. Das Horizontobservatorium, Ende 2008 eingeweiht, ist ganz nach den Besonderheiten der Himmelsbewegungen über der Halde Hoheward ausgerichtet. Es zitiert steinzeitliche Beobachtungsanlagen und fordert anhand fest eingerichteter Peilungen für bestimmte herausragende und zyklisch wiederkehrende Gestirnsstände zu einer bewussten Himmelsbeobachtung auf.

Zwei mächtige Bögen überspannen das Horizontobservatorium im Landschaftspark Hoheward zwischen Herten und Recklinghausen. Sie markieren Meridian und Äquator der Erd- und der Himmelskugel.

Quelle: Uwe Reichert

Standort und Konstruktion

Ein Horizontobservatorium setzt eine freie Sicht auf dem gesamten Horizontkreis voraus. Zudem muss der Standort eine genügend große ebene Fläche aufweisen. Der einzige Ort im weiten Umkreis des Ruhrgebiets, der diese Anforderungen ideal erfüllt, ist die Halde Hoheward.

Mit einer Höhe von 152,5 Metern über Normalnull erhebt sich dieses Relikt des Ruhrgebiet-Bergbaus rund hundert Meter über die umliegende Landschaft empor. Gemeinsam mit der Nachbarhalde Hoppenbruch bildet die Halde Hoheward Europas größte Haldenlandschaft. Eine Projektgemeinschaft aus dem Regionalverband Ruhrgebiet, der Deutschen Steinkohle AG und den Städten Herten und Recklinghausen macht diese Haldenlandschaft öffentlich zugänglich und gestaltet sie zu einem Landschaftspark um.

Das dort errichtete Horizontobservatorium besteht aus einer kreisrunden Ebene mit einem Durchmesser von 82 Metern sowie zwei großen Bögen mit einem Radius von 47,5 und 45,7 Metern, die diese Ebene überspannen (siehe Ende, Zusatzinformation 1). Die Horizontebene liegt senkrecht zur Lotrichtung und bildet somit einen perfekten mathematischen Horizont für einen in der Mitte postierten Beobachter. Eingelassen in die Horizontebene ist ein Sitzstufenforum, dessen Grund 1,5 Meter unterhalb des Gipfelniveaus liegt. Der Beobachter auf dem zentralen Podest kann so sein Auge bequem in die Beobachtungsmitte des Observatoriums bringen und exakt über den mathematischen Horizont peilen.

Wegen der Krümmung der Erdkugel sind die umliegenden Orte unter diesen mathematischen Horizont abgesenkt, und zwar umso stärker, je weiter sie vom Horizontobservatorium entfernt sind. Das Ruhrgebiet verschwindet deswegen fast vollständig aus der Sicht. Nur wenige Industrieschornsteine überragen noch den mathematischen Horizont, und man fühlt sich dem Ballungsraum seltsam entrückt. Die Sinne richten sich dann zwangsläufig auf die Erscheinungen am Himmel, die Sonne und andere Himmelskörper, die nun als einzige Orientierungsmöglichkeiten verbleiben.

In das Horizontplateau ist eine Rinne eingelassen, die dem Beobachter die gleichzeitige Sichtbarkeit des mathematischen Horizonts und eines Ausschnitts des Landschaftshorizonts ermöglicht.

Eine in die Horizontebene eingelassene Rinne erlaubt das gleichzeitige Sehen des mathematischen Horizonts und des realen Landschaftshorizonts. Damit ist die Krümmung der Erdkugel direkt zu erkennen.

Quelle: Uwe Reichert

Die Rinne weist auf zwei Gasometer: Der linke steht 15 Kilometer entfernt bei der Kokerei Prosper in Bottrop, der rechte im 22 Kilometer entfernten Oberhausen. Der Deckel des Oberhausener Gasometers liegt - wie der Standort des Beobachters im Observatorium - 152 Meter über Normalnull. Auf einer flachen Erde stünde der obere Rand des Gasometers also genau im künstlichen Horizont des Observatoriums. Man beobachtet aber eine leichte Absenkung, die allein auf die Kugelgestalt der Erde zurückgeht. Die Beobachtung durch die Rinne hindurch macht somit die Kugelgestalt der Erde auf einer Distanz von 22 Kilometern mit bloßem Auge erfahrbar.


Der Sonnenlauf

Die Mitte des Horizontplateaus wird von zwei großen Halbbögen zur Darstellung des Ortsmeridians und des Himmelsäquators überspannt. Sie sind weithin sichtbar und machen das Observatorium zu einer Landmarke im Kreuzungsbereich der Autobahnen A2 und A43. Die Struktur aus den beiden Bögen lässt sich als Modell unserer Erdkugel und ihrer Lage im Raum auffassen. Der Meridianbogen entspricht dann dem geografischen Längenkreis, auf dem die Halde Hoheward liegt, und der Äquatorbogen dem Erdäquator. Diesen mit nur zwei Kreisen minimalistisch dargestellten Globus muss man sich zur Hälfte in der Halde versenkt vorstellen.

Von der zentralen Beobachtungsposition aus betrachtet wird aus den Großkreisen des Erdglobus (Längenkreis und Erdäquator) das entsprechende Kreispaar am Himmelsglobus (Ortsmeridian und Himmelsäquator). In dieser Funktion ähnelt das Horizontobservatorium einer Armillarsphäre - einem antiken astronomischen Mess- und Lehrinstrument aus ineinander verschlungenen Kreisen.

Befindet man sich im Mittelpunkt des Observatoriums, lassen sich anhand der Sonnenposition in Bezug zum Meridian- und Äquatorbogen Tages- und Jahreszeit abschätzen: Vormittags steht die Sonne östlich des Meridians, nachmittags westlich von ihm. Im Sommerhalbjahr sieht man die Sonne auf ihrer täglichen Bahn oberhalb des Äquators parallel zu diesem wandern, im Winterhalbjahr darunter.

Skalenteile auf den Bögen ermöglichen eine genauere Schätzung des Sonnenstandes. Der Äquatorbogen ist mit einer Zeitskala versehen. Innerhalb einer Stunde rückt die Sonne ein Teilstück auf ihrer Bahn vor, das dem Abstand zweier eckiger Skalenfelder auf dem Äquator entspricht. Für den Abstand zwischen zwei runden Skalenfeldern benötigt die Sonne jeweils 20 Minuten. Die Skala misst den zeitlichen Abstand der Sonnenposition bis zur Meridianpassage, die den Ortsmittag markiert.

Der Ortsmittag ist der Zeitpunkt des höchsten täglichen Sonnenstandes. Die Sonne steht dann genau im Süden hinter dem Meridianbogen. Sie wechselt zu diesem Zeitpunkt von der Vormittagsseite (aufsteigendes Teilstück der täglichen Bahn) auf die Nachmittagsseite (absteigendes Teilstück der täglichen Bahn).

Der Ortsmittag findet nicht etwa um 12 Uhr Mitteleuropäischer Zeit (MEZ) oder Mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ) statt; denn unsere bürgerliche Zeitzählung basiert auf einer Zonenzeit, die sich nicht nach den Verhältnissen auf unserem Ortsmeridian, sondern nach dem Meridian über dem 15. Grad östlicher Länge richtet.

Die tägliche Bahn der Sonne verläuft stets parallel zum Äquatorbogen. Dessen Schrägstellung erklärt sich durch die geografische Lage der Halde auf der Erdkugel. Läge sie am Äquator der Erde, so stünde auch der Äquatorbogen des Observatoriums senkrecht und ragte vom Ostpunkt über den Zenit bis zum Westpunkt. Am Nordpol hingegen bräuchte man überhaupt keine Bögen: Denn dort liegt die Äquatorebene parallel zum Horizont, und die Sonne wandert täglich in einem zum Horizont parallelen Kreis.

Der tägliche Lauf der Sonne begründet erst die bekannte Teilung des Horizontkreises: Süden ist die Richtung des täglichen Höchststandes der Sonne (»obere Kulmination«), Norden die Richtung des täglichen Tiefststandes um Mitternacht (»untere Kulmination« unterhalb des Horizonts), und Osten und Westen liegen symmetrisch dazwischen, jeweils einen Viertelkreis von Norden und Süden entfernt.

Der Äquatorbogen des Horizontobservatoriums markiert die tägliche Bahn der Sonne bei Frühlings- und Herbstanfang, den Tagundnachtgleichen oder Äquinoktien. An diesen Tagen (20./21. März und 22./23. September) befindet sich die Sonne zwölf Stunden lang oberhalb des Horizonts und zwölf Stunden darunter.

An den Tagundnachtgleichen wird die tägliche Bahn der Sonne durch den Äquatorbogen verdeckt. Da der Winkeldurchmesser des Bogens etwas größer ist als derjenige der Sonnenscheibe, ist das freilich auch noch am Tag vor und nach dem eigentlichen Äquinoktium der Fall. An diesen Tagen strahlt die Mittagssonne genau durch das Rundfenster im Verbindungsrohr der beiden Bögen.

Im Sommerhalbjahr (zwischen Frühlings- und Herbstanfang) liegt die tägliche Sonnenbahn oberhalb des Äquatorbogens; der lichte Tag ist dann länger als die Nacht. Im Winterhalbjahr (zwischen Herbst- und Frühlingsanfang) verläuft die Sonnenbahn unterhalb des Äquatorbogens; dann ist die Nacht länger als der lichte Tag. Der Winkelabstand der täglichen Sonnenbahn zur Äquatorebene lässt sich mit der Deklinationsskala auf dem Meridianbogen messen. Die extremen Lagen der Sonnenbahn markieren den Sommeranfang am 20./21. Juni (Sonne 23,4° oberhalb des Äquators; Sommersonnenwende) und den Winteranfang am 21./22. Dezember (Sonne 23,4° unterhalb des Äquators; Wintersonnenwende).


Anzeige der Sonnenwenden

Eine andere, weniger geläufige Teilung des Horizontkreises als die in die Haupthimmelsrichtungen erhält man, wenn man die jährlichen Aspekte des Sonnenlaufs, nämlich die unterschiedlich hohen Tagesbahnen und den jährlichen Zyklus ihres Wechsels, auf die Horizontebene überträgt. In Gestalt von Sonnenwendrichtungen auf dem Horizont markiert dieser jährliche Zyklus der Sonne weitere Ordnungsprinzipien für Raum und Zeit.

Die bedeutsamsten Horizontstände, welche die Sonne in regelmäßigen Abständen einnimmt, sind im Horizontobservatorium besonders gekennzeichnet. Zur Anzeige der Sonnenwendtermine, an denen unser Tagesgestirn auf seiner sommerlichen oder winterlichen Extrembahn läuft, sind auf der Horizontfläche Peilmarken mit Fenstern aufgebracht, die von der horizontnahen Sonne beim Auf- beziehungsweise Untergang an diesen Tagen (20./21. Juni und 21./22. Dezember) durchstrahlt werden. Lichtbrechungseffekte in der Atmosphäre täuschen höhere Stände der horizontnahen Sonne vor, als sie bei der Beobachtung von einer luftlosen Erde sichtbar wären. Diese Anhebung ist umso größer, je näher die Sonne am Horizont steht. Deshalb wird auch der untere Rand der Sonnenscheibe stärker angehoben als der obere, was ihr in Horizontnähe eine elliptische Gestalt verleiht. Aus diesem Grunde sind die Fenster in den Sonnenwend-Peilmarken elliptisch ausgeführt.

Zwischen den Richtungen der Sommer- und Wintersonnenwende liegt - im Osten wie im Westen - ein Winkel von 80 Grad. Dieser Bogen markiert den Bereich entlang des Horizonts, in dem die Sonne auf der geografischen Breite des Observatoriums (51,57° Nord) auf- beziehungsweise untergehen kann. Die Peilrichtungen von der Observatoriumsmitte zu den Sonnenwendfenstern sind auf dem zentralen Beobachtungspodest und in der Pflasterung im Forum deutlich gemacht.

Auf dem zentralen Beobachtungspodest sind die Horizontbereiche markiert, in denen die Sonne im Jahreslauf auf- und untergeht. Die Randlinien der schwarzen Sektoren weisen in Richtung der Sonnenwenden.

Quelle: Uwe Reichert

Der Grundriss des Observatoriums ähnelt diesbezüglich der Himmelsscheibe von Nebra, die wohl ebenfalls für Sonnenwendbeobachtungen auf dem 51. bis 52. Breitengrad benutzt wurde: Eine Winkelspanne von 80 Grad überdeckt dort in Gestalt von goldenen Segmenten den östlichen und westlichen Rand der Scheibe.

Die Sonnenwend-Peilmarken im Horizontobservatorium sind so ausgelegt, dass man die Extremstände der Sonnenauf- und -untergänge auf wenige Tage genau selbst bestimmen und damit das Datum der Sonnenwenden festlegen kann. Dazu befindet sich unter dem elliptischen Sonnenfenster eine Aussparung, die durch eine weiter hinten liegende Blende ergänzt wird. Nur wenn man das Auge zentimetergenau in die Beobachtungsmitte des Observatoriums bringt, füllt die Blende die Aussparung in der Peilmarke lückenlos aus.

Mit Hilfe zweier hintereinander angeordneter Sonnenwend-Peilmarken, die sich zu einem Rechteck ergänzen, kann der Beobachter zentimetergenau die Mitte des Observatoriums einnehmen.

Quelle: Uwe Reichert

Mit dieser Möglichkeit zur Feinjustage der Beobachtungsposition findet man die Mitte des Observatorium am besten - noch besser als mit dem Sonnenfenster im Kreuzungspunkt der großen Bögen.

In der Zeit der nahenden Sommersonnenwende geht die Sonne von Tag zu Tag etwas weiter im Nordosten auf und füllt dann mehr und mehr das nordöstliche Rundfenster aus, bis sie am Tag der Sonnenwende kurz nach ihrem Aufgang ganz im Rundfenster steht. Danach verlagern sich die täglichen Aufgangsorte wieder systematisch in Richtung Südosten, wo sich das nächste Wendeereignis im Bereich der kürzesten Tage des Jahres beim Winteranfang vollzieht. Dieses Bewegungsverhalten des Aufgangspunkts der Sonne ähnelt einer Pendelbewegung mit einem Maximalausschlag von 80 Grad entlang des Horizonts und einem steten Hin und Her bei einem langsamen Hineindriften in die Umkehrpunkte und wieder hinaus an den begrenzenden Rändern des Pendelsektors.


Äquinoktien und Quartalstage

Nach Bestimmung der Sonnenwendtermine lassen sich weitere sinnvolle Unterabschnitte des Jahres ermitteln. In der zeitlichen Mitte zwischen den Sonnenwenden liegen die Äquinoktien, deren Sonnenbahn durch den Äquator und das Rundfenster hoch oben im Südmeridian angezeigt wird (streng genommen erhält man durch diese symmetrische Teilung der Zeitspanne zwischen den Sonnenwenden die so genannten zeitlichen Äquinoktien, die sich von den räumlichen Äquinoktien mit der Sonne auf der Äquatorbahn ein wenig unterscheiden).

In der zeitlichen Mitte zwischen jeweils einem Äquinoktium und einer Sonnenwende liegen vier »Quartalstage« (5. Februar, 6. Mai, 5. August und 5. November), die im Observatorium ebenfalls durch Peilmarken auf dem Horizont kenntlich gemacht sind.

Diese Marken liegen nicht in der räumlichen Mitte zwischen dem Ost- beziehungsweise Westpunkt und den großen Sonnenwend-Peilmarken, weil die Veränderung der Aufgangs- und Untergangsorte am Horizont im Zeitraum zwischen Quartalstag und Sonnenwende kleiner ist als im Zeitraum zwischen Äquinoktium und Quartalstag. Die symmetrische Teilung des Sonnenjahrs in gleiche Zeitabschnitte führt folglich nicht zu einer symmetrischen Teilung bei den Horizontrichtungen.

Die Marken der Quartalstage eignen sich auch zur Bestimmung des Basisschaltzyklus des Sonnenjahrs in unserem Kalender. Alle vier Jahre wird ein Jahr mit 366 Tagen gezählt, weil das natürliche Sonnenjahr ungefähr ein Vierteltag länger ist als 365 Tage, man aber ein Kalenderjahr nur aus einer ganzen Zahl von Tagen konstruieren kann. Folglich gibt es eine Sequenz von vier möglichen Aufgangsbahnen der Sonne an einem bestimmten Quartalstag. Denn im Folgejahr nach einer ersten Beobachtung ist kein ganzes Sonnenjahr aus 365,24220 Tagen vergangen, sondern ein Kalenderjahr aus einer ganzzahligen Spanne von Tagen. Im Folgejahr liegt die Sonnenbahn deshalb schon etwas höher oder tiefer - je nachdem, welchen Quartalstag man betrachtet - als im Jahr zuvor. Nach Ablauf von vier Jahren und dem einmaligen Einfügen eines Schalttages kommt es im fünften Jahr wieder zu einer (fast) identischen Sonnenbahn wie im ersten Jahr der Sequenz.

Die Notwendigkeit des Einfügens eines Schalttages alle vier Jahre ist übrigens nicht mit Sonnenwendpeilungen zu erkennen. Denn bei Sonnenwenden gibt es diese Sequenz der vier möglichen Bahnen praktisch nicht, weil die Veränderungen von Jahr zu Jahr so gering sind, dass man sie mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen vermag.

Das Observatorium ist so konzipiert, dass sich der Untergang der Sonne auf dem künstlichen Horizont und sofort danach der Untergang der Sonne auf dem Landschaftshorizont beobachten lässt. (Analoges gilt für den Sonnenaufgang.) Man kann dazu in der Mitte bleiben und sich für die Beobachtung des zweiten Untergangs auf den zentralen Block stellen oder das Forum verlassen und schnell an den Rand der Horizontfläche wechseln. Dort sind in allen vier Sektoren des Horizontkreises Bodenplatten eingelassen, auf denen das Landschaftspanorama abgebildet ist. Markante Horizontstrukturen wie Industrieanlagen, Fernsehtürme und Kraftwerke sind auf diesen Bodenplatten mit Sonnenuntergängen an bestimmten Tagen im Jahr in Beziehung gebracht, so dass man auch die fernen Horizontmarken als Peilmarken für kalendarische Zwecke nutzen kann.


Große und Kleine Mondwenden

Da der Mond bereits in 27,3 Tagen durch die gesamte Ekliptikzone wandert, durchläuft er auch seinen Zyklus der unterschiedlich hohen Bahnen über dem Horizont innerhalb dieser Zeitspanne. Damit zeigen seine Auf- und Untergangsstellen am Horizont - in Analogie zu denen der Sonne - ebenfalls das Phänomen des Pendelns; allerdings erfolgt es mehr als dreizehnmal schneller als bei der Sonne. Der monatliche lunare Pendelbogen aller Auf- und Untergangsorte erstreckt sich zwischen zwei monatlichen Extremständen, den so genannten Mondwenden.

Diese monatlichen Mondwenderichtungen verändern sich systematisch innerhalb von 18,61 Jahren. In manchen Jahren übersteigt der Mond in seinem nördlichsten Aufgang den Ort des Mittsommeraufgangs um 10 Grad nach Norden und im südlichsten Aufgang den Ort des Mittwinteraufgangs um die entsprechende Spanne nach Süden. Sein Pendelbogen übertrifft dann mit etwa 100 Grad auf dem Breitenkreis der Halde Hoheward den Pendelbogen der Sonnenaufgänge von 80 Grad deutlich, und man spricht von den »Großen Mondwenden«. In anderen Jahren jedoch erreicht er die Wendemarken der Sonne in seinem monatlichen Wendezyklus nicht. Dann ist sein Pendelbogen mit nur 60 Grad viel kleiner als derjenige der Sonne, und man spricht von den »Kleinen Mondwenden«.

Auch die Auf- und Untergangspunkte des Mondes pendeln am Horizont hin und her. Allerdings sind diese Sektoren nicht konstant, sondern variieren in einem Rhythmus von 18,6 Jahren zwischen 60 und 100 Grad.

Quelle: B. Steinrücken/SuW-Grafik

Der Grund für die Variabilität des monatlichen lunaren Pendelbogens liegt einerseits in der Neigung der Mondbahnebene gegen die Ebene des Erdumlaufs um die Sonne und andererseits in der Drehung der Schnittlinie dieser beiden Ebenen. Die Bahnebenen des Mondes und der Erde sind unter einem Winkel von 5 Grad gegeneinander geneigt. Der Mond scheint deshalb manchmal senkrecht auf Erdorte, die um fünf Breitengrade weiter nördlich liegen als die nördlichsten Erdorte mit senkrechtem Sonneneinfall (die den nördlichen Wendekreis der Erdkugel bilden). Von der Erde aus betrachtet erscheint dann der Mond in einem größeren Abstand von der Äquatorialebene, als ihn die Sonne je erreichen kann. Das wiederum hat einen Aufgangsort zur Folge, der nördlicher als der Aufgangsort der Sommersonne liegt.

Im Horizontobservatorium gibt es zur Anzeige der Großen und Kleinen Mondwenden zwei zusätzliche Beobachtungsstandorte. Dort liegen Bodenplatten, welche die Pendelsektoren von 100 Grad und 60 Grad andeuten und mit den Sonnenpeilmarken in Beziehung bringen. Die großen Sonnenlöcher in diesen Marken, die beim Betrachten aus der Mitte die Sonnenwenden anzeigen, zeigen in diesem Falle die äußersten nördlichen und südlichen Mondbahnen an.

Von der Mitte des Observatoriums aus lassen sich mit Peilmarken besondere Sonnenstände ermitteln (oben): die Wintersonnenwende (21./22. Dezember), die Sommersonnenwende (20./21. Juni) sowie vier Quartalstage. Mit den gleichen Peilmarken - aber von anderer Warte aus - ist auch die Pendelbewegung der Mondauf- und -untergänge zu verfolgen (unten).

Quelle: B. Steinrücken/SuW-Grafik

Die kleinen Quartalsmarken stehen in dieser Perspektive in Richtung der nördlichen und südlichen Kleinen Mondwenden. Die Hintergrundblenden für die Sonnenwendpeilungen bleiben dabei allerdings ohne Funktion.

Das Horizontobservatorium bietet damit die Möglichkeit, Mondbahnzyklen und Mondwenden anhand der Peilmarken auf der Horizontfläche zu verfolgen, jedoch durch keine eigens dafür geschaffenen baulichen Merkmale (von den zwei Bodenplatten zur Markierung der beiden Mondstandorte abgesehen), sondern unter Bezugnahme auf die Peilungen und Einrichtungen, die für die Beobachtung des ungleich wichtigeren und systematischer ablaufenden Sonnenzyklus geschaffen wurden.


Sternensphäre und Sternbilder

Nach Sonnenuntergang bricht die Abenddämmerung herein. Das Horizontobservatorium wechselt nun gewissermaßen vom Tag- in den Nachtmodus mit neuen Beobachtungsmöglichkeiten. Die Sonnenpeilmarken werden funktionslos und tauchen in die zunehmende Dunkelheit der aufziehenden Nacht ein. Stattdessen schaffen dezent leuchtende Objekte neue Anreize zu weiteren Beobachtungen.

Die Skalenfelder des Meridian- und Äquatorbogens leuchten für einige Stunden grünlich nach, nachdem sie in der Abenddämmerung durch Bodenstrahler in der Horizontfläche aufgeladen wurden. So wie schon zuvor bei den Sonnenbeobachtungsmöglichkeiten beschrieben, lässt sich nun die Lage einer Gestirnbahn in Bezug zum Himmelsäquator abschätzen.

Der nördliche Himmelspol - jene Stelle, auf welche die Achse der Erde weist, wenn man sie in nördlicher Richtung zum Himmel hinauf verlängert - liegt 90 Grad oberhalb des Äquators und 51,57 Grad oberhalb des nördlichen Horizonts. Dieser letzte Wert, die »Polhöhe«, entspricht der geografischen Breite der Halde Hoheward. Die Pollage des Himmels ist auf dem nördlichen Teilstück des Meridianbogens durch ein sternförmiges Leuchtfeld markiert, das den Polarstern symbolisiert. Dieser recht helle Stern steht zufällig nur 0,7 Grad (das entspricht dem 1,3-fachen Durchmesser der Mondscheibe) vom Himmelspol entfernt, weshalb er bei der täglichen Rotation der Erde immer in dessen Nähe verbleibt. Er kann im freien Feld als Orientierungshilfe für das Auffinden der Himmelsrichtungen dienen, denn lotrecht unterhalb des Himmelspols liegt der Nordpunkt des Horizonts.


Ausgewählte Sternzeiten

Die Sternzeit ist ein Mittel zur Anzeige der Stellung des Himmelsgewölbes. Sie richtet sich nicht nach dem täglichen Lauf der Sonne, wie unsere bürgerliche Sonnenzeit, sondern nach der Rotation der Sternensphäre. Da die Sonne jeden Tag etwa ein Grad (360 Grad/365 Tage), also ungefähr das Doppelte ihres Durchmessers in der zur Tagesbewegung entgegengesetzten Richtung auf der Ekliptik zurücklegt, erreicht ein Stern, der eine solche Bewegung nicht macht, bereits rund vier Minuten eher den Meridian, wenn er am Vortag noch gleichauf mit der Sonne war und dabei zeitgleich mit ihr im Meridian den Höchststand erreichte.

Die Sternensphäre bewegt sich also etwas schneller als die Sonne bei ihrem täglichen Lauf. Deshalb kennt die Astronomie ein weiteres Zeitmaß, das allein auf der Erdrotation basiert und sich in der regelmäßigen Wiederkehr der Sternpositionen nach Ablauf jeweils ganzer Drehungen der Erdkugel äußert - die »Sternzeit«. Bei einer gleichen Sternzeit steht das Himmelsgewölbe wieder im gleichen Stand, und folglich befinden sich auch alle Sterne hinsichtlich ihrer Lage zum Horizont wieder in der gleichen Stellung.

Streng genommen richtet sich die Sternzeit aber nicht nach den Sternen, sondern nach dem Gradnetz des Himmels, das in Analogie zum irdischen Gradnetz aus Längen- und Breitenkreisen geschaffen wurde. Dieses Gradnetz basiert auf der Lage des Himmelsäquators und der Ekliptik am Himmelsgewölbe.

Quelle: SuW-Grafik

Besondere Stellungen dieser Struktur aus den zwei sich schneidenden Ebenen Äquator und Ekliptik werden im Horizontobservatorium durch besondere Sternpeilungen gekennzeichnet. Wann immer ein vorbestimmter Stern (gewählt wurden Beteigeuze im Orion und Kapella im Fuhrmann) im Fenster seiner Peilmarke steht, ist das Himmelsgewölbe mit Minutengenauigkeit in einer solchen besonderen Stellung.

Welche besonderen Stellungen sind hier gemeint? Zur Erläuterung sei zunächst wieder das Modell der sternübersäten Fixsternkugel bemüht, und zwar in Bezug zu den Kreisen des Äquators und der Ekliptik, die diese Sphäre ganz umspannen und deren Ebenen auch die in der Mitte der Himmelskugel gedachte Position der Erde erfassen.

Durch den Schnitt dieser Ebenen unter einem Winkel von 23,4 Grad erhält man vier ausgezeichnete Punkte entlang der Ekliptik: Den Frühlings- und Herbstpunkt als Schnittpunkte der Äquator- und Ekliptikebene mit der Himmelskugel sowie den Sommer- und Wintersonnenwendpunkt jeweils als Punkt der Ekliptik mit dem größten nördlichen beziehungsweise südlichen Abstand zum Äquator. Diese vier Punkte werden »Jahreseckpunkte« genannt, weil die Sonne jeweils zu Beginn einer Jahreszeit an diesen Punkten auf der Ekliptik steht.

Für die Beobachtung der Himmelskugel von einem bestimmten Ort, wie zum Beispiel dem Horizontobservatorium, ist die Lage der Jahreseckpunkte über dem Horizont - beziehungsweise ihre jeweilige Meridianpassage - von Interesse. Der Frühlingspunkt beispielsweise steht zur Sternzeit null Uhr nach jeder Rotation der Sternensphäre wieder im Meridian, also im Rundfenster im Kreuzungspunkt der Bögen. Einmal im Jahr steht dann auch die Sonne dort, eben zur Ortsmittagszeit beim Frühlingsanfang am 20. oder 21. März.

Am Herbstanfang steht die Sonne bei der oberen Meridianpassage (obere Kulmination) des Frühlingspunkts, also wieder um null Uhr Sternzeit, auf der anderen Seite der Sphäre, nämlich im Herbstpunkt, der in diesem Moment in der unteren Kulmination unterhalb des Nordhorizonts steht. Zur Mitternacht bei der Herbst-Tagundnachtgleiche steht der Himmel folglich genauso wie zur Mittagszeit bei der Frühlings-Tagundnachtgleiche.

Eine entsprechende Betrachtung gilt auch für die anderen Jahreseckpunkte: Zur Ortsmittagszeit bei der Sommersonnenwende zum Beispiel ist der von der Sonne besetzte Sommersonnenwendpunkt im Meridian. Die Sonne steht dann 23,4 Grad oberhalb des Äquators. Das ist die Sternzeit 6 Uhr, denn der Stundenkreis des Frühlingspunkts ist gegenüber der Sternzeit null Uhr einen Viertelkreis beziehungsweise sechs Stunden vorangeschritten. Der Frühlingspunkt steht dann genau im Westpunkt des Horizonts.

Auch diese Stellung erreicht der Himmel bei jeder Umdrehung erneut, so dass sich die »Sternzeit 6 Uhr« so wie jede andere Sternzeit auch, nach 23 Stunden 56 Minuten und 4 Sekunden Sonnenzeit immer wiederholt. Bei Mitternacht zur Wintersonnenwendzeit steht der Sommersonnenwendpunkt um 6 Uhr Sternzeit ebenfalls wieder in der Meridianpassage. Die Sonne dann aber nicht, denn zur Wintersonnenwende ist sie zu dieser Sternzeit auf der gegenüberliegenden Seite im Wintersonnenwendpunkt in der unteren Kulmination auf dem Nordhorizont. Es ist dann Mitternacht bei Winteranfang, und die Sterne sind sichtbar.

Die Sternzeit in Verbindung mit dem Datum im Sonnenkalender verrät uns damit, wie die Sternensphäre zu einem beliebigen Zeitpunkt im Jahr in Relation zum Sonnenstand und zum Horizont des Beobachtungsortes steht, unabhängig davon, ob die Sterne gerade sichtbar sind oder nicht. Angezeigt werden diese Sternzeiten durch Peilungen an den Sternen Beteigeuze und Kapella (siehe Tabelle unter Zusatzinformation 2).

Diese Ereignisse können nur beobachtet werden, wenn es dunkel ist und die Sterne sichtbar sind. Die Spalte »Sichtbarkeit « in der obigen Tabelle gibt Aufschluss darüber, in welchem Zeitraum im Jahr das jeweils möglich ist. Will man die Sternzeit ermitteln, um damit zum Beispiel eine Uhr einzustellen, so positioniert man sein Auge in der exakten Beobachtungsmitte des Observatoriums und wartet, bis der Stern zum fraglichen Zeitpunkt im Loch seiner Sternzeitpeilung sichtbar wird. Damit man das Loch sieht, das als schräges Fenster ausgeführt ist und so zum Horizont geneigt ist, dass sein Neigungswinkel dem Auf- beziehungsweise Abstiegswinkel der Sternbahn entspricht, wird es von einem dezent grün leuchtenden Rahmen umgeben.

Das Auffinden der exakten Augenposition wird durch eine besondere Visiereinrichtung ermöglicht: Der Leuchtrahmen ist noch von vier hellen Lichtpunkten umgeben, die bei richtiger Augenposition von einer Blende verdeckt sind. Sieht man einen oder mehrere dieser Lichtpunkte, so ist das Auge noch nicht in der exakten Beobachtungsposition, und das Schrägfenster liegt dann nicht in der richtigen Stellung zum Sternenhimmel.

Wie schon erwähnt, bezieht sich das Konzept der Sternzeit auf das Gradnetz des Himmels, das auf der Lage des Äquators und der Ekliptik (des Tierkreises) zueinander basiert. Da die Sterne langsam gegen das Gradnetz verdriften, werden diese vier Sternzeitpeilungen langsam »aus dem Ruder laufen« und in etlichen Jahrzehnten nicht mehr richtig funktionieren. Dadurch wird das Entstehungsdatum der Anlage gewissermaßen fest in das Horizontobservatorium eingebaut, so dass spätere Generationen jederzeit diesen Zeitpunkt rückrechnen können. Das Observatorium erhält damit neben seinen Funktionen als astronomisches Instrument und Landmarke für das nördliche Ruhrgebiet auch die Bedeutung einer Zeitmarke im ganz konkreten Sinn.

Sollte das Observatorium trotz seiner monumentalen Gestalt und soliden Ausführung eines fernen Tages nicht mehr stehen, kann es dennoch ein Zeugnis seiner ursprünglichen Intention, Architektur und Funktionsweise in die Zukunft überliefern: Bei der Grundsteinlegung im Februar 2008 wurde eine Edelstahlplatte in den zentralen Bereich einbetoniert, die den Grundriss des Observatoriums in leicht abstrahierter Form darstellt.

Eine Stahlplatte mit der abstrahierten Darstellung des Horizontobservatoriums wurde bei der Grundsteinlegung unter dem zentralen Beobachtungspodest einbetoniert.

Quelle: Burkard Steinrücken

Die großen Bögen sind auf die Horizontfläche projiziert, und die Lage und elliptische Form des projizierten Äquators ermöglicht die Bestimmung des Breitengrades des Observatoriums. Kennt man den Breitengrad der Beobachtung, so lässt sich aus dem solaren Pendelbogen am Horizont die Ekliptikschiefe als zeitlich variabler Parameter extrahieren. Die Ekliptikschiefe ermöglicht dann die Datierung.

Die Platte mit dem Grundriss des Observatoriums ähnelt etwas der Himmelsscheibe von Nebra, denn man findet auf ihr ebenfalls die Gestaltungselemente Kreispunkt, Kreisscheibe und Bogen. Die Kreispunkte markieren die Lage von Peilmarken auf der Horizontfläche, die mittig gelegene Kreisscheibe symbolisiert das Beobachterforum, und der Bogen, der mit dem Schiff der Himmelsscheibe verglichen werden mag, ist der auf die Grundfläche projizierte Äquator.

Es ist ein interessantes Gedankenspiel, sich vorzustellen, wie diese Platte in ferner Zukunft gedeutet und bewertet werden wird, falls sie überhaupt von künftigen Archäologen entdeckt werden sollte.


Beobachtung der Präzession

Die Anziehungskräfte von Sonne und Mond, die an der leicht abgeplatteten Erdkugel zerren, haben eine Taumelbewegung der Erdachse zur Folge. Dadurch verlagert der Himmelspol im Laufe von 25 800 Jahren seine Position entlang eines Kreises an der Himmelssphäre. Unser heutiger Polarstern wird deshalb diese Funktion in ferner Zukunft verlieren. Bis zum Jahr 2100 nähert er sich allerdings dem Himmelspol noch etwas an, bis auf einen Abstand von 0,46 Grad (etwas weniger als der Durchmesser des Vollmonds), um dann wieder von ihm fortzudriften.

Die Präzessionsbewegung führt auch zu einem systematischen Anstieg der ekliptikalen Längen aller Sterne und verändert damit auch deren Deklination (sofern die Sterne nicht im Bereich des Winter- oder Sonnenwendpunkts auf der Himmelssphäre liegen, wo die Ekliptik parallel zum Äquator verläuft). Ein Beispiel: Arktur, der hellste Stern am nördlichen Firmament, liegt etwa im gleichen Himmelsbereich wie der Herbstpunkt. Die Präzessionsbewegung parallel zur Ekliptik führt ihn deshalb künftig von seiner jetzt hoch liegenden Sternbahn auf tiefere Bahnen hinab, denn im Bereich des Herbstpunkts ist die Ekliptik absteigend und folglich auch der Präzessions-Driftkreis des Arktur.

Um diesen Effekt der Präzession erfahrbar zu machen, ist eine sehr präzise Peilvorrichtung nötig, denn Arktur verlagert seine Bahn innerhalb von zehn Jahren nur um etwa drei Bogenminuten nach unten - das ist nur wenig mehr als das Auflösungsvermögen des menschlichen Auges.

Mit einer besonderen Konstruktion im Horizontobservatorium ist es gelungen, diese Auswirkung der Fixsternpräzession innerhalb von ein bis zwei Dekaden nachzuweisen: Auf dem Mast der nördlichen Sternzeitpeilung ist ein Aufsatz mit einem Gebilde montiert, das einem schräg abgesägten Kamm mit fünf Zinken ähnelt. Beobachtet man diesen Aufsatz durch das kleine Loch der nordöstlichen Quartalsmarke, so überdeckt der Kamm die Arkturbahn, und zwar so, dass der Stern in der heutigen Zeit fünfmal durch die Zinken verdeckt wird.

Der helle Stern Arktur verschwindet heute auf seiner täglichen Himmelsbahn jeweils für wenige Sekunden hinter jedem der fünf Zinken dieser Peilvorrichtung. Infolge der Präzession sinkt die Bahn tiefer und die Anzahl der Bedeckungen durch die Zinken verringert sich im Laufe weniger Jahrzehnte.

Quelle: Uwe Reichert/SuW-Grafik

Sein Licht wird dabei jeweils für einige Sekunden scheinbar ausgeknipst. Der gesamte Vorgang dauert nur ein bis zwei Minuten.

Der Kamm ist so konstruiert, dass sich bei der Absenkung der Sternbahn infolge der Präzession im Laufe der kommenden Jahrzehnte die Anzahl der Verdeckungen durch die Zinken sukzessive verringert. In etwa vierzig bis fünfzig Jahren wird die Arkturbahn vollständig unterhalb der Zinken verlaufen.

Das Horizontobservatorium auf der Halde Hoheward soll dazu anregen, den Schönheiten des Himmels diejenige Beachtung zu schenken, die sie auch in der modernen technisierten Welt verdienen. Unsere heutige Lebenswelt entfremdet sich zunehmend von der Natur und ihren Zyklen, die den Werdegang der Menschheit von Anfang an begleitet und bestimmt haben. Diese natürlichen Kreisläufe neu zu entdecken, dazu möchte das Horizontobservatorium einen Anreiz liefern.

Freilich bedarf es dazu einer gewissen Geduld und einer persönlichen Unterordnung. Man muss sich auf diese Beobachtungen hin organisieren. Denn sie sind nicht zu beliebigen Zeitpunkten wiederholbar, und die Himmelskörper warten auch nicht auf den Beobachter.

Einige Beispiele:

Will man das Hinein- und Hinauspendeln des Aufgangsortes der Sonne in den nördlichsten Stand beim Sommeranfang verfolgen, so ist eine mehrmalige Beobachtung des Sonnenaufgangs im Juni und Juli gegen Viertel nach fünf in der Frühe erforderlich.
Will man die Veränderungen registrieren, die durch die Präzession des Erdkreisels auftreten, so ist die scheinbare Bahn eines hellen Sterns über mindestens ein Jahrzehnt - besser zwei Jahrzehnte - unter genau reproduzierbaren Bedingungen zu beobachten.
Will man die Aufweitung und Verengung des lunaren monatlichen Pendelbogens der Auf- und Untergangsorte erleben, so benötigt man knapp 19 Jahre für den gesamten Zyklus.
Will man die Sonne im Rundfenster des Kreuzungspunkts der großen Bögen sehen, so muss man sich zur Ostmittagszeit an den Tagundnachtgleichen in der Beobachtungsmitte befinden.

Die Beobachtungen, die das Observatorium ermöglicht und auf die es durch seine spezielle Architektur hinweist, lassen den Beobachter das Phänomen Zeit, die Zeitmessung und Zeiteinteilung und die Gestaltung seiner eigenen ihm zur Verfügung stehenden Zeit neu erfahren. Das Observatorium ist damit kein kurzweiliger Zeitvertreib im Sinne einer Kirmesattraktion. Als passive Struktur, die den Rhythmen des Himmels und den Symmetrien seiner Bewegungsformen nachempfunden ist, bietet es soviel »Action«, wie es der bewegte Himmel tut und wie der bewusst wahrnehmende Beobachter darin zu erkennen vermag. Es nimmt auf die realen Vorgänge am Himmel Bezug und zwar »online« und in »Echtzeit«.

So wie das Verständnis für die grundlegenden Himmelserscheinungen mit der Einführung des Horizontobservatoriums wachsen soll, so wird sich hoffentlich auch das Interesse für den gestirnten Himmel und die Stellung der Erde im Weltall durch die Projektidee der Horizontastronomie insgesamt steigern lassen. Das Horizontobservatorium soll ein Ort sein, der als Brennpunkt dieser Idee grundsätzlich zum Heben des Blicks nach oben ins Reich der Gestirne auffordert.

Die Projektidee der Horizontastronomie konnte verwirklicht werden, weil der Regionalverband Ruhrgebiet den Vorschlag des Initiativkreises Horizontastronomie im Ruhrgebiet e.V. aufgegriffen und in einer fast zehnjährigen Entwicklungszeit vorangebracht hat. Die Finanzierung des Bauwerks und des Landschaftsparks Hoheward insgesamt erfolgte mit öffentlichen Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen, der Europäischen Union und des Regionalverbandes Ruhrgebiet.


Weblinks:
www.astronomie-heute.de/artikel/977663


Burkard Steinrücken leitet die Westfälische Volkssternwarte und das Planetarium Recklinghausen. Zudem ist er Sprecher des Initiativkreises Horizontastronomie im Ruhrgebiet e.V.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Original-Publikation:

Bildunterschrift 1:
Urtümliche Astronomie als Touristenattraktion: 4000 Jahre nach Stonehenge schärft ein neues Observatorium im Ruhrgebiet das Gefühl für archaische Beobachtungstechniken.


ZUSATZINFORMATIONEN:

Zusatzinformation 1:

Ein neuzeitliches Stonehenge

Mit verschiedenen Konstruktionselementen sind im Horizontobservatorium archaische Beobachtungsprinzipien verwirklicht. Ohne weitere Hilfsmittel lassen sich die grundlegenden zyklischen Erscheinungen des Tag- und Nachthimmels verfolgen.


Meridianbogen: Steht senkrecht in Nord-Süd-Richtung; teilt den Himmel in eine Vor- und eine Nachmittagshälfte und markiert den Höchst- und Tiefststand der Gestirne
Äquatorbogen: Markiert die Lage des Erd- und Himmelsäquators; teilt den Himmel in eine nördliche und eine südliche Hemisphäre
Sonnenfenster: Am Frühlings- und am Herbstanfang (Tagundnachtgleichen, Äquinoktien) strahlt die Sonne zur örtlichen Mittagszeit hindurch
Horizontebene: Bildet den künstlichen Horizont und ist Fläche für die Peilmarken
Sternentheater: Abgesenktes Beobachterforum zur Erzeugung eines künstlichen Horizonts durch die Horizontebene
Beobachtungsmitte: Zentraler Beobachtungspunkt mit vollkommener Symmetrie
Rinne: Ist auf die Gasometer in Bottrop und Oberhausen ausgerichtet, um die Erdkrümmung zu veranschaulichen
Peilmarken: Verschieden ausgeführte Peilmarken erlauben die Beobachtung bedeutsamer Stände von Sonne, Mond und Fixsternen

Quelle: Thomas Morawe / Initiativkreis Horizontastronomie im Ruhrgebiet e.V.

Zusatzinformation 2:

Ablesen der Sternzeit

Von Uwe Reichert

Steht ein Stern im Meridian, entspricht die Sternzeit genau seiner Rektaszension - das ist die Himmelskoordinate, die entlang des Himmelsäquators gemessen wird (und zwar als Bogenstück zwischen dem Frühlingspunkt und dem Schnittpunkt des Deklinationskreises des Sterns mit dem Himmelsäquator; einem Winkelabstand von 15 Grad entspricht dabei einer Zeiteinheit von 1 Stunde). Da der helle Stern Beteigeuze im Sternbild Orion knapp 90 Grad vom Frühlingspunkt entfernt ist (und seine Rektaszension deshalb knapp 6 Stunden beträgt), zeigt das Horizontobservatorium eine Sternzeit von 6 Uhr, wenn Beteigeuze gerade den Meridianbogen passiert hat und wieder sichtbar wird (B). Zur Sternzeit 0 Uhr (wenn der Frühlingspunkt im Meridian steht) ist Beteigeuze gerade im Osten aufgegangen und durchquert ein schräges Fenster in einer speziellen Peilmarke (A). Zur Sternzeit 12 Uhr durchläuft Beteigeuze kurz vor seinem Untergang eine weitere Peilmarke am Westhorizont (C). Zur Sternzeit 18 Uhr steht Beteigeuze unsichtbar unter dem Horizont; deshalb übernimmt der höher stehende helle Stern Kapella im Sternbild Fuhrmann die Rolle des Sternzeitanzeigers (D).


Sternzeit-Peilungen im Horizontobservatorium
Sternzeit
Peilung
Sichtbarkeit
0 Uhr  

Beteigeuze im Loch des
östlichen Sternmasts
Anfang August - Ende Dez.

6 Uhr  

Beteigeuzes Wiedererscheinen
nach der Meridianpassage
Anfang Oktober - Ende März

12 Uhr  

Beteigeuze im Loch des
westlichen Sternmasts
Mitte Dezember - Anfang Mai

18 Uhr  

Kapella im Loch des
nördlichen Sternmasts
Anfang Juni - Mitte Juli


© 2009 Burkard Steinrücken, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


WIS - Wissenschaft in die Schulen!
Zu diesem Beitrag stehen jedem Interessierten auf unserer Internetseite www.wissenschaft-schulen.de didaktische Materialien zur freien Verfügung. Es wird an Hand von Beispielen ein Weg aufgezeigt, wie die spezielle oder auch die allgemeine Relativitätstheorie in der gymnasialen Oberstufe unterrichtet werden kann. Unser Projekt »Wissenschaft in die Schulen!« führen wir in Zusammenarbeit mit der Landesakademie für Lehrerfortbildung in Bad Wildbad durch. Es wird von der Klaus Tschira Stiftung gGmbH großzügig gefördert.


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Quelle:
Sterne und Weltraum 2/09 - Februar 2009, Seite 32 - 41
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Telefon: 06221/528-0, Fax: 06221/528-246
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69126 Heidelberg
Tel.: 06221/912 66 00, Fax: 06221/912 67 51
Internet: www.astronomie-heute.de

Sterne und Weltraum erscheint monatlich (12 Hefte pro Jahr).
Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Abonnement 85,20 Euro pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2009