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BERICHT/053: Der Galaxienzoo - Bürger machen Wissenschaft (SuW)


Sterne und Weltraum 4/10 - April 2010
Zeitschrift für Astronomie

Der Galaxienzoo
Bürger machen Wissenschaft

Von Christian Wolf


Eine einfache Idee, geboren in einer Studentenkneipe in Oxford, hat 180.000 Menschen zu begeisterten Teilnehmern eines Forschungsprojekts gemacht. Neue Arten von Galaxien wurden gefunden, ein kosmischer Drehwurm wurde verstanden und der Hunger Schwarzer Löcher untersucht - eindrucksvolle Beispiele, wie das Internet und die Begeisterung der Menschen der Astronomie neue Forschungsmethoden erschließen.


Zwei junge Astronomen saßen im Frühling 2007 im Pub »Royal Oak« in Oxford: Chris Lintott kannte man schon als neuen Moderator der BBC-Serie »The Sky at Night«, wo er dem inzwischen 87-jährigen Seriengründer Patrick Moore zur Seite steht. Kevin Schawinski sollte bald danach den Preis der Royal Astronomical Society für die beste Doktorarbeit des Jahrgangs erhalten. Die beiden teilten ein Interesse an elliptischen Galaxien, für deren Untersuchung große und saubere Stichproben nötig waren. Doch Computeralgorithmen waren nicht zuverlässig genug bei der Auswahl der Ellipsen aus einer Sammlung beliebiger Galaxien. Kevin hatte schon früher 50.000 Galaxien des bisher größten digitalen Himmelsatlas, des Sloan Digital Sky Survey (SDSS), am Bildschirm klassifiziert. Doch für die nun gewünschte Untersuchung reichte das nicht aus! Man musste die ganze Million der SDSS-Galaxien per Auge durcharbeiten - aber wie?

Auf die Hilfe anderer Wissenschaftler konnten die beiden kaum hoffen, denn sie wussten nur zu genau, wie beschäftigt sie selbst und ihre Kollegen immerzu waren. Dann erinnerten sie sich an das Projekt Stardust@Home der Universität Berkeley in Kalifornien, bei dem freiwillige Helfer am Computer nach Staubkörnern in den Filmsequenzen eines Mikroskops suchen mussten. Wenn schon Staubkörner so viel Aufmerksamkeit auf sich zogen, dann sollte man doch allemal Leute finden, die freiwillig Galaxienbilder anschauen!

Zwei Tage später traf Chris Lintott seine Kollegen Anze Sloszar und Kate Land im Pub »Eagle & Child«: Sie diskutierten neue Untersuchungen, wonach sich angeblich in einer bestimmten Himmelsrichtung mehr Spiralgalaxien gegen den Uhrzeigersinn drehen als mit dem Uhrzeigersinn. Demnach hätten Galaxien auf kosmischer Skala einen gemeinsamen Drehwurm: Und das wäre allemal eine folgenreiche Entdeckung, wenn man sie in einer richtig großen Stichprobe nachweisen könnte.


Der Galaxienzoo entsteht

Noch an jenem Abend wurde das Projekt geboren: Ein Computer stellt interessierten Nutzern per Internet Galaxien aus dem SDSS vor. Die sind dann in Spiralen, Ellipsen und Sonstiges zu unterscheiden. Bei Spiralen ist zusätzlich die Windungsrichtung anzugeben. Der Computer wählt eine Galaxie zufällig aus, und bietet nach erfolgter Klassifikation eine weitere an.

Eine Anleitung für Neulinge soll den Einstieg erleichtern, mitmachen kann aber jeder. Das Ziel war, jede einzelne von einer Million Galaxien von mehreren Personen klassifizieren zu lassen. Mit viel Werbung und öffentlichen Vorträgen war das, so die Hoffnung der Initiatoren, innerhalb von fünf Jahren zu erreichen.

Nun lassen sich Freiwillige am Besten bei der Stange halten, wenn ihr Aufwand minimal ist. Deshalb wurde eine Webseite gestaltet, die intuitiv verständlich ist und vom Betrachter nur einen Mausklick pro Galaxie erfordert (siehe Bild links). Diese Webseite musste mit den Bildern der ganzen Million Galaxien auf einem leistungsfähigen Webserver angesiedelt werden. Auf einer Mondfinsternisparty im Garten von Patrick Moores Haus nahe Chichester traf Chris auf Bob Nichol, der sich durch seine Arbeit im SDSS-Team einen Namen gemacht hatte, und der kurz zuvor aus den USA auf eine Professur in Portsmouth (Südengland) berufen worden war. Noch im Verlauf der Mondfinsternis bot Bob die Hilfe des SDSS-Teams und Rückendeckung beim Management des Projekts an: Unter Aufsicht von Alex Szalay an der Johns Hopkins University in Baltimore (USA) wurde die Webseite in den dortigen SDSS-Datenserver integriert. Nun konnte man in Ruhe die Öffentlichkeit auf das Projekt und die Webseite hinweisen.

Am 11. Juli 2007 sollte alles losgehen. Die BBC wollte das Projekt in einem Live-Interview vorstellen, das morgens in der Sendung »Today« auf Kanal Radio 4 ausgestrahlt werden sollte. Doch zwei Wochen zuvor war Tony Blair zurückgetreten und Gordon Brown Premierminister Großbritanniens geworden. Als Chris zum Interview nach London reiste, wurde er kurzerhand nach Westminster beordert, wohin die BBC ihr Studio verlagert hatte, da Gordon Brown überraschend ein erstes Interview in seinem neuen Amt geben wollte. Die BBC befasste sich zwischen Tür und Angel ganze zwei Minuten mit Chris und dem Galaxienzoo. So ist das Leben.

Den Rest des Tages war Chris auf einer Konferenz. Abgekoppelt von der Außenwelt verpasste er zunächst, was dem Zoo am ersten Tag widerfuhr. Erst am Mittag fand er Zugang zum Internet und war prompt schockiert: (1) Galaxy Zoo prangte auf der Webseite der BBC News als meistgelesener Beitrag. (2) Die Zoo-Webseite wies jeden Kontaktversuch ab: »Server down«. (3) Die E-Mail-Adresse des Zooprojekts hatte schon 10.000 E-Mails erhalten, zumeist Hinweise auf die nicht verfügbare Webseite. Aus war's mit der Ruhe.

Zehntausend Freiwillige ließen in den ersten Stunden den Server abrauchen - doch die Forscher waren überglücklich!

Was war geschehen? Der Webserver des SDSS-Atlas war auf die Datenabrufe der begrenzten Anzahl der Profiastronomen ausgelegt. Doch dem geballten Ansturm der Öffentlichkeit hielt er nicht stand. Es fehlte an Verarbeitungstempo und Bandbreite zur gleichzeitigen Kommunikation mit so vielen Partnern. Zu diesem Zeitpunkt lag Amerika noch im Schlaf der zweiten Nachthälfte. Der Komplettausfall des gesamten Zugriffs auf den SDSS-Atlas fiel daher nur den Astronomen anderer Kontinente auf. Einsatzkräfte der Johns Hopkins University wurden erst aus dem Schlaf geholt, als Rauchentwicklung vom Server einen Alarm auslöste.

Jan Vandenberg, Computermanager bei Johns Hopkins, reagierte schnell, und er hatte zum Glück einen nagelneuen Hochleistungsserver auf Lager, noch in Kisten verpackt. Um 9 Uhr Ortszeit nahm der neue Server den Dienst auf: Das war 14 Uhr britischer Zeit am Tag des Projektbeginns und vielleicht entscheidend für das bleibende Interesse der Öffentlichkeit.

Die Mailbox des Zooprojekts wurde weiter mit Nachrichten überhäuft, doch jetzt bezogen sich die Fragen immerhin auf das Projekt: »Was tun, wenn wir auf sonderbare Dinge stoßen?« Die Antwort, »Einfach eine E-Mail senden, achtet besonders auf ringförmige Galaxien, die sind sehr selten«, sollte sich bald als naiv herausstellen: Die Zooaufseher hatten keine Ahnung, was sie losgetreten hatten.

Die Wagenrad-Galaxie (siehe Bild oben) und Arp 147 (siehe Bild auf Seite 51) sind seltene Beispiele eines Frontalzusammenstoßes zweier Galaxien, der Ringwellen heftiger Sternentstehung über mehrere zehntausend Lichtjahre hinweg auslösen kann. Doch von selten sollte bald keine Rede mehr sein, wenn eine Armee Begeisterter eine Million Galaxien durchkämmt. Im Hochbetrieb beantworteten Chris, Kevin, Kate und Anze so viele E-Mails wie nur möglich, verstärkt durch Jordan Raddick, der später noch zum Presseoffizier des SDSS ernannt wurde. Die Mailadresse mit dem Domainnamen galaxyzoo.org war beim Internetdienst GMail eingerichtet, dessen Aufseher Anzahl und Geschwindigkeit der von den fünf Zoologen geschriebenen E-Mails als unplausibel einstuften. Noch bevor sich der erste Tag zu Ende neigte, wurde die E-Mail-Adresse des Zoos als E-Mail-Spammer gebrandmarkt und gesperrt. Dieser neue Stein im Weg brachte den Zoologen zumindest ein Gutes: Schlaf!

Aber nach einer Woche mit wieder hergestelltem Mailkontakt war klar, dass sie die Anfragen nicht selbst bewältigen konnten. Also richteten sie auf der Webseite ein Diskusionsforum ein, das die Zoobesucher intensiv nutzen, um sich gegenseitig zu schulen, auf Besonderes hinzuweisen und eigene Forschergruppen zu bilden. Alice Sheppard, 27, aus Pembrokeshire moderiert das Forum. Sie hat mehr als 100.000 Galaxien klassifiziert und entwickelt die Debatten im Forum mit neuen Ansätzen, etwa der Rubrik »Galaxie des Tages«. Wie sie berichtet, schätzen viele Beitragende ihre eigene Erfahrung als sehr gewinnbringend ein: die Gelegenheit zum Mithelfen; die innere Berührung beim Anblick wunderbarer Galaxien; andere Teilnehmer, die im Forum aufeinander zugehen und sich gegenseitig Astronomie lehren, so weit sie jeweils können. Das alles erinnert an beste Traditionen unter Amateurastronomen! Die Zoobesucher selbst kommen quer aus der gesamten Gesellschaft, zum Beispiel Krankenhelfer, Richter, Lehrer, Apotheker, Computerexperten und Studenten. Die Nachricht vom neuen Galaxienzoo hatte sich durch die Online-Medien schnell um die Welt verbreitet.


Die Auswertung der Ergebnisse

Schon am zweiten Tag registrierte der Zoo 75.000 Galaxienklassifikationen pro Stunde. Nach Ablauf einer Woche zeigte eine Stichprobe, dass das gesamte Projekt tatsächlich sinnvolle Resultate produzierte. Nach zwei Jahren hatten mehr als 180.000 Personen im Schnitt je 350 Galaxien klassifiziert (siehe Bild unten). Damit gab es für jede Galaxie mehr als 60 unabhängige Klassifikationen. Wie fasst man die nun alle zu einer eindeutigen Klassifikation für jede Galaxie zusammen?

Der einfachste Weg ist, die Klasse zu nehmen, welche die meisten Stimmen erhalten hat. Alternativ kann man die Betrachter höher gewichten, deren Klassifikationen mit jenen von geschulten Experten übereinstimmen. Die Astronomen hatten ja eine kleinere Stichprobe selbst klassifiziert, und es gab Gründe, diesen Ergebnissen mehr zu vertrauen: Ein Unbekannter konnte sich Scherze erlaubt oder sich einfach nicht genug bemüht haben.

Manchmal sind Galaxien aber zu klein oder zu weit entfernt, um sie eindeutig zu klassifizieren. Dann streuen die Stimmen zwischen den möglichen Klassen, und raffinierte Gewichtungen helfen auch nicht weiter. Zur wissenschaftlichen Analyse dient deshalb eine gesäuberte Stichprobe mit Galaxien, über die sich zumindest 80 Prozent der Betrachter einig sind (die Bildserie rechts zeigt einige Beispiele für die zu klassifizierenden Galaxien.

Dabei haben die Betrachter unterschiedliche Fähigkeiten: Manche sind sehr gut im Erkennen von verschmelzenden Galaxien, andere besser bei der Windungsrichtung flockiger Spiralarme. Es stellte sich auch heraus, dass 20 Stimmen voll ausreichen, um eine endgültige Entscheidung zu treffen; weitere Stimmen machen die Ergebnisse nicht zuverlässiger. Daher entschieden die Zoologen, dass sie genug Material erhalten hatten, und gingen nun daran, die Klassifikationsaufgabe detaillierter zu gestalten, um genauere Analysen zu ermöglichen. Daraus entstand der »Galaxy Zoo 2«, der im Februar 2009 das Licht des Web erblickte, und der weiter unten beschrieben wird.


Im Forum der Betrachter

Zunächst sprechen wir aber noch eine wichtige systematische Fehlerquelle an, die Ergebnisse verfälschen kann, wenn sie ignoriert wird: In Bildern mit gegebener Winkelauflösung zeigen weiter entfernte Galaxien weniger Details, und sind somit schwieriger einzustufen. Das führt aber nicht unbedingt dazu, dass die Betrachter weniger übereinstimmen; es kann auch passieren, dass sie gemeinsam in die Irre geführt werden und sich auf die falsche Klasse festlegen. Dieser Effekt wurde in den Zoodaten untersucht und lässt sich statistisch korrigieren. Dabei hilft, dass die Galaxien überall im Zoo die gleiche Typenmischung aufweisen, obwohl ihre Entfernungen um einen Faktor zehn streuen. Wir sehen die entfernten Galaxien zwar in einem früheren Zustand, doch innerhalb der Reichweite des SDSS sind die Zeitunterschiede der kosmischen Epochen zu gering, um große Entwicklungseffekte der Galaxien aufzuzeigen. Erst wenn man sehr viel tiefer ins Universum schaut als es der SDSS tut - etwa mit dem VLT oder dem HST - lassen sich die Entwicklungseffekte erkennen.

Manche Galaxien sind fürs Auge einfach schöner als andere. Daher lohnt es sich, den Funkkontakt der Betrachter im Forum mitzulesen, die sich gegenseitig auf Interessantes hinweisen. Schöne Porträts schafft die Natur etwa dort, wo eine nahe Galaxie eine weiter entfernte teilweise überdeckt (siehe zum Beispiel das nebenstehende Bild). Wissenschaftlich sind solche Scheinpaare von großem Interesse, da durch die Hintergrundbeleuchtung die Verteilung von interstellarem Staub in der Vordergrundgalaxie klarer sichtbar gemacht wird. Zunächst verdecken sich Galaxien ja nicht gegenseitig, sondern sie sind durchsichtig, da der geometrische Abschattungseffekt der Sterne unmessbar winzig ist. Staubwolken schlucken aber je nach Größe und Dichte eine gewisse Menge Licht der dahinter liegenden Sterne. Dieser Effekt ist schon in einzeln stehenden Galaxien zu sehen, sofern der Staub vor leuchtenden Sternen liegt. Staubwolken abseits der Sternenscheibe sind aber ohne Hintergrundbeleuchtung nicht zu erkennen.

Vor dem Galaxienzoo waren rund 30 überlappende Galaxienpaare bekannt. Im Zoo wurden seither 3000 neue Exemplare gefunden. Am Kitt Peak Observatory in Arizona leitet Bill Keel von der University of Alabama tiefe Nachbeobachtungen ausgewählter Fälle, um mehr über die Staubverteilung in Galaxien zu lernen. Die Beobachter am Kitt Peak senden frisch gewonnene Aufnahmen oft noch in derselben Nacht an den Entdecker im Zoo. Zu dessen Freude erläutern sie den Wert der neuen Aufnahmen für die Erforschung des Staubs, obwohl solide Ergebnisse noch ein paar Jahre entfernt sind.


Grün wie nix: Hanny's Voorwerp

Das wohl berühmteste Objekt im gesamten Zoo ist Hanny's Voorwerp, benannt nach seiner Entdeckerin Hanny van Arkel, einer 26-jährigen Lehrerin in den Niederlanden; Voorwerp ist einfach holländisch für »Objekt«. Zunächst fiel es durch seine grüne Farbe auf, die in Sternen oder Galaxien eigentlich nicht auftritt. Heiße Sterne leuchten blau, und zunehmend kühlere Sterne dann weiß, gelb oder rot. In Galaxien leuchten außer Sternen auch noch Emissionsnebel, entweder eher rot oder eher grün, je nach Art der Strahlung, welche die Nebelwolken zum Leuchten anregt, und der Dichte der Gase. Die anregende Strahlung stammt dabei von heißen Sternen oder aktiven Galaxienkernen, doch in den bekannten Fällen überstrahlt sie die Nebelwolken, so dass sich insgesamt immer noch keine grüne Farbe ergibt.

Hanny's Voorwerp (siehe Bild rechts) ist das grünste Objekt im SDSS-Atlas: Offenbar wird eine dünne Gaswolke von intensiver Strahlung zum Leuchten angeregt, obwohl weder ein aktiver Galaxienkern noch heiße Sterne in der Nähe stehen. Damit ist das Voorwerp nicht nur eine Kuriosität, sondern von höchstem wissenschaftlichen Interesse. Chris Lintott nennt die Sache einen Kriminalfall: »Irgendwer hat diese große Gaswolke heftig ionisiert, aber der Täter ist verschwunden oder versteckt sich.« Letzteres erscheint aber fast ausgeschlossen. Die Wolke selbst besteht aus leuchtendem Gas und ist von nichts anderem umgeben als von einer Menge nicht leuchtenden neutralen Gases. Ein Spektrum der Wolke zeigt typische Emissionslinien von sehr heißem Gas, wie es in aktiven Galaxienkernen auftritt. Selbst heiße Zentralsterne planetarischer Nebel schaffen solche Anregungsbedingungen nicht.

Theoretisch könnte sich ein Täter in der recht normal aussehenden Nachbargalaxie IC 2497 verbergen, doch die Suche nach einem aktiven Kern ist bislang ergebnislos verlaufen. Man kennt wohl aktive Kerne, die hinter so viel Staub verborgen sind, dass sie kaum nachzuweisen sind. Die Verhältnisse müssten aber schon sehr extrem sein: Der aktive Kern muss mit voller Quasar-Leuchtkraft gewaltet haben, um das 70.000 Lichtjahre von ihm entfernte Voorwerp zu erzeugen. Wo ist dieser Quasar jetzt?

Der Schlüssel zum weiteren Vorgehen ergab sich aus der Entdeckung eines Radio-Jets fossiler Natur: Aktive Galaxienkerne erzeugen manchmal Teilchenjets, die fast mit Lichtgeschwindigkeit aus den Kernen schießen und über eine Million Lichtjahre weit strömen können, ehe sie ihre Energie am Widerstand des intergalaktischen Gases verbraucht haben und sich dort verlieren. Andererseits ist immer noch nicht bekannt, warum manche Schwarze Löcher in aktiven Kernen einfach nur Materie aufsaugen, andere aber Teile der in ihren Einfluss geratenden Materie in solche Jets umlenken und von sich schießen. Eine Vermutung ist, dass es sich dabei um schnell rotierende Schwarze Löcher handelt. Die Überreste eines Jets legen also eine ehemalige Quasaraktivität in IC 2497 nahe.

Der Quasar sollte seinen Materieverzehr in der Nachbargalaxie innerhalb der letzten 100.000 Jahre beendet haben, sonst könnte das Voorwerp nicht mehr leuchten. Nun ergab sich folgende Möglichkeit: Auf der Strecke von IC 2497 zum Voorwerp schauen wir effektiv auf eine Zeitachse der Quasaraktivität, denn je näher ein Teil des Voorwerp zum Kern von IC 2497 steht, desto kürzer war die Lichtlaufzeit der Strahlung aus dem inzwischen stillgelegten Quasar. Also sollte man schauen, ob sich der Zustand des Gases im Voorwerp mit der Distanz vom Kern verändert. Daraus könnte man lernen, wie der Quasar seinen Betrieb eingestellt hat, allerdings nicht, warum er das tat. Eventuell finden sich auch Stoßfronten im Jet, aus denen sich dessen Vergangenheit entschlüsseln lässt.

Das richtige Instrument dafür ist der Spektrograf STIS des Weltraumteleskops Hubble. STIS musste aber zuerst noch während der 2009er Shuttle-Mission zu Hubble repariert werden, und ein Beobachtungsantrag, unter Federführung von Bill Keel, musste sich der extremen Konkurrenz bei der Auswahl der begehrten Hubble-Programme stellen. Nach der erfolgreichen Reparaturmission geschah noch ein netter Zufall: Der Tag, an dem die Hubble-Komitees die erfolgreichen Anträge bekannt gaben, war Hanny van Arkels Geburtstag! Nicht nur Bill Keel ist schon jetzt gespannt auf die Beobachtungen im Frühjahr 2010.


Wie viele grüne Erbsen stehen am Himmel?

Im Forum kursierte schon am zweiten Tag eine Entdeckung, zu deren Analyse die Zooexperten erst ein Jahr später kamen. Ein Nutzer namens Nightblizzard meldete seltsame grüne, kleine und lichtschwache Objekte (siehe Bild auf Seite 56). Unter dem Namen »Grüne Erbsen« (englisch: Green Peas) zogen sie so starke Neugier einiger Zoobesucher auf sich, dass diese eine besondere Interessengruppe bildeten. Sie nannten sich »Peas Corps«, in Anspielung auf das von John F. Kennedy gegründete Entwicklungshilfeprojekt »Peace Corps« (Friedenskorps). Unter dem sprachverspielten Motto »Give peas a chance« fingen sie an, in der SDSS-Datenbank nach Spektren der Erbsen zu forschen, und stießen dabei durchweg auf extrem starke O-III-Emissionslinien, welche die grüne Farbe erzeugen. Zunächst vermuteten sie, es könnte sich um Quasare handeln, verwarfen aber die Ansicht nach dem Genuss einschlägiger astronomischer Lektüre.

Kevin Schawinski (heute an der Yale University in Connecticut) und Doktorandin Carolin Cardamone nahmen sich der Grünen Erbsen an und untersuchten ihre Rolle innerhalb der Galaxienpopulation. Sie sind in der Tat selten - unter der Million Zoogalaxien finden sich nur etwa 250 von ihnen. Die Spektren dieser eher kleinen Galaxien (ein Beispiel zeigt die Grafik auf Seite 56) signalisieren ein jüngst explosiv angestiegenes Ausmaß an Sternentstehung (einen »Starburst«): Typische Grüne Erbsen sind ähnlich groß wie die Magellanschen Wolken, bilden aber doppelt bis zehnmal so viele neue Sterne wie unser Milchstraßensystem (10 bis 50 Sonnenmassen pro Jahr).

Keine Galaxien im heutigen Universum wachsen so schnell wie diese: Sollte ihre hohe Sternentstehungsrate nicht wieder gebremst werden, dann verdoppeln sie ihren Sternbestand innerhalb von nur 100 Millionen Jahren - das ist weniger als ein Hundertstel des Weltalters! Solche Wachstumsraten erinnern an die bei hoher Rotverschiebung (im frühen Universum) recht häufigen Starburst-Galaxien. Nun richtet sich das Interesse der Wissenschaftler auf die physikalischen Bedingungen in den heutigen Starbursts im Vergleich zu jenen im jungen Universum: Dort war doch gewiss einiges anders, von der Temperatur und Dichte der kosmischen Hintergrundstrahlung, welche die Kühlung der Gaswolken begrenzt, aus denen die Sterne sich bilden, bis hin zu deren chemischer Zusammensetzung.

Der aktivste Deutsche in der »Green Peas«-Gruppe ist Christian Manteuffel, ein 31-jähriger Softwareentwickler aus Rostock. Die Struktur der Datenbank des SDSS war für ihn leicht zu durchschauen, mit seinen Programmierkenntnissen hat er zum Erfolg des Erbsenprojekts ganz entscheidend beigetragen, und Astronomie hat er von anderen Usern im Forum gelernt.

Für Hobbyforscher sind neue Zeiten angebrochen. Noch vor einigen Jahrzehnten konnte man mit einem Amateurteleskop wirklich Neues entdecken, etwa Kometen, Supernovae und veränderliche Sterne. Die Astronomie des 21. Jahrhunderts mit ihren automatischen Überwachungsprogrammen an großen Teleskopen lässt den Amateuren kaum noch Gelegenheit zum Erlebnis der visuellen Entdeckung. Stattdessen ist die Arbeit auf Computerauswertungen verlagert: Nun sind die Wissenschaftler durch Arbeitskraft, Methoden, Raffinesse und die Rechenleistung ihrer Computer begrenzt. Wer etwas entdecken will, das die moderne Astrophysik glatt übersehen hat, braucht außer Fleiß und Hingabe einen Computer und Internetzugang zu den öffentlichen Datenbanken.


Zurück zur Uridee: Ein kosmischer Drehwurm?

Am Anfang des Zooprojekts standen zwei wissenschaftliche Fragen: nach den seltenen elliptischen Galaxien mit Stern entstehung und nach dem Drehsinn von Spiralgalaxien. Bis Ende des Jahres 2009 wurden schon 16 wissenschaftliche Untersuchungen mit den Daten des Zoos abgeschlossen. Jede Arbeit wird von einem Wissenschaftler geleitet, aber die Zoogründer stehen mit Rat und Tat zur Seite.

In der Untersuchung des Drehsinns von Spiralgalaxien wartete eine völlig überraschende Sensation. Eigentlich wurde die Rotation selbst gar nicht gemessen, sondern nur die Windungsrichtung der Spiralen betrachtet: ob die Arme nach außen hin mit oder gegen den Uhrzeigersinn liefen. Kate Land (heute bei einer Londoner Bank) leitete die Analyse und fand, dass 52 Prozent der Spiralen mit dem Uhrzeigersinn liefen, anstatt 50 Prozent wie erwartet. In einer kleinen Stichprobe von tausend Galaxien könnte ein solches Ergebnis rein zufällig auftreten und sich mit jeder neuen Stichprobe ändern. In der großen Zoo-Stichprobe könnte der Zufall eine solche Asymmetrie nur mit einem 8-Sigma-Ausreißer erzeugen; einen solchen Fall erwartet man aber nur einmal in einer Billiarde (1015) Stichproben. Sollten also die Galaxien quer durch den Raum über ein paar Milliarden Lichtjahre hinweg wirklich unter dem Einfluss eines gemeinsamen, übergeordneten Drehsinns stehen?

Ein solches Ergebnis war viel zu brisant, um es ohne weitere Überprüfung zu glauben. Konnte es sein, dass Zoobesucher in strittigen Fällen unbewusst eine bestimmte Windungsrichtung bevorzugten? Liegt es am Auge, am Hirn oder an der Anordnung der Schaltflächen in der Webseite, die den beiden Richtungen entsprechen, dass im Zweifel der Uhrzeigersinn bevorzugt wird? Fortan wurden Galaxien den Zoobesuchern per Zufall entweder normal oder spiegelverkehrt präsentiert. Und nun? Immer noch 52 Prozent mit dem Uhrzeigersinn! Der Effekt war also nicht real. Das Universum war in Ordnung, aber wo nahmen die Zoobesucher ihren Drehwurm her?

Nun begannen sich Neurologen für den Galaxienzoo zu interessieren: In einem Projekt am John Radcliffe-Krankenhaus der Universität Oxford untersuchten sie die Augenbewegungen der Probanden beim Klassifizieren der Galaxien. Hier fand man zumindest, dass die Augen von Zoo-Neulingen über das Bild huschen, während sich erfahrene Zoobesucher sofort auf die Spiralstruktur konzentrierten. In Paris wurden die Gehirne von Probanden beim Klassifizieren der Galaxien mit Kernspin-Tomografen durchleuchtet - das Ergebnis ist noch nicht bekannt.

Mit Hilfe der spiegelverkehrten Galaxien konnten die Zoologen diejenigen Galaxien aussuchen, deren Drehsinn zweifelsfrei erkennbar war, und ihre Studien wiederholen. In dieser Stichprobe gab es nun keine Bevorzugung jenseits des Zufalls mehr: 50 Prozent von jeder Sorte. Allerdings ergaben sich interessante Trends: Anze Sloszar (heute an der Universität Berkeley in Kalifornien) fand, dass auf kleinen Skalen wohl doch eine Korrelation besteht: Spiralen, die weniger als ein Megaparsec voneinander entfernt sind, wie etwa in der Lokalen Gruppe, tendieren leicht zu ähnlichen Windungsrichtungen. Eventuell liegt dies daran, dass benachbarte Galaxien durch Fragmentierung aus einer gemeinsamen Urwolke hervorgingen und von dieser einen einheitlichen Drehsinn geerbt haben.

Raul Jimenez aus Barcelona analysierte die Altersverteilung der Sterne in den Zoo-Galaxien. Er fand, dass der Drehsinn einer Auswahl bestimmter Spiralen selbst auf Skalen bis zu 50 Megaparsec korreliert ist. Dies sind auch die größten Skalen, auf denen sich im Universum zusammenhängende Strukturen gebildet haben. Allerdings hängt das Verhalten der Galaxien davon ab, wie hoch ihr Anteil alter Sterne ist. Es besteht eine direkte Beziehung zwischen der Korrelation der Drehsinne und dem Anteil der mehr als 10 Milliarden Jahre alten Sterne. Liegt dieser Anteil über 80 Prozent, war also die Spiralgalaxie schon sehr früh nahezu fertig ausgebildet, dann sind die Drehsinne auch über große Distanzen stark korreliert. Diese alten Galaxien sind gemeinsam in großräumigen Filamenten der kosmischen Materieverteilung entstanden. Vermutlich haben sie durch Gezeitenkräfte im frühen und noch dichten Universum einen ebenso großräumigen Drehsinn erhalten, den sie dann auf ihre einzelnen Klumpen übertragen haben, die zu Galaxien wurden. Diese heute weitgehend unveränderten Galaxien trügen dann in ihrer Windungsrichtung die Spuren früher Kräfte.

Je geringer der Anteil alter Sterne ist, desto schwächer sind die Rotationsrichtungen korreliert; liegt dieser Anteil unter 30 Prozent, dann ist keine Korrelation mehr vorhanden. Galaxien mit jüngeren Sternen zeigen also ganz zufällig verteilte Drehachsen. Sie liegen oft abseits großer Filamente, in dünner besetzten Raumgebieten, wo sich die frühe Materieverteilung im Universum weniger stark ausgewirkt hat. Eventuell spielen auch frühere Verschmelzungsprozesse eine Rolle, da die Drehachse der resultierenden Galaxie davon bestimmt wird, mit welcher seitlichen Versetzung die Galaxien aufeinander treffen. Die Zufallsverteilung ihrer Flugbahnen verwischt dann früher vorhandene Korrelationen.


Gibt es wirklich blaue elliptische Galaxien?

Elliptische Galaxien sind immer noch ein Rätsel: Wie entstanden sie, und wie haben sie sich weiter entwickelt? Es mangelt weder an Hypothesen noch an widersprüchlichen Hinweisen. Fest steht: Die überwältigende Mehrheit ihrer Sterne ist fast so alt wie das Universum, was ihnen die rote Farbe kühler Sterne gibt. In der Regel enthalten sie auch kein kaltes Gas, aus dem neue Sterne entstehen könnten. Dennoch stieg die Zahl der Sterne in den Ellipsen als Ganzes während der letzten zehn Milliarden Jahre um das Dreifache an. Wenn die elliptischen Galaxien in unserer kosmischen Nähe aber überhaupt Sternentstehung zeigen, dann handelt es sich um kleine Mengen, angeordnet in zirkumnuklearen Ringen. NGC2 ist ein Ausnahmefall mit starker galaxienweiter Sternentstehung.

Stattdessen entstehen Sterne zuhauf in blauen Spiralgalaxien und zum Teil in irregulären Zwergen. Die Masse der Sterne in Spiralgalaxien als Ganzes nimmt aber mit der Zeit kaum zu. Wohin verschwinden also die entstandenen Sterne? Und wo nehmen die elliptischen Galaxien ihr Wachstum her? Plausibel ist der Vorgang nur, wenn ganze Spiralen verloren gehen und Ellipsen dazu kommen. Diese Umwandlung einer Galaxiensorte in eine andere ist schon lange ein aktuelles Forschungsgebiet: Die Suche nach den Galaxien mitten im Prozess der Umwandlung läuft mit verschiedenen Methoden. Hier kommen blaue, heftig sternbildende Ellipsen wie NGC 3032 ins Spiel. Gibt es sie noch öfter? Und welche Rolle spielen sie auf den verschlungenen Wegen der Galaxienentwicklung?

Erst mit dem Studium einer Million Galaxien lassen sich die Geheimnisse ihrer Entwicklung lüften.

Die Stichprobe des Galaxienzoos ist mehrere hundert mal so groß wie der NGC-Katalog, und wenn irgendwo, dann sollte man hier fündig werden. Kevin Schawinski verknüpfte die Farbinformationen des SDSS mit der Morphologie der Galaxien im Zoo und fand tatsächlich mehr als 200 blaue Ellipsen. Die größten und auffälligsten Ellipsen blieben nach wie vor rot, aber zu kleinen Ellipsen hin stieg der Anteil blauer Exemplare auf fünf Prozent an. Deren Sternentstehungsraten sind zumeist kleiner als diejenige des Milchstraßensystems, aber es gibt auch Exemplare, die das Zehnfache unserer Galaxis erreichen.

Derzeit laufen detaillierte Beobachtungen dieser Ellipsen: Mit dem Submillimeter-Interferometer IRAM auf dem Plateau de Bure sollen Menge und Zustand ihres kalten Gases untersucht werden, von dem die Sternentstehung zehrt. Eventuell stammen diese blauen Ellipsen aus der Verschmelzung einer ehemals roten Ellipse mit einer blauen Spirale, die reich an Gas und Sternentstehung war. Das könnte erklären, woher die Sternentstehung in elliptischen Galaxien überhaupt kommen soll, aber auch, weshalb die Masse an Sternen in Ellipsen zunimmt und Spiralen verschwinden.


Die neue Generation: Galaxienzoo 2

Die begeisterte Hilfe der Öffentlichkeit hat die Zoologen von Anfang an überrascht und alle Erwartungen übertroffen. Sie weckte Begierden nach noch genaueren Analysen, die von den Zoobesuchern hoffentlich nicht als Zumutung, sondern immer noch als schöne Erfahrung betrachtet würden. Dazu wurde ein Zoo der zweiten Generation gestaltet, in den die Erfahrungen aus dem ersten einflossen. Eine große Gruppe Astronomen setzte sich zusammen und definierte 30 wissenschaftliche Projekte, deren Bedürfnisse im Sinne der Klassifikation genau durchdacht wurden.

Der »Galaxienzoo 2" ist seit Februar 2009 unter www.galaxyzoo.org im Web zu finden und beschränkt sich auf eine viertel Million Galaxien, zu welchen aber detaillierte Fragen gestellt werden: Wie viele Spiralarme lassen sich erkennen? Wie deutlich ist ein Galaxienbalken zu sehen im Vergleich zu Mustergalaxien? Gibt es, unabhängig von den Spiralarmen, eine Scheibe? An der letzten Frage unterscheiden sich bei armfreien Galaxien Ellipsen von S0-Galaxien. Die Entstehung Letzterer ist seit Langem ein heißes Thema: Die Sterne in S0-Galaxien scheinen ähnlich alt zu sein wie in Ellipsen, und mangels Sternentstehung gibt es weder Spiralarme noch Klumpen. Aber sie zeigen mehr oder weniger deutliche rotierende Scheiben und sind vermutlich ehemalige Spiralgalaxien, deren Sternentstehung aus noch ungeklärten Gründen aufhörte - hier gibt es noch viele Rätsel zu klären.

Die Aufgabenstellung im ersten Galaxienzoo war so einfach, dass sich viel mehr Personen aus der breiten Bevölkerung meldeten als Amateurastronomen, die ja auch lieber am eigenen Teleskop stehen, als am Computer zu sitzen. Das könnte sich aber ändern, da die neuen Aufgaben anspruchsvoller und für erfahrene Hobbyastronomen viel unterhaltsamer sind. Bis Ende 2009 lagen etwa 50 Millionen Klassifikationen vor, die nun erste gründliche Analysen ermöglichen.


Freut euch: Jetzt wird's kompliziert!

Weitere Ableger der Uridee sind derzeit in Entwicklung: Das SDSS-Teleskop hat eine Himmelsfläche von 270 Quadratgrad namens »Streifen 82« 50-mal aufgenommen. Die aufsummierten Bilder reichen zwei Größenklassen tiefer und werden die Galaxien etwas anders zeigen, da Strukturen mit geringer Flächenhelligkeit nur hier zu sehen sind, aber nicht auf den normalen SDSS-Bildern. Was wird sich ändern? Werden wir mehr blasse Scheiben um helle ellipsenartige Galaxienbäuche finden? Wird es von zarten Filamenten nur so wimmeln, die auf frühere Wechselwirkungen oder auf verschluckte Zwerggalaxien hinweisen?

Der bislang aufwändigste Ableger der Zooidee, das Projekt »Galaxy Zoo Mergers«, zielt darauf ab, die Eigenschaften verschmelzender Galaxienpaare zu rekonstruieren. Sein Entwickler, John Wallin von der George Mason University in Virginia, ist ein Experte für numerische Methoden komplexer Computersimulationen. Der Betrachter sieht ein Bild eines wechselwirkenden Galaxienpaares sowie eine Reihe simulierter Bilder zum Vergleich. Sobald er das am Besten passende Vergleichsbild auswählt, präsentiert der Computer eine neue Auswahl Vergleichsbilder mit enger umrissenen, feiner abgestuften Eigenschaften. Die Vergleichsbilder entstehen aus numerischen Simulationen von Galaxienwechselwirkungen und berücksichtigen die Schwerkraft der Dunklen Materie, die Bahnen der Sterne und die Verteilung des Gases. Letztlich sollen alle Parameter des Problems ermittelt werden: das Verhältnis der Galaxienmassen, die Geometrie ihres Vorbeiflugs und die Perspektive.

Der schrittweise Abgleich gegen Muster bildet dabei optimierte mathematische Methoden zur Lösungsfindung im hoch dimensionalen Raum ab. Zuerst werden Vergleichsmuster betrachtet, die den Raum der Parameter nur in sehr groben Schritten überdecken. Nach jeder Entscheidung wird in der näheren Umgebung der besten Parameter ein feineres Netz aufgespannt, während abgelegene Parameterwerte fortan ignoriert werden. Der Raum der gesamten Möglichkeiten ist enorm groß und kann daher nicht komplett abgesucht werden. Der schrittweise Vergleich beschränkt den Aufwand auf Vergleiche entlang eines Weges von einem Ursprungspunkt direkt zur besten Lösung. Den Vergleich selbst führt aber der Betrachter durch, da bislang nur dieser sein Augenmerk auf die wichtigsten Eigenschaften konzentriert. Methoden zur Mustererkennung mit Computern lassen sich noch zu sehr von irrelevanten Detailunterschieden irritieren.

Die Qualität der erzielbaren Ergebnisse wird gar nicht angezweifelt: Wegen der offenen Natur der Webseiten könnte zwar ein Störenfried am Projekt teilnehmen. Allerdings sind die Endergebnisse nach Mehrheitsvotum robust gegen falsche Antworten Einzelner, wenn nur genügend Antworten vorliegen.

Wissenschaftler haben heute zu viele Daten, um nur mit traditionellen Methoden alle versteckten Informationen ans Tageslicht zu bringen. Deshalb sind neue Methoden willkommen. Die Frage lautet: Wie kann man Computern die hier beschriebenen Aufgaben beibringen? Das »Maschinenlernen« ist ein wichtiges Methodenfeld der Zukunft, aber Maschinen benötigen als Startpunkt einen sehr großen Erfahrungsschatz. Das Erkennen von Galaxientypen ist noch sehr herausfordernd, da das Extrahieren der bestimmenden Eigenschaften nicht eindeutig ist. Der Computer kann zwar sehr einfach die Lichtkonzentration, die Asymmetrie oder die Klumpigkeit einer Galaxie messen, das Erkennen von Spiralarmen funktioniert aber noch nicht so gut.


Vorbild für weitere Projekte

Astronomen ganz verschiedener Spezialgebiete sind beeindruckt vom Erfolg des Zooprojekts und planen ähnliche Projekte. Eines davon betrifft die Auswirkungen von Sonnenprotuberanzen auf die Erde. Sonnenstürme blasen Wolken geladener Teilchen ins All, die nach rund drei Tagen die Erde erreichen und nicht nur Polarlichter, sondern auch Probleme auslösen können: Der Funkverkehr kann zum Erliegen kommen oder sogar der Strom ausfallen. Unklar ist, was von den Ausbrüchen auf der Sonne bei der Erde ankommt und warum.

Das soll jetzt die NASA-Mission Stereo untersuchen: Zwei Satelliten umlaufen die Sonne 100 Millionen Kilometer vor beziehungsweise hinter der Erde auf ihrer Bahn. Zusammen liefern sie ein räumliches Bild des interplanetaren Raums zwischen Sonne und Erde und verfolgen die Wanderung der Sturmwolken im Sonnenwind. Freiwillige Helfer sollen die Formen der Wolken und ihre Wanderung auf den Stereo-Bildern beschreiben. Projektname: Solar Storm Watch. Chris Lintott und seine Gruppe unterstützen das Projekt mit Rat und Tat - 80 Prozent der Software sind direkt vom Galaxienzoo übernommen. Ein weiteres Projekt wird »Moon Zoo« sein, mit Bildern des Lunar Reconnaissance Orbiters. Sie alle sollen von gemeinsamer Infrastruktur profitieren und über den gleichen Webserver laufen.

Bald sollen Wissenschaftlergruppen einfach ihre Inhalte bereitstellen, die ein Team an einem »Computerzentrum für Bürgerwissenschaft« in praktische Webseiten umgestaltet. Bezahlt wird dies derzeit durch Spenden von Microsoft, aus dem NASA Education Fund und durch ehrenamtliche Mitarbeit. Chris Lintotts Gehalt wird bis 2011 die britische Leverhulme-Stiftung bezahlen. Die Server-Hardware wurde von dem Online-Buchhändler Amazon gemietet: Amazon benötigt enorme Ressourcen, um das Weihnachtsgeschäft zu meistern, die aber im Rest des Jahres totes Kapital wären, gäbe es nicht andere Nutzer.

Der Galaxienzoo hat die Weltgemeinschaft zwar für 18 Millionen Personenstunden beschäftigt - doch das ist nur so viel, wie eine Folge von »Wer wird Millionär?« in Deutschland alleine schafft. Chris Lintott sagt dazu: »Die Menschen haben erstaunlich viel Zeit - wenn sie eine Sache interessiert«. Derzeit sind die Wissenschaftler von den Freiwilligen überfordert, und nicht umgekehrt. Die Bereitschaft zu helfen, etwas Neues zu lernen, sich mit echten Bildern aus der aktuellen Forschung zu befassen und sich dabei auch wieder zum Staunen zu bringen, ist wahrhaftig sehr groß! Die Wissenschaftler kommen derzeit nicht nach mit der Bereitstellung neuer Projekte auf interaktiven Webseiten. Sollte die Wissenschaft in Zukunft doch einmal zu viel verlangen, und sollten ihre Projekte miteinander in Konkurrenz treten und die freiwilligen Helfer überfordern, dann wird man das Angebot begrenzen und - wie bei der Vergabe der Beobachtungszeit an den Großteleskopen - mit Hilfe von Expertenkomitees die wertvollsten Projekte auswählen.

Hobbyastronomen haben der Wissenschaft schon oft geholfen, wo schiere Arbeitskraft wichtiger ist als ausgefuchstes Instrumentarium, etwa mit dem Sammeln jahrzehntelanger Beobachtungen des Sonnenfleckenzyklus und veränderlicher Sterne. Das erforderte aber nicht nur Hingabe, sondern auch ein Teleskop und gutes Wetter. Nun kann eine viel breitere Gruppe von Menschen gleichzeitig Astronomie erfahren und dabei den Profis helfen. Das Web macht spontane Interaktionen und Gruppenbildungen möglich, obwohl die nächsten Gleichgesinnten vielleicht weit entfernt leben. Am schönsten aber ist dabei: Die Beteiligten wissen, dass sie mit ihrer Hilfe etwas Sinnvolles tun.


Christian Wolf promovierte am MPIA Heidelberg. Seit acht Jahren forscht er in Oxford über die Entwicklung von Galaxien sowie über Supernovae und GRBs.


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 50:
Im Galaxienzoo sollen eine Million Galaxien in sechs Typen einsortiert werden. Ein Mausklick genügt, und die nächste Galaxie wird angezeigt. Der Weblink lautet: www.galaxyzoo.org

Abb. S. 51:
Gravitative Wechselwirkung zwischen den beiden Galaxien Arp 147 hat eines der beiden Sternsysteme zum Ring verformt und darin neue, blau leuchtende Sterne entstehen lassen. Nur am unteren Rand des Rings ist das Sternlicht durch Staub gerötet.

Abb. S. 52 oben:
Diese Hubble-Aufnahme der 500 Millionen Lichtjahre entfernten Wagenrad-Galaxie zeigt das eindrucksvollste Beispiel einer Frontalkollision zweier Galaxien, die einen Ring aus neuer Sternentstehung auslöst. Die Galaxie, die als Projektil wirkte, ist noch nicht identifiziert.

Abb. S. 52 unten:
Anzahl der Teilnehmer
Schon nach vier Tagen hatten sich mehr als 50 Freiwillige für den Galaxienzoo gemeldet. Nach zwei Jahren waren es knapp 200.000. Im August 2008 (Tag 394) lösten Presseberichte von Hanny's Voorwerp mehr als 15.000 Neuzugänge innerhalb von nur zwei Tagen aus.

Abb. S. 53:
Die Zoobesucher sollen Galaxien in sechs Typen einsortieren. Von oben nach unten sind hier jeweils Beispiele für elliptische Galaxien, Spiralgalaxien in zwei Windungsrichtungen, Edge-on-Spiralen, Sterne und Artefakte sowie wechselwirkende Galaxien dargestellt. Jedes Bild zeigt einen quadratischen Himmelsausschnitt von jeweils 50 Bogensekunden Kantenlänge.

Abb. S. 54:
Die weitläufigen Staubarme der 400 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie AM 1316-241 sind auf dieser Aufnahme des Weltraumteleskops Hubble nur deshalb zu erkennen, weil sie von einer im Hintergrund stehenden elliptischen Galaxie beleuchtet werden (links).

Abb. S. 55:
Die holländische Lehrerin Hanny van Arkel entdeckte das seltsamste Objekt im Galaxienzoo (rechts): Hanny's Voorwerp ist die grünste Gaswolke im gesamten SDSS-Atlas, der ein Viertel des Himmels erfasst. Im Kern der benachbarten, normal erscheinenden Spiralgalaxie IC 2497 leuchtete vermutlich noch vor 100.000 Jahren ein Quasar, der die Wolke hochgradig ionisierte und die Emission der grünen Sauerstofflinide anregte - sie leuchtet noch immer nach.

Abb. S. 56 oben:
Grüne Erbsen sind kompakte Galaxien geringer Masse, in denen die höchsten Sternbildungsraten herrschen, die im lokalen Universum beobachtet wurden. Zum Vergleich: eine elliptische Galaxie (rechts).

Abb. S. 56 unten:
Das meiste Licht einer Grünen Erbse stammt aus der (rotverschobenen) OIII-Emissionslinie, weshalb diese die vom Beobachter wahrgenommene Farbe dominiert. Die hohe relative Stärke dieser Linie ist das Resultat einer jüngst explosiv angestiegenen Sternbildungsrate; die Kontinuumsstrahlung ist schwach, weil bisher nur wenige Sterne vorhanden sind.

Abb. S. 58-59:
Dies ist der Einstieg in die zweite Version des Galaxienzoos. Nach wenigen Klicks kann sich der Besucher aktiv an der Klassifizierungsarbeit beteiligen: Es werden immer neue Fragestellungen geboten - die Tätigkeit wird immer interessanter. Neuerdings wird die kurze und einfache Anleitung nicht nur auf Englisch, sondern auch auf Polnisch und bald auch auf Chinesisch und Deutsch angeboten. Die Adresse lautet: www.galaxyzoo.org


© 2010 Christian Wolf, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Sterne und Weltraum 4/10 - April 2010, Seite 50 - 59
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
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Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2010